Ein lebenslanger Kampf gegen Patriarchat und Repression PKK-Prozess gegen die kurdische Feministin Yildiz Aktaş

freiheit-yildiz.com

29. November 2019, ein weiterer Prozesstag im Kammergericht Berlin-Schöneberg. Sicherheitsbereich, Tasche weg, Schuhe aus, alles wird kontrolliert und abgetastet- es wirkt fast wie ein Check-In am Flughafen. Wir begleiten solidarisch den Prozess gegen die kurdische und feministische Politikerin Yildiz Aktaş, die aus der Türkei geflohen ist und 2013 in Deutschland politisches Asyl erhalten hat. Ihr wird gemäß des Paragraphen §129a/b StGB vorgeworfen, in den Jahren 2013 und 2014 an verschiedenen Orten als Gebietsleitung für die PKK aktiv gewesen zu sein.
Wer sich mit der Geschichte der kurdischen Bewegung in Deutschland beschäftigt, weiß, dass diese seit langem mit schwerer Repression überzogen wird. Das sollte jedoch nicht davon abhalten, wütend darüber zu sein und die Absurdität des Ganzen aufzuzeigen. Das Verfahren an sich, die Aussagen der Zeug*innen. Das Setting, das wie eine Theaterinszenierung wirkt. Eine Glaswand, die Yildiz und ihre beiden Verteidiger*innen, die fünf Richter*innen und Gehilf*innen und die Staatsanwaltschaft von den Zuschauer*innen abschirmt. Sogenannte Expert*innen, die als polizeiliche Zeug*innen eingeladen werden, erschreckend wenig Hintergrundwissen vorweisen und ihre Aussagen niemals in einen politischen Kontext setzen. Die Aussagen des Leiters des Observationsteams aus denen hervorgeht, wie tief in die Persönlichkeitsrechte von Yildiz eingegriffen wurde.

“Ich werde immer Yildiz bleiben, mit meiner Vergangenheit und meinen politischen Überzeugungen.”

Was auch, aus feministischer Sicht, in diesem Prozess unfassbar erscheint, ist die Gegenüberstellung der Geschichte von Yildiz Aktaş und der Anklage gegen sie. Vor Gericht wurde eine Erklärung von ihr verlesen, in der sie ihre Geschichte erzählt. Von all den Inhaftierungen, vom Gefängnis in der Türkei, von Folter. Es ist eine Geschichte von einer Unmenge an patriarchaler und staatlicher Gewalt, die sie überlebt hat. Sie wurde bereits 1981, mit 12 Jahren, in dem berüchtigten Foltergefängnis Nr. 5 von Diyarbakir (kurdisch: Amed) inhaftiert. Eine erneute Inhaftierung, keinesfalls die letzte, erfolgte mit 15 Jahren. Hätte sie im Gefängnis nicht so viel Unterstützung durch Mitgefangene erfahren, so Yildiz Aktaş, wäre sie weder lebendig, noch als fühlender und denkender Mensch aus der Haft gekommen. Ihr Leben ist geprägt vom Widerstand gegen Gewalt an Frauen und dem Kampf für deren Recht auf Bildung, finanzielle Unabhängigkeit und Gleichberechtigung. Vor ihrer Flucht nach Deutschland im Jahr 2012 war sie in hoher Funktion für Frauenrechte in der prokurdischen „Partei des Friedens und der Demokratie“ (DBP) aktiv, auch danach engagierte sie sich weiterhin, unter Anderem für die Aufklärung der Ermordung von Sakine Canzis, Leyla Şaylemez und Fidan Dogan 2013 in Paris.
Sie erzählt davon, wie sie 2018 in ihrer Wohnung in Baden-Württemberg brutal festgenommen wurde, wie sie auch hier in Isolationshaft kam, in der JVA für Frauen in Berlin-Lichtenberg. Nach drei Monaten wurde sie wegen ihres gesundheitlichen Zustandes haftverschont. Die emotionalen und körperlichen Folgen all dessen sind für sie schwerwiegend. Das schlimmste sei für sie gewesen, dass sie sich vor der Verhaftung in Sicherheit gefühlt habe und nun auch hier Verfolgung ausgesetzt ist.
In ihrer Erklärung sagt sie: “Ich würde heute nicht vor Ihnen stehen, wenn ich keine Solidarität von anderen, insbesondere kurdischen Frauen erfahren hätte. Dank dieser Solidarität konnte ich überleben. Ich würde heute nicht vor Ihnen stehen, wenn ich nicht mein Leben lang widerständig gewesen wäre. In der Aktivität, im Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen, gegen die chauvinistische Vernichtungspolitik der Türkischen Republik gegenüber Kurd*innen, konnte ich trotz meinen Verletzungen weiterleben.”

