Münchner Kommunistenprozess: Feindstrafrecht gegen Mehmet Yeşilçalı

OLG München lehnt Haftverschonung trotz massiver Gesundheitsprobleme ab

Rechtsanwalt Ulrich von Klinggraäff

Seit Juni 2016 ist vor dem OLG München gegen 10 Angeklagte das Verfahren nach § 129 b StGB anhängig. Es handelt sich um das größte Verfahren gegen Kommunisten in der BRD seit Jahrzehnten. Die Angeklagten und ihre Verteidiger haben das Verfahren zu Recht als Auftragsarbeit der Bundesanwaltschaft für das Erdogan-Regime in der Türkei bezeichnet.
Nun, nach über einem Jahr Verhandlungsdauer, wird der Gesundheitszustand des Angeklagten Mehmet Yeşilçalı immer besorgniserregender.
Seit langem ist bekannt, dass Mehmet unter massiven psychischen Problemen leidet. Ursache dieser Krankheit ist die jahrelange Haft in der Türkei unter Begleitung von schwerer Folter. Bereits vor seiner Festnahme im April 2015 befand sich Mehmet deshalb in psychotherapeutischer Behandlung in der Schweiz. Dort lebte er bis zu seiner Festnahme mit seiner Familie als Asylberechtigter.
Bis zu seiner Auslieferung an die BRD im März 2016 waren die Haftbedingungen für ihn noch erträglich. Insbesondere konnte ihn seine Familie regelmäßig und ohne schikanöse Behandlung besuchen. Dies hat sich seit seiner Verlegung in die JVA München-Stadelheim deutlich verändert. Seitdem unterliegt Mehmet den besonderen Haftbedingungen, die bei Verfahren nach den §§ 129 a und b gelten. Hierzu gehört, dass die Besuche von Polizeibeamten überwacht werden und hinter Trennscheiben stattfinden.
Die isolierenden Haftbedingungen verbunden mit schweren Menschenrechtsverletzungen durch Mitarbeiter der JVA haben seitdem zu einer dramatischen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
Eine von der Verteidigung in Auftrag gegebene Stellungnahme einer Fachärztin der auf Folteropfer spezialisierten Einrichtung „Refugio“ aus München hat ergeben, dass Mehmet unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer schweren Depression leidet. Ohne eine traumatherapeutische Behandlung außerhalb der Haft sei mit einer weiteren akuten Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu rechnen. Die isolierenden Haftbedingungen würden bei Mehmet zu einer weiteren fortgesetzten Retraumatisierung führen.
Eine besondere Verschärfung der gesundheitlichen Situation trat bei Mehmet seit dem 9.Dezember 2016 ein. An diesem Tage wurde er auf Veranlassung einer Knast-Ärztin unter massiver Gewaltanwendung von mehreren Justizbeamten in eine Zelle im Keller der JVA geschleppt und dort u.a. unter Verabreichung eines Schlages in die Magengrube nackt ausgezogen. In diesem Zustand musste er fast 24 Stunden in der „Absonderungszelle“ verbringen. Mehmet hat sich gegen diese Misshandlungen mit passivem Widerstand und dem Rufen von Parolen gewehrt. Die Erinnerungen an die Foltererfahrungen in den türkischen Knästen sind seitdem bei ihm erneut stark aufgebrochen.
Mehmet verweigert seitdem jegliche Behandlung durch die Ärzte der JVA.
Im Zusammenhang mit einer juristischen Untersuchung des Vorfalles vom 9. Dezemberkonnte festgestellt werden, dass das OLG München sich einseitig als Interessensvertreter der JVA versteht. Jede Art von Fehlverhalten der Anstaltsärztin und der JVA-Mitarbeiter wurde verneint und Mehmet für die Misshandlungen selbst verantwortlich gemacht. Während die offensichtlichen Lügen der JVA-Mitarbeiter nicht hinterfragt wurden, werden gleichzeitig die Angaben von Mehmet bezweifelt.
