Über das „Verschwindenlassen“

Bündnis gegen imperialistische Aggression

In Mexiko verschwinden Menschen. Von einem Tag auf den anderen sind sie weg. Keiner weiß wohin, weiß ob sie lebendig oder tot sind. Sie verschwinden, weil der Staat sie verschwinden lässt. Sie werden von staatlichen oder staatlich geführten Strukturen verschleppt, an geheim gehaltenen Orten arrestiert, gefoltert, ermordet und ihre toten Körper verscharrt. Ein aktueller und bekannter Fall ist das Verschwindenlassen des Menschenrechtlers, Anwalts und Rechtsprofessors an der Universität von Oaxaca Dr. Ernesto Sernas García.

Rechtliches

Das Verschwindenlassen wurde erst im Jahr 2002, durch das seinerzeit in Kraft tretende Rom-Statut, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Damit ist es eine Rechtsnorm für die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs. Das Rom-Statut definiert den Tatbestand des Verschindenlassens wie folgt:

„Zwangsweises Verschwindenlassen von Personen bedeutet die Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen; durchgeführt, unterstützt oder gebilligt durch einen Staat oder eine politische Organisation, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen.“

Mexikanische Realität

Aktuelles Beispiel ist, wie bereits erwähnt, das Verschwindenlassen von Dr. Ernesto Sernas García durch den alten mexikanischen Staat. Dr. García „verschwand“ am 10. Mai 2018. Es ist relativ offensichtlich, dass sein Verschwindenlassen in direktem Zusammenhang mit einem Fall steht, bei welchem er als Rechtsanwalt tätig war: Seit Juni 2015 gab es ein Verfahren, in welchem zweiundzwanzig angebliche Mitglieder der Organisation Corriente Sol Rojo (Strömung Rote Sonne) als Terroristen angeklagt waren und ihnen der Vorwurf gemacht wurde, dass sie Sprengstoff mit sich geführt hätten. Das Wirken von Dr. García trug maßgeblich dazu bei, dass der Fall am 6. November diesen Jahres mit einem Freispruch für die Angeklagten endete. Sein Verschwindenlassen fand just in dem Moment statt, als er die Beweise, die später zu den Freisprüchen führte, vorlegen wollte. Das Verfahren war geprägt von Ungereimtheiten von Seiten der Anklage, welche Dr. García offenlegte.
Durch seine Aktivitäten als Anwalt, als Streiter für die Rechte des Volkes und als Professor der Universidad Autónoma Benito Juárez de Oaxaca hat Dr. García den Rachedurst des heruntergekommenen alten mexikanischen Staates geweckt.
In einer Erklärung heißt es über Dr. García: „Der Genosse ist ein erprobter Kämpfer des Volkes. Er ist derjenige, der die angeblich führenden Genossen der revolutionären Bewegung Mexikos gegen den Vorwurf des „Terrorismus“ verteidigt hat. Er ist unter den tiefsten und breitesten Massen des mexikanischen Volkes, insbesondere in Oaxaca, bekannt als „unser Verteidiger“. Was dieser Genosse repräsentiert, auch wenn er ein Intellektueller ist, ist die Essenz des Kampfes der armen Bauern und Arbeiter Mexikos. Er ist Ausdruck des Kampfes der Massen, der einem großgrundbesitzer-bürokratischen Staat unter direktem Befehl des Yankeeimperialismus gegenübersteht, welcher einen offenen Krieg gegen das Volk führt. Gegen diesen Krieg stehen viele Kräfte, aber unter ihnen stechen die Genossen der Strömung Rote Sonne hervor.Der Genosse, der jetzt „verschwunden“ ist, ist der, der immer mit den Genossen stand, sie unter härtesten Bedingungen verteidigt hat.“
Ein weiterer Fall ist das Verschwindenlassen von 43 Studenten der Escuela Normal Rural „Raúl Isidro Burgos“, einer Hochschule für Grundschullehrer in Ayotzinapa (Guerrero, Mexiko), in Iguala am 26. September 2014. Die Studenten waren Teil einer nach Iguala gereisten Gruppe, die gegen die mexikanische Regierung protestierte. Auf dem Weg zu einer Kundgebung schritt die lokale Polizei ein und es kam zu Auseinandersetzungen. Dabei wurden bereits sechs Studenten von der Polizei erschossen. Die verhafteten Studenten wurden von der Polizei an das Drogen-Syndikat „Guerreros Unidos“ übergeben. Ein als „El Cepillo“ bekannter Auftragskiller aus dem Verbrecherkartell hat die Ermordung von mindestens 15 Studenten gestanden. Die jungen Leute seien ihm von Polizeichefs lebend übergeben worden und er habe sie mit Komplizen dann erschossen. Auch andere Bandenmitglieder haben die Ermordung und Verbrennung der Studenten eingeräumt.
In Reaktion auf das Verschwindenlassen der Studenten gab es im Jahr 2014 massive Proteste gegen den alten mexikanischen Staat, bei denen auch verschiedene Regierungsgebäude gestürmt und in Brand gesteckt sowie größere Kämpfe gegen Bullen auf den Straßen mehrerer Städte geführt wurden.
Tausende weitere sind in den vergangenen Jahren Opfer des Verschwindenlassens geworden, durch die halb-staatlichen Drogenkartelle oder direkt durch „Sicherheitskräfte“ des mexikanischen Staates.
Die revolutionären Kräfte in Mexiko nutzen in Kampagnen gegen das Verschwindenlassen die Parole, die sich schon beim Verschwindenlassen der 43 Studenten etabliert hat: „Lebendig habt ihr sie genommen, lebendig wollen wir sie zurück!“. Darin ist enthalten, dass bis der alte Staat zugegeben hat, die Verschwundengelassenen ermordet zu haben, er das Gegenteil beweisen muss, indem er sie lebendig präsentiert.

