Knast ist eine feministische Sache!

Was das Thema „Frauen* und Knast“ zum Titelthema dieser Ausgabe macht, ist der starke Bezug dieses Themas zum institutionellen Rassismus, zur Diskriminierung, der genderbasierten Unterdrückung und zum Patriarchat des herrschenden Systems sowie dem Knastsystem, welches heutzutage die Arbeiter*innenklasse und diejenigen, die in das System des Kapitalismus nicht hineinpassen, zur Zielscheibe macht.

Es ist sehr wichtig, über die spezifischen Themen der Frauen*knäste und inhaftierte Frauen* zu reden. Gleichzeitig ist es aber auch notwendig, herauszustellen, dass sowohl die Praktiken in den Frauen*knästen als auch in den Männerknästen genderspezifisch sind; wenn wir das verstehen, können wir das falsche Konzept vermeiden, wonach Frauen*knäste marginal sind und Männerknäste die Norm konstituieren. Wenn wir verstehen, dass Knastsysteme genderspezifisch sind, können wir leichter zu dem Schluss gelangen, dass das Knastsystem allgemein abgeschafft werden muss. Gleichzeitig führt uns das Verständnis zu dem Schluss, dass der genderspezifische Charakter der Bestrafung die genderspezifische Struktur der allgemeinen Gesellschaft wiederspiegelt und etabliert1. Auf jeden Fall bringt uns die Charakteristik der Frauen*knäste und inhaftierten Frauen* dazu, einen Schwerpunkt auf das Thema der inhaftierten Frauen* an sich zu legen.

Ein zentraler Aspekt der Sache der inhaftierten Frauen* ist die Erfahrung sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung innerhalb der Gefängnisse. Auch wenn eine genaue Zahl der Missbrauchten und Vergewaltigten weder vorhanden ist, noch vorhanden sein kann, wissen wir, dass diese Katastrophe weltweit existiert; ein Beispiel dafür ist der im Mai 2015 ans Licht gekommene Fall aus dem Rikers Island Gefängnis in New York, als zwei Frauen* einen Wärter und die Stadt New York wegen wiederholten sexuellen Missbrauchs und einer „tief greifenden Vergewaltigungskultur“ anklagten.2

Ein weiteres Thema für Gefangene allgemein und gefangene Frauen* insbesondere ist die medizinische Versorgung. Frauen*, die inhaftiert werden, haben in vielen Fällen schon vorbestehende gesundheitliche Probleme: die Frage der Gesundheit ist mit der Frage der Klasse stark verbunden und diejenigen, die ins Gefängnis gesteckt werden, sind oft arm und leiden unter armutsbedingten Gesundheitsproblemen. Der industrielle Gefängniskomplex kümmert sich um Gesundheitsprobleme nie genug und verschiedenen Quellen zufolge werden diese Frauen* das Gefängnis mit noch mehr Gesundheitsproblemen verlassen, als mit denen sie angekommen sind. In manchen Staaten und Ländern wie den USA müssen Gefangene während ihrer Inhaftierung auch Arbeit leisten. Das entspringt der Logik des Profits und billiger Arbeitskraft und kann auch die Gesundheit von manchen Gefangenen noch mehr gefährden.

Einer der anderen wichtigen Aspekte ist die Frage, ob inhaftierte Frauen* Kinder haben. In vielen Fällen dürfen die Kinder nicht mit ihren Müttern im Gefängnis leben, und falls sie das tun, ist es sicherlich keine gesunde Umgebung für sie. Verschiedene Studien zeigen, dass außerhalb des Gefängnisses lebende Kinder eine schwerwiegende Sorge für die inhaftierten Mütter darstellen und dass inhaftierte Mütter im Vergleich mit Vätern viel seltener von ihren Kindern besucht werden, oft wegen Zwang seitens des in Freiheit lebenden Vaters. Die emotionale Verbindung und Beziehung zu den Kindern als auch die Sorge um ihr materielles Wohlhaben ist eine weitere Last für inhaftierte Mütter. All das erschwert die Knasterfahrung für die Frauen* ungemein. Dazu wachsen dann die Kinder mit all der Last der Vorurteile auf, die in der Gesellschaft mit Gefängnis und Inhaftierung assoziiert sind, was die psychische Gesundheit dieser Kinder auch extrem beeinflussen kann.

