Die Lage der politischen Gefangenen im Iran ein Jahr nach dem Wiener Atomabkommen

Kaum war die Tinte unter dem Atomabkommen mit dem Iran im Juli 2015 trocken, standen die Handelsminister der westlichen Länder in Teheran Schlange. Aus Deutschland kamen mit Steinmeier und Gabriel gleich zwei Kabinettsmitglieder, begleitet von einer Schar Konzernvertreter. Was die beiden betrifft, verbanden sie ihre Reise mit einem Abstecher nach Saudi-Arabien. Um den Scheichs zu versichern, dass der Waffendeal trotz Protesten der Friedensbewegung in Deutschland unberührt bleibt? Denen wurde sicherlich der rote Teppich ausgerollt, denn die Enthauptungen und Massenhinrichtungen der Oppositionellen standen im Hause der Herrscherfamilie Ale-Saud an der Tagesordnung.

Schon im Herbst des gleichen Jahres begaben sich die Ajatollahs aus Tehran auf Einkaufstour in Europa. Wurden die Menschenrechtsverletzungen im Iran mit einer Silbe am Rande der emsigen Geschäfte erwähnt? Fehlanzeige! Im Gegenteil. Die Regierenden in den europäischen Hauptstädten überboten sich gegenseitig mit Anbiederungsorgien um eine Verlängerung der Einkaufsliste der Mullahs. Erinnert sei an die Abdeckung der nackten Skulpturen in Italien.

Um richtig zu stellen: das Thema Verletzung der Menschenrechte im Iran war im Laufe des mehr als ein Jahrzehnts andauernden Atomstreits mit den Ajatollahs nur Begleitmusik, die dem Orchester gewisser NGOs überlassen wurde, um sich besser auf die Verhandlungen konzentrieren zu können. Und wenn es überhaupt von den westlichen Diplomaten erwähnt wurde, handelte es sich lediglich um ein Faustpfand in den Verhandlungen mit Tehran.

Schon im Jahr der Amtseinführung von Hassan Rouhani als Staatspräsident und ehemaligen Delegationschef bei den Atomverhandlungen erreichte die Zahl der Hinrichtungen, laut Ahmed Shaheed der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Iran, einen neuen Rekord (Bericht A/68/503 vom 4. Oktober 2013). Allein in der Zeit vom 14. Juni bis 1. Oktober 2013 wurden 200 Personen, darunter viele Minderjährige, exekutiert.

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In den letzten Jahren, in denen die wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Land verschärft wurden, sind im Iran neue wirtschaftliche und politische Strukturen entstanden. Mit den knappen Devisen wurden vor allem die militärische Ausrüstung aus dem Ausland auf dem Umwege vielfach teurerer als üblich angeschafft. Die islamische Revolutionsgarde („Passdaran“) avancierte zu einem mehr und mehr eigenständigen militärisch-ökonomischen Komplex, der entlang dieser Interessen seine Macht auch als Repressionsorgan massiv ausbaute. Die Leidtragenden waren und sind vor allem die Lohnabhängigen.

In einem Bericht aus dem Iran heißt es: „Auf dem Papier genießen Beschäftigte in Iran weitreichende Rechte; wer sie indes einfordert, muss mit Gefängnis rechnen. Dennoch wird häufig gestreikt: Viele Arbeiter haben schlicht nichts zu verlieren.“ (Oliver Eberhardt, „Neues Deutschland“, 1.4.2016). Trotz massiver Repressalien schildert Reza Karami, der dem inoffiziellen Betriebsrat eines Unternehmens angehört, seinen Namen ausdrücklich nennt, den Grund weshalb die Arbeiter seiner Firma aktuell streiken und demonstrieren: „Seit sechs Monate hat niemand von uns den Lohn bekommen“. Die internationalen Sanktionen „waren über Jahre hinweg ein Argument für niedrige Löhne, die Umgehung der Gesetze und die Niederschlagung von Streiks“, fügt er hinzu.

Die revolutionäre Linke konnte in den ereignisreichen Umwälzungsjahren 1978–1982 bis zu ihrer physischen Eliminierung viel Kraft entfalten, so dass es zur Entstehung einer ganze Reihe Arbeiterrechte führte, die bis heute zumindest auf dem Papier gelten. Dazu zählen u. a. geregelte Wochenarbeitszeiten, soziale Absicherung, Kündigungsschutz, Mindestlohn und Streikrecht. Also da es im Iran nicht verboten ist, zu streiken, findet die kapitalistische islamische Republik Vorwände, um die Gewerkschaftler und politische Aktivisten zu verfolgen und zu verhaften. „Verschwörung gegen die islamische Republik“ oder „Störung der öffentlichen Ordnung“ werden den Arbeiteraktivisten vorgeworfen. Unter solchen Vorwänden sitzen derzeit mehrere hundert Vertreter der Beschäftigten in den iranischen Gefängnissen.
Unter solchen Vorwänden wurden auch 15 Arbeiter in Folge eines Protests der 800 befristet beschäftigten Arbeiter der Kupferminen in Kerman am 3. 4. 2016 von den Sicherheitsorganen verschleppt.
Eine Vielzahl von Arbeiteraktivisten sind unter mysteriösen Umständen im Gefängnis ums Leben gekommen. Schahrokh Zamani, politischer Aktivist und Vorstandsmitglied der autonomen Gewerkschaft der Bauarbeiter, verbrachte schon fünf Jahre im Gefängnis, darunter eine lange Zeit in Isolationshaft, als er am 13. September 2015 ums Leben kam. Offiziell hieß es, er erlag einen Schlaganfall. In ähnlichen Fällen wird häufig Selbstmord als Todesursache angegeben.
Zwei Vorstandsmitglieder der Gewerkschaft des öffentlichen Busverkehrs der 13-Millionen-Einwohner-Stadt Teheran wurden am 1. Mai 2015 verhaftet. Schon zuvor wurden ihre Wohnungen durchsucht und ihre Familien schikaniert. Die Verhafteten kamen zuerst in Isolationshaft, wurden aber nach 22 Tage nach Hinterlegung hoher Bürgschaften erst mal frei gelassen. Solche Repressalien ertragen diese beiden Aktivisten seit mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder. Etwa 8 Monate später, just zu der Zeit der Forderung der Beschäftigen für eine Lohnerhöhung, wurde ihre Gerichtsverhandlung eröffnet. Sie werden angeklagt, dass sie verschwörerisch gegen die Sicherheit des Landes illegale Organisierungen und Versammlungen betrieben.
Das sind die Maßnahmen der Mullah-Kapitalisten zur Einschüchterung der Arbeiterschaft, wenn sie eine Lohnerhöhung verlangen, weil sie besonderes durch die Folgen des Wirtschaftsembargos grassierende Inflationsrate von mehr als 20% jährlich ertragen müssen.
Diese beiden Arbeiter wurden zur mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und eingesperrt.

