DAS MARTYRIUM DER AYTEN ÖZTÜRK – 6 MONATE VERSCHOLLEN

Anti-Imperialistische Front Deutschland

Ayten Öztürk war aktiv bei der Volksfront Syrien (Halk Cephesi) und lebte bis zum 09. März 2018 in Syrien. Sie gehört zu der arabischen Minderheit in der Türkei, stammt aus der an Syrien angrenzenden Stadt Hatay.
Am 09. März 2018 wollte sie über Beirut nach Athen fliegen. Um ihren Flieger nicht zu verpassen, betrat sie schon um 05.00 Uhr den Flughafen. Doch sie konnte niemals in das Flugzeug einsteigen, denn Ayten Öztürk wurde, wegen des Verdachts, dass ihr Pass gefälscht sei, von der libanesischen Polizei festgenommen und am 13.03.2018 an den türkischen Geheimdienst ausgeliefert.
Bis zum 28. August 2018 gab es kein Lebenszeichen von ihr, sie galt als verschollen. Was die 43-jährige 6 Monate durchmachen musste war das reinste Martyrium. Ihre GenossInnen zählten die ihr zugefügten Wunden: es waren insgesamt 686 an der Zahl.

KAMPAGNE FÜR AYTEN ÖZTÜRK
Wie wurde Ayten gefunden? Ihre GenossInnen schöpften 6 Monate lang alle bürokratischen und juristischen Wege aus. Sie wurden vertröstet, hereingelegt, zweimal regelrecht übers Ohr gehauen, auf libanesischer Seite verlangte man Geld für Informationen. Um das Leben von Ayten nicht zu gefährden, machte die Volksfront die Suche erstmal nicht publik. Als nichts zum Erfolg führte, ging sie an die Öffentlichkeit, begann mit der Kampagne „Wo ist Ayten Öztürk ?“.
Man wandte sich an die libanesische Regierung, führte verschiedene Aktionen durch wie Kundgebungen oder Sitzblockaden vor den libanesischen Botschaften verschiedener Länder (z.B. in Athen), organisierte Protestfaxe und -mails oder richtete diese Frage bei persönlichen Gesprächen an die Vertreter des Landes.
Die Kampagne wurde in der Türkei und Europa, überall wo die Volksfront organisiert ist, durchgeführt. Die libanesische Regierung geriet gehörig unter Druck. Nach nicht mal einem Monat trug die Kampagne Früchte. Die türkische Konterguerilla setzte Ayten Öztürk am 28. August 2018 irgendwo an einem Straßenrand aus.
Die Konterguerilla rief die Anti-Terror-Einheiten in Ankara an und gab den Standort bekannt, worauf sie dort abgeholt und verhaftet wurde.
Als ob die 6 Monate anhaltenden Schikanen nicht genug wären, wurde Ayten Öztürk auch noch verhaftet. In einem Brief schildert Ayten Öztürk die Schikanen, welche sie über sich hat ergehen lassen müssen:
Man stülpte ihr entweder einen Sack über den Kopf, so dass sie ihre Folterer nie sehen konnte oder ihr wurden Augenbinden angelegt. Somit konnte sie auch ihre Folterkammer erst nicht sehen. Sobald man sie rein gebracht hatte, wurde sie entkleidet und in eine mit Schwämmen bedeckte Zelle gesteckt.
Nach einem Monat wurde ihr zum ersten mal die Augenbinde abgelegt und sie sah die Zelle: gerade mal 1,50×2 Meter groß. Die Zelle wurde rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, mit einer Kamera überwacht. 6 Monate lang sollte sie in dieser Zelle die Hölle durchmachen. Zum Lüften hatte sie gerade mal eine tellergroße Öffnung.
Ayten musste eine sehr lange Zeit mit einem über den Kopf gestülpten Sack, die Hände nach hinten in Handschellen gelegt und die Augen verbunden, ausharren.
Gleich nach ihrer Festnahme am 08. März begann sie mit dem Hungerstreik. Um ihren Willen zu brechen, verweigerte man ihr die Flüssigkeitszufuhr ganz oder begrenzte sie stark. Sie wurde an den Händen und Füssen gefesselt und zwangsernährt. Trotz der Zwangsernährung fuhr sie mit dem Hungerstreik fort, woraufhin ihre Folterer Nahrung mit starken Gerüchen in die Zelle brachten.
Ihre Peiniger weiteten die Folter aus: „So etwas wie Ehre, Anstand und Stolz gibt es hier nicht. Wenn du nicht redest, überlebst du es nicht…“
Gleichzeitig zwang man sie zum Essen, indem ihre Arme an der Wand gefesselt wurden. Dann versuchte man sie mit Folter zum Essen zu bringen: Elektroschock, Flüche, Schläge und das Essen in den Mund gewürgt. Diese Tortur musste sie tagelang über sich ergehen lassen. Begleitet mit Drohungen wie: „Du befindest dich hier in der Hölle, es gibt keinen Ausweg“.
Ayten Öztürk war sich bewusst, dass es den Folterern nur darum ging, sie zum Reden zu bringen. Ayten Öztürk war entschlossen, Widerstand zu leisten und ließ wissen, dass ganz gleich was sie ihr antun, sie niemals reden würde.
