Die Zensur in der BRD ab 1977

Oder die Notwendigkeit von linker Gegenöffentlichkeit damals wie heute

„Die knallen uns ab, sobald sie sicher sind, dass die öffentliche Meinung dermaßen gegen uns manipuliert ist, dass sie keine Reaktionen befürchten müssen und wenn die Isolation so total sein wird, dass niemand mehr kontrollieren kann, was hier drinnen passiert“. (Andreas Baader, 1972)

Schon in den Jahren von 1974 bis 1976 hatten vier Gefangene wie Holger Meins, Katharina Hammerschmidt, Siegfried Hausner und Ulrike Meinhof den Knast nicht überlebt. Deshalb versuchte die RAF 1977 durch zahlreiche Aktionen das Leben der restlichen gefangenen GenossInnen zu thematisieren:

  • die Erschießung vom Generalbundesanwalt Siegfried Buback;
  • die misslungene Entführung des Bankiers Jürgen Punto;
  • der Angriff auf das Gebäude der Bundesanwaltschaft;
  • die Entführung des Kapitalistenfunktionärs und Ex-Nazis Hanns-Martin Schleyer.

Zahlreiche Festnahmen von Gegenöffentlichkeit

1977 gab es in der BRD zahlreiche Verhaftungen von GenossInnen, die gegen diese drakonischen Haftbedingungen kämpften. Unter den Festgenommenen waren auch die drei Anwälte Armin Newerla, Arndt Müller und Klaus Croissant aus Stuttgart.
Schon im Vorfeld gab es eine Hetzkampagne gegen die AnwältInnen sowie gegen das „Internationale Komitee zur Verteidigung politischer Gefangener in Westeuropa“ (IVK) und so wurden systematisch diese Verhaftungen vorbereitet: “Das Stuttgarter Büro sei die Informationszentrale der RAF und Klaus Croissant der ´Kopf der Terroristenszene“. Diese Verteidiger agierten mit juristischen und politischen Mitteln auf nationaler und internationaler Ebene gegen die Isolations- und Vernichtungshaft.
Folgen der Kontaktsperre
Nach der Entführung Schleyers am 5.9.77 wurde eine totale Nachrichtensperre verhängt. Gleichzeitig wurde die Totalisolation und die Kontaktsperre gegen zirka 100 politische Gefangene angewendet:
Jeglicher Kontakt, auch zu den AnwältInnen, wurde untersagt, Radio und Zeitungen wurden entzogen. Ein Gesetz, das die Geiselnahme von politischen Gefangenen als Rache und Strafaktion des Staates legalisiert. Das Gesetz wurde übrigens innerhalb von drei Tagen durch das Parlament gepeitscht.
Die Totalisolierten waren damit gänzlich dem Staat ausgeliefert, der sogar in Erwägung zog, Gefangene zu erschießen: jeweils einen für jeden Toten, den es draußen gab. Diese Maßnahme wurde u.a. von Franz Josef Strauss, dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten oder von Kurt Rebmann, dem Nachfolger von Buback, gefordert. Auch der damalige Kanzler Helmut Schmidt forderte indirekt solche Maßnahmen: „Der Staat muss daraufhin mit aller Härte antworten“ und „Ich bitte sie, meine Herren, doch jetzt auch einmal exotische Gedanken auszusprechen, was wir machen sollen“.
Mittels dieser Stimmungsmache gegen alle, die für die Aufrechterhaltung der Menschenrechte und für den Schutz der politischen Gefangenen kämpften, setzten BKA und Bundesanwaltschaft ihre Menschenjagd fort:
Zur gleichen und nachfolgenden Zeit wurden vier MitarbeiterInnen des IVK verhaftet. Während also die bürgerlichen Medien sich der Nachrichtensperre, der Staatszensur unterwarfen , wurde also gezielt gegen linke Öffentlichkeit vorgegangen.
Am 17.10. wurden drei Genossen der AGIT-Druckerei (in der der INFO-BUG wöchentlich gedruckt wurde) verhaftet. Gleichzeitig wurden in West-Berlin die linken Buchhandlungen sowie die Privatwohnungen der Leute, die in diesen Einrichtungen arbeiten, überfallen und durchsucht.
Mit der Zerschlagung von Gegeninformationen und all diesen Verhaftungen in der BRD war der Schutz der revolutionären Inhaftierten nicht mehr ausreichend gewährleistet und so starben 1977 in den Knästen vier Gefangene der „Roten Armee Fraktion“ (RAF): am 18.10. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stuttgart-Stammheim und Irmgard Möller überlebte schwerverletzt. Am 12.11. starb auch noch die Gefangene aus der RAF, Ingrid Schubert in München-Stadelheim. Die offizielle Version der Klassenjustiz lautete „Selbstmord“, wer das in der BRD in Frage stellte, wurde und wird kriminalisiert:
Ein Treffen ein paar Tage nach dem 18.10. in Berlin, um mit vielen Leuten ein neue Ausgabe  des INFO-BUG zu layouten, wurde von der Polizei total zerschlagen, 40 Leute festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt.

