„Im Gottesstaat ist die Frau allein durch ihre Existenz schuldig“

Interview mit Dr. Jale Ahmadi

Dr. Jale Ahmadi war politische Gefangene zweier Regimes. Sie war dreieinhalb Jahre im Gefängnis unter dem iranischen Schah-Regime und sie war Gefangene der Islamischen Republik Iran. Sie lebt seit 1985 als politischer Flüchtling in Deutschland.

Du warst während des Schah-Regimes in den Jahren vor der Revolution als politische Gefangene eingesperrt. Weshalb wurdest du verhaftet und wie sah deine Haft aus?

Ich wurde 1975 wegen meiner marxistischen Untergrundaktivitäten verhaftet und landete im Untersuchungsgefängnis ”Das Gemeinsame Komitee von SAVAK und Polizei”, bekannt als ”Komitee gegen Sabotage”. Nach dreimonatigem Verhör unter Folter wurde ich zu vier Jahren Gefängnis verurteilt und ins Ghasr-Gefängnis, eines der Hochsicherheitsgefängnisse  Teherans, verlegt. 15 Monate später, inzwischen hat es einige weitere Verhaftungen gegeben, wurde ich wieder in die Untersuchungshaftanstalt gebracht. Nach weiteren vier Monaten Verhör unter Folter hatte ich eine ”Offene Akte”. Das bedeutete, die Aufhebung der ersten Verurteilung und Gefangenschaft für eine unbestimmte Zeit – mindestens für 10 Jahre.
Mit Beginn der Revolution bzw. dem Aufkommen der ersten politischen Demonstrationen mit der Forderung der Freilassung der politischen Gefangenen, wurde ich vorzeitig, am 25. Oktober 1978 mit über eintausend anderen Gefangenen freigelassen.

Wie wirkte sich zu dieser Zeit die Repression auf RegimegegnerInnen aus und was waren die Konsequenzen für die gefangenen Frauen?

In den frühen 1970ern wurden die weiblichen politischen Gefangenen, den männlichen Gefangenen gleichgestellt, mit der Begründung der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Verschärfung der Repressionen in dieser Zeit ging Hand in Hand mit den Reformen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Sie führten zur Radikalisierung der Opposition. Frauen beteiligten sich mehr denn je. Gegen die Radikalisierung der politischen Kämpfe ging das Schah-Regime mit großer Brutalität vor. Sie traf Männer, Frauen und Mädchen gleichermaßen. Weibliche Gefangene wurden allerdings weitaus mehr als Männer Opfer von sexueller Folter und Vergewaltigungen. Hunderte Frauen wurden zu langjährigen Strafen verurteilt, viele bekamen lebenslänglich.

Gab es Unterschiede zwischen Frauen- und Männergefängnissen und deren Haftbedingungen unter dem Schah-Regime?

Es gab für Frauen zwar keine besonderen Regelungen, aber sie waren anderen Behandlungen ausgesetzt. Es gab aber auch geschlechtsspezifische moralische, seelische Folterungen für Frauen. Wenn beispielsweise entdeckt wurde, dass eine Frau eine außereheliche Liebesbeziehung hatte, so wurde das bei den Verhören und den Folterungen ausgenutzt. Frauen wurden sogar dazu gezwungen, vor ihren Ehemännern, die auch gefangen waren, ihre außereheliche Beziehung zuzugeben. Damit sollten die Männer unter Druck gesetzt werden. Für die Frauen war das die Hölle. Folter gegen Frauen hatte mitunter dramatische Konsequenzen. Eine schwangere Frau erzählte mir von ihrer Fehlgeburt in der Untersuchungshaft. Die Schwangerschaft von Frauen wurden im Hinblick auf physische Folterungen sowieso nicht berücksichtigt. Die Folter hatte allerdings nur das Ziel, Informationen aus den Gefangenen herauszupressen, nicht aber die Vernichtung der Gefangenen als Individuum.
Nach dem Verhör im Untersuchungsgefängnis wurden die Gefangenen in Gemeinschaftsgefängnissen untergebracht. Ich bezeichne die Frauengefängnisse als periphäre bzw. schlechteste Teile der Männergefängnisse. Frauen- und Männergefängnisse unterlagen zwar den gleichen Regeln, die Haftbedingungen waren tatsächlich jedoch nicht gleich. Ein Beispiel ist die geringere Zahl von Büchern im Frauengefängnis. Manchmal wurden uns alle Bücher weggenommen. Im Gegensatz zu den Männern mussten wir teilweise monatelang darum kämpfen, um sie zurückzubekommen. Zu Beginn meiner Haftzeit waren wir über 50 Frauen in einem Gefängnis, das als ein Behördengebäude gebaut und zum Frauengefängnis umfunktioniert wurde. Dieses Gebäude hatte nur vier Räume, eine Toilette, eine Dusche und einen kleinen Hof. Dort lebten wir auf engstem Raum, als die Zahl der Gefangenen auf über 70 anstieg und wir uns die Betten teilen und sogar auf den Gängen schlafen mussten. Als die Zahl der politischen gefangenen Frauen 80 überschritt, wurde ein Gefängnis für Frauen errichtet. Dieses war klein im Vergleich zu den Männergefängnissen. Das Platzproblem wurde jedoch nicht gelöst. Noch immer mussten sich jeweils zwei Frauen ein Bett teilen. Auf dem Hof dieses Gefängnisses, das von hohen Mauern vom Rest des Ghasr-Gefängnisses getrennt war, könnten wir nur einen winzigen Ausschnitt des Himmels sehen. Es gab kein einziges grünes Blatt auf dem Hof.

