Büro Besetzt! – Interview mit dem „Solidaritätskomitee mit Yusuf Taş“

Am 30.Mai haben einige Aktivistinnen des „Solidaritätskomitee mit Yusuf Taş“ das Wahlkreisbüro des Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele in Berlin-Kreuzberg besetzt. Wir haben mal nachgefragt.

Warum habt ihr genau dieses Büro gewählt und warum eine Besetzung, gab es keine anderen Möglichkeiten für euch?

Es gab viele Solidaritätsaktionen, Solihungerstreiks, Interviews, Kundgebungen usw. in verschiedenen Städten. Wir hatten relativ spät begriffen, dass sich die JVA Heimsheim, die quasi für den Protest von Yusuf Taş verantwortlich war, von ihrer Haltung nicht abbringen lassen würde. Der Knast hatte zwar einige Zugeständnisse gemacht, hielt aber daran fest, Yusuf weiterhin durch Sprachbarrieren zu diskriminieren. Als wir realisierten, dass die laufenden Aktionen nicht die breite und von uns erhoffte Öffentlichkeit erreichten, war uns schnell klar, dass andere Mittel ergriffen werden müssen, um auf die Situation von Yusuf aufmerksam zu machen. Er befand sich seit dem 2. Mai im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg, wo ihm eine mögliche Zwangsernährung drohte. Zudem war er bereits im 62. Tag seines Hungerstreikes und es war eine zeitliche Grenze erreicht, die nicht mehr viel Spielraum für das Vorbereiten lang angelegter Kampagnen ließ. Wir mussten sofort etwas tun. Dass die Wahl auf das Büro von Ströbele fiel, ergab sich aus der Tatsache, dass die Grünen in Baden-Württemberg an der Regierung beteiligt sind. Gleichzeitig war es uns wichtig, so lange wie möglich im Büro bleiben zu können, ohne von der Polizei geräumt zu werden. Da einige Grüne vorgeben, ebenfalls gegen den §129b zu sein, wegen dem Yusuf angeklagt und verurteilt wurde, erhofften wir uns ein weniger regides Vorgehen gegen unsere Besetzung, als wir es von anderen Parteien erwarten würden.
Es hätte zwar noch viele andere gute Objekte gegeben, wie Redaktionen oder Radios, in denen sich eine Besetzung machen ließe, aber diese Überlegungen wurden schnell verworfen, da es der Sache von Yusuf Taş vielleicht nicht dienlich gewesen wäre, wenn wir sofort von der Polizei geräumt worden wären, ohne dass wir etwas tun konnten und ohne dass es irgendwer mitbekommt. Trotz allem sind wir davon ausgegangen, dass wir auch dort geräumt werden könnten. Das blieb aus und verschaffte uns die Zeit, die wir benötigten.

Was waren eure Ziele?

Es gab so gut wie keine wirksame Öffentlichkeit zu Yusufs Hungerstreik. Damit sich auch nur im geringsten etwas tut, musste zunächst mediale Öffentlichkeit geschaffen werden. Somit hatte die Besetzung das primäre Ziel, die Aufmerksamkeit der Medien auf den Hungerstreik zu lenken. Um der Aktion Nachdruck zu verleihen, war es für uns wichtig, soviel Zeit wie nötig zu haben, statt nur symbolisch für einige Stunden dort zu bleiben. Deswegen haben wir auch kein Ende unserer Aktion angekündigt, sondern sind mit den Worten reingegangen, wir würden solange da bleiben und in den Hungerstreik treten, bis Yusufs Forderungen erfüllt sind. Das Hauptanliegen der Aktion bestand darin, für ihn und seine Forderungen soviel Aufmerksamkeit wie möglich zu erzeugen. Eine breite Öffentlichkeit zu schaffen, die nicht länger ignoriert werden kann. Zuvor wurde dieses unglaubliche Vorgehen gegen Yusuf einfach totgeschwiegen und der Knast hat alles von außen abgeblockt, ja sogar Lügen über die Situation von Yusuf nach außen getragen. Obwohl wir von Freunden Yusufs erfuhren, dass er bereits 20 kg abgenommen hatte und seine Verfassung bedrohlich war, verlautete der Knast es würde ihm gesundheitlich gut gehen. Wir wollten dem ein Ende bereiten und somit die Knastleitung und das Justizministerium dazu bringen, seinen Forderungen nachzugeben. Dass sich Ströbele und Bayram auf ihre Art und Weise eingesetzt haben, war so nicht von uns geplant oder gefordert. Dass sie ihrerseits aber aktiv wurden und das baden-württembergische Justizministerium kontaktierten, ihre Parteikolleginnen in NRW nervten und sich auch juristisch mit Yusufs Fall auseinandersetzten, war eine Entwicklung im Sinne von Yusufs Forderungen.

