Gegen Abschiebung – gegen Polizeigewalt – Solidarität ist kein Verbrechen

Ein Bericht aus Nürnberg über die Folgen einer Blockade gegen eine Abschiebung

Einige vom Bündnis „Widerstand Mai 31 – Solidarität ist kein Verbrechen“

Am 31. Mai 2017 drang die Polizei in eine Nürnberger Berufsschule ein, um einen Schüler direkt aus seiner Klasse abzuführen. Asef N. sollte nach Afghanistan abgeschoben werden – obwohl dort bekanntlich Krieg herrscht und es gerade damals einen Anschlag mit mindestens 90 Toten gab. Dennoch wollten die Beamten die Abschiebung in dieses zerstörte Land durchsetzen.
Asef ist ein eindrückliches Beispiel dafür, dass Menschen nicht ohne Grund fliehen. Er benötigt dringend Schutz. Am 31. Mai sahen das rund 300 Menschen genauso. Darum versuchten sie, die Abschiebung mit einer Blockade zu verhindern. Darunter waren SchülerInnen, AnwohnerInnen, AktivistInnen und entsetzte BürgerInnen. Sie alle vereinte die Erkenntnis, dass es niemals gerechtfertigt sein kann, einen Menschen wissentlich in Perspektivlosigkeit, Hunger, Folter, und Tod zu schicken. Die Polizei reagierte mit massiver Gewalt, es gab etliche Verletzte und einige Festnahmen. Quer durch die Gesellschaft rief der brutale Einsatz Empörung hervor. „Was ich heute am Berliner Platz in Nürnberg gesehen habe, spottet jeder Beschreibung. Es erschüttert mein Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und ist einfach nur beschämend“, formulierte zum Beispiel eine Redakteurin der Nürnberger Nachrichten als Augenzeuginnenkommentar. Auch anwesende PfarrerInnen bestätigten dies. Immer noch ist es strittig, ob das Vorgehen legal war. Vor Gericht landeten aber wieder mal nicht brutale PolizistInnen, sondern ein junger Aktivist. Sercem wurde verhaftet und fünf Monate lang in Untersuchungshaft eingesperrt. Der Vorwurf: „dringender Verdacht auf Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff“ in Tateinheit mit Widerstand in vier Fällen. Dies war politisch und juristisch besonders bedeutsam, weil Sercem damit bundesweit als einer der ersten mit dem neuen so genannten „Bullenschubserparagraf“ konfrontiert war. Damit bestraft die Regierung Angriffe gegen Polizisten schwerer. Konkret: Es geht um den neuen Paragraf 114 StGB „Tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte“. Bei diesem neu kreierten Delikt ist eine Geldstrafe nicht mehr möglich. Wer einen Polizisten oder eine Polizistin auf Streifengang nur schubst, muss also schon mit einer Freiheitsstrafe rechnen – drei Monate Knast!! Mindestens sechs Monate Knast drohen, wenn mehrere Menschen gemeinsam Widerstand leisten oder wenn jemand ein „gefährliches Werkzeug“ dabeihat. Auf den Willen, dieses einzusetzen, kommt es gar nicht mehr an. Wer sich zum Beispiel bei einer Personenkontrolle losreißt – und damit Widerstand leistet – steht jetzt schon mit einem Bein im Knast! Dieses neue Sonderstrafrecht für PolizistInnen ist ein Tritt gegen das Knie der Versammlungsfreiheit, es bedeutet einen schweren Eingriff in die Demonstrations-, Kritik- und Protestkultur.