Gab es in der Zeit vor der Revolution viele politische Gefangene? Und könnest Du uns schildern, wie es zu eurer Befreiung kam?

Es gab vor der Revolution sehr viele politische Gefangene. Man spricht von ca. 4.000 Personen, von denen einige hundert Frauen waren. Zwischen 1975 und 1977 wurden jene Gefangenen, die ihre Strafen bereits abgesessen hatten, in der Regel nicht freigelassen. Das änderte sich plötzlich, als eine Delegation des Roten Kreuzes im Mai 1977 eintraf. So sank ihre Zahl bis zur Befreiung während der Revolution auf rund 1.500. Der Besuch des Roten Kreuzes hatte außerdem viele Haftverbesserungen zur Folge. Nach Einschätzung dieser Delegation, waren die Folterungen in iranischen Gefängnissen vergleichbar mit jenen in Vietnam, Israel und Südafrika.
Die Freilassung der politischen Gefangenen zur Revolutionszeit war ein Resultat der Politisierung und  Radikalisierung der oppositionellen Bewegung. Nach 1977 bekamen Streiks und Demonstrationen einen Massencharakter. Die StudentInnen demonstrierten zunächst in den Unis, die ArbeiterInnen in den Fabriken. Außerdem streikte der Öffentliche Dienst. Die Proteste wurden in dieser Zeit immer politischer: das Regime antwortete immer häufiger mit dem Einsatz des Militärs. Einige Monate vor unserer Freilassung gab es dann auch Massendemonstrationen, die die Freiheit der politischen Gefangenen forderten. Es ging sogar das Gerücht um, dass die Massen die Gefängnisse stürmen und uns befreien wollten. Diese Situation führte dazu, dass der Staat zunächst 1.160 politische Gefangene und dann im Laufe zweier weiterer Monate alle übrigen politischen Gefangenen freiließ.
Am Tag vor unserer Freilassung hat man Listen von Namen jener verlesen, die freigelassen werden sollten. Nachdem bis zum Abend alle Namen verlesen worden waren, wurde uns gesagt, dass wir nun unsere Sachen packen könnten. Wagen stünden bereit, die uns nach Hause fahren würden. Wir sagten, ”Nein, wir gehen nicht!” Als der Gefängnisdirektor eintraf und die gleiche Antwort zu hören bekam, war er verwirrt. Er, der uns bis dahin oft ”Schweine” genannt hatte, sagte: ”Wie bitte?” und fügte verwundert hinzu, ”Liebe Damen, Sie wollten immer, dass Sie freigelassen werden und jetzt wollen Sie nicht raus?” Wir erklärten, dass wir zuerst unsere Erklärung drucken lassen wollten und dann gehen würden. ”Es ist Abend, es gibt keine Zeitung, jetzt gibt es Freiheit, ihr könnt das draußen in den Druck geben”, erklärte er daraufhin. Wir lehnten ab. Natürlich war das ein Vorwand. Denn wir wollten am Tag darauf vor Fernsehkameras und JournalistInnen unsere Erklärung verlesen. Jede Gruppe, die am 25. Oktober 1977 das Gefängnis verließ, hatte ein Kopie dieser Erklärung dabei. Zur Verlesung kam es aber nicht. Die Menschen stürmten auf uns zu. Sie haben uns auf ihren Schultern getragen und mit Blumen überschüttet.
Die meisten politischen Gefangenen in Teheran, auch die Männer im Ghasr-Gefängnis, hatten am Abend zuvor bereits das Gefängnis verlassen.

Nach der Revolution wurdest du erneut festgenommen. In welchem Gefängnis warst du und wie kamst du frei?

