2. Oktober 2018 – Gedenktag der Psychiatrie-Toten

Psychiatrie-kritische-Gruppe Bremen

Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. hat den 2. Oktober zum Gedenktag der Psychiatrie-Toten ernannt. Seit dem Jahr 2000 wird an diesem Tag der durch oder in Folge psychiatrische(r) Behandlung verstorbenen Menschen gedacht. In diesem Sinne versammelten sich auch 2018 Menschen in Bochum. Es gab einen Gottesdienst, anschließend eine Demonstration durch die Innenstadt. Abschließend wurden 69 mit Helium gefüllte Luftballons steigen gelassen. Jeder Luftballon für ein beendetes Menschenleben im Kontext psychiatrischer Macht.

Redebeitrag 2.10.18 von „Psychiatrie-kritische-Gruppe Bremen“
Die Psychiatrie ist selbst ernannte und von der Gesellschaft getragene Institution, die für „Leid“, „Krankheit“, „Verrücktheit“… zuständig ist. Macht wird dabei hinter Konstruktionen von Pathologie, „Therapie“, und „Re-Sozialisierung“ versteckt. Es gibt wenig sichtbare und umso mehr unsichtbare Tote in und durch Allgemeinpsychiatrien, Forensiken, Heime etc., mit ihrem „Law and order“-Dogma. Hinter Schweigepflicht, Datenschutz und psychiatrisch-manipulativen Sprachkonstrukten, in bester Kooperation mit der Justiz, und im Zu- bzw. Wegschauen der Politik, wird versteckt und vertuscht.

…Fixierung, Traumatisierung, Körperverletzung, Verleumdnung, Psychopharmaka, medizinische Behandlungsfehler, unterlassene Hilfeleistungen, Gewalttaten, Suizide im und durch den institutionellen Rahmen…

Suizide werden selten bekannt und noch seltener im Zusammenhang mit Psychiatrie und Psychopharmaka verhandelt. Im Gegenteil legitimieren sich Zwangsbehandlung mit der Behauptung, vor „Eigengefärdung“ zu schützen. Fakt ist, dass die Suizidrate nach Klinikaufenthalten und/oder Psychopharmaka-Einnahmen rapide ansteigt.Giftige Medikamente wirken auf ihre Weise, mit heftigsten und tödlichen Nebenwirkungen.1
Eine gewaltsame Einweisungs-, Absonderungs- und Fixierungspraxis fordert ebenfalls Tote. Alleine in Bremen, Hamburg, bei Hannover und in Nordbaden verstarben innerhalb der letzten 16 Monate mindestens sechs Menschen an Gewaltsituationen in Allgemeinpsychiatrien, Forensiken und im Polizeigewahrsam, wiederholt unter Einsatz von Pfefferspray.
Menschen stecken in Not, wenn sie entmündigt werden und ihnen Zwang und Gewalt angetan wird. Elementarste Kämpfe um Freiheit und Leben. Not, die nicht zählt. Notwehr, die als „fremd-aggressiv“ und „gefährlich“ verhandelt wird. Und in ihr, die Verrohung der Gesellschaft gelesen wird, die nach noch mehr Aufrüstung, Bewaffnung und Unterbringung schreit.
Verfahren zu Behandlungsfehlern, Fahrlässigkeiten und zu Tötungsdelikten… werden eingestellt. „Vorerkrankungen“, „schwache Herzen“ werden als Todesursache benannt oder ein Tod würde „schicksalhaft“ auftreten. Oder, wie es der Sprecher der Asklepios-Klinik Hamburg zu dem Tod eines Mannes (der sich zuvor gegen seiner gerichtliche Anhörung wehrte) formulierte: „Leider komme es manchmal vor, dass psychisch labile Menschen in derartige Ausnahmezustände gerieten, die den Kreislauf überforderten und zu seinem Versagen führten.“[2] Wir halten es für wichtig, nicht nur am offiziellen Gedenktag der Psychiatrie-Toten sichtbar zu machen, was hinter Schweigepflicht und Datenschutz geschafft wird, zu verbergen. Wir rufen dazu auf, Suizide und andere Todesfälle im Zusammenhang mit Psychiatrie und Staatsgewalt zu dokumentieren und zusammen zu tragen. Weder Institution noch Politik haben daran ein Interesse.
Passen wir gegenseitig auf uns auf!