Ein Bündnis der Solidarität

Hier waren also nun Solidarität und gemeinsame Gegenwehr gefordert und so gründete sich in Nürnberg das Bündnis „Widerstand Mai 31 – Solidarität ist kein Verbrechen“. Für alle beteiligten Gruppen und Personen ist klar: Wo gemeinsam protestierende Menschen, die sich für das Richtige einsetzen, derart von der Polizei angegriffen werden, ist es absolut legitim, sich zu wehren. Die Solidarität gegen Abschiebungen am 31. Mai ist vorbildlich und nicht „kriminell“. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann versuchte, die Prostestierenden in „friedliche SchülerInnen“ und „gewaltbereite Linke“ zu spalten und den inhaftierten Sercem zum „Rädelsführer“ zu stilisieren. Dadurch sollte der gewalttätige Polizeieinsatz als notwendig und legitim dargestellt werden, da die Eskalation angeblich von den Protestierenden ausgegangen sei. Tatsache ist, dass dieses Vorgehen nur der Spaltung dienen sollte, um die breite Solidarität zu brechen.
Das Bündnis reagierte darauf mit Protesten, Kundgebungen, Öffentlichkeitsarbeit, einer Großdemo und einem erfolgreichen Konzert, um Kohle für die Repressionskosten zu erhalten. Zahlreiche Flyer wurden verteilt, um die Öffentlichkeit über den Fall aufzuklären. Die Rechtfertigung der Polizeigewalt ließen die AktivistInnen nicht durchgehen und wehrten sich erfolgreich gegen die Spaltungsversuche.

Das Ergebnis: eine Bewährungsstrafe

Im Oktober ist der Prozess gegen Sercem nun abgeschlossen, und zwar mit einer Strafe von zwei Jahren auf vier Jahre Bewährung und 450 Sozialstunden. Begleitet wurde er von rund 90 solidarischen Menschen. Wegen Absprachen, die der Richter im Vorfeld forciert hatte und einem erzwungen Geständnis des Angeklagten konnte allerdings der skandalöse Polizeieinsatz nicht aufgearbeitet werden. Das Vorgehen der BeamtInnen spielte gar keine Rolle. Von der Staatsanwaltschaft waren nur PolizeibeamtInnen und ein angeblicher Augenzeuge zur Belastung des jungen Aktivisten geladen. Das Vorgehen der Justiz macht deutlich, dass Sercem schon im Vorfeld verurteilt worden war und dass wieder einmal die Perspektive der Polizei unhinterfragt übernommen wurde. Weder die PfarrerInnen noch die Redakteurin oder andere ZeugInnen wurden gehört, die nach wie vor vehement der Darstellung des Innenministeriums widersprechen. So wurde verhindert, dass ein ganzheitliches Bild der Geschehnisse entstehen konnte. Die Anklagepunkte hätten in einen Bezugsrahmen gesetzt werden müssen. Und das war politisch nicht gewollt. Das Bündnis Mai 31 resümiert als Fazit: Im Rahmen dieser Vorverurteilung und der fünfmonatigen Untersuchungshaft wurde eine massive Drohkulisse aufgebaut. Damit ist das Geständnis des Angeklagten als Folge des starken Drucks zu werten. Er wurde letztlich vor die Wahl gestellt, lange in Haft zu bleiben oder unter widrigen Bedingungen frei zu kommen. Ohne eine als solche zu bezeichnende Beweisaufnahme, ohne die erschreckenden Bilder der Polizeigewalt, die Frage nach der Legitimität des Polizeieinsatzes oder gar der Abschiebung an sich, ging ein Prozess mit massiver politischer Sprengkraft über die Bühne.
Insgesamt betrachtet das Unterstützungsbündnis das Vorgehen als Farce. Aber für die AktivistInnen war der Prozess gegen Sercem erst der Anfang. Es gibt viel zu tun: Nach wie vor laufen Ermittlungen gegen 20 Menschen, die jetzt unterstützt werden müssen. Das Bündnis fordert deren sofortige Einstellung. Asef konnte zwar bisher in Deutschland bleiben, aber der Kampf um sein Bleiberecht ist noch nicht vorbei und muss fortgeführt werden. Demnächst muss auch er sich vor Gericht wegen angeblichem Widerstand verantworten. Dies ist besonders brisant: Ein Mensch, der seine eigene Abschiebung nicht einfach über sich ergehen lassen möchte und sich nicht damit abfinden will, in das Leben, aus dem er geflohen ist, zurück gezwungen zu werden, soll als Krimineller abgestempelt werden.
Längst sind auch wieder neue Abschiebeflüge nach Afghanistan gestartet, drohende Deportationen und auch die Repression gegen AktivistInnen gehen weiter. Und damit auch der Widerstand. Denn es ist klar: Das Verbrechen ist nicht der Widerstand, sondern die Abschiebepraxis als solche. Unsere Solidarität ist unsere stärkste Waffe, nutzen wir sie.

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