Anonym
Meine Politisierung begann vor über 15 Jahren und fiel in die Zeit als Jugendliche. Angeleitet wurde sie durch das diffuse Gefühl, von der Ungerechtigkeit der Welt betroffen zu sein und von dem Willen, diese zu ändern. Auf der Suche nach dem Bruch mit dem Bestehenden fiel mir über den Geschichtsunterricht in der Schule, aber auch über die Musik der Freunde das Phänomen der RAF in die Hände. Schnell war ich fasziniert. Ich war von den involvierten Personen wie von ihren Aktionen gleichermaßen beeindruckt. Obschon mein Umfeld, insbesondere meine Eltern, meine Auseinandersetzungen mit den Taten und Texten der RAF scharf kritisierten und – wenn schon links außen – mich lieber im Parlament bei den Jungsozialisten gesehen hätten, hielt ich an Meinhof & Co. fest. Im Nachhinein betrachtet war dies der erste Schritt in Richtung einer revolutionären Organisierung, wie ich sie heute vollziehe. Der erste Stein auf diesem Weg war der Essay von Ulrike Meinhof zum Kaufhausbrand, welcher 1968 erschien.
Die Faszination für die RAF, welche sich vor allem durch plakative Darstellung in den Politheftchen und in Liedtexten näherte, wandelte sich etappenweise in eine ernsthafte Konfrontation mit der Perspektive der Revolution und Emanzipation. Ich las Texte, diskutierte in Gruppen, erlebte erste Formen der Organisierung. Es gelang mir, die Kontexte der RAF zu verstehen und sie in ein Gesamtbild revolutionärer Politik einzufügen. Durch diese Auseinandersetzung wurde die Wichtigkeit von revolutionärer Gewalt innerhalb einer revolutionären Perspektive immer deutlicher. Aus heutiger Betrachtung waren es die Texte der RAF, welche mir Sinn und Legitimation dieser erklärten. Durch das Beobachten der historischen Folgen für die RAF sowie der damaligen Situation, als in der Schweiz die Proteste gegen das World Economic Forum (WEF) einen Höhepunkt erfuhren, wurde mir klar, dass die Repression gegen revolutionären Widerstand und Organisierung die Angreifbarkeit der herrschenden Zustände widerspiegeln. Durch Berichte über die damaligen Kämpfe in der Schweiz, durch historisches Lernen aber auch durch eigene Erfahrungen wurde mir klar, dass der Gang einer revolutionären Organisierung auch gesellschaftlicher Ausschluss bedeuten kann. Die Vorstellungen, was Inhaftierung bedeutet, manifestierte sich in meinen Gedanken vor allem durch die Erzählungen rund um die Figur Ulrike Meinhofs. Einerseits verdeutlichten mir ihre Erzählungen über ihren Schritt hin zu ihrer Politisierung die Tatsache, dass eine revolutionäre Perspektive auch bedeuten kann, gewisse Dinge hinter sich lassen zu müssen, mit dem Bestehendem im persönlichen Bereich zu brechen. Weiter veranschaulichte die Gefangenschaft von Meinhof und allen weiteren RAF-Gefangenen das Risiko und die Problematisierung einer Inhaftierung.
Die Geschichte der RAF zeigt vor allem eines: Das Prinzip von „alles oder nichts“ war kein Selbstläufer, sondern die Folge von revolutionärer Politik. Obschon die Geschichte der RAF für viele ihrer KämpferInnen nicht ohne Leid und Schmerzen, ohne Verlust und Erniedrigung endete, war und ist diese ein Lehrstück revolutionärer Organisierung. Anhand ihrer Geschichte lässt sich das Wesen revolutionärer Perspektiven nachhaltig darlegen. Die Bedeutung der RAF, ihrer Kämpfe in der Gesellschaft wie aber auch in den Knästen, muss daher hochgehalten werden. Dies erreichen wir mit Erinnerung, aber auch mit der weiterführenden Konfrontation mit ihren Aktionen und Textzeugnissen.