Musik und Kampf – Der 2. Juni 1967

Mikhail Muzakmen

Als ich von der Redaktion angefragt wurde, etwas dazu zu schreiben, wie dieser Tag sich so musikhistorisch einordnen lässt, musste ich erst mal schlucken. Persönlich bin ich ja eher ein Kind der 80er, das nur mittelbar die Auswirkungen jener Jahre mitbekommen hat. Aber mensch hat ja schließlich Eltern und ältere Genossen und Genossinnen, die einem schon als interessierter Jugendlicher weitergeholfen haben. Als erstes aus diesen Jahren, bin ich, wie viele Andere mit Ton-Steine-Scherben sozialisiert worden.
Aber es gab ja schließlich auch eine Vorgeschichte und es gab auch schon vor 67/68 revolutionäre bzw. kämpferische Musiken. Vieles war schon angelegt teils im Experimentellen z. B. literarisch in der Beatnik-Bewegung um Leute wie William S. Burroughs, Allen Ginsberg, Keyes, Kerouac etc., die ja ihre Texte unter dem Einfluss von Drogen und für Normalbürger schlecht zu verdauenden BeBob und Free Jazz entwickelten. Ja, schon Anfang/Mitte der 60er wehten auch über deutschen Jazzclubs rote Fahnen, teils ernstgemeint, teilweise als Provokation. Diese Leute hatten aber andererseits recht wenig mit den eher proletarischen Jugendlichen am Hut, die eher auf Rock n Roll und Beatmusik standen. Es kam da teilweise zu eher hässlichen körperlichen Auseinandersetzungen.
Auch die Folkmusik-Szene, beeinflusst von amerikanischen Künstlern wie dem damals schon historischen Woody Guthrie, von Pete Seeger, Phil Ochs und Bob Dylan war eher aus dem Bildungsbürgertum und den wenigen kommunistischen Zirkeln gespeist. Sie trafen sich bei Festivals, wie auf der Burg Waldeck zu Auftritten der damals jungen neuen Künstlergeneration um Dieter Süverkrüp, Hanns Dieter Hüsch, Walter Mossmann, Hannes Wader und Konsorten. Dort sah mensch damals auch schon die ersten Langhaarigen und las in der bürgerlichen Presse von „Gammlertreffen“ und viele BRD-Jugendliche hörten zum ersten Male Lieder gegen den Krieg, den reaktionären Muff und die Spuren, die Allgegenwärtigkeit der alten Nazis in der BRD.
Proletarische Jugendliche ließen sich aber ebenfalls die Haare wachsen, was für sich genommen schon zur Ausgrenzung aus der Normalgesellschaft und wahren Hetzjagden führte und stritten sich cliquenübergreifend darüber, wer die beste Beatcombo war. Die Auswahl war nicht groß. Es ging um die Beatles, Rolling Stones, Kinks oder vielleicht noch um die Animals. Es ging dabei mehr um die Attitüde der jeweiligen Bands als um Inhalte, obwohl z. B. Ray Davies von den Kinks sich als Sozialist verstand und seine Songs sich schon damals oft um Klassenunterschiede und den Alltag der „Working Poor“ drehten. Später ließ er sich aber vom British Empire adeln.
In diese Zeit fiel auch die erste militante Auseinandersetzung mit der Staatsmacht, in der es um mehr ging als Musik. Hier diese Episode, erzählt von Rolf Reinders (Stadtguerilla „Bewegung 2.Juni“):
„1965 kamen die Stones das erste Mal nach Berlin, in die Waldbühne. Und für viele von uns kam damit ein kleiner Durchbruch. Wir wollten eigentlich nur das Konzert hören, hatten dann aber auf die Preisliste geguckt. 20 DM sollte der Eintritt kosten. Das war damals ein Schweinegeld. Wir hatten die Kohle nicht und haben beschlossen, umsonst reinzugehen. In Tegel versammelten wir uns, Beatlesfans, Stonesfans und Kinksfans. Es waren etwa 200 bis 250 Leute, die dann losmarschierten. Unter ihnen waren die späteren Aktivisten des „2. Juni“ stark vertreten.
Als wir an der Waldbühne aus der S-Bahn kamen, war da gleich die erste Bullensperre. Eine ganz lockere, die wir zur Seite drückten. Dann kam kurz vor der Waldbühne eine zweite mit einer berittenen Staffel. Das war schon ein bißchen komplizierter. Wir sind auch da durchgebrochen. Dann gab es nur noch eine ganz leichte Sperre direkt an der Waldbühne. Und so waren wir schließlich mit über 200 Leuten umsonst drinnen, und standen ganz vorne. Und die Leute, die bezahlt haben, sind nach uns zum Teil gar nicht mehr reingekommen.
An diesem Abend hat sich dort eine Stimmung entwickelt, wo ich zum ersten Mal auch ansonsten ganz unpolitische Leute sah, die einen wahnsinnigen Haß und Frust auf die B. hatten. Als dieses Konzert, das ja wirklich saumäßig war also für den Preis, wenn ich ihn denn bezahlt hätte, wäre ich, glaub‘ ich, richtig ausgerastet , zu Ende ging, standen die Leute auf und wollten eine Zugabe. Da haben die Veranstalter einfach das Licht ausgedreht. Und im Nu brach das totale Chaos in der Waldbühne aus. Es hat angefangen fürchterlich zu knacken, und dieses Knacken war so animierend, dass dann alle sich daran machten, die Bänke auseinanderzunehmen. Dann ging plötzlich das Licht wieder an, und auf der Bühne zogen die B. auf. Sie hielten mit ihren Wasserwerfern von oben herein, worauf sich die erste Schlacht hauptsächlich mit uns entwickelte. Jeder kannte jeden und es gab ein Stück Gemeinsamkeit, ein gemeinsames Gefühl.
