Versuch einer Bilanz: Zur Kommunikation mit Gefangenen

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Hamburg

In zahlreichen digitalen wie analogen Medien erschienen erfreulicherweise zahlreiche Artikel, die die Notwendigkeit der Solidarität mit Gefangenen betonten. Erfreulicherweise blieb es nicht bei diesen notwendigen schriftlichen Appellen stehen, sondern es bildeten sich auch Workshops zum Schreiben und es fanden viele Veranstaltungen zu dieser Thematik statt, sei es zum Beispiel zum 18. März.
Arbeit zu den Inhaftierten ist wichtig, zum Einen für die Weggesperrten selbst, zum Anderen für uns, da der Knast ein weiterer Schauplatz des Klassenkampfes und der Auseinandersetzung mit den Herrschenden ist. Viele sind hinter Gittern wegen Eigentumsdelikten, weil sie sich aufgrund ihrer Klassenlage und den damit verbundenen Lebensbedingungen „Nebenverdienstmöglichkeiten“ schaffen mussten oder ohne deutschen Pass keinen Zugang zu legalen Einnahmequellen haben, andere, weil sie aktiv gegen das kapitalistische System kämpfen. Parolen wie „Unsere Solidarität gegen ihre Repression“ oder „Drinnen und draußen ein Kampf!“ sollen die Kommunikation mit den Inhaftierten unterstützen. Wir behaupten allerdings, dass das noch nicht ganz der Realität der (radikalen) Linken entspricht. Wieso das immer noch nicht dem proklamierten Ziel entspricht, versuchen wir jetzt ein bisschen genauer zu beleuchten.

Rückblick

Zum ersten Mal waren einige von uns selbst mit Knast konfrontiert, als wir 1973 nach einer militanten Hausbesetzung in der Hamburger Ekhofstraße geräumt wurden. Nach der Erstürmung durch das MEK (Mobiles Einsatzkommando) waren drei GenossInnen bis zu 16 Monaten eingesperrt. Praktische Solidarität war angesagt, die sich neben der Kommunikation mit ihnen in Prozessarbeit und auch in so banalen Tätigkeiten wie Wäschewaschen für die Eingesperrten ausdrückte. Parallel war es für uns auch selbstverständlich, Solidarität mit den Gefangenen aus der RAF zu praktizieren. Auch sie strebten wie wir eine freie Gesellschaft auf kommunistischer Basis an, deshalb wurde gegen diese Weggesperrten die Isolationshaft exekutiert, die auch „weiße Folter“ genannt wird, weil sie keine sichtbaren Spuren am Körper hinterlässt: Neben 23 Stunden allein auf der Zelle wurden sie hermetisch von allen Inhaftierten und von allen Gemeinschaftsveranstaltungen abgesondert. Die Isolation fand in abgesonderten Bereichen und oft in Hochsicherheitstrakten statt. Die soziale und die sensorische Isolation führt zur Aushungerung der Sinnesorgane der Gefangenen und kann dadurch zu lebensgefährlichen Zuständen führen. Ziel dieser Folter ist es auch, Inhaftierte zum Sprechen bzw. Abschwören zu bringen oder zu versuchen, sie als entpolitisierte Kretins vorzuführen.
Die Gefangenen aus der RAF waren bis zu 28 Jahre weggesperrt und wehrten sich in zehn kollektiven Hungerstreiks. Für uns draußen ging es darum, das Leben dieser Inhaftierten zu sichern. Deutlich wurde uns in der Auseinandersetzung mit der Justiz und dem Staat, dass nur durch die Kommunikation allein die Isolation nicht aufhebbar ist. Um materiell was an der Haftsituation zu ändern, musste Öffentlichkeit hergestellt werden. Deshalb wurden Flugblätter, Veranstaltungen und Demonstrationen mit bis zu 10.000 Menschen in der damaligen Hauptstadt Bonn 1989 gemacht sowie militante Interventionen. Dank dieser unterschiedlichen Aktionen konnten wir besser mit den Gefangenen in Kontakt treten, aber abschaffen konnten wir diese Haftbedingungen nicht und so überlebten neun Weggesperrte aus diesem politischen Zusammenhang den Knast nicht.

