Vor 25 Jahren wurde Wolfgang Grams aus der RAF ermordet

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Hamburg

Wolfgang wurde am Sonntag, den 27. Juni 1993 auf dem Bahnhof in Bad Kleinen, als er schon verletzt auf dem Gleisbett lag, von einem GSG-9 Beamten in den Kopf geschossen, also ermordet. Es war also eine “Terroraktion von BAW, BKA und VS in Bad Kleinen, ausgeführt von ihren Killertruppen der GSG 9 und MEK.“ (RAF 6.7.93)
Die zum gleichen Zeitpunkt in Bad Kleinen verhaftete Birgit Hogefeld (von der RAF) wurde zu 18 Jahren Knast verurteilt und kam erst 2011 raus.
Da diese Hinrichtung im Gegensatz zu anderen Hinrichtungen von RAF-Militanten in Bad Kleinen quasi vor Publikum stattfand, gab es bürgerliche Zeug*innen, die das öffentlich bekundeten, so dass der damalige Bundesinnenmister Seiters und der Generalbundesanwalt Stahl zurücktreten mussten.
„Monitor“ und der „ Spiegel“ berichteten anfangs kritisch über diese Hintergründe.
Selbst in offiziellen Umfragen wurde von vielen Menschen aus der Bevölkerung die staatliche Version des angeblichen Selbstmordes von Wolfgang in Frage gestellt. Das von Wolfgangs Eltern angestrebte Verfahren gegen die Verantwortlichen aus dem Apparat wurde natürlich später eingestellt. 25 Jahre später monierte das „Hamburger Abendblatt“ vom 23./24.Juni 2018 immer noch diese damalige kritische Berichterstattung.

Steinmetz

Ermöglicht wurden die Festnahmen durch den Verrat von Klaus Steinmetz, der jahrelang als V-Mann mit den Bullen und Geheimdiensten zusammengearbeitet hat und es daher sein „Job“ war, bald 10 Jahre autonome und anti-imperialistische Zusammenhänge in Süddeutschland auszuspionieren, mit dem Ziel, Kontakt zu den Illegalen aus der RAF zu bekommen. Steinmetz war bei dem Treffen mit Birgit und Wolfgang in Bad Kleinen dabei und er wurde zum Schein selbst festgenommen und wieder freigelassen, um weiter schnüffeln zu können.
Birgit machte am 22.7. 93 in der TAZ den Verrat öffentlich, auch weil damals anfangs vor allem Genoss*innen aus Wiesbaden Steinmetz‘ Verhalten deckelten.

Repression und Widerstand

Nach der Staatschutzaktion am 27.6. in Bad Kleinen gab es diverse Hausdurchsuchungen und willkürliche, vorübergehende Festnahmen. Trotzdem gab es viele Solidaritätsaktionen, wie Knastkundgebungen, eine Trauerfeier anlässlich des Begräbnisses von Wolfgang, sowie am Samstag, den 10.7.93 eine Demonstration in Wiesbaden und einen Tag später am Sonntag eine Kundgebung in Bad Kleinen.
Im Vorfeld wurde die Demo und die Kundgebung massiv von der Presse angegriffen und somit kriminalisiert.