Die Liste der verschleppten und verhafteten politischen Aktivisten im Iran ist lang. Z. Zt. befinden sich offiziell 30 namentlich bekannte Chefredakteure, Journalisten und Blogger in Haft. Omid Soleimani, kurdischer Journalist und Mitglied des iranischen Schriftstellerverbands, wurde am 12. Mai verschleppt. Die Sicherheitsorgane des Regimes sind bis heute nicht bereit, über sein Schicksal Auskunft zu geben.
Jüngst wurde Mehdi Boutorabi, Chefredakteur der „Persian Blogg“, zur Staatsanwaltschaft zitiert und gleich bei seinem Erscheinen verhaftet. Seiner Familie wurde mitgeteilt, dass er bereits in Abwesenheit verurteilt wurde, aber der Grund seiner Verurteilung, die Anklageschrift und das Strafmaß sind bis heute unbekannt.
Mehrere hundert Studenten sitzen seit 2009 entweder in Todeszellen oder sind ohne Prozess in Haft. Unzählige sind bislang unter schwerer Folter ums Leben gekommen.
Auch die Angehörigen der Volks- und Religions-Minderheiten, wie „Bahaiis“,sind ständige Ziele der „Passdaran“. Hamzeh Hosseinzadeh, mit arabischer Volkszugehörigkeit, wurde vor zwei Jahren als 15-jähriger verschleppt. Bei der Nachfrage seiner Familie über Hamzehs Verbleib teilte die „Informationsbehörde“, eins der geheimpolizeilichen Organe des Regimes, mit:„versuchen Sie nicht, ihn aufzusuchen, denn das ist vergeblich“.

Abass Lessani, der sich um kulturelle Belange der Azarbaijanis im Iran kümmert, befindet sich seit 19. Mai im Hungerstreik, weil er trotz Verbüßung seiner Haftstrafe wegen politisch-kultureller Aktivitäten nicht freigelassen wird. Aus Solidarität mit ihm und wegen ungerechtfertigter und ungeklärter Haftverlängerung traten 11 weitere politische Häftlinge in den Hungerstreik, trotzt zu erwartenden Vergeltungsmaßnahmen der Sicherheitsorgane.
Wie bereits erwähnt, ist der internationale Druck auf das islamische Regime, welches sich zur Einhaltung der Menschenrechte im Land in internationalen Verträgen verpflichtete, nicht stark genug, um die Ajatollahs zu Änderung ihrer Haltung gegenüber politischen Gefangenen zu zwingen.

Als der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Iran, Ahmed Shaheed, am 10. März dieses Jahres sein Bericht vorlegte, versuchte das Regime in einer schriftlichen Erwiderung mit Verbalattacken den Berichterstatter zu verurteilen. Darin heißt es: „Folter ist laut iranischem Gesetz verboten“ ohne ein Wort darüber zu verlieren, warum die iranischen Instanzen seit Jahrzehnten die Beschwerden der Betroffenen ignorieren. Mohammad Javad Larijanie, Sekretär des Menschenrechtskomitees der iranischen Justiz, kritisierte den Bericht, in dem er die Exekution von 966 Personen allein im letzten Jahr 2015 beklagte, mit den Worten: „Was geht Sie das an? Dies gehört schon zu unserer Rechtsprechung“, „Exekutionen sind eben Bestandteil unserer  Rechtsprechung“ (persian.iranhumanrights.org/1395/01/negative-reaction-of-iranian-authorities-to-ahmed-shaheed-latest-report).
Auch Javad Zarif, der iranische Außenminister und der Verhandlungsführer im Atomstreit, kritisierte den Bericht scharf und behauptete, der Iran sei eine lebendige Demokratie in der Region.
Die Regierung der Teheraner Mullahs kann und muss mittels eines solidarischen, international koordinierten Kampfs aller fortschrittlichen und revolutionären Kräfte zur Einhaltung der Rechte der politischen Gefangenen und ihrer Freilassung gezwungen werden, alles Andere, was wir auf der politischen Bühne in der letzten Zeit beobachteten, ist ein klägliches Menschenrechtsgesäusel nach Wetter(Geschäfts-)lage.

22.05.2016


Iran_Teil_7_3Ein politischer Aktivist wurde am Rande einer Demonstration zuerst von Beamten in Zivil (im Vordergrund des Bildes zu sehen) verschleppt und an den sogenannten „Revolutionsgarde“ weiter gereicht. Der Verschleppte versucht die anderen auf seiner Festnahme aufmerksam zu machen. Im Fahrzeug befinden sich weitere festgenommene Personen.