Igor Mendes – Stimme des brasilianischen Volkes

Solidaritätskommitee für Igor Mendes

„Igor Mendes, der Sohn des brasilianischen Volkes, der Kämpfer des internationalen Proletariats, ist nicht allein!“ Dieser Freiheitsruf verbreitet sich um die Welt. In vielen Ländern erklären Menschen ihre Solidarität gegen die Repression, der Igor durch die brasilianische Reaktion ausgesetzt ist. Aber wer ist Igor Mendes?
Igor Mendes da Silva ist ein wahrer Tribun des Volkes, seine Stimme ist die Stimme des brasilianischen Volkes. Spricht er, materialisieren sich Hass und Hoffnung, Freude und Wut, Begehren und Notwendigkeit der brasilianischen Revolution. Eine Stimme der ärmsten der Armen, eine Stimme derer, die den Wert eines Reiskorns kennen, eine Stimme derer, die wissen was schwarze Bohnen sind, für die Maniok Leben ist. Eine Stimme, die weiß, was es heißt im Kugelhagel zwischen Polizei und Paramilitärs der Drogenkartelle aufzuwachsen, was es heißt in einem Staat zu leben, der so durch und durch korrupt und bis aufs Mark verrottet ist. Diese Stimme hat einen Namen: Igor Mendes!
Die ihm eigene Bescheidenheit und seine tief empfundene Liebe für das Volk hätten es ihm niemals gestattet sich selbst als etwas Besseres darzustellen, als jemand anderen. Trotzdem und deswegen ist seine Stimme anerkannt, als die Stimme eines Führers. Kein Führer, der ins Parlament einzieht, sondern ein Führer der zu den Ersten von Vielen gehört, die ins Gefängnis gehen, hervorgebracht von einer handelnden, denkenden und kämpfenden Einheit.
Das ist wohl sein markantestes Merkmal: Anerkannter Führer der revolutionären Jugend Brasiliens. Einer, von denen es in unserer Zeit nur ganz Wenige gibt.
Darüber hinaus ist er ein hervorragender Schriftsteller, der wohl herausragendste revolutionäre Autor, der in diesem Jahrtausend veröffentlicht wurde.
Igor Mendes war Geografiestudent an der Pädagogischen Universität von Rio de Janeiro (UERJ), Aktivist der Volksrevolutionären Studentenbewegung (MEPR) und der Unabhängigen Volksfront von Rio de Janeiro (FIP-RJ). Als Studentenführer war Igor Mendes maßgeblich an der Organisation der Proteste gegen die FIFA Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien, die besonders in 2013 u.a. mit den größten Demonstrationen des Jahrtausends das Land erschütterten. Er ist Galionsfigur dieses Kampfes und repräsentiert mit den 22 anderen Angeklagten und Verurteilten auch die Hartnäckigkeit gegen die Repression gegen diesen gerechten Kampf. Igor Mendes wurde bereits im Dezember 2014 für diese Rolle eingekerkert, er kam nach über 200 Tagen im Juni 2015 frei. In dieser Zeit schrieb er das Buch „Das kleine Gefängnis“, der Titel ist eine Referenz, wie die kapitalistische Gesellschaft in der Krise den großen Gefängnissen mehr und mehr gleicht, mit einem noch akuteren „kleinen Gefängnis“, in dem die Massen und die revolutionären Führer leiden. Sein Buch illustriert Misshandlungen im Gefängnis und fokussiert auf die Kämpfe der Massen die eingesperrt sind. Als er 2015 freigelassen wurde, beschreibt er in einem Brief ein Gespräch mit einem Gefängniswärter:

„Wärter: Ich hab deinen Namen auf der Straße gesehen.
Igor: Achja? Einige Nachrichten in der Zeitung?
Wärter: Nein. Auf die Wand gesprüht.“
Sowie seine Reaktion darauf:
„Eine Entlastung ging durch meinen Körper. Es ist diese Beharrlichkeit und Tapferkeit und Solidarität die uns den Sieg erlauben wird, in einer hellen Morgensonne in der Zukunft.“

Am 17. Juli diesen Jahres wurden die Urteile gegen die 23 Aktivisten gefällt. Richter Flávio Itabaiana de Oliveira Nicolau hatte endlich den Dienst erfüllt, der ihm vor vier Jahren von Sérgio Cabral [Anm.: Gouverneur von Rio de Janeiro bis April 2014] gegeben wurde: Er verurteilte alle 23 Aktivisten, die an den Protesten gegen das FIFA-Spektakel beteiligt waren, zu Strafen zwischen 5 und 13 Jahren Gefängnis, ohne Bewährung. In einer Stellungnahme einiger der Angeklagten, unter ihnen Igor Mendes, heißt es dazu:

„Welche Verbrechen haben wir begangen?

