Türkei: 200 Jahre Besuchsverbot

Zeitung Cumhuriyet

Die Gefängnisleitung hat Sevcan Adıgüzel eine Strafe für ihren Protest gegen Insassen-Zählungen und Bücherbeschränkung auferlegt.

Die Grup Yorum Mitglieder und Schwestern Sevcan (24, Bolu T-Typ Gefängnis) und Seher Adıgüzel (19, Sakran Gefängnis) sind seit fast einem Jahr im Gefängnis.
Ihre Mutter befindet sich in Deutschland im Gefängnis. In ihrem Brief an unsere Zeitung schreibt Sevcan Adıgüzel: „Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich habe meine Eltern von klein auf bei allen Kundgebungen und Demonstrationen gegen Rassismus begleitet. Seit 4 Jahren lebe ich nun in meiner Heimat, in der Türkei. 3 mal wurde ich verhaftet und saß insgesamt 3 Jahre im Gefängnis. Aufgrund des Ausnahmezustands habe ich 1 Jahr lang keine Besuche bekommen. Nach der Aufhebung des Ausnahmezustands habe ich 3 Freunde als Besucher eingetragen, aber auch das hatte keine Bedeutung. Weil ich gegen die Zählung im Stehen und die Begrenzung der Bücher protestiert habe, habe ich ein 200-jähriges Besuchsverbot bekommen.“

„Wir haben Polizeigewalt erlebt“

Adıgüzel, die vor einem Jahr verhaftet wurde, sowie ihre Schwester, die einen Monat später verhaftet wurde, wuchsen in einer Familie auf, die revolutionäre Werte verteidigte. Adıgüzel erzählt von ihrer Teilnahme an der Anti-NSU-Kampagne, bei der sie erst 16 Jahre alt war. „Zusammen mit meiner Mutter Latife-Cenan Adıgüzel, damals Vorsitzende der anatolischen Föderation, die sich für die Rechte von Migranten einsetzt und sich gegen Rassismus organisiert, haben wir in verschiedenen Städten Deutschlands bei Demonstrationen und Kundgebungen gegen Nazis und Rassismus Polizeigewalt erlebt. Zwei Monate nach diesen Ereignissen wurde unsere Wohnung und unser Kiosk von Deutschen Polizisten gestürmt. Meine Mutter wurde dabei verhaftet. Die Vorwürfe, die am 28.Juni 2013 verlesen wurden, lauteten: Organisieren von Protesten gegen den Verfassungsschutz und Teilnahme und Unterstützung von Demonstrationen mit Bezug auf den Gezi Aufstand. Ich bin 2014 in die Türkei ausgewandert. Auch dort wurde ich von Anfang an mit Polizeigewalt konfrontiert.“

„Wir haben nicht geschwiegen“

Adıgüzel, die erzählt, dass ihre Mutter unter Diabetes, hohem Blutdruck und Rheuma und ihr Vater unter Herzproblemen leidet, führt fort: Das einzige Familienmitglied, das nicht inhaftiert ist, ist mein Vater. Wir sind mit den Liedern von Livaneli, Akbayram und Grup Yorum aufgewachsen. Wir haben gelernt zu teilen und zu vertrauen. Gerechtigkeit, Würde und Liebe wurden mir von meiner Familie gezeigt. Ich bin mit den Gedichten von Nazim Hikmet aufgewachsen. Ich habe nicht an die Kraft von Geld und Ausbeutung, sondern an die Kraft von Gleichheit, Arbeit und Schweiß geglaubt. Wir sind eine Familie, die immer gegen Ungerechtigkeit gekämpft hat. Wir haben nicht schweigend dagesessen. Unsere Familie besteht nicht nur aus 4 Mitgliedern. Sie können uns weder mit Folter, noch mit Verhaftungen klein kriegen. Was uns bei Kräften hält ist unsere Überzeugung davon, dass wir im Recht sind, die Liebe zu unserem Volk und zu unserer Heimat.