Darauf ging die körperliche Folter erst richtig los. Sie wurde splitternackt ausgezogen, an einem Seil hoch gehangen und immer wieder dasselbe gefragt: „Wirst du reden?“ Immer wenn Ayten verneinte, bekam sie mit verschiedenen Geräten an unterschiedlichen Körperteilen Elektroschocks verpasst.
Diese Tortour ging über 20 Tage, wo sie die ganze Zeit Stromschlägen ausgesetzt war. Manche Stromschläge ließen den ganzen Körper erschüttern. Dabei packte man sie an den Haaren, schlug ihren Kopf gegen die Wand und schrie immer wieder: „WAS IST IN DEINEM KOPF? WAS MOTIVIERT DICH? FÜR WEN LEISTEST DU WIDERSTAND, DU WIRST HIER KREPIEREN. NIEMAND WEISS, DASS DU HIER BIST. HIER GIBT ES NUR GOTT UND UNS. WIR BESTIMMEN DAS GESCHEHEN. DER EINZIGE AUSWEG VON HIER IST NIEMALS HIER ZU LANDEN…“
Ihre Peiniger zwangen sie die ganze Zeit zu stehen, worauf sich Ödeme und Schwellungen an den Beinen bildeten. Die psychische Folter baute darauf auf, sich verlassen zu fühlen, innere Leere entstehen zu lassen und ihren Mut zu brechen.
Der türkische Geheimdienst zog die ganze Palette durch, auch Schlafentzug zählte zu den Foltermethoden. Sie sollte sagen, dass sie „müde sei“ oder „in ihre Zelle möchte“. Um das aus ihr rauszupressen, quetschten sie ihre angeschwollenen Füße oder schlugen auf ihre Fußsohlen (diese Foltermethode nennt man im Türkischen „Falaka“).
Natürlich ließ man als Foltermethode auch sexuelle Belästigung nicht aus. Ihre Peiniger quetschten ihre Brustwarzen zwischen den Fingern und hoben sie mit ganzer Kraft in die Luft. Oder sie fummelten an ihrer Scheide mit den Fingern oder Schlagstöcken rum und DROHTEN ihr mit VERGEWALTIGUNG. Unter ihre Fingernägel stachen sie mit spitzen Gegenständen und drohten ihr die Nägel rauszureissen. Oder sie schlugen mit der Zange auf ihre Füße und drohten ihr die Zehen abzureißen. Natürlich haben sie auch „Waterboarding“, Vortäuschung sie im Wasser zu ersticken, nicht ausgelassen. Oder man richtete grelles Scheinwerferlicht auf sie.
Bei ihrem Verhör waren 2, manchmal 5 oder mehr Folterer anwesend. Manchmal nahmen sie ihr die Augenbinde ab. Ihre Peiniger saßen dann vermummt vor ihr, sie konnte nur ihre Augen sehen. Verhör und körperlicher Folter wurden von unterschiedlichen Personen durchgeführt.
Sie spielten mit ihr das Rollenspiel, „gute“ und „schlechte“ Verhörer. Als Ayten Öztürk ihre Entschlossenheit niemals und unter keinen Umständen auszusagen wiederholte, hing man sie an den Füßen auf und ließ sie eine Weile kopfüber verharren, während ihr gleichzeitig mit der Anwendung von chemischen Waffen gedroht wurde. Ihr wurde eine Spritze verpasst, jedoch ohne eine Wirkung zu zeigen. Zwei Folterer schlugen sie die ganze Zeit ins Gesicht, so dass alles anschwoll und sie aus der Nase blutete. Nach diesen schweren Schlägen verlor sie tagelang ihren Gleichgewichts- und Koordinierungssinn und hatte heftige Kopfschmerzen.
Man versuchte sie zu verunsichern: „Dein Bild wird nicht als Märtyrer aufgehängt, du wirst nicht zu den Märtyrern zählen“. Was meinten sie damit? Bei „Verschollenen“ weiß man erstmal nicht, ob die verschwundene Person noch lebt oder nicht, warum man sie nicht zu den Gefallenen zählen kann. Und auf der anderen Seite weiß man nicht, ob sie mit dem Feind kollaboriert haben oder nicht. Auf diese Art und Weise zu sterben ist so ziemlich das Schrecklichste, was einem Revolutionär passieren kann; man verfügt nicht mal über eine Grabstätte.
Genau mit dieser Tatsache versuchten ihre Peiniger ihre Ängste zu schüren und sie gefügig zu machen. Oder sie logen, dass niemand nach ihr suche: „Niemand sucht nach dir, niemand fragt nach dir, deine GenossInnen haben die Hoffnung schon längst aufgegeben, man hat dich vergessen.“

METHODEN, UM DIE 6-MONATIGE FOLTER AUSZUHALTEN
Wie konnte Ayten Öztürk 6 Monate lang, Tag ein Tag aus, die Tortur durchstehen? Welche Methoden gibt es, wie kann man sich motivieren, was gibt einem diese Kraft und Ausdauer?
