In der letzten Zeit machten Menschen aus der Region wieder verstärkt Erfahrungen mit dem Knast. Zu diesem Thema soll es in den kommenden Wochen eine Veranstaltung geben. Auch der folgende Redebeitrag von Klaus Viehmann auf der RH-Veranstaltung „Anna und Arthur machen einen Deal?“ (Berlin 2018) beschäftigt sich mit Fragen rund um Knast und Prozess.
Ich komme ja aus einer anderen Geschichte, aber selbst wenn die Jahre der Stadtguerilla in den 1970ern und die Knastkämpfe der 1980er Jahre sich von der heutigen Situation, gab es damals doch ähnliche Probleme mit Deals oder Aussagen usw. und ich will in der nächsten Viertelstunde versuchen, die Lehren, die damals daraus gezogen wurden, mit ein paar Thesen vorzustellen.
Ich habe selbst erlebt, wie Deals angeschoben werden und ich weiß, dass es möglich ist, sie abzulehnen. Andere politische Gefangene haben ähnliche Angebote genauso abgelehnt und zum Teil noch länger gesessen. Kurz zu dem, was ich mit Deals selbst erlebt habe: Nach meiner Verhaftung kam 1978 ein Geheimdienstler: Entweder Verurteilung zu 15 Jahren Knast (so kam es dann auch), oder ihm Auskünfte geben und dafür weniger als zehn Jahre, nebst Halbstrafe, nebst vorherigen offenen Vollzug, er könne so ein Kammergerichtsurteil garantieren. Das nächste Angebot nach drei U-Haft während des laufenden Prozesses, dieses Mal durch die Staatsanwaltschaft an den Anwalt: Öffentliche Distanzierung vom bewaffneten Kampf, es reichte auch ohne Belastung anderer, als Lohn 12 Jahre und vorzeitige Entlassung nach acht Jahren nebst vorherigem offenen Vollzug. Der letzte Versuch kam nach 9 Jahren Knast von Knastleitung und LKA: Entlassung auf „Zweidrittel“ nach zehn Jahren. Bedingung: Ein Leserbrief an die TAZ, in dem man sich vom bewaffneten Kampf distanziert, sowie Abbruch der Beziehungen zu Personen aus der linksradikalen Szene. Ich habe all diese Deals abgelehnt und habe das nie bereut. Mit geht es heute sehr gut mit dieser Entscheidung und den vielen anderen politischen Gefangenen, die sich auch so verhalten haben, auch.
Zu den politischen Prozessen und Deals oder Absprachen usw hat die Rechtsanwältin ja schon etwas gesagt, ich werde mich auf das konzentrieren, was bei dir als Einzelnem und Einzelner passiert und was für politische Auswirkungen hat.
1. Hinter Deals steckt eher Angst vor Strafe und Repression als politische Klugheit.
Im Prinzip steckt ja hinter Deals und Aussagen immer die Angst vor Knast und Strafe und Repression und es geht auch um Lebensperspektiven, die von Repression und Knast natürlich betroffen sind. Die Repressionsorgane wollen ja auch, dass man Angst hat, „Sein Leben zu versauen“, wie die das nennen und man sich deswegen nicht wehrt und lieber anpasst.
Ängste zu haben ist generell klug, sie machen vorsichtig und zeigen einem die eigenen aktuellen Grenzen. Aber es ist nach meiner Erfahrung extrem wichtig, die zu überlegen, ob die eigenen Ängste a) überhaupt berechtigt sind, und b) ob es dich nicht persönlich und politisch weiterbringt, sie zu überwinden.
Prüfungsangst oder Angst bei Demos auf die Fresse zu kriegen oder gar einzufahren sind ja eher banale Ängste und die kennen hier ja vermutlich fast alle und alle können nachvollziehen, dass es eine wichtige und vor allem gute Erfahrung ist, sie zu überwinden und die meisten sich dadurch weiterentwickelt haben, bewusster und tapferer geworden sind. Ängste lassen sich individuell überwinden, aber besser als Gruppe gemeinsam mit FreundInnen und GenossInnen oder solidarischen AnwältInnen, die mehr Erfahrungen haben, als man selbst sie bisher sammeln konnte.
Angst vor Repression oder konkret den Bullen schleift sich m.E. irgendwann ab, die sind mies, aber wenn du feststellst, dass sie dich nicht einschüchtern können, verlieren sie an bedrohlicher Gestalt.
2. Knast und Repression: An klaren Fronten lässt sich gut kämpfen…
Auch Knast ist nach meiner Erfahrung nicht das tiefe dunkle Loch, in dem du untergehst, sondern „nur“ ein anderes Terrain, womöglich Kampfterrain, wo du durchaus klar kommen kannst. Knast ist nicht das Ende, sondern nur ein Lebensabschnitt, der vorbei geht. Du hast zwar gerade den Kürzeren gezogen, aber der Knast ist ein neues Terrain und hier müssen sie dich erst mal klein kriegen. Exakt das willst du nicht zulassen und darum geht es im Prinzip vom Ersten bis zum letzten Tag. Eine klare Sache und an klaren Fronten ist gut kämpfen. Du darfst dir nur nicht einreden lassen, es gäbe eigentlich gar keine klaren Fronten und der „große Bruder“ sei dein Freund.