Die Yankees

Der Mastermind hinter dem Verschwindenlassen als Teil der psychologischen Kriegsführung ist der Yankee-Imperialismus, namentlich die CIA. Diese entwickelt(e) verschiedene Taktiken zur Bekämpfung von in irgendeiner Form unliebsamen Organisationen, Bewegungen oder Einzelpersonen. Sie nennen es Krieg der niedrigen Intensität. Eines der Handbücher dazu trägt den Titel „Psychological Operations in Guerilla Warfare“ – es wurde für die Contras (als „Guerilla“ gegen die Sandinisten) in Nicaragua entwickelt und dort zuerst verbreitet.
Im Vorwort heißt es über psychologische Kriegsführung: „Der Guerilla-Krieg ist in insbesondere ein politischer Krieg. Daher überschreitet der Bereich seiner Operationen die territorialen Grenzen konventioneller Kriegsführung, um die politische Entität selbst zu treffen: Das „politische Tier“, welches Aristoteles definierte.
In der Tat sollte der Mensch als vorrangiges Ziel eines politischen Krieges betrachtet werden. Als militärisches Ziel des Guerillakrieges hat der Mensch seinen kritischsten Punkt in seinem Kopf. Sobald sein Verstand erreicht ist, wurde das „politische Tier“ besiegt, ohne notwendigerweise Kugeln zu erhalten.“
An anderer Stelle, im Handbuch „Counter Insurgency Operations“, heißt es sehr explizit:
„Eine militärische Operation allein hat niemals bewiesen, dass sie den Widerstand einer Guerilla bedeutender Art auslöschen kann.“
Und weiter: „Die Mehrheit der Regierungsoperationen kann in eine oder mehrere der folgenden allgemeinen Kategorien eingeteilt werden: […] (h) Terroroperationen“: Ein Teil dieses auch “PsyOps” genannten weißen Terrors ist das Verschwindenlassen. Das Verschwindenlassen ist essentieller Bestandteil der Ausbildung am Western Hemisphere Institute for Security Cooperation, besser bekannt unter dem bis 2001 geführten Namen School of the Americas, in der unter anderen Massenmördern auch der Chef des peruanischen Geheimdienstes und Verantwortlicher für das Todesschwadron „Grupo Colina“ – verantwortlich für mehrere Massaker – von 1990 bis 2000, Vladimiro Montesinos ausgebildet wurde.
Aktuell wird den USA selbst Verschwindenlassen u.a. von Amnesty International in deren Bericht „Off the Record“ vorgeworfen. Dabei handelt es sich um das Verschwindenlassen von 39 Personen im sogenannten „Krieg gegen den Terror“. Die Yankees bedienen sich also ganz unverhohlen weiter dieser Methoden. Augenfällig, dass auch die Marionetten der Yankees, insbesondere in Lateinamerika, durch die Yankees selbst als deren Hinterhof erklärt, dies tun.

Leben retten

Öffentlicher Druck auf die Verantwortlichen ist in der Lage das Schicksal von Verschleppten abzuwenden. Im Fall von Dr. García hat u.a. der Präsident des Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE), Antonín Mokrý, interveniert. Am 17. August 2018 schrieb dieser einen Brief an den Präsident Mexikos, Enrique Peña Nieto:

„Sein [Dr. Garcías] Verschwinden hängt mit seiner legitimen Tätigkeit als Menschenrechtsanwalt zusammen“ … „fordern Eure Exzellenz auf, unverzüglich eine gründliche und unparteiische Untersuchung des Verschwindens von Dr. Ernesto Sernas García durchzuführen, um seine Freilassung und seinen Schutz zu gewährleisten und die Verantwortlichen nach internationalen Standards vor Gericht zu stellen.“
Mokrý fordert in seinem Brief weiter „Beachtung der Grundprinzipien der Vereinten Nationen für die Rolle der Rechtsanwälte …, insbesondere der Grundsätze 16 und 17 über Garantien für die Arbeit von Rechtsanwälten.“
In einer Erklärung von Genossen aus der BRD wird korrekter Weise konstatiert: „Die Verteidigung von Genosse Ernesto Sernas García ist die Verteidigung der mexikanischen Revolution. […] die Verteidigung der armen Bauern Mexikos, des Proletariats Mexikos, von allen Totengräbern des Yankeeimperialismus, die dort geschmiedet werden.

Die Aufgabe ist einfach: Handeln, Genossen!“