Prozess um die Stadt

Es fand am 04. November 2016 in Zürich ein Prozess gegen einen Genossen statt, dem die Wiederaneignung des öffentlichen Raums in Zürich vorgeworfen wird. Im Rahmen des Verfahrens wurde seitens des Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von 8 Monaten ohne Bewährung gefordert. Dies konnte im Prozess abgewendet werden und in eine Geldstrafe umgewandelt. Wir hatten die Möglichkeit, nach dem Prozess mit dem Genossen ein Interview zu führen.

Was wurde dir im Prozess genau vorgeworfen?

Die Delikte, die mir vorgeworfen wurden, haben mit dem Kampf gegen Stadtaufwertung in Zürich zu tun. In verschiedenen Aktionen hat man sich den öffentlichen Raum angeeignet, um den Widerstand gegen die kapitalistische Stadtentwicklung voranzutreiben. Darunter gab es politische Besetzungen, wo es Veranstaltungen zu diversen Themen gab, aber auch Besetzungen, um Solipartys zu machen.
Die für mich geforderte Strafe richtete sich unserer Meinung nach nicht primär gegen meine Person, sondern sollte alle, die sich am Kampf um die Stadt beteiligen, abschrecken. Das zeigte sich auch daran, dass die Staatsanwaltschaft kaum Interesse an meinem Mobiltelefon oder so hatte. Es ging nur um das Signal nach aussen, nicht um eine fundierte Ermittlung.

Die Mobilisierung zu dem Prozess lief unter dem Motto „Prozess um die Stadt“. Es gab eine Solidaritätswoche und auch international einige Aktivitäten. Wie sah die Kampagne aus? Wie bewertet ihr die Kampagne und was für Erfahrungen konntet ihr dabei sammeln?

Wir hatten mit der Kampagne verschiedene Ziele. Es ging sicher darum, ein Zeichen zu setzen, dass man sich für solche Aktionen nicht zu entschuldigen hat. Was interessiert uns ihr Recht, woher nehmen sie die Legitimität, über solche Fälle zu urteilen? Der Prozess ging gut aus, Klassenjustiz ist es trotzdem. Da muss man sich nichts vormachen, das herrschende Recht ist das Recht der Herrschenden.
Ein anderes Ziel der Kampagne war es, die verschiedenen Kräfte, die sich in Zürich gegen die „Stadtaufwertung“ bewegen, zusammenzubringen, und gemeinsam zu schauen, was man in Zukunft machen kann. Es gab im Vorfeld des Prozesses eine Veranstaltung mit anarchistischen GenossInnen aus Italien, die über ihren Umgang mit Formen der Repression, wie Meldeauflagen oder Hausarrest, berichteten.
Und wir hoffen natürlich, dass die Arbeit gegen die Gentrifizierung erst recht weitergeht. Nur weil der Prozess vorerst vorbei ist, heisst das nicht, dass jetzt alles ok ist. Die Aufwertung von oben läuft weiter. Wir müssen verschiedenes ausprobieren, Erfahrungen in der Auseinandersetzung machen und uns darüber austauschen. Das geht alle was an, die in der Stadt Politik machen, da wollen wir mit Leuten aus verschiedenen politischen Tendenzen zusammenarbeiten.

Gerade in Zeiten der verstärkten Gentrifizierung und des Ausverkaufs der Stadt nimmt ja die Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum stetig zu. Kannst du noch etwas zur Bedeutung des öffentlichen Raums für die politische Arbeit sagen auch zur spezifischen Situation in Zürich?

Der öffentliche Raum widerspiegelt das jeweilige Resultat der verschiedenen Klassenkämpfe und macht das aktuelle Kräfteverhältnis sichtbar. Er ist ein umkämpfter Raum, den wir mit unseren Inhalten füllen möchten, weil er für uns der räumliche Bezugspunkt für revolutionäre Gegenmacht darstellt. Nur über den öffentlichen Raum können die verschiedenen Klassenkämpfe verknüpft werden, dort wird das konkret und wahrnehmbar. In Zürich beobachten wir ähnliche Tendenzen wie in anderen grösseren Städten. Verstärkte Überwachung, Verdrängung von gewissen Gruppen aus aufzuwertenden Quartieren, mehr Polizeipräsenz, Luxusbauten… Die Phänomene sind ja bekannt, doch was dagegen zu tun ist, das ist noch nicht so klar. Es gibt viele Parallelen, genauso wichtig ist es, die Unterschiede auszumachen und so zu lernen. Die Aufwertung ist ein dynamischer, nicht linearer Prozess. Wir sind heute hier sicher nicht die stärkere Seite in dieser Auseinandersetzung, aber zugleich sind wir auch nicht so mittellos, wie man manchmal denkt.