Es gibt einfache Fragen, die Fronten klar zu bestimmen: Wieso mit einem Staatsschützer reden, der dich und deine GenossInnen ausspioniert, der dich vermutlich hasst und Informationen über dich und andere an Geheimdienste und an irgendwelche Nazis durchsteckt? Willst du mit politischen Staatsanwälten reden und dealen, von denen die Hälfte in der AfD ist und die im Lauf der Jahre X Linke eingeknastet und verfolgt haben? Wieso mit Knastbeamten reden, die dich tagsüber in die Zelle einschließen und nachts vom Wachturm auf dich schießen würden, falls du zu fliehen versuchst? Willst du die alle für ein paar individuelle Vergünstigungen mit einem Deal beglücken?
Die erste Festnahme und die ersten paar Tage im Knast sind die schwersten, nach ein paar Wochen kommt vielleicht noch einmal ein Durchhänger, aber dann kennst du dich aus, kannst den Knast einschätzen und draußen läuft bereits die Solidaritätsarbeit an. Die ist für dich natürlich ganz wichtig, du merkst, du bist nicht allein. Und Knast oder Prozesse sind auch etwas, wo du was lernen kannst vor allem über dich selbst, wie du mit Repression und Problemen klar kommen kannst und du lernst etwas über die Wirklichkeit eines Landes wie der BRD, in der ständig 50 bis 60.000 Leute in Knästen sitzen. Und, ganz wichtig, wenn sie dich im Knast nicht klein gekriegt haben, kommst du fitter und gewachsener wieder heraus.
Nach meiner Erfahrung haben alle, die bei den Bullen, bei Verhören, oder im Prozess oder Knast nachgegeben haben, weil sie keinen Stress haben wollten oder frühzeitig entlassen werden wollten, einen Knick bekommen, der sie ihr Leben lang beschäftigt. Ein schlechtes Gewissen überwog bald ihre Freude, billig weggekommen zu sein. Meist haben sie auch ihre alten GenossInnen verloren, weil sie sich denen gegenüber geschämt haben und dann allen aus dem Weg gingen, die keine Deals oder Aussagen gemacht haben.
Und GenossInnen, die noch politisch, womöglich militant sind, haben ja auch gute Gründe, skeptisch gegenüber denen zu sein, die Deals gemacht haben. Denn wer sich einmal von Justiz oder Staatsschutz hat erpressen lassen, könnte das wieder tun. Womöglich sogar auf Kosten anderer. Das alles betrifft übrigens nicht nur politische Gefangene und GenossInnen, das ist auch bei Knackis und deren FreundInnen, also meist unpolitischen Leuten, so.
3. Deals und Aussagen beschädigen persönlich und politisch
Deals und Aussagen beschädigen dich nicht nur subjektiv, sondern auch politisch und die gesamte Linke, weil sie die Solidarität aufbrechen.
Dass das Hemd nähe ist als die Jacke und jeder sich selbst der Nächste ist, gehört zu den Wahrheiten, Prinzipien und Lernzielen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Wer das falsch findet, engagiert sich sozial, womöglich gar linksradikal. Wer davon ausgeht, dass das Individuum selbstverantwortlich und frei sein sollte, steht den Zumutungen der Obrigkeit und dem stummen Zwang der kapitalistischen Verhältnisse ablehnend gegenüber. Wer globale Verhältnisse wie Krieg, Ausbeutung und Hunger nicht hinzunehmen gewillt ist, sucht nach Möglichkeiten, sie zu ändern. Wer bemerkt, dass das nur gemeinsam geht, organisiert sich und trifft Entscheidungen kollektiv. Entsprechend war und ist Solidarität eine Wahrheit, ein Prinzip und Lernziel der Linken.
4. Individuelle Deals sind unsolidarisch und entpolitisierend
In besonderen Situationen kommt es manchen so vor, als stimme das nicht mehr. Knast und Gerichtsverfahren sind solche Situationen. Nun ist es mit womöglich erheblichen persönlichen Konsequenzen verbunden, solidarisch zu sein. Nun ist das Individuum sehr unmittelbaren und gar nicht mehr stummen Zwängen ausgesetzt. Nun wird nicht eher abstrakt, sondern ganz unverblümt das Hemd-näher-als-Jacke Prinzip an eineN herangetragen. Nun erfordert es individuelle Kraft und Hartnäckigkeit, sich Ansinnen der Obrigkeit, denen man draußen in (Entscheidungs-) Freiheit keine zwei Gedanken gegönnt hätte, zu erwehren. Nun wird für einen Deal mit der Macht etwas sehr verlockendes geboten: Geringere Strafe und Entlassung.
