Brief von Müslüm Elma zu „Gefangenenkämpfe und fehlende Solidarität“ (GI 421)

Müslüm Elma, 17. Mai 2019

Liebe Genossen, euren Brief, den ihr mir geschickt habt, habe ich erhalten. Danke. Freiheit für alle politischen Gefangenen! Die Zeitschrift gi Nr. 421 und den Artikel auf Seite 24 habe ich gelesen. Kurz möchte ich meine Meinung dazu darstellen.
Ich möchte sagen, dass dieser Artikel meiner Meinung nach gut trifft, was wirklich wichtig ist. Seit fast 20 Jahren ist es doch immer noch schwer, dass ausländische und deutsche linke Aktivisten zusammenkommen. Es steht außer Frage, dass es auch wirklich schwierig ist, zusammenzufinden. Aber es muss dafür gesorgt werden, dass es doch klappt und dass die bestehenden Hindernisse überwunden werden. Die erste Frage ist dabei, festzustellen, wo und wie wir gemeinsam anfangen können. Wir müssen sorgsam analysieren, was die Probleme und Unterschiede zwischen den migrantischen und deutschen Linken sind. Zum Beispiel die unterschiedlichen Forderungen, Vorzüge, Stärken, Erfahrungen …
Wir haben aber ja auch gleiche Interessen und von denen ausgehend können wir gemeinsam kämpfen. Heute ist unser linkes Interesse, als Antifaschisten die Pläne der Imperialisten gemeinsam zu bekämpfen. Das gleiche gilt für die Angriffe der Imperialisten/Kapitalisten gegen das Proletariat, auch das erleben wir gemeinsam und auch dagegen müssen wir vereint kämpfen. Die Angriffe gegen das Proletariat können wir alle jeweils anders interpretieren und analysieren, sie haben viele Gestalten. Aber letzten Endes haben wir alle dasselbe Problem. Die kapitalistischen Kräfte versuchen zu verhindern, dass wir zusammenkommen und sorgen dafür, dass wir unterschiedlich denken und gespalten bleiben. Die migrantischen Organisationen neigen dazu, sich mit ihren Herkunftsländern zu beschäftigen und zu wenig wahrzunehmen, was hier in Deutschland geschieht. Es ist natürlich verständlich, dass sie sich für ihr Herkunftsland interessieren, aber es reicht nicht aus. Dass andererseits die deutschen Linken und Arbeiter oft nicht über die Grenzen sehen wollen und nur ihre eigenen Probleme wahrnehmen, ist ebenso falsch und unverständlich für mich. Es passt nicht zu einem internationalistischen Denken, sich abzuschotten. Die migrantischen Linken bringen sich am Arbeitsplatz und in den Fabriken leider nicht so sehr ein und halten sich bei gewerkschaftlicher Arbeit zurück. Revolution ist aber eine Lebensart und ergreift das ganze Leben, überall. Bei jeder Gelegenheit und in jeder Situation muss ein Revolutionär entsprechend handeln, sonst geht die revolutionäre Denkart und Lebensweise kaputt. Die revolutionäre Haltung und Praxis muss alles umfassen und vor allem anderen stehen.
Wir können als migrantische und deutsche Linke unterschiedlich denken über die Gründe und Grundlagen des Rechtspopulismus und ihn unterschiedlich analysieren. Aber bekämpfen müssen wir den Rassismus gemeinsam! Es gibt noch viele andere ähnliche Beispiele. Je mehr wir unsere Gemeinsamkeiten in den Vordergrund bringen, desto mehr stärken wir uns. Wir müssen einander verstehen und kennen lernen. Durch Kommunikation und Übung erhält unsere Zusammenarbeit stabilen Boden und steht auf zwei festen Beinen.
Bezüglich der Festnahme von politischen Gefangenen durch die deutsche Regierung stellt die Linke insgesamt inzwischen mehr Fragen, es wird mehr über dieses Thema geredet. Aber wir sind erst am Anfang. Mit der Zeit werden wir durch das, was wir erlebt haben, mehr lernen und gemeinsam verstehen, wie wir zusammen einen Schritt vorwärts kommen können. Dann werden wir aus der Geschichte lernen, wie wichtig das ist. Die praktische Arbeit wird uns schulen und voranbringen.

Soweit erstmal. Euch allen viele Grüße und viel Erfolg