Freiheit für Nuriye & Semih!

Anadolu Newsblog

Die 34-jährige Akademikerin Nuriye Gülmen und der 28-jährige Lehrer Semih Özakca sind aus Protest gegen ihre willkürliche Entlassung infolge von Notstandsverordnungen seit über 200 Tagen im Hungerstreik. Seit die AKP im vergangenen Jahr den Ausnahmezustand verhängen ließ wurden bereits an die 150.000 Staatsbedienstete auf der Basis von Notstandsdekreten entlassen.
Der Protest dagegen begann im November 2016 auf der Yüksel Straße in Ankara, wo Nuriye und Semih mit zahlreichen Mitstreiter*innen im Kampf um ihre Arbeit nahezu täglich von der Polizei unter Folter festgenommen wurden. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, ihre demokratischen Forderungen noch entschlossener zu verteidigen. Nachdem der Widerstand in Ankara sich auf andere Teile des Landes auszuweiten begann und auch rasch die internationale Öffentlichkeit erreichte, ließ die AKP die beiden Lehrkräfte am 76. Tag ihres Hungerstreiks festnehmen und mit dem Vorwand der „Terrorismusunterstützung“ verhaften.
Der Hungerstreik hat bereits 200 Tage überschritten. Auf der Yüksel Straße, aber auch in anderen Städten und Ländern werden regelmäßig Mahnwachen abgehalten und Solidaritätshungerstreiks durchgeführt, um die Forderung von Nuriye und Semih zu unterstützen.
Für das Regime in Ankara scheint dieser Widerstand wohl die größte Barrikade vor seinem ‚Schreckensimperium‘ zu sein.
Versammlungsverbote, Polizeigewalt, Festnahmen, Verhaftungen und schließlich die Androhung von Zwangsernährung der Hungerstreikenden, die am 28. Juli gegen ihren Willen ins Anstaltskrankenhaus auf dem Sincan Gefängniscampus verschleppt wurden waren nicht genug.
Auch ihr Recht auf Verteidigung wird seit Prozessbeginn torpediert. Nur zwei Tage vor der ersten Verhandlung am 14. September wurden 16 ihrer Anwält*innen von der Anwaltskanzlei des Volkes in ihren Büros und Wohnungen festgenommen, 15 von ihnen nach einer Woche Polizeigewahrsam verhaftet. Doch es hatten kurzerhand über 1000 Anwält*innen ein Mandat zur Verteidigung von Nuriye und Semih übernommen.
Hunderte Unterstützer*innen kamen zur Verhandlung, wurden vor dem Gericht angegriffen, Nuriye und Semih wurden mit der Begründung der „Fluchtgefahr“ nicht zur Verhandlung zugelassen. Der Prozess wurde auf 28. September vertagt. Diesmal wurde Nuriye Gülmen zwei Tage vorher ohne Auskunft gegen ihren Willen vom Gefängniskrankenhaus zur Intensivstation des Ankara Numune Krankenhauses verlegt. Abgeordnete und Anwält*innen vermuteten dahinter einen weiteren Versuch, das Recht auf Verteidigung zu eliminieren. Seit sie im Krankenhaus ist werden ihre Besuchsrechte, auch die der Anwält*innen weiter eingeschränkt. Die Teilnahme am Prozess wurde davon abhängig gemacht, dass sie eine Blutuntersuchung machen müsse, was sie Gendarmen, die ihr Zimmer bewachen drohten ihr, sie ans Bett zu fesseln, falls sie versuchen sollte aufzustehen, und als Toilette steht ihr lediglich ein Stuhl mit Loch und einer darunter befestigten Plastiktüte zur Verfügung.
An der zweiten Verhandlung am 28.9. konnte unter diesen Umständen lediglich Semih Özakca teilnehmen. Hunderte Menschen waren zum Prozess gekommen, um die Angeklagten nicht alleine zu lassen.
Ein weiteres Mal urteilte das Gericht im Sinne der AKP-Diktatur und verkündete die Fortsetzung der Haft von Nuriye und Semih. Der nächste Prozesstermin wurde für 20. Oktober angesetzt. Die AKP und ihre Justiz wollen mit diesem Urteil erneut ihre Machtposition demonstrieren und den Widerstand zu Fall bringen. Nuriye und Semih wurden lediglich verhaftet, weil sie sich gegen ihre rechtswidrige Entlassung stellten und durch nichts davon abbringen ließen. Das AKP-Regime bringt das Leben der beiden Lehrkräfte in höchste Gefahr, indem es droht, ihren Widerstand durch Zwangsernährung zu beenden, was unwiderrufliche gesundheitliche Schäden und im schlimmsten Fall den Tod herbeiführen könnte.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist offenbar nicht gewillt, in diesem Fall einzuschreiten. Er sieht keinen Anlass für die Freilassung der beiden Hungerstreikenden, obwohl ihn Nuriye und Semih‘s Verteidiger*innen bereits vor Monaten über die miserablen Haftbedingungen und die willkürlichen Haftgründe umfangreich informierten und 24 medizinische Experten belegten, dass sich Nuriye und Semih in einer lebensbedrohlichen Lage befinden. Der EGMR riet nur dazu, dass man sich an nationale Gerichte in der Türkei wenden sollte, wenn man etwas gegen die Verhaftung der beiden Bildungsbeauftragten unternehmen wolle.
Wir sind darüber entsetzt, dass sich der EGMR in Zeiten der schlimmsten Folter und Menschheitsverbrechen in der Türkei zum Hilfsmittel des türkischen Regimes macht.

Wir rufen alle fortschrittlichen Menschen und Menschenrechtsorganisationen dringend auf, Nuriye Gülmen und Semih Özakca zu verteidigen und insbesondere den EGMR aufzufordern, sich für ihre sofortige Freilassung und gegen Zwangsernährung einzusetzen.

Formular:
http://appform.echr.coe.int/echrrequest/request.aspx
(beim Formular folgende Optionen wählen: Other und Ask for und dann Name, Mailadresse und Text eingeben)

Bitte senden Sie auch ein Fax bzw. E-Mail an das Justizministerium in der Türkei, um die sofortige Freilassung von Nuriye und Semih, sowie ihrer 15 inhaftierten Anwält*innen zu fordern:

T.C. Adalet Bakanlığı
E-Mail: info@adalet.gov.tr
Fax: 0090-312-419 33 70