Interview mit dem Grup Yorum Solidaritäts-Komitee Deutschland

Redaktion

Was für einen Zweck soll der lange Marsch bewirken?

Eylem E.: Wir als Grup Yorum Solidaritätskomitee Deutschland haben einen 18-tägigen langen Marsch in Deutschland geplant. Dieser Marsch wird vom 29. November bis zum 16. Dezember 2019 dauern. Die Städte, die wir besuchen werden, sind Köln, Wuppertal, Duisburg, Dortmund, Bremen, Berlin, Hamburg, Magdeburg, Nürnberg, München, Augsburg, Ulm, Stuttgart, Mannheim und Frankfurt. Wir haben diesen langen Marsch organisiert, um den Menschen über Grup Yorum, Mustafa Koçak und den Anwälten des Volkes zu erzählen. In den Städten werden wir auch Institutionen, Geschäfte und Läden besuchen, Kundgebungen und Infostände organisieren und Flyer verteilen, um sie alle über die derzeitige Situation in der Türkei zu informieren.
Der Zweck des langen Marsch ist es, Öffentlichkeit zu schaffen für Mustafa Koçak, der im Todesfasten ist, für Grup Yorum, die sich seit über 200 Tagen im unbefristeten Hungerstreik befinden und für die Rechtsanwälte des Volkes. Wir wollen somit die Medienzensur des Faschismus in der Türkei zu brechen. Die poltische Situation in der Türkei war noch nie zuvor drastischer. Der Faschismus greift mittlerweile überall und jeden an, doch vor allem wurden Revolutionäre und Grup Yorum zur Zielscheibe erklärt. Die türkische Regierung, heute die Regierung Erdogans, kennt keine Grenzen. Aufgrund der massiven und drastisch steigenden Repressionen der Regierung, haben wir beschlossen, so schnell wie möglich einen bundesweiten langen Marsch zu organisieren, um von aus Europa Druck gegen die Türkei zu üben.

Was ist bisher gelaufen und was gab es an Repression?

Eylem E.: Am Freitag waren wir in Köln. Dort haben wir das Widerstandszelt besucht, das jeden Tag von 13:00-15:00 Uhr bei der U-Bahn Haltestelle Kalk Kapelle, für Grup Yorum, Mustafa Koçak und die Anwälte des Volkes stattfindet. Dort haben wir ein Video gemacht, wo wir unsere Erklärung abgegeben haben, dass und warum wir einen langen Marsch machen. In Wuppertal wollten wir eine Versammlung veranstalten, aber ein Tag davor kam eine Mail von der Polizei, dass die Versammlung keinen Bezug zu Grup Yorum haben dürfe, da angeblich Grup Yorum ein integraler Bestandteil der DHKP-C sei und somit auch unter das Vereinsverbot falle. Also jegliche Veranstaltung mit Grup Yorum wurde untersagt. Das haben wir so nicht akzeptiert und deswegen haben wir beschlossen, diese Versammlung am Ende unseres langen Marsches durchzuführen.
Am Samstag sind wir in Duisburg in die Innenstadt, in der Nähe vom Hauptbahnhof (Königsstrasse), gefahren, haben dort unsere Flyer verteilt und uns mit den Menschen unterhalten, die Interesse gezeigt haben. In Dortmund wollten wir einen Infostand am Hauptbahnhof machen. Aber die Polizei war mal wieder so “nett” und hatte uns abseits der Innenstadt, beim Hinterausgang von irgendeiner Haltestelle, wo sehr wenige Menschen vorbeilaufen, die Aufenthaltsgenehmigung gegeben. Aber wir haben auch dies nicht akzeptiert und haben beschlossen, in der Nähe vom Hauptbahnhof auf dem Boden mit Kerzen(Teelichter) Mustafa Koçak zu schreiben, dabei Flyer zu verteilen und unsere Musik von Grup Yorum abzuspielen und dies haben wir auch so gemacht. Sehr viele Menschen sind sehr aufmerksam darauf geworden und haben sich genähert. Die Kerzen anzuzüden hatte uns sehr viel Zeit gekostet. Eine Person hatte das erkannt und ist zur Hilfe gekommen, um mit uns die Kerzen anzuzünden.
Am Sonntag in Bremen haben wir uns an zwei Seminaren zum Thema HFG (Uyuşturucuya ve Kumara Karşı Hasan Ferit Gedik Merkezi; Hasan Ferit Gedik-Zentrum gegen Drogen und Glücksspiel) beiteiligt und anschließend sind wir zu einer Demo gefahren, was der Verein Rotes Kollektiv für uns organisiert hatte.
Von Montag bis Mittwoch in Berlin haben wir vier Institutionen besucht und an unserer Demo, im Namen des Grup Yorum Solidaritätskomitees, beteiligt.
In Hamburg gab es von Donnerstag bis Sonntag, im internationalen Zentrum der B5, Tayad Cafe. Tayad Cafe ist eine Veranstaltung, die wir zwei mal im Monat, jeden ersten und dritten Donnerstag veranstalten, wo wir jedesmal verschiedene Themen ansprechen. Und dieses mal war das Thema unser langer Marsch. Eine Knastkundgebung vor dem Justizgebäude für zwei politische Gefangene, Musa Aşoğlu und Erdal Gökoğlu, und für Grup Yorum, Mustafa Koçak und die Anwälte des Volkes, gab es auch. Vor der Ausländerbehörde gab es ebenfalls eine Kundgebung. Und überall wo wir hingehen, verteilen wir natürlich auch unsere Flyer und sammeln Unterschriften, als Unterstützung unseren langen Marsches.
Am Montag in Magdeburg haben wir einen Infostand mit einem Zelt organisiert. Am Dienstag in Nürnberg gab es ebenfalls einen Infostand. Und am Mittwoch in München und Augsburg auch. Am Donnerstag werden wir in Ulm sein. Am Freitag und Samstag in Stuttgart. Am Sonntag in Mannheim. Und am Montag in Frankfurt.
Und zum Schluss werden wir in Wuppertal unseren langen Marsch beenden. Zwei Personen, die als Unterstützung am Hungerstreik von Sonntag bis Montag 15.12-16.12.2019 teilnehmen werden + die Person, die den ganzen langen Marsch, also 18 Tage lang im Hungersreik war, werden dort ihren Hungerstreik beenden.

