Prozesserklärung von Musa Asoğlu vom 19. Mai 2021

Anmerkung der Redaktion: Am 19. Mai 2021 fand eine nicht öffentliche Verhandlung vor dem OLG Hamburg, über die Entlassung nach 2/3 der Haftzeit, statt. Wir veröffentlichen deshalb Auszüge aus der Erklärung von Musa Asoğlu. Da sich seine Haftsituation und vor allem die Zensur weiterhin gegen ihn verschärft, weisen wir auf die nächste Knastkundgebung in HH-Billwerder am 30. Oktober um 14 Uhr hin.

Widerspruch zur Ablehnung meines 2/3 Termins

Mit dem Verstoß des Paragraphen 129b StGB wurde ich am 02.12.2016 inhaftiert. Die Dauer meiner Untersuchungshaft betrug 3 Jahre und 3 Monate. Die gesamte Dauer der Untersuchungshaft verbrachte ich mit besonders einschränkenden Maßnahmen. Diese einschränkenden Maßnahmen können unter politischer Betrachtung als „Isolationshaft“ bezeichnet werden. Eine andere Bezeichnung wäre nicht möglich gewesen, wenn man feststellt, dass ich 24 Stunden einsam verbrachte, Gespräche mit Anwälten über die Trennscheibe führte, die versendeten Postkarten unter Obhut des Hamburger Amtsgerichtes standen und jeglicher Kontakt zu Glaubensvertretern verwehrt wurden. Zudem wurde ich von gemeinsamen Aktivitäten mit anderen Inhaftierten ausgeschlossen.
Über die absurde Behauptung der JVA Billwerder, dass in Deutschland und Hamburg keine Gesetze zur Isolationshaft existieren, kann ich nur schmunzeln. Am 25.02.2020 wurde ich in die Billwerder Justizvollzugsanstalt verlegt. Aufgrund des besonderen Schutzes gegenüber dem türkischen Regime wurde ich durch den Auftrag des Justizministers nach dem Ermittlungsverfahren wegen Verstoß des Paragraphen 129b StGB zu 6 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt.
Im Juni 2020 habe ich in der JVA Billwerder ein Gespräch zu der Gestaltung meines Vollzugplans, mit der Abteilungsleiterin Frau Candan, geführt. In dem Gespräch gab mir Frau Candan folgendes zu: „Ich werde ehrlich zu Ihnen sprechen. Pflegen Sie bitte keine Hoffnungen! Sowohl die 2/3 Entlassung, als auch der offene Vollzug und die gelockerten Maßnahmen sind für Sie ausgeschlossen. Ihre gesamte Strafe werden Sie unter strengen Haftbedingungen verbüßen.“ „So erscheinen mir die Befehle von oben.“, teilte sie mir mit. Trotz aller Möglichkeiten wurde mir mitgeteilt, dass keine Hoffnung auf eine Verbesserung meiner Situation besteht.
Nun, die verhängte Strafe entspricht den Gesetzen. Auch der spezifische Bestrafungsprozess der JVA kann, unter dem Blickpunkt Ihrer Befugnisse, als gesetzeskonform betrachtet werden. Doch während meines gesamten Prozesses und Haftdauer wurde das Prinzip der „Individualität der Straftat“ missachtet. Bedauerlicherweise bedarf der Paragraph 129b auch keine Beachtung dieser Art von juristischen Prinzipien. Deswegen beurteile ich meine jetzige Situation nur als „gesetzeskonform“.

Zur Ablehnung meiner 2/3 Entlassung durch das vierte Senat des Hamburger OLG:

