Internationales Zentrum in Frankfurt

Internationales Zentrum

Wie und wann ist das Zentrum entstanden?

Das Internationale Zentrum entstand in dieser Form 2013. Getragen wird es von einem Verein. Diesen bzw. dessen Vorgänger gab es allerdings bereits jahrzehntelang in Frankfurt. Neu ist, das in einen ursprünglich rein aus MigrantInnen aus der Türkei bestehenden Verein wir als internationalistische Linke mit eingetreten sind und diesen nun gemeinsam betreiben.

Wen wollt ihr ansprechen?

Unser Ansatz basiert auf Klassenorientierung und einem „weitem“ Klassenbegriff. AdressatInnen sind folglich ArbeiterInnen, ALG-II-EmpfängerInnen, 1-Euro-JobberInnen, LeiharbeiterInnen, die Mehrzahl der StudentInnen und SchülerInnen, RentnerInnen, prekär Beschäftigte und die Surplus-Bevölkerung1 gehören. Wenn wir vom Triple Oppression Ansatz, (dem ineinandergreifen von rassistischer, sexistischer und klassenspezifischer Ausbeutung und Unterdrückung) ausgehen, so sind etliche der AdressatInnen im Stadtteil überproportional, d.h. in mindestens einer Hinsicht betroffen, sei es, weil sie lohnabhängig und zusätzlich MigrantInnen und/oder Frauen sind.

Warum in diesem Viertel?

Das Zentrum existierte bereits im Gallus, als wir dazu kamen. Seinen Sinn und Zweck bezieht es daraus, da zum Einen der objektive Faktor, also der Verwertungsdruck hier besonders groß ist und die Entwicklung von Aufwertung und nachfolgender Verdrängung noch nicht abgeschlossen ist. Zum Anderen wohnen hier eben viele Menschen, die wir ansprechen möchten. Grundlage der Verhältnisse ist der grundsätzliche Interessengegensatz zwischen denjenigen, die Wohnraum besitzen und verwerten möchten und denjenigen, die ihn bewohnen. Unsere Stadtteilarbeit ist eben auch an jenen Stadtvierteln orientiert, die von einer potentiell rebellischen, weil von sozialen Verdrängungsprozessen betroffenen Bevölkerung bewohnt werden.

Was für ein Stadtteil ist das?

Das Gallusviertel ist durch einen geringen Anteil an Grünflächen und geringe soziale Infrastruktur gekennzeichnet, allerdings auch durch ein eben vergleichsweise niedriges Mietniveau. Das gemischte Viertel ist ein klassisches Arbeiterviertel, welches im Zuge der Industrialisierung im späten 19.Jahrhundert entstand. Um die dort ansässigen Fabriken herum entstanden einfache Arbeiterquartiere. In der Zwischenkriegszeit galt das Gallus als „rot“ und war ein Ort häufiger Streiks und proletarischer Widerstandshandlungen. In den 1970er Jahren kam es zu einer sozioökonomischen Umstrukturierung durch die Deindustrialisierung des Viertels und den Abbau von Arbeitsplätzen. Die Struktur der Bevölkerung änderte sich, der besserverdienende Teil wanderte ab und viele ArbeitsmigrantInnen ließen sich dort nieder, mit ihnen kamen zugleich viele migrantische Vereine und verschiedenstartiges Kleingewerbe ins Gallus. Der Anteil an Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen stieg an, insgesamt ging die Bevölkerung dort jedoch zurück. Durch die soziale Segregation erhielt es ein rassistisch und sozialchauvinistisch konnotiertes Image als unattraktiv und sozialer Brennpunkt.
Ein erster Umstrukturierungsversuch als Bürostandort scheiterte am Platzen der Immobilienblase in den 1990er Jahren. Seit der Finanzkrise von 2008 ist das Gallus aber unter erheblichen Gentrifizierungsdruck geraten, da, wie die rent gap Theorie erklärt, überschüssiges Kapital gerade dort investiert wird, wo die Ertragslücke zwischen der gegenwärtigen und der erwartbaren zukünftigen Grundrente (-rendite?) am höchsten ist (Finanzialisierung). Das trifft in Frankfurt/Main vor allem auf das Gallus und das Ostend, das Viertel, in das die neue EZB gebaut wurde, zu. Neben dieser ökonomischen Entwicklung und der gesamtstaatlichen Deregulierung des Wohnungsmarkts und des Mietrechts seit 1990 fördert die Stadt Frankfurt politisch und stadtplanerisch aktiv ein investorenfreundliches Umfeld in dem sie besagte Stadtviertel für „Aufwertungsprojekte“ erschliessen lässt. Die Eigentumsverhältnisse haben sich seit den 1970er Jahren massiv zugunsten von Großinvestoren gewandelt. Aber auch die stadteigenen Wohnungsbaugesellschaften arbeiten markt- und gewinnorientiert, wogegen verschiedenen Initiativen wie die „ABG-Kampagne“ seit Jahren protestieren. Rasante Boden- und Mietpreissteigerungen sind die Folge und weiterhin zu erwarten. Auch die hochpreisigen Neubauten des benachbarten Europaviertels, eines er umfassendsten Stadtentwicklungsprojekte Europas, treiben die Mietsteigerungen an. Diese dezidierte neoliberale Wohnungspolitik ergänzt ein repressives Vorgehen gegen Besetzungen und eine hohe Zahl an Zwangsräumungen.