Die Demo am 10.7.93 in Wiesbaden

Die Kontrollen in Wiesbaden waren streng, Leute von auswärts wurden teilweise drei bis viermal kontrolliert und auf den Boden geschmissen; diverse Autos wurden registriert. Ein Kindergartenjubiläum wurde von den Pigs aus „Sicherheitsgründen“ abgesagt. An der Demo nahmen auch die Familie von Wolfgang und die Mutter von Birgit teil. Die Route führte auch an Orten vorbei, wo Birgit und Wolfgang lebten und verkehrten. Der Leiter der politischen Polizei der hiesigen Stadt, Neese, meinte mal zu Wolfgang: „Einer wie du gehört abgeknallt.“
Aus einem Beitrag von Genoss*innen aus Wiesbaden, die Wolfgang von früher kannten: „Er war nach der Erschießung von Willy Peter Stoll (von der RAF) 1978 als ‚Legaler‘ selbst ein halbes Jahr in Isolation gesperrt worden.“ Willy war in einem Düsseldorfer Restaurant beim Essen sitzend erschossen worden. Dazu schrieb Wolfgang aus dem Knast: „Die Liste derer, die im Kampf gegen diesen verfluchten Counter-Riesen ihr Leben lassen müssen, wird immer länger. Wer es wagt, die Waffe in die Hand zu nehmen,wird erschossen.“
Die Genoss*innen führen weiter aus: “Wie viele andere war er zutiefst beeindruckt vom Kampf des vietnamesischen Volkes. Ein kleines Volk, das es fertiggebracht hat, gegen den Riesen USA zu gewinnen damit der ganzen Welt gezeigt hat, wie viel möglich ist, wenn der Kampf entschlossen geführt wird. Die Vorstellung, hier genau so einen Kampf zu entwickeln, und die Vorstellung, dass aus der Roten Armee Fraktion eine Rote Armee entstehen soll, hat ihn völlig begeistert.“
Gisela Dutzi, eine ehemalige Gefangene aus der RAF stellte fest: „Dieser Staat verkörpert vor allem eine Kontinuität der Vernichtung. Was in Bad Kleinen vollzogen wurde, liegt auf derselben Linie, wie sie gegen die Gefangenen durchzogen wird. Das sind sie.“
Ricco Prauss, ein Gefangener aus dem anti-imperialistischen Widerstand schrieb an die Demoteilnehrmer*innen: „Entweder tot oder lebendig begraben, Wolfgang Grams ist tot. (…) Anders als bei Elisabeth van Dyck (von der RAF) im Mai 1979. Sie starb ‚aus Notwehr‘ durch einen Schuss in den Rücken, anders als bei Rolf Heissler (von der RAF) nur einen Monat später, er überlebte einen Kopfschuss. Beides waren auch ‚sorgfältige vorher geplante Festnahmeaktionen‘. Diesmal gibt es Zeugen.“
Auch Vreni Lauterbach, die Mutter von der damaligen Gefangenen aus der RAF, Heidi Schulz, hielt eine Rede: „Wir Angehörigen wissen ganz besonders, was es für die Gefangenen heißt, in den vielen, vielen Jahren unter unmenschlichen Haftbedingungen und Isolation die Kraft und die Stärke in ihrem Kampf nicht zu verlieren. Das gibt gerade den Müttern den Mut und die Kraft, ihnen in ihrem Kampf beizustehen, und mit den Gefangenen eins zu sein. (…) Wir wissen aber auch aus eigener Erfahrung, wie der gezielte Todesschuss immer vollzogen wurde. So wurde mir am 18.Oktober 1978 von 2 BKA Beamten (…) gesagt, dass meine Tochter wahrscheinlich noch vor Weihnachten tot sein werde. So etwas einer Mutter kaltblütig mitzuteilen, hat bei mir erst einmal einen tiefen Schock ausgelöst. Dass sie es mit dem gezielten Todesschuss ernst meinen, hat sich gezeigt. Michael Knoll (von der RAF) wurde von Polizisten in einem Wald von Dortmund durch sieben Kugeln getroffen und starb einige Tage später. Auch Günter Sonnenberg (von der RAF) wurde 1977 bei seiner Verhaftung von der Polizei durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt.“
Die vielen unterschiedlichen Beiträge zeigten die Breite der Solidarität: So gab es neben einem verlesenen Text der RAF auch einen Redebeitag des Antifaschisten Emil Carlebach von der VVN, der zu der starken Bullenpräsenz meinte: „Seit unserer Selbstbefreiung in Buchenwald, seit dem April 1945 war ich noch nie von so vielen uniformierten Bewaffneten umgeben wie heute!“
Auch warnte er vor diesem Staat, „der mit Riesenschritten auf eine neue Art des Faschismus zusteuert. Wir leben in einem Staat, der die jungen Männer zum Kanonenfutter machen will, um in Afrika oder auf dem Balkan oder sonstwo wieder mal neue Eroberungen zu machen.“
Die Antifa M. aus Göttingen führt in ihrer Rede aus: „Für den Repressionsapparat eines imperialistischen Staates wird der Feind immer links stehen. DIESER APPARAT IST NICHT REFORMIERBAR.“
Zu den Rücktritten von Seiters und Stahl meinte sie: „Ihr einziger Fehler war, dass sie sich und den blutigen Polizeieinsatzeinsatz lediglich schlecht verkaufen konnten. Doch mit dem Austausch der Spitze wird der Rest des polizeilichen Eisbergs nicht abtauen“
Auch gab es Beiträge von Roma und Sinti sowie von Flüchtlingen u.a.. Weiterhin Grußadressen verlesen von Genoss*innen aus Neapel, Kopenhagen, Oslo, Toronto, vom Movimento per la Liberacion National aus Puerto Rico, den Tupamaros aus Uruguay und von Revolutionären aus der Türkei, die auch eindrucksvoll die internationale Solidarität dokumentierten.