Der Kampf um den öffentlichen Raum ist ja ein internationales Thema. Wie könnte eine Verknüpfung auf internationaler Ebene aussehen?

Eben, was man in Zürich sieht, das ist in anderen Städten nicht anders. Dieser globale Konkurrenzkampf zwischen den Städten darüber, wer zur „global city“ wird und wer nicht, läuft schon länger. Das eröffnet sofort Möglichkeiten des Austauschs, was habt ihr bei euch gemacht, was sind unsere Erfahrungen. Es ist zudem enorm wichtig, positive Bezugspunkte zu haben. Es ist immer wieder aufs Neue eindrücklich, wenn man sieht, wie besetzte Häuser entschlossen verteidigt werden oder wie es Initiativen gibt, um Zwangsräumungen zu verhindern. Oft setzt sich am Ende trotzdem der Staat durch, aber nun schon das Zeichen, dass man nicht alles akzeptieren muss, ist enorm wertvoll und gibt Hoffnung.

Die RHI hat ja eine Kampagne zur Verteidigung des Widerstands auf der Straße lanciert, was ja in verallgemeinerter Form in die gleiche Kerbe schlägt. Kannst du die Kampagne noch kurz umreißen?

Naja, seitdem 2008 die politische und ökonomische Krisenhaftigkeit des Kapitalismus auch in westlichen Ländern wieder fassbar wurde, gab es die zu beobachtende Tendenz auf Seiten der Repressionsbehörden, dass es einen Ausbau der Mittel im Kampf gegen Massenaktionen gab. Gemeint sind Sachen wie unbewilligte Demonstrationen, militante Aktionen, halt Sachen, die nicht unbedingt viel Vorbereitung erfordern und zu denen man verhältnismässig schnell einen Zugang finden kann. Vorauseilend scheint es da Debatten unter den europäischen Behörden gegeben zu haben, wie man mit dem umgeht.
In der Schweiz gab es seither zum Beispiel eine interessante Häufung von Verurteilungen wegen Landfriedensbruch. Es ist zugegeben immer heikel, aufgrund von wenigen Fällen auf allgemeine Tendenzen zu schliessen, aber der Zeitpunkt passt ziemlich gut. Landfriedensbruch ist ein ziemlicher Gummiparagraph, der vom Staat nach Lust und Laune verwendet werden kann. Auch Formen der Repression wie Meldeauflagen oder Hausarrest passen hier rein, wie eben in Italien. Stell dir vor man müsste alle in den Knast stecken, die mal bei einer nicht angekündigten Demonstration mitliefen! So viele Knäste hat kaum ein Land, also braucht es andere, neuere Formen der Repression. Auf den ersten Blick mag es angenehmer sein, nicht in den Knast zu müssen, zugleich wird es enorm schwierig, weil man sich selber gewissermassen disziplinieren soll. Die Tür zur eigenen Wohnung ist ja nicht abgeschlossen, man darf bloss nicht durch sie rausschreiten.
Von daher passte auch mein Prozess gut zu diesem Thema, eine Hausbesetzung ist jetzt nicht die höchste Spitze der politischen Militanz, dennoch wollte die Staatsanwaltschaft so tun, als ob. Ich glaube es ist wichtig, die politischen Dimensionen jedes Prozesses, sei er auch noch so „klein“, wahrzunehmen, sich zu überlegen, wie man damit umgehen will, und im besten Fall diese Themen selber politisch aufzugreifen. Ansonsten überlässt man das Feld nur der Gegenseite.

Vielen Dank für das Interview.