Zur Zeit der Revolution gab es von der Bevölkerung spontan gegründete Organisationen wie Berufsverbände,  ArbeiterInnen-Räte und Bezirkskomitees. Die letzteren waren an allen möglichen Orten Zuhause: in Schulen, Stadien oder in Moscheen, wo sich Menschen, ganz gleich welcher politischer Orientierung versammelten und sich um die Grundversorgung mit Strom, Gas oder Lebensmitteln kümmerten. Diese Komitees politisierten sich natürlich auch und wurden sofort nach der Machtübernahme Khomeinis gesäubert, bzw. islamisiert.
Ein politischer Freund von mir beispielsweise, der in Süd-Teheran in einem der Komitees gearbeitet hatte, wurde von anderen als aktiver Kommunist denunziert und war eines der ersten Opfer der Mullahs. Er wurde im März 1979 verhaftet und dann zu zehn Jahren verurteilt.
Nach der Revolution wurde ich kurze Zeit nach Beginn des Iran-Irak-Krieges 1980 festgenommen und in das für unseren Bezirk zuständige Komitee gebracht. Dann brachten sie mich ins iranische Parlament, das in ein Gefängnis umgewandelt worden war und den Namen ”Zentralkomitee der islamischen Revolution” trug. Das war die Zentrale der 1.500 Komitees, die in 13 Bezirken Teherans existierten und ebenso als Gefängnisse genutzt wurden. Hier wurden wir verhört.
Ich kam ins Evin-Gefängnis, das auch als oberster islamischer Gerichtshof fungierte. Der Staatsanwalt war ein Angehöriger der Hisbollah, der zur Schah-Zeit im Gefängnis war. Er ließ mich und einen meiner Mitgefangenen frei, da er meinte, dass er unsere SAVAK-Akten gelesen habe und wir richtige RevolutionärInnen seien.
Einige Monate später kam es 1981 zur einer Hinrichtungswelle, die Tausende traf. Ich musste untertauchen. Anfangs wurden die Namen der Hingerichteten in Zeitungen veröffentlicht. Ich erfuhr, dass meine ehemalige Zellengenossin hingerichtet wurde. Zur Zeit ihrer Hinrichtung war sie im achten Monat schwanger. Viele andere, darunter viele Jugendliche, die mit mir in diesem Gefängnis waren, wurden später hingerichtet. Wäre ich nicht durch Glück und Zufall freigekommen, hätte es auch mich getroffen.

Die Verfolgung der Frauen in der islamischen Republik hatte im Vergleich zur Schah-Zeit sehr drastische Ausmaße. Was kannst du uns dazu sagen?

Wir bekamen im Gefängnis anstatt Gefängniskleidung Kopftücher. Ab 1981 kam der Chador dazu. Dieser musste getragen werden, wenn männliche Wärter die Zelle betraten und beim Verlassen der Zelle. Bei ihrer Hinrichtung oder für ihre Präsentation in der Öffentlichkeit (z.B. im Fernsehen) mussten die weiblichen Gefangenen schwarze Schleier tragen. Später wurde das Tragen des  schwarzen Schleiers beim Verlassen der Zelle obligatorisch. Der Widerstand, bekannt als “Hejab Krieg”, wurde brutal bestraft und unterdrückt.
Männer hingegen mussten nur reguläre Gefängniskleidung tragen. In der Öffentlichkeit zeigte man sie sogar in Zivil.

Wie sah die Repression gegen weibliche politische Gefangene aus und kann von einer geschlechterbasierten Verfolgung geredet werden?