Kundgebung in Bad Kleinen

„Bad Kleinen selbst war von BGS und Bullen abgeriegelt, es gab Vorkontrollen, vier Leute wurden vorübergehend festgenommen. Die Kundgebung fand direkt auf dem Bahnsteig statt, auf dem Wolfgang hingerichtet wurde. Dort standen wir mit ca. 200 Leuten und Transparenten, während auf dem Vorplatz vom Bahnhof ca. noch mal so viele (…) standen.“ (So die Veranstalter*innen) Es wurden u.a. diverse Beiträge zu der Hinrichtung von Wolfgang und der Situation der politischen Gefangenen in der BRD gehalten.
„Nach eineinhalb Stunden wurde uns die Räumung angedroht und die Kundgebung von Bullen umstellt. (…) Neben unserem ent- und geschlossenen Verhalten verhinderte sicher auch die massive Präsenz der Presse (ca. 150 Leute) eine Eskalation. Viele hatten Blumen und Kerzen mitgebracht, die wir auf dem Gleis und der Gedenktafel niederlegten. Am 27. Juni 1993 wurde auf dem Bahnhof von Bad Kleinen unserer Freund und Genosse Wolfgang Grams ermordet. Wolfgang hat für ein menschenwürdiges Leben gekämpft und gegen die Verbrechen gegen den Imperialismus. Darin sind wir mit ihm verbunden. Freundinnen und Freunde. Bad Kleinen, 11.Juli 1993“ (So die Veranstalter*innen)

Fazit

Das war die letzte große gemeinsame Aktion des anti-imperialistischen Widerstands, die sich politisch an der RAF orientierten, anlässlich des Mordes an Wolfgang Grams. Drei Monate später kam es einer Spaltung zwischen einem großen Teil der politischen Gefangenen und der RAF, die sich auch auf die Zusammenhänge draußen auswirkte. Nach der Spaltung zogen sich viele aus militanten Gruppen und Einzelpersonen zurück, teilweise war das aber auch schon vorher geschehen, und die RAF löste sich 1998 auf.
Trotzdem waren noch bis 2011 Gefangene aus der RAF im Knast eingesperrt und es wird immer noch nach drei Genoss*innen seit den Neunzigern gefahndet, die wegen Guerillaaktionen gesucht werden.

Epilog

Wir wollen zum Schluss aus einer Rede von Günter Sonnenberg, einem ehemaligen Mitglied der RAF, zitieren, die er anlässlich des Begräbnisses von Wolfgang Grams gehalten hat: „Wir trauern um Wolfgang Grams. Wenn ich von „wir“ rede, will ich im Namen ehemaliger politischer Gefangenen sprechen, die in den letzten 23 Jahren in den Knästen der BRD durch Isolation und Vernichtungshaft gefoltert wurden. Wolfgang wurde deshalb in Bad Kleinen ermordet, weil er sich mit seinem ganzen Leben für Befreiung entschieden hat. Wolfgang ist einer von vielen, die mit dem System gebrochen haben und mit allen Konsequenzen für ein Leben in Würde und Souveränität für die Unterdückten und Ausgebeuteten dieser Erde gekämpft haben. Tausende sind für diesen Kampf auf der Welt bereits gestorben. Auch in der BRD ist die Liste der im Kampf um Befreiung Gefallenen lang. Am Grabe von Wolfgang will ich sie nicht auflisten. Mit unserer Geschichte, unserem Kampf und unseren Zielen sind wir ihm nahe. Wolfgang ist jetzt tot, aber er hat für das Leben gekämpft.“