Wie sahen eure Aktivitäten während der Besetzung aus?

Presse, Presse, Presse. Es wurden Journalistinnen und Redaktionen angerufen und per E-Mail benachrichtigt. Auf Twitter, Facebook und Indymedia-Linksunten wurden laufend Erklärungen, Fotos und Videos veröffentlicht. Transparente wurden draußen angebracht und es kam zu einer spontanen Kundgebung vor dem Büro. Es gab auch Gespräche mit Ströbele und Bayram, wobei aber unser Hauptaugenmerk auf unserer Pressearbeit lag.
Mit der Besetzung hatten wir eine Grundlage, um uns bzw. Yusuf Gehör verschaffen zu können. Wir haben sogesehen während dieser Zeit ein Aktions- und Pressebüro zur Unterstützung von Yusuf dort eingerichtet. Viele Leute sind vorbei gekommen und haben sich informiert. Draußen wurden Flugblätter verteilt und Reden gehalten. Es waren viele Unterstützende die ganze Zeit beteiligt. Am zweiten Tag haben wir dann zu einer Pressekonferenz eingeladen. Weitere Dinge die sich daraus ergeben haben sind, dass Canan Bayram sich bereit erklärte, Yusuf zwei Tage später im Knast-Krankenhaus zu besuchen. Sie hat zudem mit ihren Parteikollegen vor Ort und in Stuttgart über die Situation gesprochen. Ströbele hat Kontakt zum Justizminister aufgenommen.

Ihr habt am Nachmittag des zweiten Tages die Besetzung beendet. War es ein Erfolg?

Wir haben viel versucht, um die Schweigemauer der Massenmedien zu durchbrechen. Ausschlaggebend war dann vermutlich eine Meldung der DPA vom 31. Mai, in der über den Hungerstreik berichtet wurde. Diese Meldung haben enorm viele Medien übernommen, von Lokalzeitungen aus Baden-Württemberg bis hin zur Springer-Presse. Spätestens dann waren Politiker und Presse aufgescheucht. Bis zu diesem Zeitpunkt war es nämlich nur die linksbürgerliche Presse gewesen, die über Yusuf berichtet hatte.
Wir hatten außerdem weitere Aktionen für den 2. Juni geplant. Das war uns auch ein Anliegen, dass nach der Besetzung für uns nicht Schluss war, sondern wir an dieser Stelle das Maximum erreicht hatten und ohne Unterbrechung zu weiteren Protestformen übergehen mussten. Die wir dann am besagten Tag glücklicherweise an Ort und Stelle absagen konnten, da wir von der Erfüllung der Forderungen erfahren haben.
Die Besetzung hat ihr Ziel, welches wir gesetzt hatten, erst am zweiten Tag erreicht. Sie ist jedoch nicht gesondert zu betrachten, sondern reiht sich in eine langandauernde Kampagne ein, an der sich viele beteiligt haben. Wie gesagt, gab es verschiedenste Aufrufe und Aktionen. Es fanden sogar Aktionen außerhalb der BRD statt. Und Erfolg ist ein Wort, das nicht so leicht über die Lippen geht. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, wofür überhaupt die Aktion stattfinden musste. Es waren nicht nur unmenschliche sondern auch ungesetzliche Maßnahmen, denen Yusuf ausgesetzt war. Denn es stellte sich heraus, dass das Gesetz unter dem Yusuf die Kommunikation auf türkisch verwehrt wurde, überhaupt nicht auf ihn hätte angewendet werden dürfen, da er kein deutscher Staatsbürger ist. Wir können sagen, dass die Aktion in Anbetracht ihrer Zielsetzung durchaus erfolgreich war. Aber es ist uns gleichzeitig auch bewusst, dass Yusuf weiterhin als §129b-Gefangener eingesperrt ist und womöglich mit weiterer Repression in der JVA Freiburg, in die er nach seiner Genesung verlegt werden soll, konfrontiert sein könnte. Der Kampf gegen die politische Verfolgung und Repression des deutschen Staates gegenüber Revolutionärinnen – speziell türkischer und kurdischer Herkunft – wird zwangsläufig weitergehen müssen.