Todesschüsse durch Polizeibeamte in der BRD

„Insgesamt sind zwischen 1971 und 1978 über 146 Tote durch polizeiliche Todesschüsse dokumentiert: 16 im Zusammenhang von sogenannter Terroristenjagd; 52 in Verfolgung – von meist einfachen – Kriminellen; 13 in Verfolgung von Verkehrssündern; die übrigen im Zuge allgemeiner Hysterie.„ Aus „BRD versus RAF“, GNN – Verlag 1987
Die Verfahren gegen die Beamten wurden alle wegen „Notwehr“ eingestellt. Der Terror geht auch nach dem 18.10.77 weiter. Nach den Aktionen der RAF 1977 wurden im Rahmen der staatlichen Fahndung kaum noch Gefangene gemacht. Bis Juni 1979 wurden im Laufe der Jagd drei Gesuchte erschossen:

  • am 6.9.78 Willy Peter Stoll;
  • am 25.9.78 Michael Knoll;
  • und am 4.5.79 Elisabeth van Dyck.

Rolf Heissler überlebte im Juni 79 schwerverletzt.

Zensurmaßnahmen

Zusätzlich sollte die Auseinandersetzung mit der RAF, also mit ihrer  Politik verhindert, unterbunden und kriminalisiert werden. Der schwedische Verlag „Bokförlag Bo Cavefors“ hatte im Dezember 1977 das Buch „Texte: der RAF“ in deutscher Sprache verlegt, nachdem hiesige Verlage es abgelehnt hatten, das Buch auf Grund von Repression herauszugeben und zu vertreiben. Deshalb erfolgte auch der Vertrieb in die BRD über Frankreich und Dänemark, teilweise aber auch direkt über Schweden.
Die Zeit von Dezember 77 bis Februar 78 hat offenbar der Staatsschutz dazu genutzt, um den Personenkreis der LeserInnen und VerteilerInnen im BKA-Computer zu erfassen und damit den weiteren Bezug und die Verbreitung der Bücher möglichst zerschlagen zu können. Seit März 78 sind die meisten Sendungen aus Schweden u. a. wegen §129a beschlagnahmt  worden. Selbst in der Uni-Bibliothek Bremen wurden zwei Exemplare vom Staatsschutz eingesackt.
Im Mai 78 wurde ein Mitglied des Druckkollektivs der Fantasia-Druckerei aus Stuttgart und ein ehemaliges Mitglied des IVK (sie wurde 16 Monate inhaftiert) unter dem Vorwurf Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“ verhaftet. Das ist die Reaktion der BAW auf die fortgesetzte politische Arbeit der Fantasia-Druckerei, die neben Stadtteilzeitungen und Plakaten auch Texte und Erklärungen der politischen Gefangenen, trotz eines laufenden Ermittlungsverfahrens wegen §129, seit Mitte 77 gedruckt haben.
Im August wurde die Verfolgung weiter verschärft, indem die beschlagnahmten Druckmaschinen durch die Polizei abtransportiert wurden.
Dazu gab diese Druckerei eine Erklärung ab: „Wir von Fantasia begreifen uns als Teil der linken und antifaschistischen Bewegung in der BRD, und in diesem Zusammenhang sehen wir auch die Druckerei. Es ist für jede und jeden, der hier Widerstand leisten will oder sich auch nur kritisch mit diesem Staat auseinandersetzt, wichtig eigene Möglichkeiten zu haben, die Massenmedien sind in der Hand derjenigen, die die politische und ökonomische macht haben, und die unterdrücken und verfälschen alle Inhalte, die den Staat kritisieren oder gar in Frage stellen.“
Im September gab es einen weiteren Schlag gegen unzensierte linke Öffentlichkeit: es wurden 22 Menschen beim Layouten des „BUG-Info“ in Berlin vorübergehend festgenommen zu einem Zeitpunkt, wo die Redaktion klar Stellung zur gezielten Erschießung von Willy-Peter Stoll genommen hatte.
Die Besetzung eines Büros von DPA in Frankfurt/Main erfolgte im November 78 von zirka 12 GenossInnen aus dem anti-imperialistischen Widerstand, um die Nachrichtensperre zur lebensbedrohlichen Situation von zwei Gefangenen aus der RAF zu durchbrechen, was ihnen dadurch auch gelang. Sie wurden festgenommen und zu sechs Monaten Haft verurteilt.