Die Lage heute

Der historische Rückblick macht deutlich, dass sich nichts Positives an der Situation der Inhaftierten geändert hat. Damals wurden vor allem gegen die Gefangenen aus der RAF diese drakonischen Haftbedingungen exekutiert. Später wurde dieses Foltermodell „made in Stammheim“ in diverse Länder exportiert. Heute haben sich diese Bedingungen eher noch verschärft, weil die Bewegung, die zu Gefangenen beziehungsweise gegen Knäste arbeitet, schwächer geworden ist. Die Isolation besteht folglich weiter, davon sind vor allem migrantische Gefangene betroffen, die wegen §129b inhaftiert sind, aber auch alle anderen Eingesperrten, die sich gegen die drakonischen Zustände wehren.
Auch heute überleben viele den Knast nicht. So besagen offizielle Zahlen der Justiz, dass sich über 100 Gefangene jährlich das Leben nehmen, weil der Knast so hart ist.
Die Population in den Kerkern hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert, so kommen 60 Prozent der Gefangenen nicht von hier. Allein durch diesen Umstand treten einige Veränderungen auf. Sprachliche, aber auch kulturelle oder politische Unterschiede machen es nicht einfacher, Kommunikation mit diesen Inhaftierten zu beginnen. Oft sprechen diese Gefangenen nicht oder kaum Deutsch, was für sie auch eine zusätzlich Isolation im Knastalltag bedeutet, denn Anträge müssen immer auf Deutsch gestellt werden. Oder die migrantischen Inhaftierten haben auf Grund ihrer Herkunft eine andere politische Orientierung als die hiesige Linke. Hinzu sind diese Eingesperrten rassistischen Diskriminierungen vor allem durch die Justiz ausgesetzt.
Das herrschende System spaltet und zerstört Zusammenhänge, um sie besser ausbeuten und unterdrücken zu können. So gibt es folglich im Knast zur Zeit keine Gefangenenkollektive. Auch der Zusammenhalt innerhalb der Linken ist schwach entwickelt, auch sind viele unserer Kämpfe von Niederlagen geprägt. Mensch muss sich natürlich vergegenwärtigen, dass Großdeutschland die wichtigste europäische Macht ist und 9000 Bundeswehrsoldaten in Afrika, Asien und Europa stationiert sind. Außerdem wird starker Druck auf die unterdrückte Klasse durch zum Beispiel die Agenda 2010 ausgeübt, die das Überleben beeinträchtigt.

Aktuelle Fragen der Kommunikation

Die politischen Koordinaten haben sich nach rechts verschoben, aber es sollen an dieser Stelle auch keine staatliche Omnipotenz und der Sieg des Kapitalismus verkündet werden, denn die Geschichte zeigt immer wieder: Wo sich Widerstand gegen diese Unterdrückung organisiert, gibt es immer wieder Hoffnung auf Befreiung.
Das zeigte sich im Juli 2017, als es gelang, den G20-Gipfel in Hamburg durch zahlreiche unterschiedliche Initiativen bis zu 100.000 Demonstrant_innen zu stören und somit politisch als Ganzes in Frage zu stellen. Die herrschende Klasse reagierte auf diesen Angriff mit Hetze und Repression. Es wurden 36 Gefangene wegen der Proteste gegen G20 in Hamburg verhaftet. Davon kommen etwa die Hälfte der Eingesperrten aus anderen Ländern.
Wir wollen jetzt auf Fragen und Unsicherheiten von Menschen eingehen, die anfangen wollen, die Mauern der Knäste zu durchbrechen. Oft werden Briefe von Gefangenen veröffentlicht oder es gibt Berichte von festgenommenen Aktivist_innen, die auch als Aufforderung verstanden werden können, mit ihnen in Kontakt zu treten. So wird es vielleicht auch einfacher Inhaftierten zu schreiben, die einem persönlich nicht bekannt sind oder von denen wenig oder fast nichts bekannt ist. Die Frage, warum ich schreibe, ist natürlich immer eine grundsätzliche Frage. Etwa, weil es Freund_innen oder Genoss_innen sind, die inhaftiert sind, oder/und weil ich generell gegen Knast bin. Was wir damit meinen: Es gibt Menschen, die sich aus humanistischen Gründen engagieren, andere eher aus politischen Gründen. Wir finden, dass beides kein Widerspruch ist, um nach drinnen zu kommunizieren. Persönlich ist für uns die Trennung von Menschlichkeit und Politik auch falsch, denn wir streben ja die Aufhebung dieser Spaltung an. Viele draußen wissen wenig über den Knast. Ganz einfache Dinge zum Beispiel, dass Gefangene keinen Internetzugang haben. Generell sind Informationen für Gefangene Mangelware, das heißt dass vor dem Prozess das Gericht und während der „Strafhaft“ der Knast entscheiden, was durchkommt. Dazu sind die Eingekerkerten vom alltäglichen Leben abgetrennt, ihre Besuchszeit ist auf zirka zwei bis vier Stunden monatlich beschränkt. Ihre Kommunikation nach draußen läuft in der Regel überwiegend durch überwachte Briefe. Das Nichtwissen, was Gefängnis bedeutet, hat viel mit Verdrängung zu tun, Angst vor dem scheinbar allwissenden Staat, der alles erfasst. Vor der Allmacht des Systems weichen Viele zurück, weil dieser versucht, den Menschen rund um die Uhr zu überwachen und zu erfassen. Repression und Überwachung gehen natürlich über den Knast hinaus. Aber es ist natürlich Intention der Herrschenden, die Knastbedingungen zu verschleiern und nur Horror zu verbreiten, damit soll jegliches Aufbegehren im Keim erstickt werden. Das Kommunizieren nach drinnen ist nicht primär eine Technik, sondern ein Akt der Solidarität und damit des Widerstands gegen die Gefängnisse. Es ist eine persönliche und auch organisierte Auseinandersetzung, die Mauern durchlässiger zu machen und eine Gesellschaft ohne Unterdrückung zu schaffen. Wenn einem das bewusst ist, ist es leichter, den Kontakt nach drinnen herzustellen. Gut ist es, sich vorher auszutauschen mit Anderen, die damit schon Erfahrung haben. Seien es solche, die selber schon mal im Knast waren oder solche, die schon nach drinnen kommuniziert haben. Der gemeinsame Austausch nach der Kontaktaufnahme ist eine Möglichkeit einer gemeinsamen Organisierung gegen das herrschende System, um die systematische Vereinzelung drinnen wie draußen zu überwinden.
Ähnliche Vorstellungen haben z. B. die Gefangenengewerkschaft oder der wegen § 129b inhaftierte Musa Aşoğlu am 22. 6. 2017 geäußert.
Auch kann eine gemeinsame Auseinandersetzung mit Gefangenen dazu beitragen, dass wir Kontakt bekommen zu denen, deren Angehörige, FreundInnen und Bekannte auch im Knast sind. Betroffen ist eher die unterprivilegierte Klasse der Bevölkerung, die von der herrschenden Klasse in die Knäste gesteckt wird. Somit ist es auch eine Möglichkeit, unsere Isolation gegenüber der Bevölkerung zu überwinden. Also raus aus dem „Szeneghetto“, um eine Kraft gegen die Gefängnisse zu entwickeln.

