Festnahmen und Gefängnisstrafen für revolutionäre Intellektuelle in Indien

Solidaritätskomitee Indien

Die revolutionäre Bewegung in Indien ist regelmäßig im Fadenkreuz der Angriffe des alten indischen Staates. Das findet natürlich in erster Linie auf dem Land statt, wo Gefechte zwischen Genossen und Bullen oder Militär fast täglich stattfinden. Nicht in einem Ort oder einer Region, sondern innerhalb des sogenannten Roten Korridors, dem Gebiet, das von Genossen in Indien befreit und verwaltet wird, welches sich in der südwestlichen Region bei Kerala und vor allem in den nordwestlichen Regionen von Andhra Pradesh bis zu den Westbengalen befindet. Von Massakern an der Zivilbevölkerung und Helikopterangriffen bis zu Attacken auf Minderheiten oder Angehörigen der „niedrigen Kasten“ durch reaktionäre Bürgerwehren übt der alte indische Staat auf dem gesamten Gebiet alle denkbaren Verbrechen aus.
Der hauptsächliche Inhalt dieses Artikels soll aber der konstante Angriff der Regierung – nicht nur der aktuellen Regierung Narendra Modis (Bharatiya Janata Party – Indische Volkspartei, eine hindu-nationalistische Partei, unter anderem 2002 an Massakern gegen Muslime als Landesregierung im indischen Bundesstaat Gujarat beteiligt), sondern auch der ihr vorangegangenen Regierungen und ebenso Regierungen von „Kommunisten“, namentlich der Kommunistischen Partei Indiens (Marxistisch), die in Kerala an der bürgerlichen Herrschaft teilhat und dort die Genossen und fortschrittliche Kräfte verfolgt und ermordet – auf revolutionäre Intellektuelle in den Millionenstädten des Landes sein.
Die letzte große repressive Maßnahme begann am 6. Juni 2018, als Intellektuelle aus dem ganzen Land festgenommen wurden. Unter ihnen sind Sudhir Dawle, Rona Wilson, Surendra Gadling, Shoma Sen und Mahesh Raut. In einer zweiten Verhaftungswelle am 28. August 2018 wurden Varavara Rao, Vernon Gonzalves, Arun Ferriera, Gautam Navalakha und Sudha Bhardwaj in ihren Häusern verhaftet. Die illegalen Festnahmen fanden in den Städten Delhi, Haryana, Maharashtra und Telengana statt. Die Polizei hat auch Razzien in den Häusern von Professor Anand Teltumbde (in Goa), Professor K. Satyanarayana, den Journalisten Kranthi und Kurmanath (in Hyderabad) und bei Stan Swamy (in Ranch) durchgeführt.
Vorgeworfen wurden den Aktivisten verschiedene an den Haaren herbeigezogene Taten, zum einen wurden sie im Zusammenhang von Angriffen rechter Gruppen auf Angehörige „unterer Kasten“, bei denen Mitglieder eben jener Gruppen vor Gericht stehen festgenommen – es ist nicht ersichtlich, weshalb die revolutionären Aktivisten in dieser Sache verhaftet wurden – zum anderen wurde behauptet, dass sie Teil einer Verschwörung zur Ermordung des momentanen Premierministers Narendra Modi und Ministerpräsidenten Devendra Fadnavi wären. Ein „Beweis“ für diese Beteiligung an der Verschwörung ist im Fall von Varavara Rao laut der Bullen der Stadt Pune, dass er einen Brief auf seinem Computer hatte, der von „Genosse M“ unterzeichnet ist, der angeblich ein Mitglied der Kommunistischen Partei Indiens (maoistisch) ist (welches die Organisation ist, die die zuvor genannten befreiten Gebiete kontrolliert), und der Name von Varavara Rao wird in einem solchen Brief erwähnt, verbunden mit einem Plan, Narendra Modi zu ermorden.