KEIN VERGESSEN! KEIN VERGEBEN!

Kontakt/Vernetzung:
stattpsychiatrie@riseup.net


Liste von Psychiatrie-Toten

Psychiatrisches Zentrum Nordbaden (Forensik) Dezember 2017
Ein Mann kollabierte und verstarb bei einem Polizeieinsatz mit Pfefferspray und Fesselung.

2017 suizidierte sich eine junge Frau nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie mit Zwangseinweisung, Fixierung und Zwangsmedikation.

Vitos GmbH Haina (Forensik)
Nach 5 Jahren „Behandlung“ erhängt sich der Mann 2016 auf der Eingangstation

24.9.18 Hamburg
Ein junger Mann versucht sich mit einem Brandsatz gegen eine Zwangspsychiatrisierung zur Wehr zu setzten. Der junge Mann sowie ein Mitarbeiter wurden schwer verletzt, ein Bezirksamtsmitarbeiter starb.

Ahmet
Im Mai 2017 wurde Ahmet bei einer Absonderung von mehreren Pflegern zu Boden gerungen. Er wurde bewusstlos. 3 Tage später verstarb er offiziell.

Bremen-Ost
Ein 30-Jähriger erstickte im Februar 2018 unter einer Plastiktüte.

Holger Zierd ist im Februar 2011 nach 6 Jahren forensischer Folter im ÖHK Mühlhausen „verstorben“. Der junge Holger stand unter starken Medikamenten. Schwere Körperverletzung und seelischen Missbrauch mit starken Schmerzen und Folgeschädigungen erlitt er im Vollzug. Verfahren wegen der schweren Körperverletzung wurden eingestellt.

2017
Eine junge Frau suizidierte sich auf „Freigang“ in Bremen.

Marcel F.
22 J., stirbt im Januar 2016 an einer Lähmung im Gehirn in einer Psychiatrie im Klinikum Wahrendorf.

Markus Denkel
2016 mit 43 Jahren während eines Zwangsaufenthaltes verstorben.

2018
Ein Mann verstarb ohne professionelle medizinische sowie pflegerische Versorgung, an den Folgen einer Krankheit in der Forensik. In seinen letzten Wochen/Monaten musste er sich von einigen Pfleger*innen beschimpfen lassen, wenn er nicht im Bett liegen bleiben wollte.

2014: Melissa 20J.
vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge im Rahmen einer rechtswidrigen Behandlung durch nichtärztliches Hilfspersonal im Klinikum Bremen-Ost.

Bremen-Ost
2017 ertränkt sich eine junge Frau in einem Waschbecken auf einer geschlossenen Station.

2017: Bremen-Ost
Junger insulinpflichtiger „Patient“, morgens tot im Bett.

Asklepios-Klinik Hamburg
Am 20.8.18 sollte der 57- Jährige, seit 3 Tagen zwangspsychiatrisiert, zu einer gerichtlichen Anhörung bezüglich eines Unterbringungsbeschlusses gebracht werden, gegen die er sich wehrte. Seine Panik und sein Widerstand, in Kooperation mit der Polizei „entschärft“. Pfefferspray, Fixieren, Medikamentieren. Bewusstlosigkeit. Tod.

Ronald Kaesler
mit 58 Jahren unerwartet verstorben nach jahrelanger Psychopharmaka-Einnahme


Fußnoten:

1 tazNord 22.8.2018: erneuter Todesfall nach Pfefferspray
2 z.B. Haase, Therapie mit Psychopharmaka, diverse Publikationen von Volkmar Aderhold, Peter Lehmann etc.

Weitere Infos:

  • Stellungsnahme des BPE e.V. zur Zwangsunterbringungspraxis in Hamburg… https://files.feedplace.de/vielfalter/Vorfall_Hamburg.pdf
  • Gedenktag 2018 Bochum: https://www.youtube.com/watch?v=7NIpjVjhRGU
  • Frontal 21 vom 9.10.18: https://www.zdf.de/politik/frontal-21/psychiatrie-bremen-ost-100.html