Haben Aussagen der Gefangenen aus der RAF heute noch Gültigkeit?

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Hamburg

Ein Beitrag, der anlässlich der Veranstaltungen in Bremen, Hamburg und Leipzig am 17. und 22.Oktober sowie am 13. Dezember dieses Jahres anlässlich des 18. Oktober 77 gehalten wurde.
Um was zu unserer Perspektive zu sagen, müssen wir als erstes die objektiven und subjektiven Blockaden benennen, die den emanzipativen Prozess des Voranschreitens behindern.
Ein Lösungsansatz wäre, sich nicht nur an dem RAF-Logo mit der Knarre und den Aktionen zu ergötzen und darauf abzufahren! Sowas hat immer was mit konsumieren zu tun und verhindert damit selbst nicht in die Hufe zu kommen. Ein Weg aus diesem Dilemma wäre, sich mit den Texten der Gefangenen kollektiv auseinander zu setzen:
Was haben z.B. die Hungerstreik – Erklärungen aus den Jahren 1981 und 1984 für uns heute noch an Aussagekraft, d.h. sind sie für unsere heutigen Auseinandersetzungen noch hilfreich?
Ein kleiner historischer Einschub am Anfang: Die Gefangenen führten 10 kollektive Hungerstreiks, um die rigide Isolation zu überwinden. Die Isolationsfolter wird auch weiße Folter genannt, weil sie keine sichtbaren physischen Spuren am Körper hinterlässt. Sie dient der sensorischen Deprivation und sozialen Isolation, die auf das Aushungern der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tastorgane zielt und dadurch zu lebensgefährlichen Zuständen führen kann. Selbst die UNO hat die Isolationshaft als Folter geächtet. Folgen sind z.B. Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, Schlafstörungen, chronischer Schnupfen, Gedächtnisverlust … Diese Sonderhaftbedingungen gehen an keinem der Gefangenen spurlos vorbei. Dazu kommen die Langzeitfolgen.
Ziel dieser Folter ist es auch, Inhaftierte zum Sprechen bzw. Abschwören zu bringen oder zu versuchen, sie als entpolitisierte Kretins vorzuführen. Insgesamt 9 politische Gefangene überlebten den Knast nicht.
Erforscht wurde die Isolation auch in Hamburg am Universitätskrankenhaus Eppendorf.

Umgang mit Repression

Wir sind zur Zeit mit einer zunehmenden Repression konfrontiert. Bewusstseinsmäßig scheint uns zwar klar zu sein, dass Unterdrückung uns abhalten und abschrecken soll, da die Herrschenden für ihre Kriege nach Außen im Innern Friedhofsruhe benötigen. Die Widerstandsbekämpfung im Innern wird also immer weiter ausgebaut und verschärft, um die deutschen Kriegseinsätze – es sind rund 9000 Bundeswehrsoldaten derzeit auf dem Balkan, in Afrika, im Nahen Osten und in Zentralasien im Einsatz – abzusichern.
Nach dieser Analyse müsste unser Umgang mit der Repression ein offensiver sein. Dem ist aber leider häufig nicht so!
Genoss*innen meiden Prozesse, da sie Angst vor der Erfassung haben. Oder lehnen direkten Kontakt mit verhafteten Gefährt*innen wegen der Erfassung ab, d.h. schreiben und besuchen sie nicht und lassen sie damit alleine.
Schauen wir uns diese Beispiele mal genauer an: Was ist für die Weggesperrten in solchen Situationen wichtig? Unsere Solidarität! Die Frage für uns ist doch die: Wie können wir unsere Verbundenheit mit den Eingekerkerten zeigen? Wie können wir diese Situation für uns alle umdrehen, um unsere Vorstellungen durchzusetzen? Wichtig ist, uns nicht von den Repressionsorganen abschrecken und bestimmen zu lassen, sondern von unserem Bedürfnis nach Solidarität auszugehen.
”Wenn die militante Linke sich aneignet, was der Imperialismus in seinen Niederlagen immer wieder erfahren musste: dass seine Macht dort endet, wo seine Gewalt nicht mehr abschreckt, hat sie das ganze Geheimnis seiner scheinbaren Unbesiegbarkeit aufgelöst.” (Aus der Hungerstreikerklärung von 1981)

Verhalten im Knast und vor Gericht

In der ersten Woche des Juli 2017 gelang es, diesen G20-Gipfel der Herrschenden in Hamburg, der weiterhin dafür sorgt, dass 8 Menschen ebenso viel besitzen wie 3,7 Milliarden, durch zahlreiche unterschiedliche Aktionen und bis zu 100 000 Demonstrant*innen aus dem In- und Ausland zu stören und somit politisch als Ganzes in Frage zu stellen.
Die herrschende Klasse reagierte mit Hetze und Repression. Es wurden über 50 Menschen verhaftet.
Peike aus den Niederlanden ist zu 31 Monaten ohne Bewährung verurteilt und hat sich politisch verhalten. Tausende Dateien werden noch von den Schergen ausgewertet und deshalb ist mit weiteren Verhaftungen zu rechnen.
Es gab inzwischen zirka 25 Gerichtsverfahren, (Stand: Mitte November) wovon sich etwa 20 Betroffene aber unpolitisch verhalten haben. Sie belasteten zwar keine Anderen, aber machten Einlassungen zur eigenen Person, d. h. sie gaben ihre „Taten“ zu und einige von diesen bekunden auch noch Reue.
Sie wurden trotzdem für Nichtigkeiten, wie z.B. Flaschenwürfe auf gut gepolsterte Polizisten, zu hohen Bewährungsstrafen verurteilt. Klar sind einige nicht organisiert gewesen, trotzdem stellen wir die Frage, muss so ein Verhalten sein? Dieses Einknicken vor der Klassenjustiz wurde von den herrschenden Medien hämisch kommentiert und hat das offensive Verhalten gegen den Gipfel dadurch auch wieder in Frage gestellt.
Es geht dabei nicht um Moralisieren und Schuldzuweisung. Wir denken, dass das alles noch mal diskutiert werden sollte, unter uns und mit den Betroffenen – und wir verweisen auf die Gefangenen aus der RAF, die sich durchweg anders verhalten haben.
„Der Kampf hört auch im Gefängnis nicht auf, die Ziele ändern sich nicht, nur die Mittel und das Terrain, auf dem die Auseinandersetzung (…) weiter ausgetragen werden, (…)“ (Ebenda)

