Medizinische Versorgung hinter Gittern

Vor wenigen Tagen berichtete die taz ( ‚Krank im Knast‘ ) über die vielfach desolate medizinische Versorgung von Gefangenen. Seitens des Vereins ‚Demokratischer Ärztinnen und Ärzte‘ gab es zudem einen ebenso sachkundigen wie Forderungsreichen Aufruf.

Vorweg- Erfahrung aus der JVA Freiburg

Neben Ernährung, Besuchs-, Freizeit- und Arbeitsangeboten, sowie dem jeweiligen Knastkaufmann und dessen Preispolitik, entzünden sich ansonsten die meisten Konflikte an der jeweiligen medizinischen Versorgung. Auch in Freiburgs Haftanstalt verhält es sich da nicht anders. Ein ebenso unvollständiger, wie kurzer Einblick:

1. Streit um medizinisches Cannabis

Über mehrere Jahre stritt Shorty (https://freedomforthomas.wordpress.com/2019/02/03/renitenz-der-jva-freiburg-im-umgang-mit-einem-kranken/) mit der JVA Freiburg über die Versorgung mit medizinischem Cannabis. Drei Mal beanstandete das zuständige Gericht jeweilige Ablehnungsbescheidungen der Haftanstalt als völlig unzureichend.
Auch danach gelang es ihm nicht die Versorgung durchzusetzen; aber der zweijährige Prozessmarathon verdeutlichte, wie oberflächlich medizinische Fragestellungen durch die Anstalt geprüft wurden.

2. Streit um ADHS-Medikament

Wie der Zufall so spielt, war auch hier Shorty der Kläger. Seit Jahren erhielt er ein Ritalin-Präparat wegen seiner ADHS-Erkrankung. Im August 2018 soll er versucht haben, das Medikament anstatt einzunehmen, in seiner Hand zu verstecken. Die Anstalt reagierte auf diesen Täuschungsversuch mit einem Totalentzug der Medizin. Während das Landgericht Freiburg dies billigte, sah das von Shorty angerufene Oberlandgericht Karlsruhe schwerwiegende rechtliche Verstöße (zu dem Fall vgl. ‚OLG rügt Verweigerung eines ADHS-Medikaments‘ https://freedomforthomas.wordpress.com/2019/03/11/olg-ruegt-verweigerung-eines-adhs-medikaments/). Selbst nach dem erfolgreich erkämpften Beschluss sollte es noch Monate dauern, bis die JVA die medizinische Versorgung wieder aufnahm.

3. Methadon-Substitution

Im Bereich Sicherungsverwahrung werden mehrere Drogenabhängige mit Methadon substituiert. Werktags nehmen sie gegen 07:40 Uhr ihr Methadon im Sanitäts-Raum ein. Aus (angeblich) organisatorischen Gründen wird es ihnen wochenends und feiertags erst zur Mittagszeit gegen 12:45 Uhr ausgegeben, was bei fast allen, jeweils am Samstag, zu Entzugserscheinungen führt, denn der Methadonspiegel sinkt nach 24 Stunden ab. Die fünf Stunden ‚Wartezeit‘ (statt 07:45 Uhr erst 12:45 Uhr) belastet sie jede Woche aufs Neue. Der Arzt, so die Aussage der Betroffenen, spiele die Entzugssymptome als pure Einbildung herunter.