Die Gesellschaften, in denen wir leben, akzeptieren Frauen* mit Gefängnishintergrund nicht. Diese Diskriminierung berührt natürlich auch die Reproduktion von Vorurteilen gegen Frauen* allgemein. Diese Ignoranz und Ablehnung von inhaftierten Frauen* existiert auch in den Familien, den Arbeitsplätzen (falls überhaupt vorhanden), bei Freunden usw. Viele dieser Frauen* wurden oft diskriminiert und verletzt noch vor ihrer Zeit im Gefängnis. Die Zeit im Gefängnis mit ihrer Isolation und geistigen Traumas macht die Rückkehr in die Gesellschaft und das „normale“ Leben umso schwieriger.

Diese Ignoranz der Gesellschaft bezüglich des Themas inhaftierter Frauen* und die Angst vor dem Gefängnis selbst erschwert für die Frauen auch den Ungehorsam. Ein Beispiel dafür sehen wir an politischen Gefangenen, die sowohl durch den Diskurs des sexistischen Herrschaftssystems als auch durch die maskuline Gesellschaft dazu gebracht werden, sich selbst als minderwertig oder im Nachteil im Vergleich zu ihren männlichen Genossen zu sehen. All diese Aspekte machen es für Frauen* schwieriger, politisch aktiv zu sein.3

Angela Davis (2003) behauptet, dass Gefängnisse in der Rehabilitation nicht erfolgreich sind, da hauptsächlich seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und den Änderungen in den Frauen*gefängnissen der Ansatz der Rehabilitation in Gefängnissen durch eine „Entmündigung als das Hauptziel des Gefängnisaufenthalts“ ersetzt wurde.4 Historisch gesehen, seit dem Beginn der Existenz von Frauengefängnissen in manchen Ländern, auch den USA, sollten Frauen* zu besseren Müttern und Ehefrauen rehabilitiert werden, während Männer bessere Bürger werden sollen. Diese Frauen* waren in den meisten Fällen Frauen* aus der Arbeiter*innenklasse, Frauen* of Color und schwarze Frauen*. Das zeigt die Absicht des Systems, eine Gesellschaft oder sogar ein Land zu haben, in der bestimmte Frauen* für die Bedienung Anderer bestimmt sind. 2016 hatte die USA ein Drittel aller inhaftierten Frauen* der Welt, obwohl ihre Bevölkerung 5% der Weltbevölkerung ausmachte.5

Durch Prozesse der politischen Bewegungen, angetrieben durch Polizeigewalt, wurden die Widersprüche des industriellen Gefängniskomplexes klarer und die Frage der Gefängnisse und Gefangenen bekam breitere Aufmerksamkeit. Das könnte ein Anlass sein, die Frage zu stellen, wer darüber entscheidet, was als „Verbrechen“ gilt und was mit den „Verbrecher*innen“ eigentlich gemacht werden sollte. Eine der einfachsten Herangehensweisen für Regierungen ist es, diese Menschen aus der Gesellschaft zu isolieren und damit die Probleme nicht zu lösen, sondern aus dem Licht der Öffentlichkeit fernzuhalten. Der Kapitalismus basiert auf Akkumulation des Kapitals und Profit und in Zeiten von Globalisierung und Neoliberalismus müssen die Regierungen des kapitalistischen Systems die Angst der Gesellschaft pflegen, als auch globale Strategien für die Sicherung ihrer eigenen Existenz entwickeln. Gleichzeitig wollen diese Regierungen aus den verschiedenen Systemen Profit schlagen, wie z.B. aus Systemen der Disziplin, wie dem industriellen Gefängniskomplex. Die Isolationshaft beispielsweise spielt eine wichtige Rolle dabei, die Gefangenen von der restlichen Gesellschaft im Gefängnis zu isolieren; diese Tatsache, als auch angsteinflößende Geschichten aus dem Gefängnis oder das „Mysterium“ des Gefängnisses allgemein, erhöht die Angst vor dem Knast.