Wer ist im Viertel/Zentrum organisiert?

Im Zentrum selbst arbeiten verschiedene Initiativen. Es gibt einen Foodsharing-„Fairteiler“, der Lebensmittel kostenlos zugänglich macht, vor allem solche, die sonst weggeworfen werden würden. An regelmäßigen Terminen existieren eine „Küche für Alle“ des Geflüchteten-Selborganisierungsprojekts Project Shelter; das Solidarische Gallus, eine Stadtteilgruppe, die sich montags als offene Initiative zu Problemen von Miete, Arbeitsalltag und Behörden trifft und freitags ein Cafe betreibt; es gibt einen offenen Nachmittag mit Mittagstisch am Donnerstag; die inhaltlich arbeitende Initiative „Fluchtursachen bekämpfen“; eine momentan nur sporadisch tätige Initiative zu Arbeitskämpfen; selbstorganisierte Lesekreise zu marxistischer und linker Theorie; die Gruppe „Keine Privatangelegenheit“, die sich mit den gesellschaftlichen Ursachen psychischer Problematiken befasst; das antirassistische „Kafä“ sowie weitere migrantische und antifaschistische Projekte. Regelmässig finden Barabende, Cafes, internationales Frühstück und inhaltliche Veranstaltungen statt. Angestrebt werden weitere Kultur- und Bildungsveranstaltungen sowie ein Ausbau der Kinderbetreuung. Der Anspruch ist, weitere Selbstorganisierungsprozesse anzustoßen und sich mit allen Beteiligten einmal monatlich bei einem Aktiventreffen zu versammeln.

Wie ist euer Verhältnis zu anderen Einrichtungen?

Wir haben ein solidarisches Verhältnis zu anderen Vereinen, z.B. dem ebenfalls im Gallus beheimateten Kagef, und zum neu entstandenen sozialen Centro in Rödelheim sowie den seit längerem bestehenden autonomen und subkulturellen Zentren Klapperfeld, Exzess und Au. Wir freuen uns, dass diese unterschiedlichen Räume in Frankfurt existieren, versuchen, den Kontakt zu linken Räumen, sozialen Vereinen und politischen Initiativen generell auszubauen und sind diesbezüglich immer ansprechbar.

Wer ist Euer Publikum?

Vor allem Menschen aus der Nachbarschaft und alle, die an unseren kulturellen und politischen Inhalten und Veranstaltungen interessiert sind. Wir sind offen und freuen uns über neue MitstreiterInnen und neue Ideen.

Nach dem G20-Gipfel gab es die Ansage, Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols oder Räumung. Wie ist das bei Euch?

Unser Zentrum ist nicht besetzt. Wir haben einen zehnjährigen Mietvertrag, der noch einige Jahre läuft. Weil wir nicht kommerziell orientiert sind, muss die anfallende Miete durch Spenden und Mitgliedsbeiträge aufgebracht werden. Insofern sind wir weniger von einer polizeilichen Räumung bedroht, als davon, Teil des oben beschriebenen Aufwertungs- und Verdrängungsprozesses zu werden. Entweder wird der Vertrag nicht verlängert, weil die Hausbesitzer eine profitablere Nutzung oder Veräußerung anstreben, oder aber die Konditionen ändern sich so, dass sie für uns untragbar werden. Der Widerspruch des eigenen Finanzierungsbedarfs und dem Ansatz, zugleich aus politischer und sozialer Notwendigkeit unsere Angebote kostenlos bzw. gegen Spende bereitzustellen, besteht weiterhin und wird dadurch verschärft.

