Kurze Anmerkungen zu Anne Reiches Buch „Auf der Spur“

Wolfgang

Anne ist eine Genossin, Jahrgang 1946, die nicht aufhört zu kämpfen. Sie hat ein Buch über unsere 50-jährige Widerstandsgeschichte verfasst. Auf nur 270 Seiten eine so lange Zeit abzuhandeln, von den sechziger Jahren bis heute, ist eine fast unlösbare Aufgabe. Weiterhin ist so eine langjährige Geschichtsaufarbeitung eigentlich nur kollektiv möglich. Unter diesen Bedingungen können all diese Ereignisse nur kurz angesprochen werden, Ungenauigkeiten und Verkürzungen sind so nicht ausgeschlossen.

Dazu einige Beispiele:

  • Es ging bei der DPA-Besetzung 1978 in Frankfurt durch Genoss*innen aus dem anti-Imperialistischen Widerstand, nicht nur um die lebensbedrohlichen Situation von Werner Hoppe, (Seite 173); sondern auch die von Karl-Heinz Dellwo aus der RAF, dessen Leben auch bedroht war.
  • So schreibt sie auf Seite 205: „Ich fand die Attentatspolitik (der RAF) verfehlt, technisch waren sie Profis geworden, politisch hatte es die Reaktion gestärkt.“

Generell wird von den Herrschenden immer versucht, militante Aktionen zu denunzieren. Klar fehlt oft die politische Initiative, die Aktionen zu vermitteln und damit auch möglichst breit zu diskutieren, aber das war nicht allein die Aufgabe der Guerilla. Erschwert wurde das durch die herrschende Klasse, genauer von der Bundesregierung bis hin zu NATO-Stäben, das möglichst nichts (politisch) Authentisches von der Guerilla öffentlich wurde. Bei unserer Gegenöffentlichkeit kam es immer wieder zu Repression, so wurden Schriften von und zu der RAF verboten und es gab auch Knast selbst für Solidarität gegen Isolationsfolter z.B. gegen Besucher*innen oder Anwälte. Die RAF verstand sich selbst als politisch-militärische Organisation, die politische Intention wurde aus den genannten Gründen nicht immer transparent.
Trotz aller Widersprüche und Fehler machten die Aktionen vielen Menschen Hoffnung, vor allem hier in den Metropolen und auch in der 3. Welt. Denn die Guerilla zeigte durch ihre Präsenz, trotz aller Überwachung und Unterdrückung, dass ein anderes Leben im Widerstand möglich war.
Seit langem haben sich in der BRD alle bewaffneten Gruppen aufgelöst, ist dadurch das Agieren der revolutionären Linken heute einfacher und besser geworden?
Nein, denn die Widersprüche, Schwierigkeiten und die teilweise Lähmung betrifft die gesamte widerständige Linke.

  • Im Juli 2017 gelang es, den G20-Gipfel der Herrschenden in Hamburg, der weiterhin dafür sorgt, dass 8 Menschen ebenso viel besitzen wie 3,7 Milliarden, durch zahlreiche unterschiedliche Aktionen und bis zu 100 000 Demonstrant*innen aus dem In- und Ausland zu stören und somit politisch als Ganzes in Frage zu stellen.

Die herrschende Klasse reagierte mit Hetze und Repression. Es wurden über 50 Menschen verhaftet.
Es gab inzwischen mehr als 60 Gerichtsverfahren, wovon sich die meisten Betroffenen aber unpolitisch verhalten haben. Sie belasteten zwar keine Anderen, aber machten Einlassungen zur eigenen Person, d. h. sie gaben ihre „Taten“ zu und einige von diesen bekunden auch noch Reue. So hat zwar der inhaftierte Ricardo aus dem Knast einen flammenden Text verfasst, (Seite 268), aber seinen Prozess hat er defensiv geführt, mit einem „Schuldeingeständnis“. Dieses Einknicken vor der Klassenjustiz wurde von den herrschenden Medien hämisch kommentiert und hat das offensive Verhalten gegen den Gipfel dadurch auch wieder in Frage gestellt.

Was hat das mit heute zu tun?