Wie ist die Lage von Mustafa Koçak, Grup Yorum und den Anwälten des Volkes?

Eylem E.: Zunächst werde ich erzählen, wer überhaupt Grup Yorum, Mustafa Koçak und die Anwälte des Volkes sind. Grup Yorum ist eine antifaschistische, sozialistische Band, die sich im Zuge des Militärputsches und seiner Verbrechen im Jahre 1985 gegründet hat. Die Gruppe thematisiert in ihren Liedern die Missstände, Verbrechen an der Bevölkerung, Hunger, Armut und andere Sorgen des Volkes in der Türkei. Also Grup Yorum ist die Stimme der unterdrückten Völker. Zudem setzt sie sich auch seit Gründung für die Rechte von Minderheiten wie Kurden, Aleviten, Armeniern und anderer Volksgruppen in der Türkei ein. Grup Yorum war die erste Band in der Geschichte der Türkei, die Musik in der damals verbotenen kurdischen Sprache gemacht hat und dafür einen hohen Preis bezahlte. Alle Mitglieder der Gruppe wurden damals mit dem Terrorvorwurf inhaftiert. Bis heute muss sich Grup Yorum immer mit Repressionen auseinandersetzen, da sie nicht aufhören, Verbrechen der Regierung anzuprangern (heute der Regierung Erdoğan). Diese Haltung wird ihnen von der Regierung Erdoğan als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ausgelegt. Heute befinden sich mehrere Mitglieder in Haft. 6 Mitglieder werden, tot oder lebendig, per Kopfgeld zwischen 300.000 und eine Million Lira gesucht. Konzerte werden regelmäßig verboten, das Idil Kulturzentrum in Istanbul wurde innerhalb von zwei Jahren 11 Mal von der Polizei gestürmt und verwüstet. Instrumente werden zerschlagen, Bücher und Plakate zerrissen, Teller zerstört. Gegen all diese willkürlichen Akte der Repression setzt sich Grup Yorum zur Wehr, indem vier ihrer inhaftierten Mitglieder in einen unbefristeten Hungerstreik getreten sind. Ihre Forderungen sind die Beendigung der Polizeirazzien in ihrem Kulturzentrum, die Aufhebung der Kopfgeldlisten, das Ende der willkürlichen Gerichtsverfahren und die Aufhebung der Konzertverbote in der Türkei.
Mustafa Koçak ist ein 28-jähriger junger Mann in der Türkei. Aufgrund der Tatsache, dass in dem Wohnviertel, in welchem er geboren und aufgewachsen ist, Sozialisten und Oppositionelle sehr präsent sind, galt er den Behörden schon im Voraus als potenzieller Terrorunterstützer. Dort werden willkürlich Wohnungen von der Polizei gestürmt, Menschen auf offener Straße entführt und erschossen. Schon die vermeintliche Bekanntschaft mit Sozialisten reicht, um jahrelang inhaftiert zu werden. Auch Mustafa ereilte solch ein Schicksal. Im vergangenen Jahr wurde er vor seiner Arbeitsstelle verhaftet und sitzt seitdem in Gefangenschaft. Er wurde mittlerweile zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt plus nochmal 42 Jahre, weil er an einer bewaffneten Aktion im Jahre 2015 teilgenommen