Sicherungsverwahrung auf Österreichisch – Buchrezension

 

Thomas Meyer-Falk, 2. Juli 2017

Knast ist ein gesellschaftliches Randthema. Allerdings ist es für zehntausende Inhaftierte und deren hunderttausende Angehörige, FreundInnen, sowie Bekannte deren bestimmter Lebensinhalt, mitunter für Jahre, für Jahrzehnte, nicht selten bis zum Tod. Innerhalb dieses Randthemas ist die Sicherungsverwahrung(SV) ein eigener Nischenbereich. So sitzen in Deutschland rund 500 Männer in der SV; dem Freiheitsentzug nach der Strafe. Wer als „gefährlich“ für die Allgemeinheit eingestuft wird, kann – potentiell – bis zum Tod hinter Gefängnisgittern gehalten werden. vergleichbare Regelungen gibt es ebenfalls in anderen europäischen Staaten, so auch in Österreich.
Dort ist es der berüchtigte § 21 Absatz 2 österr.-Strafgesetzbuch, der es erlaubt Menschen die straffällig geworden sind und sich durch eine „geistige oder seelische Abartigkeit“ auszeichnen, jedoch voll schuldfähig sind, in eine „Anstalt für abnorme Rechtsbrecher“, sprich: Gefängnisse, einzuweisen. Für mindestens Jahre, wenn nicht Jahrzehnte- und nicht nur in Einzelfällen bis zum Tod. Der Sprachgebrauch spricht für sich. „Abnorm“ und „geistige und seelische Abartigkeit“, Begriffe deren Ursprung wir zurückverfolgen können bis in die NS-Zeit.
Der österreichische Verlag Mandelbaum (www.mandelbaum.at) legte im Frühjahr eine in Buchform publizierte Projektarbeit, unter dem Titel „das Volk will es so – über das Leben als ‚geistig abnormer Rechtsbrecher‘“ der Fotografin Julia Dragosits und des Grafikers Tobias Batik vor. Auf 120 Seiten lassen die beiden HerausgeberInnen neben (Ex)-Gefangenen auch Fachleute zu Wort kommen, darunter aus den Bereichen Rechtswissenschaft, Journalismus sowie der Psychiatrie.
Aktuell werden in Österreich rund 400 Menschen nach dem zitierten Paragrafen verwahrt; umgerechnet auf Deutschland, müssten hier also 5.000 Menschen in SV sitzen, da wir über eine zehnmal so große Bevölkerung verfügen. Das als Vergleich, um ein Gefühl für Relationen der Situation in Österreich zu bekommen. In unserem Nachbarland werden selbst Jugendliche dauerhaft in „Anstalten für abnorme Rechtsbrecher“, wie schon gesagt: Gefängnissen, weg gesperrt. Beispielsweise eine 16-jährige, die im Alter von acht Monaten aus Afrika adoptiert wurde und in ihrer Kindheit, bzw. Jugend dann durch Sachbeschädigung und Bedrohung „auffällig“ wurde.
Die zu Wort kommenden (Ex-)Gefangenen beschreiben durchgängig die völlige Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, welche ihren Haftalltag durchziehe. „Man wird herumkommandiert, angeschnauzt, vielleicht noch beschimpft“, so Markus Drechsler (S.36). Ein anderer Betroffener berichtet, wie sich in den für die Fortdauer der Unterbringung so essentiellen psychiatrischen Gutachten regelmäßig gravierende Falschinformationen finden (S.61), was dann von den sogenannten „ExpertInnen“ verharmlost werde.
Dr. Frottier, ein Psychiater, kritisiert dann auch, es würden Gutachten von fachlich dafür nicht ausgebildeten KollegInnen erstattet, hier müsse dringend durch Fortbildungen der fachliche Standard abgehoben werden (S. 27 ff.). Aus juristischer Sicht kommentiert Rechtsanwalt Dr. Graupner, das Unterbringungssystem sei in allen seinen Facetten mangelhaft: die Gutachten, die Haftbedingungen, die gerichtlichen (Schein-)Anhörungen.
Die Projektarbeit von Dragosits/Batik erhebt Anspruch, die innerösterreichische Diskussion um Sinn und Unsinn, zumindest jedoch die Mängel im Bereich des Maßnahmevollzugs, wie auch die dort innenpolitisch schwelende Diskussion, ausgelöst auch von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), zu bereichern. Diesem Anspruch wird das Buch vollumfänglich gerecht, auch wenn der LeserInnenschaft zu wünschen gewesen wäre eingehendere Informationen zur „Zuverlässigkeit“ der psychiatrischen Gutachten zu erhalten.
In Folge eines Urteils des EGMR wurden nämlich in Deutschland 2010/2011 dutzende von renommierten PsychiaterInnen als „hochgefährlich“ beurteilte Verwahrte aus rein formalen Gründen frei gelassen. Nur in den wenigsten Fällen realisierte sich die attestierte „Gefährlichkeit“, die Mehrheit der Freigelassenen verhielt sich in strafrechtlicher Hinsicht völlig unauffällig.
Wer nun ein ungewöhnlich textlastiges Buch erwartet, wird von den einfühlsamen Fotografien Julia Dragosits berührt, die die oben erwähnte Hoffnungslosigkeit, die Tristesse des Haftalltags durch ihre Fotografien der Gefängnisse, Zellen, Flure und Betroffenen verbildlicht. Auch die grafische Gestaltung des Buches durch Tobias Batik unterstreicht die Düsternis, wie auch die Gebrochenheit der Menschen, sowie des Themas
Dem Buch ist eine Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Raum zu wünschen, da die Denkmuster der ForensikerInnen, aber auch der Bevölkerung sich nicht substantiell voneinander unterscheiden, ob nun in Österreich, Deutschland oder der Schweiz. Stets ist die Rede davon, man möge die Insassen „wegsperren- am besten für immer“, nur formulieren dies die PsychiaterInnen, RichterInnen und StaatsanwältInnen in der Regel nicht so direkt, sondern verpacken diese Botschaft in akademischen Schriftsätzen.
Die Projektarbeit der beiden HerausgeberInnen bietet einen aktuellen, ungeschminkten Einblick in eine dunkle Ecke des Strafrechtssystems, zumal sich die gesetzlichen Normen auch eignen, jegliches systemabweichendes, politisch missliebiges Verhalten, sofern es mit dem Strafgesetzbuch kollidiert, mit Freiheitsentziehung bis zum Tod zu beantworten.