Haben wir es gewagt, die Missetaten von Sérgio Cabral, Pezão [Anm.: Gouverneur von Rio de Janeiro seit April 2014] und CIA anzuprangern, die ständig von der Justiz und dem Staatsanwalt von Rio gedeckt werden?
Haben wir es gewagt, das FIFA-WM-Spektakel anzuprangern, als dessen einziges „Vermächtnis“ den Menschen hinterlassen wurde, dass die Reste der Gemeinden entfernt wurden und der öffentliche Dienst zusammenbrach?
Haben wir es gewagt, als Studenten und Arbeiter an den größten Massendemonstrationen der jüngsten Geschichte des Landes mit Millionen von Menschen zusammenzuarbeiten?
Haben wir es gewagt, zusammen mit unabhängigen Volksbewegungen zu agieren, die sich nicht den „unheilvollen Vorgängen“ der offiziellen Politik beugen – welche schlecht regiert, wessen Hauptsymbole Pezão und Temer sind?
Wenn sie uns dies vorwerfen, müssen wir mit Stolz akzeptieren, was unsere Scharfrichter sagen. Weil wir das getan haben, wir kämpfen. Jeder muss verstehen, dass es unsere gesamte Generation ist, die sie versuchen mit diesem Urteil zu verurteilen und einzuschüchtern. Aber sie werden nicht erfolgreich sein: Wir tragen die Sturheit derjenigen, die darauf bestehen, auf das Leben zu vertrauen, auf den Kampf zu vertrauen, auf das Volk zu vertrauen. (…) Wir sind auf der einen Seite, und das ist nicht die der Großgrundbesitzer. Wenn sie uns das vorwerfen, vielen Dank.
(…) Es soll festgehalten werden: Was in Rio de Janeiro getan wurde, in Bezug auf Verfolgungsmaßnahmen, missbräuchliche Gefängnisse, Invasionen von Wohnungen, illegale Infiltration, ein „informelles Eingeständnis“ (das von Felipe Braz, dessen Zeugnis praktisch der einzige „Beweis“ ist, mit dem wir verurteilt wurden), hatte nirgendwo sonst in Brasilien einen Vergleich. Vielleicht sind die Henker stolz auf ihren Dienst; diesen „Stolz“ finden wir kohärenter zu nennen: SCHANDE!
Ja, denn es ist beschämend, dass die Protestierenden gegen das FIFA-Spektakel verurteilt werden, wenn heute die meisten WM-Organisatoren selbst inhaftiert sind! Wenn der Ex-Gouverneur, der uns brutal unterdrückt hat, verhaftet ist! Wenn das Land von den gleichen Vampiren an den Rand von Hunger und sozialer Zerstörung gebracht wird, die vor Hass zitterten, als die Jugend auf die Straße ging! Als Rede Globo [Anm.: größtes Mediennetzwerk in Brasilien], die uns verfolgte, noch nicht ihre Verhandlungen rund um die Mega-Events erklärt hat! (…)
Wir bekräftigen, was wir über die Jahre gesagt haben: KÄMPFEN IST KEIN VERBRECHEN! Ein Verbrechen ist die Art des Unheils, der den Menschen im Gesundheitswesen geboten wird, ein Verbrechen ist der Platzmangel in Kindertagesstätten, ein Verbrechen sind teure und überfüllte Busse, Verbrechen werden täglich in den Favelas praktiziert, blutbefleckt durch den Genozid gegen Schwarze und arme Leute. Das ist ein Verbrechen! Und diese Verbrechen werden sicher nicht für immer ungestraft bleiben.
In Zeiten von schweren Angriffen auf arbeits- und soziale Rechte ist es wichtig, die Flagge der freien Meinungsäußerung und Versammlung zu entfalten, ohne die kein anderes Recht verteidigt, geschweige denn erobert werden kann. Dies ist umso wichtiger, als Rio sich unter militärischer Intervention sieht und wir täglich Beamte beobachten, die offen über die Möglichkeit eines Militärputsches im Land sprechen. Wir rufen alle Kämpfer, Arbeiter, Studenten, Kollektive, Aktivisten, Intellektuellen und Demokraten auf, in dieser Kampagne zu demonstrieren. Es ist nicht nur für die 23: es ist für alle, die kämpfen!“

Natürlich entfaltet sich in Brasilien und dem restlichen Lateinamerika eine breite Welle der Solidarität, aber auch darüber hinaus fanden und finden Aktionen statt.