Was wird als Terror angesehen und warum?

Bereits 2018 wurde eine breite öffentliche Debatte über die Sinnhaftigkeit des PKK-Verbots in Deutschland geführt: Für ihren Einsatz gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ erhielten Kämpfer*innen der YPG/YPJ auch in Deutschland viel Anerkennung. Die strafrechtliche Verfolgung gegen Kurd*innen wird dennoch immer stärker ausgeweitet. Gerade jetzt, im Angesicht des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der Türkei gegen die demokratische Förderation in Nord- und Ost-Syrien, gilt es, die Zusammenarbeit Deutschlands mit der Dikatur Erdoĝans und die deutschen geopolitischen Interessen in Syrien kritisch in den Blick zu nehmen. Es ist ein klares politisches Signal an die Türkei, dass gerade jetzt neben den weiterlaufenden Waffendeals, kurdische Aktivist*innen auch in der BRD juristisch verfolgt werden. Es ist ein klares politisches Signal und gleichzeitig eine Legitimierung und Bestärkung ihrer repressiven Politik ethnischen Minderheiten und politisch Oppositionellen gegenüber.
In Bezug auf das Verfahren ist es auch wichtig darauf hinzuweisen, dass Krieg, Repression und Gefängnis feministische Themen sind. In Kriegen und in der derzeitigen Bekämpfung der weltweiten Aufstände gegen diktatorische und repressive Regime, Armut und Korruption werden sexistische Erniedrigungen, sexualisierte Gewalt und Entführungen als Repressionsmittel eingesetzt. Innerhalb von Gefängsnismauern ist es noch schwieriger für Frauen, Lesben, Trans, Inter und queere Personen, sich vor patriarchalen Angriffen zu schützen als draussen. Die Abhängigkeiten, das Ausgeliefert-Sein und die totale Kontrolle bieten viel Raum für Beamt*innen und Wärter*innen dies auszunutzen und Gewalt auszuüben.
Yildiz sagte in ihrer Erklärung, dass von ihr vor Gericht erwartet wird, sachlich und rational zu sein, doch dass dies mit ihrer Geschichte nicht möglich sei. Alle, die patriarchale Gewalt kennen, wissen, dass es notwendig ist, sich dagegen zu schützen und zu verteidigen. Dies sehen wir auch in all den widerständigen Kämpfen weltweit, ob in Chile, im Iran, in Rojava, im Sudan und an vielen weiteren Orten, wo sich feministisch gegen repressive Regime organisiert wird. Solidarität mit allen Gefangenen und Betroffenen!
Das Strafverfahren gegen Yildiz ist ein Angriff auf die internationale feministische Bewegung, denn die kurdische Frauenbewegung bietet Feminist*innen weltweit Perspektiven für ein selbstbestimmtes, freieres Leben. Wir, von der feministischen Kampagne “Freiheit für Yildiz” begleiten das Verfahren.
Seit dem Prozessbeginn am 25.10.2019 war der Saal bisher fast jedes Mal gefüllt mit Menschen, die den Prozess solidarisch begleiten, es gab auch zwei Kundgebungen. Prozesstermine sind bis Ende Februar angesetzt. Informiert euch über unseren Blog freiheit-yildiz.com, folgt uns auf Twitter über @freedom4yildiz und kontaktiert uns unter freiheit-yildiz@posteo.net.