Interview mit „Zwangsräumung verhindern“

Redaktion

Wir haben ein Gespräch mit einem Aktiven vom Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ geführt und dabei über ihre Ansätze, ihre Arbeit und ihre Erfahrungen geredet.

GI: Hallo. Wollt ihr euch kurz vorstellen?

ZV: Uns gibt es seit 2012. Viele von uns sind schon vorher in stadtpolitischen Zusammenhängen aktiv gewesen und haben sich immer gefragt, warum die Mieter und Mieterinnen sich nicht organisieren. Es ist aber eigentlich ganz klar. Miete ist einfach ein ganz individualisiertes Problem, wo jeder versucht seinen Arsch mit dem Recht noch zu retten. Das Mietrecht ist ja im deutschen Raum gar nicht so schlecht. Aber irgendwann fing es mal an, da war einfach Schluss. Vorher, wenn du eine Zwangsräumung gehabt hattest, eine Mieterhöhung oder eine Modernisierung, dann war das halt scheiße, dann bist du halt in einen anderen Kiez gezogen. Von Kreuzberg nach Neukölln usw. Es war scheiße aber es ging noch halbwegs so, irgendwann war aber Schluss. Vor allem für Leute, die so in ihren Kiez verhaftet sind, so eine Nachbarschaft auch brauchen, die jetzt keinen Bock haben aus den verschiedenen Gründen da rauszuziehen. Es gab halt auch viele, die mit dem Rücken an der Wand standen. Da hat sich das dann so entwickelt, dass Leute sich dann auch gegen Zwangsräumungen gewehrt haben.
Und wir hatten am Anfang einfach Schwein gehabt. Es gab hier einen Riesenaufschrei wegen der Familie Gülbol (Oktober 2012). Da wurde das Thema so richtig präsent und wir hatten am Anfang auch Glück mit der Presse. Da waren anscheinend die Redakteure dran, die noch nicht so weit oben sind und ein bisschen Sympathie hatten – sowohl für die Familie als auch für uns. Wir haben immer gesagt, dass es ziviler Ungehorsam ist und wir gar nicht so böse sind.
Wir wollen aber schon immer mit den Leuten zusammen kämpfen. Wir machen nichts für irgendwelche Leute, sondern nur zusammen mit denen. Das haut unterschiedlich hin, ganz klar. Wir wollen für die Betroffenen was rausholen und das ist uns ganz wichtig. Wir wollen nicht nur Politkämpfe führen, wo wir irgendwas darstellen. Wir wollen, das die Leute konkret was davon haben, wenn sie mit uns kämpfen. Wir wollen aber schon zeigen, dass Zwangsräumung halt nur ein Teil in einer kapitalistischen Stadt ist, wo es einfach total scheiße läuft. Wenn du keine Kohle hast, dann fliegst du raus. Immer mehr malochen für die Miete und das ganze nur für die Profite weniger. Es ist uns wichtig, dass dieser Aspekt immer wieder rüberkommt, was natürlich nicht so einfach ist. In der Presse stehen Einzelfälle, aber den Kapitalismus kritisieren ist eben nicht so deren Ding.
In diesen sechs Jahren waren ungefähr 90 Leute bei uns. Bei einem Drittel konnten wir die Zwangsräumung verhindern, vor allem bei öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, die hatten Muffensausen wegen ihrem Bild in der Öffentlichkeit. Wir haben einen Blog mit einer Latte an Aktionen drauf, die wir schon gemacht haben. Da merken auch die privaten Eigentümer dann, dass das Stress geben könnte. Viele haben Angst vor der Öffentlichkeit. Die wollen da nicht als die „Bösen“ dastehen. Bei einem Drittel konnten wir einige Wohnungen über Bezirksämter oder öffentliche Wohnungsbaugesellschaften locker machen, indem wir Druck gemacht haben. Das geschah quasi an der Warteschlange vorbei, was nicht so korrekt ist. Aber unser Credo ist: „Wehrt euch! Wenn ihr euch wehrt, können wir auch was zusammen reißen, sonst heißt es Tschüss und ihr könnt eure Sachen packen.“
Deswegen sind uns Erfolge auf verschiedenen Ebenen auch wichtig. Bei manchen wurde die Zwangsräumung nur verschoben und bei einigen die Miete angehoben. Für die Leute, die erstmal bleiben können, ist sowas ein toller Erfolg. Es ist für uns wichtig, dass die Leute entscheiden. Wir machen nichts, wenn die Leute das nicht wollen. Manchmal denken wir uns: „Ihr müsst das begreifen! Nur wenn man irgendwie kämpft, kommt da was rum.“ Aber wenn man die Erfahrung nicht hat? Einige verstehen gar nicht, warum die Politik nichts macht. Das ist eine Erfahrungsgeschichte.
Ungefähr ein Drittel hat selber was gefunden und/oder sind nicht mehr gekommen. Einige Betroffene sind geblieben. Das sind aber nur ganz wenige. Es ist einfach anstrengend. Wir treffen uns einmal in der Woche und das Plenum muss strukturiert sein. Manchmal haben wir drei bis vier Betroffene und da müssen wir gucken, wie wir das hinkriegen. Wenn die Betroffenen da sind, sind sie meistens auch mit anderen solidarisch und die gehen dann auch zu Gerichtsverhandlungen oder Aktionen. Wir machen ja sehr unterschiedliche Sachen. Das geht vom Briefeschreiben an den Eigentümer: „Guck dir mal unsere Webseite an“ über Demos und Kundgebungen bis zu Go-ins und auch Blockaden. Seit letztem Jahr auch Kiezversammlungen mit jeweils mehreren Hundert Leuten.