Die KPI (maoistisch) selbst hat zu diesem angeblichen Brief erklärt:
Viele wohlmeinende Intellektuelle und selbst einige Polizeioffizielle im Ruhestand und Richter haben den zurechtgelegten Charakter der Briefe offen gelegt und analysiert, dass diese nur fabrizierte Briefe sein können. Sie haben dargelegt, dass es im „Modus Operandi“ unserer Partei, einer Partei im Untergrund, keinen Rahmen für die Nutzung solcher Briefe / Mails gibt und insbesondere keinen für die Nutzung von Originalnamen für militärische Operationen und logistische Operationen. Folglich ist die Unterstellung gegenüber einigen der obengenannten Intellektuellen in Zusammenhang mit diesem zurechtgelegtem Plan, Narendra Modi zu töten, eine der größten Lügen, die den Menschen Indiens aufgehalst wird. Es werden Versuche unternommen, die Stimmen der Vernunft und des Widerspruchs zum Schweigen zu bringen, indem Menschen wie Dabholkar, Pansare, Kalburgi und Gauri Lankesh getötet werden und indem versucht wird, Omar Khalid oder verhaftete Aktivisten wie G.N. Saibaba oder anderen das Leben zu nehmen. Murugan, Chandrasekhar Azad Ravan und die aktuelle Welle von Festnahmen und das Überziehen von UAPA [Unlawful Activities (Prevention) Act – Gummiparagraph, der den Bullen quasi erlaubt alles und jeden festzunehmen *Red] und Verfahren gegen sie – das ist, in der Tat, die wahre Verschwörung vom Staat.
Dies ist eine erneute Anwendung einer der favorisierten Methoden des indischen Staates, gegen Revolutionäre vorzugehen: das Anhängen von abstrusen angeblichen Straftaten. Dabei geht es dem Staat gar nicht direkt um eine Verurteilung (in den seltensten Fällen kommen sie damit durch), sondern hauptsächlich darum, die Angeklagten für eine Zeit in den Knast zu stecken. In zahlreichen Beispielen wurden den Aktivisten dann während sie im Knast sitzen weitere Straftaten zugeschrieben, teilweise sogar von Dingen, an denen sie aufgrund ihrer Inhaftierung gar nicht beteiligt sein konnten.
Einer der in der letzten Verhaftungswelle festgenommenen ist Varavara Rao. Er ist ein Gründungsmitglied der Virasam, (Viplava Rachayitala Sangham, Verbindung revolutionärer Autoren) und Vorsitzender der Revolutionären Demokratischen Front, einer landesweiten Organisation fortschrittlicher Kräfte. Er saß in seinem Leben mehrfach in indischen Knästen, vom Oktober 1973 bis zum April 1975, wurde aufgrund der Notstandsgesetze vom Juni 1975 bis deren Außerkrafttreten im März 1977 wieder festgehalten und erneut im Dezember 1985 bis 1988 eingesperrt. Auch vom August 2005 bis März 2006 war er im Gefängnis.
Das Verfahren, weshalb er 1985 ins Gefängnis gesteckt wurde, ist ein Paradebeispiel für die zuvor genannte Methode des indischen Staates, Angeklagte ohne Verurteilung hinter Gitter zu stecken: obwohl er 1988 auf Kaution freigelassen wurde, lief das Verfahren bis 2003 weiter, am Ende ohne jegliche Verurteilung. Auch er erlebte die Methode der zusammengebastelten neuen Anklagen im Moment der Freilassung, so wurde er, als die Notstandsgesetze 1977 aufgehoben wurden, beim Verlassen des Gefängnisses nochmal festgenommen und erst eine Woche später entlassen.
Ein weiterer aktueller politischer Gefangener in Indien ist Professor G. N. Saibaba. Varavara Rao übernahm 2014 seinen Platz als Vorsitzender der Revolutionären Demokratischen Front, da Saibaba am 9. Mai 2014 von der Polizei aus seinem Haus entführt und am 7. März 2017 zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt wurde – für die Unterstützung der KPI (maoistisch) und dem Führen eines Kriegs gegen die Nation – auch hier sind der einzige Beweis angeblich gefundene Dateien auf seinem Computer. Eine lebenslange Gefängnisstrafe, die keinen all zu langen Zeitraum einnehmen wird und in der Praxis ein Todesurteil bedeutet, da G. N. Saibaba zu 90% behindert ist und ohne Zugang zu einem Rollstuhl und lebenswichtigen Medikamenten und regelmäßigen Arztbesuchen nicht lange leben wird. Bei einer der seltenen ärztlichen Untersuchungen, die auch massiv von den indischen Gerichten behindert wurde, wurden zuletzt Ende Dezember von einem Arzt 19 Krankheiten festgestellt, die umfassende Behandlungen benötigen.
Trotz alledem ist es ein Lichtblick, zu sehen, dass es breite internationale Solidarität für die politischen Gefangenen in Indien gibt, die für die Freiheit der Genannten, aber vor allem der tausenden politischen Gefangenen – der indische Staat gibt an, dass alleine von 2008 bis 2014 13.657 Menschen festgenommen wurden, denen vorgeworfen wird, Teil der revolutionären Bewegung zu sein – die in den Knästen des alten indischen Staates sitzen.