Interview zum Röszke11-Prozess

Interview mit einer Aktivistin der FreeTheRöszke11-Solidaritätskampagne in Ungarn. Aktuelle Infos und Spendenverbindung auf freetheroszke11.weebly.com und cantevictsolidarity.noblogs.org.

You can`t evict Solidarity

Der folgende Text ist ein Interview mit einer Aktivistin der FreeTheRöszke11-Solidaritätskampagne aus Ungarn, das von der „You can`t evict Solidarity“-Kampagne im Januar 2018 in Szeged (Ungarn) geführt wurde. Diese organisiert finanzielle Unterstützung und Öffentlichkeitsarbeit zu Prozessen und Repression aus antirassistischen Kämpfen entlang der Balkanroute.

B – Hallo. Erzähl uns bitte etwas über den Prozess gegen Ahmed H., der gerade in Szeged stattfindet. Worum geht es in den Röszke11-Prozessen?

K – Im Prozess geht es um elf Personen, die im September 2015 verhaftet wurden, nachdem es einen Protest am Röszke-Horgos Grenzübergang gegeben hatte. Es war die Zeit, als der Zaun [zwischen der ungarischen und serbischen Grenze] fertiggestellt wurde und sie [die ungarische Regierung] die Grenze schloss. Tausende Menschen strandeten auf der anderen Seite und begannen zu protestieren. Am zweiten Tag des Protests gab es Zusammenstöße mit der Polizei, bei dem von der einen Seite Steine geworfen wurden und die Polizei Tränengas und Wasserwerfer einsetzte. Danach beruhigte sich die Situation. Sie tricksten die Menschen aus und entfernten die Barrikade vor dem Tor des Zaunes und die Menschen betraten Ungarn, denn sie dachten, dass es ihnen jetzt erlaubt worden war zu passieren. Aber Anti-Terror-Einheiten der Polizei griffen sie an, schlugen sie zusammen und verhafteten 11 Menschen. Zehn Prozesse fanden schon statt. Die Angeklagten wurden zu zwölf bis vierzehn Monaten Gefängnis und Ausweisung aus Ungarn verurteilt. Sie pickten sich Ahmed H. heraus, klagten ihn des “Terrorismus” an und auch, wie die anderen, des “illegalen Grenzübertritts während einer massenhaften Ausschreitung”. Er wurde allerdings erst einige Tage später an einem Bahnhof verhaftet.

B – Vielleicht kannst Du etwas über Ahmed selbst erzählen?

K – Er kommt ursprünglich aus Syrien, aber er lebte mit seiner Frau und zwei Kindern auf Zypern, daher hat er auch zypriotische Papiere mit denen er in Europa reisen kann. Er war auf der Balkanroute, weil er seiner Familie geholfen hat aus dem Krieg und den Bomben in Syrien zu fliehen. Seine Eltern sind alt und krank, sie brauchten seine Hilfe.

B – Du hast auch die Prozesse gegen Ahmed in Szeged besucht – was hast du dort erlebt?

K – Nach zwei Jahren Prozess hat die zweite Instanz das Verfahren aufgrund von Verfahrensfehlern an die erste Instanz zurückgegeben, es wurden beispielsweise falsche Übersetzungen gemacht. Die erste Richterin wurde direkt nach dem Urteil befördert. Dennoch ist auch der jetzige Prozess ein Schauprozess, es werden ausschließlich Zeugenaussagen von Polizisten zugelassen, neue Videobeweise, die nicht von staatlicher Stelle kommen, dürfen nicht gezeigt werden.

B – Wie ist Ahmeds Situation im Gefängnis, wie würdest du die beschreiben?

K – Also bisher wurde es keiner ungarischen Person erlaubt ihn zu besuchen. Nach mehr als zwei Jahren, also im Dezember 2017, wurde es ein paar Leuten aus Österreich erlaubt, ihn zu besuchen. In der Untersuchungshaft ist Ahmed dort quasi in Isolationshaft. Er hat keinerlei Kontakt zu anderen Leuten und nur einmal die Woche Hofgang (das brauchte viel Arbeit), währenddessen werden andere Insassen weg gesperrt, genauso bei seinem Besuch im Laden. Er hat körperliche Beschwerden durch seine Haftbedingungen. Seit neuestem darf er jedoch seine Zelle mit einem arabisch-sprechenden Menschen teilen.

B – Wie würdest du generell die Situation für Migrant_innen und Flüchtende in Ungarn beschreiben?