Gi: Die Betroffenen probieren also vorher alles und melden sich dann bei euch?

ZV: Genau, wir sagen denen, dass sie auf alle Fälle einen guten Rechtsanwalt brauchen. Wir kennen da auch einige engagierte Mieter*innenrechtsan-wäl*tinnen. Wir schicken die dann da hin. Wir müssen rechtlich alles ausschöpfen. Es macht keinen Sinn, erst einen auf dicke Hose zu machen und dann geht das nicht auf, weil rechtlich was verschlampt wurde. Wir gehen auch mit zu Mietprozessen, rufen dazu auf und machen auch Kundgebung und Demos, aber eben auch mehr z.B. unangekündigte Besuche bei Eigentümern. Ende Mai hatten wir eine Blockade mit 60 Leuten. Das Tolle war, dass die Nachbarschaft fast die Hälfte der Personen vor Ort ausgemacht hat. Ein sehr solidarischer Kiez. Der bittere Nachgeschmack ist: eine Woche später kamen der Gerichtsvollzieher, Schlosser, die Hausverwaltung und Bullen. Sie haben die Leute aus der Wohnung geschmissen. Schon der erste Räumungsversuch war rechtlich nicht in Ordnung, weil der Gerichtsvollzieher sich nicht drei Wochen vorher angekündigt hatte. Ist aber auch Wurst, denn wenn du mal draussen bist, dann bist du draussen.

GI: Wie sieht es mit Repressionen gegen euch aus?