haben soll. Hierfür gibt es jedoch keinen einzigen Beweis. Lediglich die Aussagen eines Kronzeugen, welcher Mustafa belastet, reichten aus, um eine Haftstrafe bis zum Tode zu verhängen, wobei laut türkischem Gesetz mindestens eine weitere Aussage die Aussagen des Kronzeugen decken muss. Zudem sagt dieser Zeuge aus, er sei sich nicht zu 100% sicher. Es existiert kein Rechtstaat, keine unabhängige Justiz. In der Türkei handeln Richter und Staatsanwälte wie bezahlte Angestellte Erdoğans. Mustafa Koçak begab sich, aufgrund dieser Ungerechtigkeit, in einen unbefristeten Hungerstreik, welchen er am 30.September, am 90. Tag des Hungerstreiks, in einen Todesfasten umwandelte. Entweder seine Forderungen nach Gerechtigkeit werden erfüllt, oder er wird sich in den Tod hungern. Heute befindet sich Mustafa im 163.Tag seines Widerstands. Ihm geht es gar nicht gut, zurzeit wiegt er ca. 34 Kilo. Wir müssen was für Mustafa Koçak tun, damit er nicht sterben muss! Mustafas Forderungen sind die Wiederaufnahme des Falles, die Anwendung geltender Gesetze und insgesamt ein faires Verfahren.
Die Anwälte des Volkes sind sozialistische, antifaschistische Anwälte, die sich im Juristenkollektiv HHB (Anwaltskanzlei des Volkes) zusammengeschlossen haben. Sie unterstützen über ihre Kanzlei mitellose, von staatlicher Willkür betroffene Menschen, setzen sich für die ärmsten Schichten des Volkes ein. Zudem übernehmen sie seit jeher gesellschaftlich brisante Fälle, Fälle in welchen der Staat Verbrechen begangen hat. So sind die Anwälte des Volkes unter anderem juristische Vertreter der Angehörigen der Jugendlichen, die bei den Gezi-Protesten erschossen wurden, der Familien von Soma, wo vor einigen Jahren bei einem Bergwerkmassaker 301 Minenarbeiter lebendig begraben wurden, oder den Fall Roboski, bei welchem kurdische Zigarettenschmuggler aus der Luft bombardiert wurden. Erst kürzlich bekam Selçuk Kozağaçlı, Mitglied der Kanzlei des Volkes, den Anwaltspreis der niederländischen Anwaltskammern. Der Tag des verfolgten Anwalts wurde im Jahre 2019 den Anwälten des Volkes gewidmet, in vielen Bundesdeutschen Städten haben Rechtsanwälte vor Vertretungen der Türkei für ihre inhaftierten Kollegen demonstriert. All das ist den Regierungen in der Türkei immer schon ein Dorn im Auge gewesen. Der Rechtsanwalt Fuat Erdoğan, Mitgründer der Kanzlei, wurde in seiner Wohnung kaltblütig erschossen. Heute befinden sich 11 Anwälte der Kanzlei in türkischer Haft, sie wurden zu einer Gesamtstrafe von 159 Jahren und 2 Monaten verurteilt. 159 Jahre für die Ausübung des Anwaltsberufs. Wir fordern auch für die Anwälte des Volkes Gerechtigkeit – und somit ihre sofortige Freilassung!

WIR FORDERN GERECHTIGKEIT FÜR GRUP YORUM, MUSTAFA KOÇAK UND FÜR DIE ANWÄLTE DES VOLKES!