Die Ermordung der laizistischen Feministin und ehemaligen Bildungsministerin Farokhrou  Parsa im Jahr 1980 markiert den Beginn einer genderbasierten Gefängnispolitik. Sie wurde hingerichtet, indem sie in einen Sack gesteckt und erschossen wurde.
1981-1985 wurden mehr als 1.500 Frauen und Mädchen verhüllt im schwarzen Schleier hingerichtet.
Die Islamischen Revolutionskomitees und die Hochsicherheitsgefängnisse, namentlich Evin, Qezel Hesar, Gohar-Dasht in Teheran und andere Gefängnisse waren überfüllt mit Tausenden weiblichen Gefangenen. Viele von ihnen waren Mitglieder oder Sympathisanten von marxistischen oder islamischen oppositionellen Gruppen. Andere waren auf einer Demonstration verhaftet worden, einige waren Mütter, die ihren Kindern geholfen hatten.
Zwangsteilname an ”Ideologie-Kursen” waren fester Bestandteil einer kontinuierlichen Folter, die nicht nur zum Erhalt von Informationen und öffentlichen Reuebekenntnissen genutzt wurden, sondern den Gefängnisalltags bestimmten. Das Ziel war die totale Zerstörung der Persönlichkeit. Widerstand und Ungehorsam wurden brutal bestraft. Zwischen 1983 und 1984 wurden ungehorsame Frauen bis zu zehn Monate lang in Holzkisten, von den Gefangenen ”Sarg” genannt, gesperrt, wodurch viele verrückt wurden.
Streng bewacht von gebrochenen Mitgefangenen und Wärterinnen waren die gefangenen Frauen den männlichen Wärtern ausgeliefert, die sie folterten, vergewaltigten, heirateten und hinrichteten. Sie sollten als Jungfrauen nicht direkt ins Paradies eingehen.
Bis 1985 starben 60 Frauen unter Folter. Von mehr als 1.500 hingerichteten Frauen waren 47 schwanger, 187 waren unter 18, davon 22 zwischen 13 und 15 Jahre alt, neun waren unter 13, zwei waren über 70 Jahre alt, die Jüngste war zehn Jahre alt. Zudem wurden etliche Bahai-Frauen, die sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören, hingerichtet.
Einige gebrochene Gefangene sahen einen Ausweg darin, eine Ehe bzw. Zeitehe mit geeigneten Wärtern einzugehen. Andere nahmen sich das Leben.
1988 wurden jene Gefangenen, die nicht abschworen, hingerichtet. Hunderte Frauen der Volksmodjahedin wurden als ”bewaffnete Feinde Gottes” gehängt. Frauen aus linken Bewegungen wurden fünfmal pro Tag, jeweils zu den Gebetszeiten, ausgepeitscht. Auch während des Widerstands der betroffenen Frauen mittels Hungerstreik, machten die Folterer keinen Halt. Eine Frau starb nach 22 Tagen und drei nahmen sich das Leben. Rund 100 Frauen überlebten das Massaker.
Als Konsequenz der blutigen Repression konzentrierte sich die Weltöffentlichkeit auf politische Gefangene und ignorierte das Schicksal der gewöhnlichen Gefangenen.
Die islamische Justiz ordnete strenge Sozial-, Moral- und Verhaltenscodes für die Frauen an.
Zwischen 1980 und 1985 verhafteten ideologische bewaffnete Kräfte und paramilitärische Organisationen wie die Basij massenhaft Frauen wegen Ehebruchs, Prostitution oder schlicht wegen ungesetzlichen Kontakten zu Männern. Revolutionäre islamische Gerichte verurteilten viele zum Tode und viele andere zu physischen Bestrafungen oder Gefängnisstrafen.
In den 90er Jahren und den frühen 2000er Jahren bestanden die politischen Gefangenen hauptsächlich aus prominenten Anwältinnen, Journalistinnen, Verlegerinnen und anderen, die sich für Frauenrechte einsetzten.
Nach der Niederlage der politischen Opposition im Iran wurde der Hijab zum Hauptgrund der Massenverfolgung. Sowohl der Plan von 1990 zur Bekämpfung von Sittenlosigkeit und sittenwidrigem Hijab (schlecht Verschleierte) als auch der Plan von 1994 für höherwertigen Hijab endeten in Massenfestnahmen. In den Folgejahren wurden viele weibliche Straßenkinder inhaftiert. Einige Mädchen wurden wegen undefinierter Delikte wie Flucht aus dem Elternhaus oder wegen des Tragens von Jungenbekleidung in Gefängnisse gesperrt.

Woran liegt es, dass die Frauen im Iran so sehr Verfolgung und Repression ausgesetzt sind und worauf stützen sich diese Maßnahmen für gefangene Frauen?

Das System der islamischen Republik Iran basiert auf einer Verfassung, die schon in ihrer Einleitung Frauen für schuldig erklärt. “Die Frau” wird als eine der Säulen des islamischen Staates definiert. Deswegen muß sie in das Subjekt der islamischen Norm umgewandelt werden. So wurde die Islamisierung der Frau zur Daseinsberechtigung des Velayat-e Faqih (Statthalterschaft der religiösen Gelehrten). Die Verschleierung der Gefangenen ging der Islamisierung der Gesellschaft voraus. Die Konsequenz daraus ist, dass Gefängniswärterinnen und gefangene Frauen optisch nicht mehr zu unterscheiden sind. So werden die Gefangenen wie ihre Wächterinnen Teil der Repräsentation des islamischen Staates, egal ob sie abgeschworen haben oder nicht, egal ob sie Musliminnen, Nicht-Musliminnen oder gar Atheistinnen sind. Nach diesem Muster wurde der weibliche Teil des iranischen Volkes durch Zwangsverschleierung zum Repräsentationsobjekt  der Islamischen Republik Iran.