Diese 3 Beispiele zeigen die Mängel im Buch auf, denn so kurz angeschnitten, ist es zu oberflächlich, greift zu kurz.
Dieses Dilemma ist aber Ausdruck der momentanen Situation, in der wir uns alle befinden: In der Vereinzelung, wo z.B. 2 Personen sich schon als Gruppe bezeichnen! Das betrifft nicht nur ältere Genoss*innen, wo viele nicht mehr gesund oder schon tot sind. Es betrifft alle, die hier leben: Das kapitalistische System treibt und forciert die Vereinzelung auf allen Ebenen voran, um die Menschen besser ausbeuten zu können und Widerstand zu verunmöglichen.
Gegen die zunehmende Vereinsamung anzugehen, ist heute aktueller denn je, da alle Menschen davon betroffen sind, natürlich auch die radikale Linke.
„Auch in unserer Lage ist das aus der gesamten Situation, die gleiche Entscheidung, vor der alle Teile der revolutionären Linken stehen. Aus einem festgefahrenen Kräfteverhältnis die Defensive durchbrechen, die Suche, die Anläufe, den Willen in Kampf verwandeln (…). Für uns heißt das, von der Tatsache der Isolation auszugehen und auf die eigene Kraft zu vertrauen.” (Hungerstreikerklärung der Gefangenen aus der RAF von 1984)

Weiter zu dem Buch

Klar sind wohl einige Passagen und Kapitel diskutiert worden, wie die zur Hamburger Hafenstraße, aber das gesamte Buchprojekt bestimmt durchgängig nicht.
Trotz allem ist es eine lesbare Lektüre, da es nur wenige gibt, die sich überhaupt noch kämpferisch äußern.
Von den Herrschenden wird vieles von Koenen, Aust und Kraushaar vermittelt: Das ist Geheimdienst- und Bullenmaterial, mit der Intention jeglichen Aufbruch zu diffamieren und damit zu delegitimieren !!!
Das macht wahrscheinlich auch die Attraktivität des Buches aus, dass es aus der Sicht des Kampfes geschrieben worden ist. Da gibt es viel zu erzählen, sei es der Aufbruch 67/68, die Anfänge des Blues, aus der sich die Bewegung 2. Juni bildete, ihr Knastkampf mit der Annäherung an die Gefangenen aus RAF und die Besetzung der Häuser der Hafenstraße, was viele nicht erlebt haben.
Gut wird die Zeit in den sechziger Jahre geschildert und auch die Reaktion des Staates: Es gab nicht nur Repression und Ermordete wie Benno Ohnesorg und die Schüsse auf Rudi Dutschke, sondern auch die Integration durch Amnestie vor allem durch die SPD unter W. Brandt.
Die SPD hatte Amnestie… für „Demonstrationsdelikte“ angekündigt… Den Studenten sollte die bürgerliche Karriere nicht vermasselt werden, der akademische Nachwuchs sollte integriert werden. 5000 Strafverfahren wären damit nichtig.
Die Amnestie sollte nur für diejenige gelten, deren Strafe geringer war als neun Monte Gefängnis …
Die „Rädelsführer“, die mehr gekriegt hatten, sollten nicht amnestiert werden. Das Amnestiegesetz sollte auch den militanten Kern von der Bewegung … abspalten und für längere Zeit hinter Gittern isolieren.“ (Seite 49)
Das betraf z.B. Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die für 3 Jahre inhaftiert waren wegen 2 militanter Angriffe gegen Kaufhäuser wegen des Konsumterrors und des Vietnamkrieges.
„Die Militanten verstärkten ihre Aktionen und öffentliche Agitation. Aber der Zerfall der APO (Außerparlamentarische Opposition) war nicht mehr aufzuhalten“ (Seite 49)
Wir haben das ausführlicher gemacht, weil Repression und Integration immer noch 2 Seiten der Konterrevolution sind, auch heute immer noch!
Das Buch schildert zwar Geschichte, doch der Bezug zu heute wird von Anne immer wieder hergestellt bzw. kann auch von den Lesenden selbst hergestellt werden.

Auf der Spur
von Anne Reiche
274 Seiten | € 15,00
Klappenbroschur | 21 x 15 cm
Mit zahlreichen Illustrationen
ISBN 978-90-824465-2-4

Vertrieb:
Bestellwerk, Neu-Ulm,
digital@leibi.de, www.fair-bestellwerk.com