Der erste Ablehnungsgrund bezieht sich darauf, dass auch Terrorstraftäter die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung haben, dafür den Senat glaubhaft davon überzeugen müssen, dass sie sich von ihrem Gewaltpotenzial distanzieren. Dies läge jedoch nicht vor.
Doch in dem zweiten Ablehnungsgrund teilt das Gericht folgendes mit: „ … Dabei hat der Senat im Rahmen der Gesamtwürdigung auch bedacht, dass der Verurteilte nicht selbst an der Begehung von Verbrechen im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr.1 StGB beteiligt war…“. Dies widerspricht sich mit der folgenden Aussage aus dem ersten Ablehnungsgrund: „…seiner früheren Gewaltbereitschaft glaubhaft lossagt…“. In meinem gesamten Leben habe ich keine Neigung zur Gewalt gehabt. Ich habe mich an keinem Gewaltakt beteiligt. Wie kann ich eine Umkehr überzeugen, wenn ich doch nie eine Neigung zur Gewalt hatte?
Ich bin kein Jurist. Niemals kann ich einen Anspruch dazu erheben. Doch wie kann man einen gerichtlichen Entschluss aus dem Jahr 1955 zu politischen Überzeugungstätern innerhalb des Paragraphen 129b geltend machen, wenn der genannte Paragraph zu diesem Zeitpunkt nicht existent war?
Am 19.05.2021 stellte mir die Senatsvorsitzende Frau Taubner in der 2/3 Sitzung folgende Frage: „Halten sie den bewaffneten Kampf gegen den Faschismus legitim?“. Ich antwortete: „In allen universellen Rechtserklärungen und auch im deutschen Gesetz gibt es meines Erachtens das Recht auf Widerstand gegen das Unrecht. Wie das deutsche Grundgesetz vorgibt, halte auch ich das Recht auf Widerstand gegen Unrecht für legitim. In der Annahme, dass auch sie das deutsche Grundgesetz einhalten, denke ich genau wie Sie.“
Ich werde ebenfalls nicht verstehen, wie meine Verteidigung eines Artikels des deutschen Grundgesetzes als Straftat bewertet wird. Wie kann man zudem auf diese Fragen bezogen Schlüsse zur DHKP-C ziehen.
Die Frage von Frau Taubner mir gegenüber war eine gesamtbeträchtliche Frage. Ich antwortete ihr in dem genannten Kontext. Meine Antworten bezogen sich auf allgemeine und universelle Rechtsbekenntnisse. Ich akzeptiere nicht, dass meine Antworten aus dem Kontext gerissen und verzerrt interpretiert werden.
In der 2/3 Sitzung haben die Führung der JVA Billwerder und die GBA (A.d.R.: Generalbundesanwaltschaft) die Ablehnung meiner vorzeitigen Entlassung aus ihrer eigenen Sicht fundiert. In dem Gespräch mit Frau Candan aus Juni 2020 erfuhr ich bereits die Aussichtslosigkeit der Situation und von den einschränkenden Maßnahmen. Diesbezüglich erschien mir die 2/3 Sitzung als Formalität zur Mitteilung der bereits feststehenden Entscheidung. In dem Gespräch teilte ich lediglich folgende Aussage mit und diktierte Frau Candan wortwörtlich: „Ich bin gegen Faschismus und Rassismus. In meinem Heimatland Türkei herrscht Faschismus. Ich werde weiterhin gegen dieses faschistische Regime sein. Weil der Faschismus ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, ist es keine Straftat sich dagegen zu wehren.“
Welche Schlüsse glauben sie hat Frau Candan hieraus gezogen; mit meinen Aussagen soll ich wohl meine DHKP-C Mitgliedschaft verteidigt haben. Selbstverständlich hat jeder das Recht auf eigene Meinungsäußerung, doch willkürliche Interpretationen, welche aus dem Kontext gerissen wurden, können selbstverständlich nicht die Wahrheit widerspiegeln. Dementsprechend kann dies nicht als Feststellung gewertet und zur Entscheidungsbildung bezogen werden.
In der 2/3 Sitzung hat der GBA zusätzlich zu schriftlichen Beschwerden auch verbale Eingriffe durchgeführt. Nach meiner Äußerung zu dem Faschismus in der Türkei reagierte er :„Sehen sie, er betitelt das Regime in der Türkei weiterhin als faschistisch. Also würde er nach seiner Entlassung die gleichen Straftaten fortsetzen.“, bevorzugte einen uneingeschränkten willkürlichen Kommentar. Also herrscht in der Türkei kein Faschismus… was herrscht denn stattdessen? Besteht wie in Deutschland eine bürgerliche Demokratie? Was besteht denn nun, auf diese Fragen gab es keine Antworten.
Da ich das Regime in der Türkei als faschistisch bezeichne, soll ich meine Strafe bis zum letzten Tag in der JVA absitzen. Demnach hat der vierte Senat den Antrag der GBA stattgegeben und somit meinen Antrag auf vorzeitige Entlassung abgelehnt.

Während meiner Hauptverhandlung habe ich in meiner Verteidigung folgendes Beispiel dargestellt; vor 35 Jahren habe ich in dem Land meiner Staatszugehörigkeit, den Niederlanden, den Parteivorsitzenden der PSP (PAZIFISTISCHE SOZIALISTISCHE PARTEI), Saar Boerlage, kennengelernt. Im Nachhinein war die PSP einer der wichtigen Gründer der Grünen Linken.
Saar Boerlage war lebenslang überzeugter Pazifist. In der Belagerung der Niederlande, durch die Nazis, beteiligte er sich am Widerstandskampf. Diese Prozesse haben wir gegenseitig lang und ausführlich diskutiert. In Anbetracht der Tatsache, dass ein pazifistisch-antimilitärischer Widerstand unmöglich umzusetzen ist, habe ich ihn gefragt, wie er seine Teilhabe am Widerstand bewertet und ob die Situation nicht paradox ist. Er antwortete: „Auch damals habe ich den bewaffneten Kampf nicht befürwortet, doch die einzige Möglichkeit des Widerstandes war der bewaffnete Kampf. Auch zu damaligem Zeitpunkt war ich Pazifist, doch ich befand mich im Widerstand.“

Musa Asoğlu
JVA Billwerder
Dweerlandweg 100
22113 Hamburg