Die Reaktionen der Eingesperrten

„Ich danke all jenen, die mich einen Teil meines Weges begleitet haben und nach wie vor begleiten, die mir seit langer Zeit ihre Wärme, Sympathie und auch Unterstützung zuteil werden lassen. Die mich besuchen, mir schreiben, solidarische Aktionen durchführen, aber auch finanzielle Hilfestellung geben.“ schrieb Thomas Meyer-Falk, der seit 21 Jahren weggesperrt ist und sich seit 2013 in Sicherungsverwahrung befindet.
Die Inhaftierten sind von der Außenwelt abgeschnitten, ihre Kommunikation und jegliche Lebensäußerung werden überwacht. Ziel des Knastes ist, sie so zu unterdrücken, dass sie ihre Identität und Würde aufgeben:
„Mit der Inhaftierung geht es doch genau darum, nämlich die Solidarität und die Kollektivität zu durchbrechen. Da, wo die Solidarität herrscht, kann es keinen Egoismus geben. So stark die Kollektivität wächst, so schwach wird auch die Konkurrenz (…).“ (Schrieb ein inzwischen entlassener §129b-Gefangener)
Wir müssen also mit den Eingekerkerten zusammenarbeiten und unsere Praxis auch nach ihren Bedürfnissen ausrichten. Es muss uns darum gehen, die Stimme der Eingesperrten nach draußen zu tragen und ihnen einen Raum zu schaffen, wo sie sich artikulieren können. Das heißt aber nicht, dass wir alles schlucken, was Gefangene so von sich geben. Wir müssen sie kritisch und solidarisch hinterfragen, so wie es in „Freiheit“ unter uns eigentlich auch laufen sollte.
Es muss nur beachtet werden, dass wir uns mehr Zeit nehmen als draußen, weil die Inhaftierten auf Grund des Knastes von vielen Auseinandersetzungen ausgeschlossen sind. Auch können wir auf Grund der Zensur und der Überwachung nicht alles klären mit ihnen und sollten deshalb Einiges erst nach ihrer Knastentlassung besprechen.
Zum Schluss noch was zur Frage, ob wir mit Inhaftierten nur solidarisch sein sollten oder mit ihnen zusammen die tagtägliche Unterdrückung bekämpfen. Es ist natürlich die Entscheidung jedes Einzelnen, wie sie beziehungsweise er sich entscheidet. Einige Gefangene, die wegen §129b weggesperrt sind, fassen den Begriff der Solidarität weiter: „Führt den Klassenkampf und dann ändert es auch die Lage im Knast.“
Oder Riccardo Lupano, der anlässlich der Aktionen gegen G20 in Hamburg festgenommen ist:
„Ich verweigere die Dichotomie von „Schuld“ und „Unschuld“, die uns der juristische Apparat des Staates auferlegt. … So lange ich lebe: immer gegen die Autorität! Immer mit dem Kopf oben!“

Fazit

Wir benötigen für unsere Kämpfe und Ziele natürlich immer einen langen Atem, auch und gerade mit denen, die sich hinter Gittern befinden.

Hier noch ein paar praktische Tipps:

  • Legt auf Veranstaltungen Postkarten und Adresslisten aus und fordert die Besucher_innen auf, den Gefangenen zu schreiben.
  • Schreibt Postkarten und Briefe, legt Briefmarken für die Inhaftierten dazu.
  • Berichtet ihnen in Briefen von Infoveranstaltungen, die ihr macht.
  • Schickt Grußadressen an die Weggesperrten.
  • Macht das Schreiben „an die drinnen“ zu einem Teil eurer Praxis.
  • Thematisiert das Thema auf Veranstaltungen und Demos.

Uns ist bewusst, dass auf Grund der Platzbegrenzung alle Punkte nur fragmentarisch angesprochen werden konnten. Wir stehen aber für Veranstaltungen zur Verfügung, um die Thematik zu vertiefen.