Aufgrund des sich dramatisch verschlechternden Gesundheitszustandes beantragten die Verteidiger von Mehmet am 21. März 2017, dass ihr Mandant sofort aus der Untersuchungshaft entlassen wird.
Dabei konnte eine Bestätigung von „Refugio“ vorgelegt werden, dass Mehmet im Falle seiner Haftentlassung dort sofort eine Therapie beginnen könnte.
Noch bevor hierzu eine gerichtliche Entscheidung ergangen ist, hat sich das Gericht hinter dem Rücken der Verteidigung mit dem Vertreter der Bundesanwaltschaft zusammengesetzt. Über eine spätere Akteneinsicht konnte in Erfahrung gebracht werden, dass in diesem Gespräch vereinbart wurde, dass der Bundesanwalt den Verteidigern folgenden Deal vorschlagen sollte: für den Fall eines umfassenden Geständnisses sollte Mehmet eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren zugesichert werden. Angesichts der Tatsache, dass sich Mehmet zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 2 Jahre in Haft befunden hat, wäre damit für ihn eine unmittelbare Perspektive auf eine sofortige Entlassung aus der Untersuchungshaft verbunden gewesen.
Mehmet hat dieses gerichtliche Vorgehen als das zurückgewiesen, was es ist: ein schäbiger Versuch, seine Krankheit für eine Geständniserpressung auszunutzen. Sein Leiden unter den Haftbedingungen sollte ihn dazu bringen, mit dem Gericht zu kooperieren und seinen Widerstand zu brechen.
Spätestens seit diesem Vorfall ist deutlich geworden, dass das Gericht Mehmet gegenüber feindlich eingestellt ist und ein faires Verfahren von diesem Gericht nicht zu erwarten ist.
In diese Einschätzung passt auch die Tatsache, dass das Gericht am 22. Mai 2017 eine Haftentlassung abgelehnt hat. Und dies, obwohl ein vom Gericht angefordertes weiteres Gutachten die schwere psychische Krankheit bei Mehmet bestätigt hat. Das Gericht stellt sich auf den Standpunkt, dass die Risiken für eine weitere Gesundheitsschädigung dadurch kontrollieren ließen, dass Herr Yesilcali in der Haft therapiert wird. Mit dieser Entscheidung stellt sich das OLG München gegen die einhellige Meinung von sämtlichen Experten auf dem Gebiet der Traumatherapie. Danach kann in den Fällen, in denen die posttraumatische Belastungsstörung auf haftbedingten Erfahrungen beruht, eine erfolgreiche Therapie nur außerhalb der Haft stattfinden.
Mit seiner Entscheidung spielt das OLG München auf unverantwortliche Art und Weise mit der Gesundheit von Mehmet.
Seit Mai 2017 hat sich sein Gesundheitszustand noch weiter verschlechtert.
Von der Gerichtssachverständigen für notwendig erachtete Verbesserungen innerhalb der Haft werden nur völlig unzureichend umgesetzt. Weiterhin leidet Mehmet massiv unter den isolierenden Haftbedingungen und unter schikanöser Behandlung durch JVA-Mitarbeiter.
Eine weitere Stellungnahme der Vertrauenstherapeutin von „Refugio“ vom 4. August 2017 legt dar, dass das Risiko einer lebensbedrohlichen Komplikation beziehungsweise schwerster gesundheitlicher Schäden mittlerweile nicht mehr beherrschbar sei.
Am 11. August 2017 hat die Verteidigung daraufhin einen weiteren Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls gestellt. Eine Entscheidung über diesen Antrag liegt noch nicht vor.

Die Öffentlichkeit ist aufgerufen, sich mit Mehmet zu solidarisieren und gegen seine Haftfortdauer zu protestieren.

Mehmet Yeşilçalı muss sofort aus der Haft entlassen werden!