Verhaftung auch im Ausland auf Betreiben der BAW

1979 wurden zeitweise der belgische Anwalt von Klaus Croissant verhaftet und ebenso vier Mitarbeiter des belgischen Komitees „zur Verteidigung politischer Gefangener in der BRD“. Ebenso der schwedische Verleger Bo Cavefors, der das Buch „Texte: der RAF“ verlegte. Er verschwand auf Betreiben der BAW für zehn Tage hinter Gittern.

Fazit damals

Trotz des staatlichen Terrors bildete sich auch hier wieder eine starke autonome und anti-imperialistische Linke. Mit den bewaffneten Gruppen wie die RAF und die RZ waren sie so auch ein wichtiges Bollwerk gegen die sich zur Großmacht formierenden BRD bis Ende der achtziger Jahre.

Fazit, Zensur und Perspektive heute

Für alle, die sich nicht kaufen lassen und an dem Ziel nach Befreiung auf kommunistischer Basis festhalten, bleibt authentische Gegenöffentlichkeit relevant. Damals wie heute ist so was den Herrschenden ein Dorn im Auge. Ein Beispiel: Am 29.01.2017 gab es einen TV-Beitrag: „Hat das Ex-RAF-Trio Unterstützer?“1
Eine Sendung, in der u.a. die Leiter des LKA Niedersachsen Kolmey und des VS in Hamburg Voß sowie Kraushaar zu Worte kommen. Angegriffen und damit kriminalisiert werden einige, die sich solidarisch zu Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub verhalten haben. Erwähnt werden Plakate von Autonomen Gruppen und gezeigt wird ein Transparent zu den Dreien aus der Hafenstraße in Hamburg.
Auch die Ehemaligen aus der RAF kriegen wegen ihrer Aussage-Verweigerung ihr Fett ab. In diesem Zusammenhang wird auch die Rote Hilfe und die „junge Welt“ angegriffen.
Zurück zu dem Staatsschutzbeitrag des NDR: die Radiosendung „Wie viele sind hinter Gittern“ wird ebenso attackiert: „… ein Radiobeitrag, ausgestrahlt beim Internetsender Radio Flora in Hannover. Der bietet in einer Sendung vom 9. September 2016 ein Forum dafür, die Taten der drei Abgetauchten zu glorifizieren. Wörtlich ist davon die Rede, dass Klette, Garweg und Staub sich durch Abtauchen in den Untergrund dem Zugriff der ‚Menschenjäger‘ (gemeint ist die Polizei, d. Red.) entzogen hätten und dass sie Geldtransporte und Supermärkte ‚enteignet‘ hätten, um so ihr Leben in der Illegalität zu finanzieren.“
Einer der Autoren dieses Machwerks, Stefan Schölermann, ist laut NDR „ständig in journalistischem Kontakt mit den Sicherheitsbehörden. Er kennt sich aus mit Polizei und Verfassungsschutz, Fragen der Inneren Sicherheit, des Terrorismus…“2
Auch die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) greift diesen Beitrag am 31.1. und 1.2. an und teilt mit, das geprüft wird, ob gegen diese Sendung durch die Staatsanwaltschaft Verden ermittelt wird.3
„Wir verstehen die öffentlichen Angriffe des NDR und der HAZ als Angriffe auf ein unabhängiges, demokratisches Radio.„ Aus einer Stellungnahme der „Redaktion International“ bei Radio Flora, die mehrheitlich vom Plenum vom 09.02.2017 mitgetragen wurde.
Dieser besagter Beitrag zu den Dreien wurde auch im Gefangenen Info 402 veröffentlicht.
„Du mußt vielleicht mal ticken, das man mit Worten nur was erreichen kann, wenn sie den Begriff der Situation bringen, die, in der jede/r im Imperialismus ist; dass es sinnlos ist, mit Worten agitieren zu wollen, da nur Aufklärung agitiert, Wahrheit-“ (Ulrike Meinhof)


[1] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Spurensuche-Wer-unterstuetzt-die-RAF-Terroristen,raf284.html
[2] http://www.ndr.de/info/wir_ueber_uns/Stefan-Schoelermann,schoelermann105.html
[3] http://www.radioflora.de/contao/tl_files/Redaktion/Artikel/Presse/HAZ_Artikel%20170131%20und%20170201.JPG