ZV: Ich würd sagen, dass wir für das, was wir machen, es sich in Grenzen hält. Wir kriegen ab und zu eine verprellt wegen Hausfriedensbruch. Da war mal so ein CDU-Hauseigentümer, der kannte wahrscheinlich den damaligen CDU-Innensenator Henkel persönlich. Es gab eine Blockade und da sind die Bullen reingerockt, haben totalen Stress gemacht und die Leute mitgenommen. Die mussten sich ausziehen! Eine Demütigungsgeschichte, um den Leuten zu zeigen, dass sie fertiggemacht werden können, wenn sie mit dem Bündnis auf der Straße sitzen. Klar, bei Blockaden ist es immer so. Wenn die Bullen kommen, gibt es oft Stress. Auch bei Geschichten, wenn wir mal eine Hausverwaltung besuchen, kann es auch Stress geben – ist aber selten. Letztes Jahr waren wir bei einer Hausverwaltung in der Nähe vom Springergebäude. Die wollten einne Familie rausschmeissen und wir sind nur hin und haben gesagt, dass wir das nicht wollen und haben einen Brief verlesen. Die waren total aggro. Wir waren da vielleicht zehn Minunten drin mit ein paar Transpis und ca. 15 Leuten. Wir sind dann raus und die Bullen haben uns am Moritzplatz eingekesselt. Dabei haben alle eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch bekommen. Bei den meisten wurde es dann eingestellt. Bei einigen gab es eine Einstellung gegen 200 Euro. Wir haben das dann ausgerechnet, ob es sich lohnt, daraus einen politischen Prozess zu machen. Darauf hatten viele keine Lust und haben dann die Kohle bezahlt. Wir haben eine Antirepressionskasse, wo uns auch ab und zu Leute unterstützen. Da haben die Bullen aber, wie wir nachher erfahren haben, einen totalen Aufriss gemacht. Sie haben die Videokameras auf dem Weg abgecheckt, haben die ausgewertet und haben Bildmappen angelegt von den Leuten. Es sollte dann bis zu einer Hausdurchsuchung gehen. Du musst du vorstellen, wir sind rein, haben einen Brief vorgelesen und haben ein bisschen rumdiskutiert – vielleicht auch etwas lauter. Wir haben da weder jemanden verletzt, noch haben wir irgendwas kaputt gemacht. Wenn man sich überlegt, wie viele Nazis mit Haftbefehl rumlaufen, wo sich kein Arsch drum kümmert, dann ist das schon heftig. Da muss man auch überlegen, was bei den Bullen für eine Manpower da ist, wenn es gegen Linke geht. Ist schließlich glimpflich abgelaufen, weil die Staatsanwältin die Hausdurchsuchungen nicht genehmigt hat. Man kann schon sagen, dass anscheinend die andere Seite das auch so sieht, dass so eine Organisierung in der Mietenfrage für sie ein Problem bedeuten kann. Wir hoffen natürlich, dass das ein Problem für sie bedeutet.

GI: Du hast von einem solidarischem Kiez gesprochen, der mitgeholfen hat. Wie ist dein Eindruck? Wie solidarisch sind die Kieze, in denen ihr euch bewegt? Was braucht es, um solch eine Solidarität zu erzeugen?

ZV: Das ist ganz unterschiedlich. In Kreuzberg und Neukölln ist schon viel Zustimmung. Wir haben das erst wieder bei der Demo nach dem #Besetzen-Pfingstsonntag gesehen. In Neukölln war die Zustimmung unwahrscheinlich gut. Es waren viele Leute am Straßenrand und an den Fenstern. Es gibt neben einem Haufen Linker, die da rumhängen, eben auch einen Haufen Leute, die merken, dass es sie auch erwischen könnte. Bei der Blockade im Kastelkiez kannten sich halt viele Nachbarn. Ich weiß nicht, ob das früher mal besser war mit den solidarischen Kiezen. Ist immer schwer, sowas einzuschätzen. Aber sicher wird auch die Zusammensetzung der Bewohner*innen durch die Verdrängung verändert. Ich will da auch nichts verklären. Aber wir merken es einfach beim Thema Mieten. Es ist halt auch einfach so, weil ganz viele betroffen sind. Die Leute merken, dass es sowas wie Gentrifizierung gibt, wo Leute kommen, die einfach mehr Schotter haben. Es ist ganz selten, dass wir auf Ablehnung stoßen. Die Leute finden das ganz gut, was wir machen. Aber selber was machen oder mitmachen ist dann der nächste, schwierigere Schritt.

GI: Wie funktioniert die Vermittlung, Miete und Kapitalismuskritik?

ZV: Es ist relativ einfach zu erklären, dass Privateigentümer einfach Kohle mit der Miete machen und fertig. Das sehen die Leute schon. Wir haben jetzt die große Mietendemo Mitte April mitorgansiert. Da gibt es noch viele Leute, die die Hoffnung haben, dass die Politik etwas machen müsste. Wir haben bei den Besetzungen am Pfingstsonntag gesehen, dass jede Hoffnung in die Politik vergebens ist. Es macht natürlich schon nochmal einen Unterschied, ob die AfD an der Regierung ist oder die Linke. Aber z.B. bei SPD oder CDU, ob Henkel oder Geissel, war für uns jetzt kein Unterschied. Sowohl bei der Friedel-Räumung als auch bei den #Besetzen-Geschichten sind sie brutal vorgegangen. Das wurde von keinem im Senat thematisiert.

