Der feine Faden der Guerilla

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Buchcover: Jan Marc Rouillan: Aus der Erinnerung. Die antifranquistischen Revolten der 1970er Jahre

»Action Directe«: Jean-Marc Rouillans Erinnerungen erscheinen endlich auf Deutsch

Von Ron Augustin. Erschienen am 09.03.2021, junge Welt

Als Jean-Marc Rouillan vor acht Jahren auf Bewährung aus dem Knast kam, war eine der Auflagen, an die er sich zu halten hatte, dass er über die Sache schweigt, für die er 25 Jahre im Knast war: die Geschichte von Action Directe, der illegalen Gruppe, die er mitbegründet hatte. Nach dem Ende der Bewährungszeit vor drei Jahren wurde die Sache mit zwei Büchern und mehreren Interviews zur AD-Geschichte nachgeholt, aber inzwischen gibt es darüberhinaus zahlreiche Bücher und Artikel von seiner Hand über seine Erfahrungen im Knast und in der antifranquistischen Bewegung, in der er in den 1970er Jahren aktiv war.

Davon ist jetzt endlich eine erste Trilogie auf Deutsch erschienen. Aus der Erinnerung fasst drei Erzählungen zusammen, ursprünglich einzelne Bände, die die beeindruckende Kontinuität aufzeigen, die es vom Spanienkrieg der 1930er Jahre bis zum weltweiten Aufbruch der 1960er Jahre und von da an bis zu den antikapitalistischen Kämpfen der 1980er Jahre gegeben hat.

Im ersten Teil schildert Rouillan, wie er und seine Freunde und Freundinnen sich am Pariser Mai 1968 politisieren und in Toulouse, der Hauptstadt der spanischen Exilrepublikaner, im Wirbel der Mobilisierungen ihre ersten politischen Schritte machen. Rouillan, der selbst aus einer Familie von Exilrepublikanern stammt und sich auch lieber katalanisch Jann Marc schreibt, versetzt uns in die Geschichte einer rebellischen Stadt, die Poesie ihrer Architektur, die Lehrzeit der Straßenkämpfe und das revolutionäre Fieber, das die Gemüter damals beherrschte.

Im zweiten Teil beschreibt er die Grenzüberquerungen in den Pyrenäen zur Unterstützung des antifranquistischen Untergrunds zwischen Toulouse und Barcelona und die Entstehung der illegalen Bewegung MIL, bis zur Verhaftung und Hinrichtung seines Freundes Salvador Puig Antich durch das Franco-Regime. „Wir sind vielleicht nur eine Handvoll, aber wir setzen drei Jahrzehnte Guerilla fort. Wir spinnen nach wie vor den feinen Faden, der uns mit einem Epos, einer Armee in Lumpen und in Espadrilles, verknüpft, mit einer Hoffnung, die Pulver und Blei in Großbuchstaben schreibt.“

Im dritten Teil erzählt er die „kurze“ Geschichte der GARI, eines Zusammenschlusses verschiedener Gruppen, die für die Freilassung der politischen Gefangenen in Spanien kämpfen. Es geht vor allem um die Entführung eines Bankiers und den Aufbau illegaler Strukturen, aber auch um einen kollektiven Alltag, in dem der Kampf in nichts vom Rest des Lebens getrennt ist. Viele aus diesen Strukturen werden später mit anderen die Action Directe bilden.

Erinnerungen an den Spanienkrieg und die Résistance durchziehen diese drei Erzählungen. Sie wirken ganz konkret bis in die Revolten der Toulouser Jugend der 1970er Jahre hinein. Die Begegnungen mit den „Alten“ und die Geschichte, die diese mit sich herumtragen, sind entscheidend, denn sie sind es, die den Jüngeren ihre Erfahrungen und Waffen weitergeben und ihnen die ersten Kontakte mit dem antifaschistischen Untergrund vermitteln. Allerdings wird ihnen schon bald klar, dass der Kampf nicht mit dem Tod Francos und der „Transition zur Demokratie“ aufhört. Die Überlegungen und die vielen Auseinandersetzungen, die es darüber mit den anderen Fraktionen des Untergrunds gibt, geben eine Ahnung vom weiteren Verlauf. Der ist in den anderen Büchern Rouillans zu finden, die aber leider bislang nicht übersetzt worden sind.



Jann Marc Rouillan: Aus der Erinnerung. Die antifranquistischen Revolten der 1970er Jahre
Aus dem Französischen von Christiane Barabaß und Bärbel Wiemer.
Edition Cimarron, Brüssel 2021, 308 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-90-824465-8-6