Solidarität entwickeln

Ein Wort noch zu der scheinbaren krakenhaften, staatlichen Erfassung durch die diversen Dienste des Staates. Trotz der scheinbaren totalen Überwachung und Erfassung wegen Kontakten zu Gefangenen hat das früher nicht alle Linken von ihrem Kampf nach Befreiung abgeschreckt: Sie haben z.B. weiterhin Öffentlichkeit zu den Knästen hergestellt und damit die Situation drinnen verbessert. Einige haben sich mit Illegalen getroffen oder sich später selbst der RAF angeschlossen.
Heute ist es oft so, dass bei Vorträgen, in Flugblättern und sonstigen Erklärungen fast immer nur die Analyse des Staates, der Konzerne etc. im Mittelpunkt steht und nicht, was unsere Ziele sind.
Damals war es für uns wichtig, uns gegen die zunehmende Vereinzelung und Isolation durch das System zu wehren, indem wir versuchten, kollektive Strukturen für uns zu erkämpfen.
“Wo Herrschaft durch Trennung, Differenzierung, Vernichtung einzelner, um alle zu treffen, und den ganzen Prozess zu lähmen, funktioniert, ist Solidarität eine Waffe. Es ist die erste starke subjektive politische Erfahrung für jeden, der hier zu kämpfen anfängt, der Kern revolutionärer Moral…” (Hungerstreikerklärung aus dem Jahre 1984)

Gegen unsere Isolation

Gegen die zunehmende Vereinsamung anzugehen, ist heute aktueller denn je, da alle Menschen davon betroffen sind, natürlich auch die radikale Linke. Neue Technologien wie über 50 TV-Programme und Internet verstärken diesen Isolationsprozess zunehmend. Das Problem sind dabei nicht diese neuen Medien, sondern dass sie überwiegend nur vereinzelt genutzt bzw. konsumiert werden.
Auch die Existenzsicherung durch Ausbildung und Arbeit wird immer schwieriger. Sie wird immer mehr individualisiert und atomisiert durch die herrschende Klasse. Dieser Prozess der Vereinzelung und der Allmacht des Systems, beeinflusst auch negativ unsere politische Praxis: Wir werden immer routinierter, eingefahrener, abstrakter, verlieren den Glauben, dass wir was erreichen und siegen können! Wir schrecken folglich eher Außenstehende ab und verlieren damit die gesellschaftliche Anziehungskraft, statt unsere fremdbestimmte Situation zum Ausgangspunkt unseres Agierens zu machen.
„Auch in unserer Lage ist das aus der gesamten Situation, die gleiche Entscheidung, vor der alle Teile der revolutionären Linken stehen. Aus einem festgefahrenen Kräfteverhältnis die Defensive durchbrechen, die Suche, die Anläufe, den Willen in Kampf verwandeln (…). Für uns heißt das, von der Tatsache der Isolation auszugehen und auf die eigene Kraft zu vertrauen.” (Ebenda)

Kampf ist ein permanenter Prozess

Es könnte jetzt eingewendet werden, wir haben doch viel angepackt. Veranstaltungen, Demos z.B. gegen die G20. Doch oft ensteht danach bei vielen eine Leere, was sich auch so äußert, dass viele Initiativen seit dem Ereignis ihre Homepage nicht mehr erneuert haben, sich überwerfen oder von einem “Event” zum anderen springen. Und dadurch entstehen statt Stärke viel Stress und Leere.
Bezogen auf die G 20-Proteste bedeutet das auch, die Angeklagten wegen der G 20-Prozesse zu unterstützen. Weiterhin wird Elend und Krieg durch die Herrschenden forciert. Wir müssen deshalb unseren Widerstand gegen das Alles weiter entwickeln und damit nicht locker lassen.
“Kollektivität bestimmt sich übers Ziel: Zum Angriff kommen nicht zu einem einzigen, sondern als dauernder, gemeinsamer Prozess der politischen Bestimmung und Aktion. Sie existiert nur im Kampf, und nur gegen Herrschaft und Unterdrückung ist sie zu entwickeln.” (Ebenda)

Ziele jetzt schon umsetzen

Auch wurde anfangs schon festgestellt, dass heute unsere Texte nur jenes beinhalten, wogegen wir sind und was wir alles abschaffen wollen. Es ist zwar wichtig, dieses immer wieder zu benennen, aber es fehlt was Wesentliches: Was wir wollen und wofür wir stehen. Das ist durchaus schwierig, aber auch notwendig, sich diese Begrifflichkeit anzueignen;
„Sie ist (die Kollektivität) nicht bloße Negation all dessen, was Staat und Kapital sind, sondern die gesellschaftliche Organisierung freier Menschen, wie sie hier und jetzt – überall wo gekämpft wird – schon möglich ist.“ (Ebenda)