K – Es ist jetzt so, dass alle Geflüchtete in zwei Strafzentren, also „Transitlagern“ in Containern in den Transitzonen bzw. Transitlagern an der serbisch-ungarischen Grenze eingesperrt werden. Es befinden sich dort ungefähr 500 Menschen, Familien, Kinder – jede_r in Ungarn. Alle die über 14 Jahre alt sind, werden als Erwachsene bezeichnet. Sie sind umgeben von Stacheldraht, Zäunen, überall ist Polizei und Militär, überall wird per Kamera überwacht und schikaniert – und auch zu Arztbesuchen werden sie dort wie Kriminelle in Handschellen gebracht. In diesen offenen Knästen warten sie monatelang auf ihren, meist negativen Asylbescheid. Dort wird entschieden, dass Serbien ein sicheres Land ist, wohin sie dann abgeschoben werden.

B – Was macht ihr als Solidaritäts-Kampagne „FreeTheRoeszke11“, wer seid ihr und wie können Menschen euch unterstützen?

K – Wir gehen zu den Prozessen [die nächsten Termine sind der 14. und 19. März] und überwachen sie, wir machen eine Öffentlichkeitskampagne, versuchen die ungarischen Menschen zu erreichen und einen anderen Blickwinkel als die falsche Propaganda der Regierung zu geben. Auch in anderen europäischen Ländern und dem europäischen Parlament haben wir erreicht, dass Menschen darüber reden, Druck aufbauen oder zumindest versuchen den Druck der Regierung und des Gerichts zu mindern. Wir sammeln Spenden für die Anwaltskosten, besuchen Ahmed im Gefängnis. Wir helfen auch mit allem, was die Menschen von den Röszke11 uns sagen, was sie brauchen können.
Was wir natürlich brauchen um weiterzumachen sind Spenden. Und Ahmed ist sehr glücklich, wenn er Briefe bekommt und die Unterstützung spüren kann, das gibt ihm viel Kraft weiterzukämpfen. Auch Soli-Veranstaltungen oder Briefe an die ungarische Botschaft sind eine Möglichkeit der Unterstützung.


Hintergrund

Propaganda in Ungarn

In Ungarn ist ein großer Teil der Medien in den Händen der Regierung. Die ungarische Regierung hat einige Internetplattformen ins Leben gerufen, zum Beispiel eine Wikipedia-Seite, „Die Schlacht von Röszke“, wo aggressive Menschen beschrieben werden, die in Ungarn einfallen wollen und die ungarische Polizei attackieren. Im Januar hat sie parallel zum Prozess gegen Ahmed H. eine neue Facebook-Seite gestartet, ihr Titel ist „Ahmed H ist ein Terrorist“.
In 2015 gab es Tausende ungarische Menschen, die ihre Solidarität gezeigt haben und die helfen wollten, Essen und Kleidung verteilt haben, die geholfen haben, wo auch immer sie konnten. Diese Leute sind jetzt sehr still geworden. Unsere Interviewpartnerin denkt, das liegt an der Propaganda, überall sei zu hören, dass Geflüchtete gefährlich wären, dass sie die ungarischen Frauen und Kinder vergewaltigen würden und, dass sie Kriminelle und Terrorist_innen wären. Diese Propaganda werde so weit verbreitet, dass große Teile der Bevölkerung sie glauben würden. Sie sagte, jetzt folge „die große Stille der Zivilgesellschaft“.
Durch die starke Propaganda ist die Solidaritätsarbeit sehr schwierig geworden. Die Regierung behauptet, dass alle, die versuchen mit Flüchtenden zusammenzuarbeiten, vom ungarischen (und jüdischen) Millionär Gyoergy Soros bezahlt werden. Sie verbreitet eine Theorie, dass Gyoergy Soros den Plan habe jedes Jahr eine Million Menschen von Afrika nach Europa zu bringen um ganz Europa zu verändern. Und natürlich werde jede_r, der_die mit Flüchtenden arbeiten möchte, von ihm bezahlt und diese Leute seien gefährliche ausländische Agenten – eine klassische Verschwörungstheorie. Daher meiden die meisten Gruppen, die humanitäre Hilfe bieten wollen, eine politische Involvierung, sie haben zu viel Angst davor.

Repression in Ungarn

Generell werden in Ungarn Migrant_innen stark kriminalisiert und die Repression gegen solidarische Strukturen und Nichtregierungsorganisationen, die mit Flüchtenden arbeiten, ist groß. So erklärte der Sicherheitspolitikexperte Ungarns in 2017, „dass jede_r, der_die Migrant_innen hilft, ein Landesverräter, Kriegsverbrecher und Menschenschmuggler ist und ohne jedes Verfahren ermordet werden sollte“. Nachdem Ahmed H. zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, gab es Proteste. Im Anschluss wurden Prozesse gegen die Demonstrierenden geführt. Auch dieses Mal, während der Prozesstage im Januar, wurden Flugblätter verteilt – sehr schnell kamen Polizeiautos, Grenzjäger und bewaffnete Zivilpolizei, die die Protestierenden durchsuchten.