Hinter dieser Angst stecken verschiedene Ursprünge und Logiken. Ein Dasein in Angst und Unsicherheit ist selbst eine Art Bestrafung. Michel Foucault zufolge haben Strafen in modernen Gesellschaften die Form von Langzeitinhaftierungen unter ständiger Überwachung.6 Dieses Konzept der Angst sollte das „Theater des Grauens“ und die „Umgestaltung der Seele“ vorantreiben. Das Gefängnissystem basiert aber darauf, politische und soziale Disziplin zu implementieren, so wie sie von dem Herrschaftssystem definiert ist. Diejenigen, die diszipliniert und rehabilitiert werden sollen, sind diejenigen, die schon vorher aufgrund ihrer Klasse, politischen Überzeugung, Ethnizität, Religion, Rasse oder Geschlecht durch die herrschende Klasse, ihre Regierungen und Institutionen unterdrückt sind. Das Zwingen der Gefangenen durch Bestrafung zu einem bestimmten Verhalten ist ein Hauptziel. Diese Bestrafung kann verschiedene Methoden der Erniedrigung und Folter haben, je nach Land, Geschlecht, Aufenthaltsstatus, sexueller Orientierung und Identität oder dem Grund der Inhaftierung (politisch oder sozial). Die Gemeinsamkeit bei allen ist das Ziel des Gefängnissystems, durch Bedrohungen von Haft, Strafe und Marginalisierung die Gesellschaft und Gefangene zum Gehorsam zu zwingen.

Der Gefängniskomplex ist eine politische Angelegenheit an sich. Deswegen soll sich die Solidarität mit Gefangenen nicht zwangsläufig auf politische Gefangene begrenzen, da ein*e soziale*r Gefangene zu sein, selbst eine politische Angelegenheit und Erfahrung ist. Dazu, in Anbetracht des Themas der inhaftierten Frauen* und des Gefängnissystems, das mit Kapitalismus und Sexismus stark verbunden ist, und in Anbetracht der Erfahrungen inhaftierter Frauen*, die mit Sexismus und dem Patriarchat vollgeladen ist, ist es unmöglich, nicht-feministische Solidarität mit Gefangenen zu haben. Die Solidarität mit Gefangenen beinhaltet die Solidarität mit inhaftierten Frauen* und diese Solidarität ist eine feministische Aufgabe. Es ist unmöglich, diese Solidarität von der Struktur des Sexismus und anderen Strukturen von Genderdiskriminierung abzukoppeln. Gleichzeitig, in den Worten von Angela Davis:

„Der Ruf nach der Abschaffung des Gefängnisses als die herrschende Form der Bestrafung kann das Ausmaß nicht ignorieren, zu dem die Institution des Gefängnisses Ideen und Praktiken gehortet hat, die in der großen Gesellschaft hoffentlich bald obsolet werden, hinter der Gefängnismauer aber trotzdem grässlich lebendig sind. Die zerstörerische Kombination von Rassismus und Frauenfeindlichkeit, trotz aller Kritik seitens Sozialbewegungen, Wissenschaft und Kunst in den letzten drei Jahrzehnten, behält all ihre schrecklichen Auswirkungen innerhalb der Frauenknäste. Die relative ungefährdete Anwesenheit von sexuellem Missbrauch in Frauenknästen ist eins von vielen Beispielen. Die sich häufenden Beweise eines US-industriellen Gefängniskomplexes mit globaler Resonanz führt uns zu dem Gedanken, in welchem Ausmaß viele Großkonzerne, die in die Ausweitung des Gefängnissystems investiert haben, als auch der Staat selbst, in eine Institution verwickelt sind, die Gewalt gegen Frauen* aufrechterhält“.“7


[1] Davis, Angela. Are prisoners obsolete? Victoria: Palgrave Macmillan, 2003
[2]http://www.upi.com/Top_News/US/2015/05/21/Female-inmates-were-repeatedly-raped-by-NY-prison-guard-suit-says/7701432258053/
http://edition.cnn.com/2015/05/21/us/rikers-island-lawsuit/index.html
[3] Ein Blick in viele linksradikalen Kreise, unter anderem in Deutschland, genügt, um zu sehen, wie diese patriarchale Struktur funktioniert.
[4] ibid
[5] Die Anzahl inhaftierter Frauen ist 50% schneller gestiegen als die der Männer seit 1980 in den US. http://www.sentencingproject.org/issues/women/ Das könnte eine Folge der Privatisierung der Gefängnisse sein.
[6] Das ist Michel Foucaults Theorie in dem Buch „Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses“ über den Austausch von körperlicher Bestrafung mit nicht-körperlicher durch den Wechsel von tradionellem zu modernem Diskurs. Gleichzeitig gibt es aber moderne Gesellschaften, die auch körperliche Bestrafung verwenden.
[7] Ibid, s. 83