Was waren Eure Ziele am Anfang? Hat sich heute was daran geändert?

In aller erster Linie gilt es, das IZ als sozialen und politischen Raum bekannter zu machen. Im Wohnviertel sind soziale Netzwerke, die Nachbarschaft, die Wohnsituation und die Kultur des Viertels zentrale Momente. Politische, soziale und kulturelle Ansätze sind deshalb nicht voneinander trennbar. Eine räumliche Organisierung sollte solche im Viertel relevanten Fragestellungen aufgreifen und zudem offen sein für andere AktivistInnen und Mitgestaltungsmöglichkeiten bzw. an bereits bestehende Kämpfe anschließen. Selbstveränderung und gesellschaftliche Veränderung sind aufeinander bezogen. Unser Anliegen ist eine über den Konsum von Angeboten hinausgehende Beteiligung und Aktivierung, es geht uns darum, Ansatzpunkte zur Selbstorganisierung und zum Empowerment anzubieten und gemeinsam handlungsfähig zu sein. Es geht also einerseits um einen Raum, in dem Kollektivität und eine solidarische Kultur gelebt und neoliberale Vereinzelung, Warenförmigkeit, Konkurrenz, Konsum- und Verwertungszwang partiell aufgehoben werden können. Gleichzeitig geht es auch darum, den Alltag zu politisieren und an konkreten, realen, erfahrbaren Widersprüchen anzusetzen. Anderseits wollen wir dabei nicht stehen bleiben, sondern von dort ausgehend gesellschaftlich weiterführend intervenieren. Dabei geht es uns um eine höherer Wahrnehmbarkeit und Sichtbarkeit solcher Alternativen und inhaltlich jenseits von Stadtteil und Wohnraum auch um weitere gesellschaftliche Themenfelder, z.B. Arbeitsverhältnisse, Überwachung, Aufrüstung oder Rassismus, bei denen wir, wie bei den Mieten, eine Verschärfung in jeder Hinsicht beobachten. Begleitet und abgesichert wird diese Entwicklung staatlicherseits durch zunehmende polizeiliche Maßnahmen, neuerdings verstärkt präventiver Art. Die zugrunde liegenden Widersprüche und Problematiken sind unseres Erachtens innerhalb des Bestehenden nicht lösbar, sondern nur durch eine umfassende Perspektive der Vergesellschaftung. Wir wissen um die Langwierigkeit dieses Ansatzes, der zudem nur überregional koordiniert erfolgreich sein kann, also wenn in den jeweiligen Städten und Stadtteilen nicht isoliert voneinander gearbeitet wird, sondern gemeinsam. Insofern streben wir eine Vernetzung mit anderen Initiativen an und haben insgesamt den Ansatz nicht verändert, sondern eher ergänzt, vor allem um niedrigschwellige Angebote und um den Kontakt mit der Nachbarschaft.


Literatur:

Sebastian Schipper / Tabea Latocha: Wie lässt sich Verdrängung verhindern? Die Rent-Gap-Theorie der Gentrifizierung und ihre Gültigkeitsbedingungen am Beispiel des Frankfurter Gallus, in: s u b \ u r b a n . zeitschrift für kritische stadtforschung, Band 6, Heft 1, 2018, Seiten 51-76, zeitschrift-suburban.de

Sebastian Schipper / Felix Wiegand: Neubau-Gentrifizierung und globale Finanzkrise. Der Stadtteil Gallus in Frankfurt am Main zwischen immobilienwirtschaftlichen Verwertungszyklen, stadtpolitischen Aufwertungsstrategien und sozialer Verdrängung, in: s u b \ u r b a n . zeitschrift für kritische stadtforschung, Band 3, Heft 3, 2015, Seiten 7-32, zeitschrift-suburban.de

Siempre Antifa: Revolutionäre Stadtteilarbeit, in: Lower Class Magazine, Mai 2015, http://lowerclassmag.com/2016/05/revolutionaere-stadtteilarbeit/