Ayten stellte sich innerlich darauf ein, eine lange Zeit festgehalten zu werden. Sie schildert das in ihrem Brief folgendermaßen: „In meinem Kopf habe ich einen Tagesablauf zusammengestellt und mir Regeln aufgestellt. Die Tageszeiten teilte ich nach der Häufigkeit der Öffnung und Schließung der Türe ein. Ich plante im Kopf, was ich zu welcher Tageszeit denken und machen sollte. Ich versuchte meine Isolationshaft im Kopf zu brechen. In meiner Vorstellung, waren unsere Märtyrer, Gefangene und all meine Liebsten bei mir. Daraus habe ich Kraft geschöpft.
In jeder Sekunde war mein gefallener Bruder Ahmet, meine gefallene Schwester Hamide (beim Todesfasten – Anm. des Übersetzers) und meine Schwägerin Gülseren bei mir. Sie waren in meinem Kopf und in meinem Herzen. Da sie mir drohten, meinen Mund mit einem Band zu zu kleben, rief ich innerlich Parolen und sang Märsche. Meine Parolen lauteten: ‚Die Würde des Menschen wird die Folter besiegen‘ oder ‚Ich werde sterben aber niemals reden‘ oder ‚Ich werde bis zur Unendlichkeit bis zu meinem letzten Atemzug Widerstand leisten‘ oder ‚Willkommen Tod, es lebe der Sieg‘ oder ‚Wir werden siegen‘.
Sie sang außerdem die Lieder von Grup Yorum. Ayten versuchte ihr Gedächtnis mit Wortspielen fit zu halten. Jeden Tag dachte sie an 3 Märtyrer.
Um sich gegen die Lügen des Feindes immun zu halten, hatte sie verschiedene Eckpfeiler: ‚Denke und tue das Gegenteil von dem was der Feind sagt‘. ‚Kenne dich, kenne deinen Feind, sei unbesiegbar‘. ‚Freiheit kann nicht gefordert werden, sondern muss mit Widerstand errungen werden‘.
Ihre Peiniger verlangten ständig von Ayten, einen Wunsch zu äußern. Als sie dem nicht nachkam fragten sie: ‚Möchtest du denn nicht mal deine Freiheit‘? Ayten Öztürk war zu gut bewusst, dass sie für alles eine Gegenleistung fordern würden. Sie wollten sie ihrer Würde berauben. Ayten schreibt: ‚Lieber sterbe ich in Würde als meine Würde zu verlieren‘.
Sie dachte immer dialektisch materialistisch, wissenschaftlich: ‚Man fürchtet sich immer vor dem Unbekannten‘. Aber meine Folterer sind mir bekannt. Sie sind historisch im Unrecht. Wie all dieser Regierungen versuchen sie ihr UNRECHTSSYSTEM MIT FOLTER UND UNTERDRÜCKUNG aufrecht zu halten. Angst kann mit Mut und Wissen besiegt werden. Ich wusste, dass die politische Überlegenheit aus der ideologischen Kraft kam. Und durch mein Schweigen hielt ich diese Kraft in meinen Händen. Sie können meinem Körper alles antun, aber niemals meinem Geiste und meiner Seele. Ich hatte den Tod ins Auge gefasst.
Vermutlich im Juli oder August nach permanenter Folter haben sie mir die Augenbinde abgenommen und mir einen Spiegel vorgehalten. Mein Gesicht war zur Unkenntlichkeit angeschwollen und schwarz angelaufen. Aber ich hatte keine Angst. Auch wenn ich sterben würde, würde ich siegen. Denn sie haben mir nichts abverlangen können.“
Als Ayten‘s Peiniger merken, dass sie völlig außer Kraft ist, kam sie in medizinische Behandlung. Aber auch während der Behandlung drohte man ihr ständig: „Wenn du zu Kräften kommst, wirst du noch heftiger gefoltert werden“. Das änderte ihre Antwort nicht: „Ich werde nicht reden“. Daraufhin boten sie offen Kollaboration an: „Soviel Geld wie du möchtest, ein Leben wo und mit wem du möchtest, eine neue Identität.“
Ihre Folterer hatten gemerkt, dass nichts rauszuholen ist. Einer der Folterer sagte zu ihr, „ihre Zeit sei um und sie käme jetzt ins Gefängnis“.
Daraufhin wurden ihr Handschellen angelegt und sie in einem Gelände ausgesetzt. Kurze Zeit später kam die Anti-Terror Einheit von Ankara und nahm sie fest. Es ist kein Geheimnis, dass zwischen Erdogan und der Hariri-Familie ein enges Verhältnis besteht. Sie verstehen sich sowohl geschäftlich, als auch unter religiösen Aspekten gut, gehören derselben Konfession an.
Es ist noch nicht bekannt, wofür Libanon Ayten an den türkischen Geheimdienst ausgeliefert hat und welche Geschäfte abgeschlossen wurden. Aber eins steht fest: Sie kennen die Volksfront nicht.
Denn die Volksfront wird Rechenschaft dafür verlangen und solange nicht aufhören nachzufragen, bis alle dunklen Details ans Licht kommen.