Danach wollten wir aus der Waldbühne raus. Bis dahin war alles noch halbwegs friedlich verlaufen. Der Schaden war auch eher gering. Doch dann fingen die B. an, auf eine Gruppe von so 40 bis 50 Mädels einzuschlagen, die sich an der Bühne versteckt hatten. Das war dann das Signal für alle: jetzt nochmal zurück. Und dabei ging die Waldbühne dann halt richtig zu Bruch!
Vier, fünf Stunden hat die Schlacht getobt, auch rundrum auf den Straßen. Dort hab‘ ich zum ersten mal Leute richtig ausrasten und auf die Bullen losschlagen sehen. Das kannte ich noch nicht. Wir sind aus der Waldbühne raus und in den S-Bahnzügen ging das weiter. Die gehörten dem Osten und eigentlich war es ja sogar offiziell erlaubt, die kaputt zu machen.
Am nächsten Tag haben wir uns wieder in Tegel getroffen. Zwar nicht alle 200, aber doch ziemlich viele. Und auf einmal kanntest du alle! Darunter waren viele,….. , die später dann beim „2. Juni“ waren.
Parallel zu dieser Geschichte liefen auch die ersten Studentensachen ab: zum Beispiel Vietnamdemos, zu denen ich dann hingegangen bin. Übrigens hat eine der ersten Demos nach Neukölln geführt. Dort sind wir von den Bürgern noch fürchterlich in die Enge getrieben worden. Da gab‘s mehr Regenschirme auf‘n Kopp als Demonstranten da waren. Weißt du, von diesen Berliner Frontstadtkadavern, die da empört waren wegen der roten Fahnen, wegen der Kommunisten…..“
Und dann, die Haare sind noch einmal ein Stück länger gewachsen, nach einigen weiteren Zusammentreffen, Konzerten, Studentendemos, Sit-Ins, Teach-Ins kam der 2. Juni 1967
1967 im Allgemeinen war auch für die Musik der nächsten Jahre ein Urknall. Auch viele Musiker (leider fast ausschließlich männlich) aus dem Folkmusikbereich, später unter dem Begriff „Liedermacher“ eingeordnet, die schon Jahre auf Tour waren, auf der Burg Waldeck, in Clubs und auf Demos spielten, bekamen erst jetzt die ersten Plattenverträge. Es entstanden tausende andere Rockbands mit Anti-Kriegsliedern und Texten mit explizit linken Inhalten. Als erstes in den USA, aber auch in der BRD. Schaut mensch in die Veröffentlichungslisten der Jahre 1967/68 wird klar, dass es sich um eine wirkliche Explosion handelte und niemand kann mir erzählen, dass diese Leute ein Jahr zuvor noch keine Musik gemacht haben.
Es war eine Revolte, die direkt von den Straßen und Plätzen der Städte in den USA, Frankreichs, dem Gebiet, dass Großbritannien genannt wird und auch der BRD direkt in die Clubs, Konzertsäle und Plattenläden geschwappt ist. Durch Bands wie Anfangs Ihre Kinder, Ton-Steine-Scherben, Floh de Cologne wurde dann auch die deutsche Sprache mit Revolte und Coolness aufgeladen, die eindeutig mehr erreichte als die kleinen linken Zirkel der Vor-67er Ära. Sie waren die Wellenbrecher für viele herausragende Politrock-Bands und Rocktheater, die ihre Spuren noch in den Bewegungen der End70er und 80er-Jahre hinterlassen haben. Herausragend dabei Checkpoint Charlie, Captain Sperrmüll, Die 3 Tornados, Schroeder Roadshow etc.
Aber auch die Liedermacher machten weiter, einige mit eindeutiger Nähe zur DKP, viele aber auch darüber hinaus. Die unterschiedlichen Ansätze sind sehr gut in den 2 Liedern nachzuspüren, die sich dem Datum 2.Juni widmen. Eines von F.J. Degenhardt und das andere von den 3Tornados.
In Vielfalt, Massenkompatibilität, Durchschlagskraft aber auch Schnelllebigkeit war dass, was in West-Deutschland geschah natürlicherweise nichts gegenüber dem, was die USA zu bieten hatten. Mensch muss nur Woodstock schreiben, um dem Rechnung zu tragen. Sehr viel war dort eindeutig bestimmt durch den Widerstand gegen den Vietnamkrieg, aber auch die Musikrevolution dort hatte ihre radikalen Spitzen, gerade in den Black Communities, geprägt von der Black Panther Party. Ihnen ging es um mehr als das Ende des Vietnamkriegs. Es ging um Selbstermächtigung in einem von Rassismus geprägten Land und um eine revolutionäre Umwälzung, auch gegen den Kapitalismus und die Weltmacht USA. Dies ging auch dort durch alle Genres, vom Folk, den Singer/Songwritern, dem Rock, Soul, Funk, Blues etc. Hier einzelne Namen zu nennen führt zu nichts, weil es den nicht genannten Unrecht tut. Vieles versandete in Kommerzialisierung und kapitalistischer Verwertung. Doch ohne diese Revolte und die Reaktionen auf ihr Scheitern durch die Punkbewegung, wäre das, was wir unter revolutionärer Musik & Kultur verstehen, um einiges ärmer.