Das Problem ist nur: Der geforderte Preis, der Macht ein wenig zu Gefallen zu sein widerspricht den eigenen linken Ansichten und Erkenntnissen und auch der eigenen linken Praxis, weswegen man vor Gericht und in den Knast gekommen ist. Ein Deal wird mit Einzelnen auf Kosten anderer versucht, er funktioniert nie mit Kollektiven. Das vertrauensvolle solidarische Leben, Arbeiten und Kämpfen, was jede linke Organisierung herstellen will, wird gesprengt und das bürgerliche eigennützige Individuum wieder hergestellt.
Üblicherweise werden unsolidarische Entscheidungen durch Diskussionen und (selbst-)kritisches Denken verhindert. Auch das Heranziehen historischer Erfahrungen anderer (Gefangener) in vergleichbaren oder noch schwierigeren Situationen ist lehrreich und kann vor Fehlern schützen.
Leider können Repression und Knast egoistisch machen und Egoismus macht unpolitisch, unsolidarisch und vergesslich: Wie war das noch mit der Solidarität? Was hatte mein eigenes Verhalten noch mal mit der linken Geschichte zu tun? Hätte ich mein Verhalten nicht früher als scheußlichen Verrat gegeißelt? Ach quatsch, das war ja früher. Heute ist man im Knast. Kämpfen? Wie unvernünftig. Man kann doch eh nichts ändern…
Solche Selbstverarschungen lassen die Verbeugung vor der Macht ganz filigran erscheinen. Eigentlich gar nicht als Rückgratverkrümmung, sondern als schlaue Finte, als geradezu vorbildliche Taktik! Wie unverständlich, dass manche der Ansicht sind, dass zu viel Taktik den Charakter versaue.
Das Lichtlein, das man in gebückter Haltung bereits unter dem Knasttor schimmert sieht, wird so gleißend, dass es alles früher Gewusste und Gelebte ins Dunkel des Vergessen wollens taucht. Mit der im Verhältnis zur Haltungskrümmung im Quadrat zunehmenden Selbstgerechtigkeit werden die Aspekte und Personen immer überzeugender, die zur Legitimation des eigenen unsolidarischen Verhaltens taugen. Diese Aspekte sind meist juristisch-taktischer Art und diese Personen oft die Sorte Advokaten, die einem Schwätzchen mit der Obrigkeit nicht abgeneigt sind, sowie ex-politische Bekannte und Verwandte. Alle anderen, insbesondere alte GenossInnen, werden vor vollendete Tatsachen gestellt.
5. Du gewinnst und die verlieren, wenn du nicht dealst *
*Selbst wenn du den Prozess verlierst oder sogar in den Knast kommst…
Es klingt etwas absurd, aber: Die verlieren und du gewinnst, auch wenn du in den Knast gehst. Das sehen viele nicht, die denken, du verlierst. Aber sie kommen ja nicht durch, wenn du ihnen nicht nachgibst, das heißt, du hast dich als Person und deine Überzeugungen erfolgreich verteidigt.
Ich habe jetzt lange gegen Deals usw. gesprochen, aber eine wichtige Frage noch nicht angesprochen: Was passiert, wenn jemand schwach geworden ist und Aussagen oder einen Deal gemacht hat? Ich denke, das hängt sehr von den konkreten Umständen und der jeweiligen Person ab. Hat sie einen nachvollziehbaren Fehler gemacht und bedauert den? Falls ja, sollte man versuchen, sie aufzufangen, mit ihr sprechen und eine Chance geben, denn die meisten machen einen Fehler ja nicht zweimal. Würde man jedeN, der oder sie einen Fehler macht, aus der Linken herausschmeißen, wäre das ein Erfolg für die Gegenseite und immer eine oder einer weniger auf unserer Seite.
6. Wer wirklich überzeugt ist, kann jede Auseiandersetzung mit Staat, Bullen, Justiz und Knast überstehen.
Zum Schluss meine Erfahrungen in zwei Sätzen zusammengefasst: Es geht bei der Ablehnung von Deals um individuelle Haltungen und politische Überzeugungen, die eine Einheit bilden müssen, um stabil zu sein. Wenn du wirklich überzeugt bist, dass du auf der richtigen Seite stehst – gegen alle Verhältnisse, in denen Menschen ausgebeutet und unterdrückt werden – wenn du dir gut vergegenwärtigst, was Staat und Kapitalismus in der Geschichte und weltweit angerichtet haben, dann kannst du jede Auseinandersetzung mit Staat, Bullen, Justiz und Knast – egal wie bedrohlich die wirken -, individuell und als politische AktivistIn überstehen.