Erdal Gökoğlu zu seiner aktuellen Situation

Erdal Gökoğlu, 19. Mai 2019

Merhaba, (…) Du weißt, der Prozess geht dem Ende zu. Deswegen konzentriere ich mich auf meine „Verteidigung“. Ich bin wieder in eine neue Zelle verlegt worden. Außerdem habe ich mich in den letzten Tagen nicht gut mit meiner Migräne vertragen.
Zur neuen Zelle: Du weißt, dass sich in dem Bereich, in dem ich mich befinde, einige Einschränkungen bzw. Bedingungen geändert haben. Zum einstündigen Hofgang war ich mit den übrigen Gefangenen gegangen. Nun wurde ich in eine neue Zelle verlegt und dort bin ich mit einem Freund aus der Türkei eingesperrt.
Letzte Woche hatte ich am 8. Mai einen Verhandlungstag. Es gleicht einer Komödie, oder? Sozialisten, die den Faschismus bezwungen hatten, befinden sich nach 74 Jahren auf der Anklagebank, wo ihnen der Prozess gemacht wird. Selbstverständlich habe ich während der Verhandlung das Wort ergriffen, um auf diese Situation hinzuweisen. Ich sagte, dass der 8. Mai auf ihrer Agenda lediglich ein Verhandlungstag ist. Dabei ist heute der Tag der Befreiung. Es ist der Tag des Sieges über den Faschismus. Jeder würdevolle und aufrichtige Mensch würde diesen Sieg auf den Plätzen zelebrieren wollen. Aber sie bevorzugten, an diesem Tag einen Revolutionär zu verurteilen. Hätte es diese Revolutionäre nicht gegeben, dann gäbe es heute weder Deutschland noch würden sie auf diesen Stühlen sitzen. Während ich dies erzähle, fügen jene, die beschämt ihr Haupt senken sollten, ihrer Schande neue Schande und ihrer Schuld neue Schuld hinzu. Eine Person aus der Richterdelegation und eine weitere/r Richter/in begannen in dem Moment, untereinander zu kichern und zu reden…
Siehst Du, im Unklaren über ihre eigene lächerliche Situation werden sie zu MittäterInnen des Faschismus. Was soll man dazu sagen? Man müsste ihnen 70 Millionen mal ins Gesicht spucken. Nun, so ist es, wenn der Mensch seine Geschichte vergisst. Aber sorgt Euch nicht, wir werden es sein, die zuletzt lachen werden. Denn wir wiederkommen, den Faschismus nochmal besiegen und die rote Fahne auf ihrem Haupt hissen. (…)

In Sehnsucht, herzliche Grüße, Erdal