OUTLAW – Debattenbeitrag zu offensiven Prozessstrategien

In Berlin ist im Mai diesen Jahres die Broschüre „Outlaw“ erschienen. Wir drucken an dieser Stelle das Broschüren-Vorwort „Unsere Gedanken zu Repression, Knast und offensiven Prozessstrategien“ sowie das Inhaltsverzeichnis ab. Weitere Infos findet Ihr unter freethemall.noblogs.org (Red.)

Im Mai letzten Jahres haben unterschiedliche Zusammenhänge Veranstaltungen rund um das Thema Repression organisiert. In dieser Broschüre werden drei dieser Veranstaltungen dokumentiert und die Diskussionen, die in deren Rahmen stattfanden, wiedergegeben.
Die Texte spiegeln nicht immer die Meinung der Veranstalter*innen wider, es ist uns jedoch wichtig den Prozess darzustellen und einen Beitrag zu einer Debatte zu leisten, die kontrovers geführt wurde und so weiter geführt werden sollte.
Die drei Veranstaltungen hatten unterschiedliche Schwerpunkte. In der ersten ging es um den, zu dem Zeitpunkt Gefangenen, Nero und um seine Prozessstrategie sowie die Soliarbeit. Die zweite Veranstaltung befasste sich mit Deals und Einlassungen und legte den Schwerpunkt auf aktuelle Prozessstrategien und den Umgang mit Repression. Bei der letzten Veranstaltung gab es im Gegensatz zu den anderen eine langfristige Vorbereitung, da versucht wurde anhand eines konkreten Strafbefehls, einen Diskussionsprozess zum Umgang mit individualisierter Repression zu führen.
Wir wollen das Vorwort und das Fazit nutzen, um unsere Positionen zu der Thematik darzulegen.
Wir lehnen es ab Deals einzugehen, Einlassungen zu machen, Reue zu zeigen oder gar „Entschuldigung“ zu sagen, da wir gegen das Konstrukt von Schuld und Unschuld sind und dies den Herrschenden überlassen.
Denn sobald wir uns dazu herablassen, uns mit der eigenen Schuldfrage auseinanderzusetzen, sind wir schon Teil dieser Logik.
Wir können auf unterschiedlichen Ebenen Verantwortung für Taten und Ideen übernehmen. Vor Gericht können wir beispielsweise mit einer politischen Erklärung, ohne ein Geständnis abzulegen und eine Schuld anzuerkennen, unsere Positionen vertreten.
Jenseits des staatlichen Rahmens übernehmen wir Verantwortung, indem wir uns mit allen, die unsere Ideen teilen, solidarisch erklären und eine Komplizenschaft eingehen.
Es ist wichtig unser Handeln im Repressionsfall zu reflektieren, damit wir die Deutungshoheit unserer Taten zurückerlangen. Dabei ist es irrelevant, um welche Aktionsformen es sich handelt, grundlegend ist ein bewusstes Agieren, mit allen dazugehörigen Konsequenzen, welches man vor sich und den Gefährt*innen verantworten kann.
Ein Ziel von Repression ist immer Abschreckung: die eine Person ist betroffen und du könntest die nächste sein. Offensive Soliarbeit wird oft als kontraproduktiv betrachtet, um schnell und unspektakulär rauszukommen. Das hört nicht nach der konkreten Festnahme auf, sondern setzt sich in der Art, wie die Prozesse geführt werden, fort: In Einlassungen, Aussagen, Reue, Alibis und Ausreden. Diese Art von Reaktion auf Repression basiert auf der Annahme, dass auch nicht so viel passieren kann, wenn man für seine politischen Taten keine Verantwortung übernimmt. Die Hoffnung, dass dieses reaktionäre, passive Handeln für uns funktional ist, beruht nur auf dem Vertrauen in den Staat.
Wir meinen, dies ist zu kurz gedacht. Beispielsweise habe ich eine Anzeige wegen Vermummung und gehe deswegen nicht mehr zur Demo oder eine wegen Landfriedensbruch und komme auf drei, vier Jahre Bewährung raus und muss mich dann an bestimmte, vom Staat vorgegebene, Regeln halten, sonst gibt es den Bewährungswiderruf und es geht zurück in den Knast.
Für uns ist Knast ein Kampfgebiet, der Prozesssaal ist ein Kampfgebiet, so wie die entfremdete Arbeit oder der tote sinnentleerte Alltag, den uns dieses System bietet. Im Knast und im Prozess hört das Leben nicht auf – es ist vielleicht anders, schwieriger und setzt neue Herausforderungen…
Mit den Veranstaltungen wollten wir Handlungsoptionen diskutieren, wie wir möglichst kollektiv unsere Haltung wahren und weiterhin handlungsfähig sein können, ohne mit dem Staat und seinen Schergen zu kooperieren.
Leider haben sich viele Personen und Zusammenhänge von einer offensiven, politischen Prozessführung- und begleitung immer weiter entfernt. Wir fragen uns warum und fordern eine weitergehende und breitere Diskussion darüber ein. Solange es Widerstand und Revolten gibt, wird der Staat immer mit all seinen Mitteln darauf reagieren. Diese Mittel wurden aufgrund technischer Möglichkeiten und Gesetzesänderungen erweitert und wir müssen uns diesen neuen Herausforderungen stellen.
Widerstand sollte keine Spielwiese und das Gericht kein Einkaufsladen für Deals und Einlassungen sein. Wenn wir von unseren Ideen und Aktionen überzeugt sind, müssen wir auch mögliche Konsequenzen, im schlimmsten Fall Flucht, Knast oder Tod, in unsere Kämpfe einbeziehen.
Für eine Bewegung, die sich ernst nimmt, sollte klar sein, dass sie mit Menschen, die verhaftet werden, mit Verfahren überzogen werden oder in den Knast kommen, solidarisch ist. Solidarität sollte offensiv sein, denn es ist relevant, dass unsere Kämpfe innerhalb und ausserhalb der Knäste weitergeführt werden.
Eine Bewegung, die sich nicht um ihre Gefangenen kümmert, ist schon lange tot!

Inhalt der Broschüre

2 – Vorwort: Unsere Gedanken zu Repression, Knast und offensiven Prozessstrategien

3 – Die Prozessstrategie im Fall Nero… … und was wir daraus lernen können

6 – Wir müssen reden… … aber nicht mit dem Staat

13 – Ein Plakat und seine Folgen… … den öffentlichen Frieden stören

23 – Links