In Anbetracht der Massaker in brasilianischen Gefängnissen im Jahr 2017 schrieb Igor Mendes – und trifft dabei konkret und scharfsinnig ins Schwarze:

„Der Anísio Jobim Penitentiary Complex, in Manaus, beherbergte zum Zeitpunkt des Blutbads 1.224 Menschen gegenüber 454 Plätzen. Dies, alleine genommen, offenbart, dass der Hintergrund dieser Geschehnisse viel mehr ist, als bloß das Begleichen von Rechnungen zwischen Fraktionen. (…) eine Konsequenz des vollständigen Zusammenbruchs gesehen werden, der das brasilianische Gefängnissystem charakterisiert. (…)
Das Strafsystem ist der Abfluss einer langen Kette von ökonomisch-sozialen Krankheiten, allen mehr oder weniger bekannt. Von dem Moment an, an dem eine Person in das System fällt (und die große Mehrheit gerät hinein, ohne gewaltsame Verbrechen begangen zu haben) verschärft sich der Teufelskreis: von da an wird sie noch unwahrscheinlicher eine Arbeit bekommen und, auf legalem Weg, lebenswürdige Bedingungen erlangen. Die Gefangenen haben sogar ein Sprichwort darüber: „Knast ist wie ein Magnet, er zieht mehr Knast an“, sagen sie.
Die breiteren sozialen Faktoren ausklammernd gibt es keinen Zweifel, dass Überbelegung der Kern all der anderen fatalen Rechtsverletzungen ist, die das Strafsystem charakterisieren. In 1990 hatte Brasilien 90.000 Gefangene, heutzutage gesprungen auf 700.000 (viertgrößte Gefängnisbelegung auf der Welt). Dem Justizministerium zufolge gibt es ein Minus von 250.000 Plätzen in den Gefängnissen. In der gleichen Periode ist die Zahl der Tötungsdelikte um 127% gestiegen und der Drogenkonsum in die Höhe geschossen. Dies beweist, dass die Masseneinkerkerungen nur Sinn als eine Aufstandsbekämpfungspolitik machen und das ist worauf die herrschenden Klassen zielen. Als eine Maßnahme der öffentlichen Sicherheit ist es, bewiesenermaßen, etwas völlig unnützes. (…)
Es gibt andere Fragen die sich durch diese Blutbäder stellen, so wie die Privatisierung der Gefängnisse, von vielen als das Heilmittel für alle Krankheiten angepriesen. In Manaus, wo ein Unternehmen mit dem Namen Umanizzare die Gefängnisse verwaltet, kostet ein Gefangener doppelt so viel wie der nationale Durchschnitt, abgesehen von der Tatsache, dass die Entwürdigung mindestens genau so stark ist, wie in jedem anderen Teil des Landes. Sie machen es auch möglich über organisierte Kriminalität zu diskutieren: Nun ist das Gefängnis ein Gebiet der Gesetzlosigkeit par excellence, angefangen mit den Mafias in der Verwaltung der Strafanstalt, die den Drogengroßhandel verhandeln, Privilegien verkaufen, von der kostenlosen Arbeit der Gefangenen profitieren. Es ist anzumerken, dass während die Besucher der Insassen – überwiegend Frauen – in den Zeitungen für die Suche nach ein paar Gramm Drogen gedemütigt werden, großkalibrige Waffen in den Händen von Fraktionen landen, die dafür bezahlen können. Ohne die Teilnahme von staatlichen Beamten wird in den Gefängnissen nichts gemacht.
Im Angesicht der tiefen ökonomischen und sozialen Krise, die uns plagt, können wir keine demokratisierenden Maßnahmen vom verrotteten brasilianischen Staat erwarten: das würde gegen seine eigene Logik verstoßen, unverhohlen feindlich gegenüber den Interessen des Volkes, rückschrittlich und zunehmend faschistisch. Was in den Strafanstalten passiert, ist eine extreme Widerspiegelung des Prozesses der Entziehung von sozialen Rechten, was auch auf allen Ebenen außerhalb von ihnen passiert.“

Igor Mendes ist ein Symbol des Kampfes. Die Repression gegen ihn hat sein Prestige nur gesteigert. So wie es immer ist – die Reaktion versucht die Revolution in Blut zu ertränken, aber nährt sie stattdessen. Wer den Freiheitsruf „Igor Mendes, der Sohn des brasilianischen Volkes, der Kämpfer des internationalen Proletariats, ist nicht allein!“ vernimmt, der hat zwei Optionen, dafür zu sein oder dagegen. Nichtverhalten bedeutet Arrangement mit dem Alten. Jeder progressive und freiheitsliebende Mensch soll seine Stimme erheben und im Chor der Millionenstimmen werden die Kerkermauern einstürzen.