Extralegale Hinrichtung in Istanbul

TAYAD-Mitglied İnanç Özkeskin wurde von Polizisten in seiner Wohnung in Istanbul erschossen. Umstände weisen auf eine Hinrichtung hin.

TAYAD KOMITEE

In der Nacht vom 12. auf den 13. Juni 2017 wurde der 53-jährige İnanç Özkeskin, Mitarbeiter der Gefangenenangehörigenorganisation TAYAD und Bruder des 1996 im Todesfasten gestorbenen İlginç Özkeskin, von Polizeieinheiten in seiner Wohnung im Istanbuler Stadtteil Kadıköy erschossen. Während der Erstürmung seiner Wohnung und seiner Erschießung befanden sich sowohl seine 80 Jahre alte Mutter als auch sein 91 Jahre alter Vater mit ihm in der Wohnung. Die Ermordung von İnanç Özkeskin tauchte am Morgen des 13. Juni in den Schlagzeilen der türkischen Presse auf, wo die Polizeiaktion auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front DHKP-C zurückgeführt wurde und er sich laut Presseangaben in einer „Hücre Evi“ (klandestine Wohnung; Anm. d. Red.) in Vorbereitungen für einen Anschlag gegen den Innenminister Süleyman Soylu befunden habe.
Das Rechtsbüro des Volkes HHB prangerte in ihrer Erklärung Nr. 538 sowohl den Staat als auch die Berichterstattung der türkischen Medien hinsichtlich der Erschießung von Özkeskin an. Der HHB zufolge hätten die türkischen Medien in diesem Fall unkritisch die einseitigen Meldungen der Nachrichtenagenturen übernommen. In der Erklärung wird zudem geschildert, dass niemand aus der Nachbarschaft in der Nacht des Mordes Rufe wie „Ergeben Sie sich“ oder ähnliches gehört habe. Es seien ausschließlich Schüsse zu hören gewesen. Zudem habe die Polizei die Wohnungstür mit einem Rammbock aufgebrochen, obwohl die Mutter Güneş Ayşe erklärt habe, dass sie bereit gewesen sei, die Tür freiwillig aufzumachen. Angaben zufolge sei der an Alzheimer erkrankte Vater anschließend mit einem Waffenkolben niedergeschlagen worden. Nachdem İnanç Özkeskin daraufhin die Polizei angeschrien habe, seien die tödlichen Schüsse gefallen. In der Erklärung heißt es weiter: „Neben der Tatsache, dass kein Platz für Details eingeräumt wurde, um wen es sich bei der ‚unschädlich gemachten Person‘ handelt und wie sich der Vorfall ereignet hat, wurde die Nachricht zur Tat, die ganz offensichtlich aus einer Hand stammte und denselben Wortlaut enthielt, in etlichen Nachrichtenagenturen und in sich auf diese berufenden Nachrichtenseiten publiziert. (…) Zuerst morden sie, dann produzieren sie lügen, um ihre Massaker zu legitimieren. Einige Regierungsmedien beginnen ihre Pflichten, nachdem die Mörder ihre ‚Arbeit‘ verrichtet haben.“
Nachdem Tage später Presse und AnwältInnen der Zugang zur Wohnung, in der İnanç Özkeskin mit seiner Mutter und seinem Vater 37 Jahre gelebt hatte, gewährt wurde, seien keine Spuren einer bewaffneten Auseinandersetzung festgestellt worden. In einer Meldung aus der Tageszeitung Cumhuriyet vom 18. Juni 2017 heißt es: „(…) Anwälte des HHB Günay Dağ und Özgür Yılmaz sowie Gökmen Yeşil, Vorsitzender Anwalt der geschlossenen Istanbuler Sektion des Progressiven JuristInnenverbands ÇHD erklärten, dass sie bei ihren Untersuchungen in der Wohnung auf keine Spuren einer bewaffneten Auseinandersetzung gestoßen seien. (…) Dağ erklärte, dass die Akte geheim sei und sie keine Informationen bekommen hätten. ‚An jenem Tag haben wir mit dem diensthabenden Staatsanwalt gesprochen. Er sagte uns, dass er von der Operation keine Kenntnis habe. Hätte es eine bewaffnete Auseinandersetzung gegeben, wie behauptet wird, so hätten sie die Aufnahmen gezeigt, um ihre Behauptungen zu bestärken. In der Wohnung gibt es keine Beweise für eine bewaffnete Auseinandersetzung. Und laut Schilderungen der Mutter gibt es auch keine Waffe.‘“
Die extralegale Hinrichtung von İnanç Özkeskin reiht sich ein in eine Serie von politisch motivierten Morden durch den staatlichen Polizeiapparat.