4. Das rapide Absetzen von Medikamenten

Vor ein paar Monaten kam W. aus der JVA Bruchsal in Freiburg an; Mitte 40, den ersten Herzinfarkt schon hinter sich. Methadonsubstituiert, dazu viele weitere Medikamente. Eines davon setzte der Anstaltsarzt, ohne Vorwarnung und ohne es langsam ausschleichen zu lassen, ab. Angeblich würde die gemeinsame Einnahme die Sterblichkeit erhöhen – Bedenken die der vorherige Anstaltsarzt nicht hegte. Prompt erlitt W. kurze Zeit später einen Schlaganfall und auch einen epileptischen Anfall. Nach Tagen im Krankenhaus kam er zurück auf die Station, die linke Körperseite noch ziemlich taub. Es musste dann erst die aus anderem Zusammenhang vielleicht noch bekannte Anstaltspsychologin W. auf die Idee kommen, dass zumindest eine rudimentäre physiotherapeutische Hilfe angezeigt wäre: sie übergab ihm einen kleinen Plastikbären, den sollte er feste kneten, damit die noch teilweise gelähmte linke Hand wieder zum Leben erwachen möge.
Aber darauf will ich gar nicht hinaus. Der behandelnde Arzt der Uni-Klinik, immerhin ein Universitätsprofessor, hatte sofort wieder das zuvor abgesetzte Medikament verordnet und im ärztlichen Bericht explizit vermerkt, dass es, wenn überhaupt, nur schleichend abgesetzt werden dürfe. Tja, der Anstaltsarzt sah es wieder mal anders! Er setzte es einfach so ab. Rechtlich war und ist er nicht verpflichtet, sich an Empfehlungen eines Universitätsprofessors zu halten.

Der taz-Bericht

Am 01.08.2020 berichtete die taz in ihrer Wochenendausgabe (https://taz.de/Gesundheitsversorgung-in-Gefaengnissen/!5699817/) über fehlendes Geld, Personal und Medikamente in deutschen Gefängnissen, mit all den dramatischen Folgen für die Betroffenen, bis hin zu Todesfällen.
Zu Wort kommen neben Rechtsanwalt Thomas Galli, der mittlerweile zu den Gefängniskritikern zählt (zuvor war er lange Zeit als Gefängnisdirektor tätig), auch die Dortmunder Professorin Graebsch. Sie hatte einen Insassen vor dem Amtsgericht Augsburg verteidigt, der es gewagt hatte den Anstaltsarzt wegen unterlassener Hilfeleistung anzuzeigen, da dieser eine Hepatitis-C-Behandlung verweigert habe. Ermittelt wurde nicht gegen den Arzt der JVA, sondern den Insassen. Angeklagt wurde dann folgerichtig auch nicht etwa der Knastdoktor, sondern der vorlaute Insasse: wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung. Die Professorin konnte für ihren Mandanten einen Freispruch erwirken.
Auch ein ehemaliger Insasse darf seine Erlebnisse schildern, wie ihm nämlich nachweislich in der JVA Gablingen (grob fahrlässig) völlig falsche Medikamente gegeben wurden und er als Notfall in die Uni-Klinik eingeliefert werden musste.

Der Aufruf des vdää

Der vor kurzem publizierte Aufruf (https://www.vdaeae.de/images/vdaeae-Medizinische_Versorgung_Inhaftierter_Juni2020.pdf) des ‚Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte‘ fordert einen grundlegenden Wandel in der medizinischen Versorgung gefangener Menschen. Das umfangreiche Dokument kann nur wärmstens als Lektüre empfohlen werden. Es bemängelt die medizinische Versorgungslage in den Gefängnissen ebenso, wie den restriktiven Umgang mit Substitution/Spritzenvergabe und viele Punkte mehr.

Ausblick

Inhaftierte haben in der Regel einen weitaus höheren medizinischen Versorgungsbedarf als die Durchschnittsbevölkerung. Sie entstammen prekären Lebensverhältnissen, pflegen einen ebensolchen Lebensstil, und es dürfte mittlerweile bekannt sein, dass Armut und allgemein schlechterer Gesundheitsstatus miteinander korrelieren. Sicherlich, immer wieder wird auch sehr gute Arbeit geleistet, es werden Leben gerettet, zuvor kränklich in einer Anstalt eintreffende Menschen aufgepäppelt; das darf aber nicht dazu führen, die offensichtlichen und schweren Defizite im Alltag zu übersehen. Nicht jeder hat die Energie, so wie Shorty, sich in jahrelange Rechtsstreitigkeiten zu stürzen, nicht jede/r hat das Glück, wie der bayrische Insasse, durch eine kompetente Verteidigerin vor Strafverfolgung am Ende doch noch geschützt zu werden!

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str.8, D-79104 Freiburg
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http://www.freedom-for-thomas.de