GI: würdet ihr die Mietendemo als Erfolg bewerten?

ZV: Wir würden schon sagen, dass es ein großer Erfolg ist. Dass so viele Leute ihren Arsch hochgekriegt haben, zeigt einfach wie dringend die ganze Geschichte ist. Ich glaube, es ist auch für die Leute total bestärkend, wenn so viele auf der Straße sind. Die letzte große Mietendemo war 2011. Da waren wir 5000 oder 6000, was auch nicht schlecht war. Aber 25000, das ist eine Hammerzahl! Es gab eine Aktionswoche im Vorfeld mit 50 oder 60 Aktionen, wo alles dabei war, von „wir blockieren die Kreuzung“ bis dass einfach Leute ihre Sessel und Couchs auf den Gehweg rausgeschleppt und ihre Nachbarschaft informiert haben. Das ist ein guter Ansatz von Selbstorganisierung. Das alles ist natürlich in Bezug auf das Problem von diesen Milliarden von Kapital, die durch die Kieze hier wälzen, nicht genug. Es ist aber ein Fortschritt gegenüber von vor fünf oder sechs Jahren.

GI: Was wäre nötig, um mehr Leute zu motivieren und zu aktivieren?

ZV: Ab und zu diskutieren wir darüber nach den Treffen, aber wir haben keine Antwort darauf. Wir sehen hier ein Problem, an dem wir mit den Leuten direkt kämpfen können. Solidarisch mit anderen zu sein, ist ja nicht mehr so angesagt. Da war mal eine Familie, die zweimal bei uns war und dann selber was gefunden hat. Wir haben denen gesagt, dass es nicht ihre Schuld ist und es einfach ein Scheißsystem liegt. Das ist für viele Leute schon eine Entlastung. Denn die ganze Zeit bekommst du ja erzählt: „Hast du keinen Job, bist du selber schuld. Hast du kein Geld, bist du selber schuld.“ So etwas wie gesellschaftliche Verhältnisse gibt es eigentlich gar nicht mehr. Es ist alles individualisiert. Dann treffen wir die Frau wieder auf der Straße. Sie freut sich uns zu sehen und bedankt sich, obwohl wir gar nichts gemacht hatten außer eine Gegenerzählung zu diesen ganzen Demütigungen des Kapitalismus. Es fragen uns auch viele, warum wir das machen? Die können es gar nicht so richtig begreifen, dass Leute so etwas machen. Es ist auch eine tolle Erfahrung, wenn wir diesen Leuten dann erzählen, was wir machen – auch wenn sie sich nicht organisieren. Viele bleiben eine Zeit lang, nachdem ihr Problem gelöst ist oder nicht. Und ich glaube, für viele ist das auch eine schöne Zeit, gemeinsam widerständig und solidarisch zu sein. Aber eben auch anstrengend.

GI: Die Demo, die #Besetzen-Aktionen, das waren ja deutliche Hinweise aus der Gesellschaft an die Politik gerichtet. Sind das die richtigen Schritte, die weitergeführt werden müssten, um auf diese Art den Diskurs mitzubestimmen?

ZV: Toll ist, dass verschiedene Sachen laufen, die sich auch aufeinander beziehen. Die Mietendemo war Mitte April. Seit einigen Jahren gibt es immer eine Kiezdemo am Tag vor dem 1. Mai im Wedding. Am 1. Mai gab es dieses Jahr eine Demo bei den Reichen im Grunewald. Das sind alles Sachen, die zusammengehören. Dann gab es die #Besetzen-Aktionen. Es ist super, dass es neben den Demos noch etwas gibt, was eine größere Konfrontation mit den herrschenden Verhältnissen herausfordert. Demo ist schön und gut und 25000 Leute sind auch schön und gut, aber wir müssen schon mehr machen. Das ist auch unser Ansatz mit unseren Aktionen. Wir sind ein aktionistisches Bündnis und nicht eine Theorie-Gruppe.

GI: Danke für das Gespräch. Wir wünschen weiterhin viel Erfolg bei eurer Arbeit.