Erfahrungen aus dem 129a-Verfahren in Magdeburg

Jetzt wo der Prozess gegen unseren Genossen und Bruder Cem in Berlin am 8. Juni beginnt, sehen wir es als notwendig an über politische Prozessführung und über alles was dazu gehört zu reden, wie zum Beispiel Zeugenaussagenverweigerung. Wir nutzen dafür das §129a-Verfahren gegen Marco, Daniel und Carsten. Zum einen, da es Teil der revolutionären Geschichte von Stadtfeld, also von uns und Magdeburg ist. Zum anderen wurden durch das klare und konsequente Verhalten Standards gesetzt, die der klassenkämpferischen Bewegung in der BRD Vorbild und Orientierung sein sollten.
Die Magdeburger Linke war zwischen 2002 und 2004 Ziel eines staatlichen Angriffes durch die Repressionsbehörden. Am 1. September wurde das letzte in Magdeburg besetzte Haus ‚Ulrike‘ geräumt. Drei Monate später wurden zwei Genossen, Marco und Daniel, verhaftet. Fünf Monate später folgte die Verhaftung von Carsten. Legitimiert wurden die ersten und auch die folgenden Angriffe durch den §129a. Der §129a,b ist eine politische Waffe des Staates, welche genutzt wird, um gegen Oppositionelle vorzugehen. Er stammt aus den 70ern, als die Stadtguerillagruppen stark waren und wird seitdem genutzt, um linke Strukturen und proletarischen Widerstand zu verfolgen, zu kriminalisieren und zu denunzieren. Dies wird durch die unzähligen §129a,b-Verfahren gegen revolutionäre Zusammenhänge belegt, denn die Verfahren gegen rechte und faschistische Gruppierungen mittels dieser Paragraphen, lassen sich an einer Hand abzählen. Außerdem sitzt die größte Zahl an politischen Gefangenen in der BRD wegen §129b ein. Heute, wo im Gegensatz zu den 70ern und 80ern, die klassenkämpferische Bewegung nicht stark genug ist, um den Herrschenden hier zu Lande wirklich zur Gefahr zu werden, wird der §129 genutzt, um jeden Widerstand gegen die Ausbeuter im Keim zu ersticken. Meistens dient er den Repressionsorganen dazu, umfassende Informationen über linke AktivistInnen zu sammeln, denn in den wenigsten Fällen kommt es zu Prozessen oder Verurteilungen. Aber durch ein Verfahren, schafft es der Staat den Widerstand zu isolieren in dem er in der Bevölkerung die Angst vor den „TerroristInnen“ schürt. Zum anderen werden durch die Angst vor, und der Drohung mit Repression, politische Gruppen mittels Einschüchterung und Spaltung in den Zerfall getrieben. Die Repression läuft hier in der BRD auf einer psychologischen Ebene, welche tief in die Köpfe der Menschen greifen soll. Die präventive Konterrevolution durch Erziehung und Sozialisierung (in den Ämtern, Erziehungs- und Bildungsanstalten bis hin zu den Repressionsstrukturen) ist die Existenzgrundlage der hier vorzufindenden Verhältnisse, in denen wir leben und kämpfen. Es ist ein allgemeines Gesetz, dass immer dort wo sich Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse entwickelt, die Herrschenden durch Repression in all ihren Formen, versuchen den Widerstand zu verhindern und im Keim zu ersticken. Das Beispiel der ‚Black Panther Party for Self Defense‘ zeigt, dass die Repression sich nicht auf die Kriminalisierung durch Gesetzte beschränkt, sondern auch durch Kampagnen wie ‚Contilpro‘ auf die Diffamierung der Außenwirkung des Widerstandes abzielt und den Zusammenhalt der Akteure angreifen und verleugnen soll.
Im Jahr 2000 wurde in Magdeburg, in der Großen-Diesdorfer-Straße 15 von einer Handvoll Leute ein Haus besetzt, welches ‚Ulrike‘ getauft wurde. Es ging darum einen autonomen Freiraum in Magdeburg zu erkämpfen, nachdem es lange keinen solchen mehr gegeben hatte. Die BesetzerInnen hatten das Ziel sich gegen die soziale Vernichtungs- und Isolierungspolitik des Staates, die faschistische Normalität und die Perspektivlosigkeit in der Stadt zu wehren. Parallel dazu gründete sich der AZ, der Autonome Zusammenschluss, welcher in dem späteren Verfahren als Keimzelle einer terroristischen Vereinigung hochstilisiert wurde. Durch die Arbeit des AZ entwickelte sich aus der übrig gebliebenen Szene eine lebendige linke Widerstandskultur. Die Ulrike stellte ein wichtiges Fundament für die politischen Entwicklungen in Stadtfeld und Magdeburg dar. Sie war nicht nur Lebensraum für circa 30 Menschen, sondern eng gekoppelt an die politische Arbeit und den kollektiven Entwicklungsprozess der Bewegung. Aus dieser Organisierung wuchs natürlich auch eine breite militante Politik, welche in mehreren Aktionen im Rahmen der durch die mg (militante gruppe) angestoßene Militanzdebatte gipfelte. Auf Grundlage des im Jahr 2001 veröffentlichten Verfassungsschutzbericht für Sachsen-Anhalt begann das LKA (Landes Kriminal Amt) gegen den AZ zu ermitteln – aber erst durch das Interesse von BKA (Bundes Kriminal Amt) und VS (Verfassungsschutz) die Militanzdebatte zu zerschlagen, konnten die Repressionsorgane genug Kräfte in Magdeburg sammeln, um die stark gewordene Bewegung anzugreifen. Die neueren Verfahren (nicht nur §129) zeigen aber, dass die Proleten sich ihre Bewegung gegen Ausbeutung und Unterdrückung nicht einfach zerschlagen lassen oder sie nachdem sie zerschlagen wurde wieder aufbauen.
Bei einem der Angriffe die im Rahmen der Militanz Debatte durchgeführt wurden, wurde ein Fingerabdruck gefunden, welcher als Rechtfertigung für den politischen Repressionsschlag gegen die Magdeburger Linke diente, welchen wir nun chronologisch umreißen wollen.
Als erstes wurde am 1. September 2002 durch SEK (Sonder Einsatz Kommando) und LKA die Ulrike geräumt und lange und aufwendig durchsucht. Anquatschversuche, Einschüchterungen und aggressives Verhalten durch die Polizei im Vorfeld sollten Druck auf die Bewegung aufbauen. Durch die Räumung sollte die Möglichkeit geschaffen werden die Leute leichter überwachen zu können und durch eine Zerstreuung der Szene einen umfassenden Blick in die politischen Strukturen zu erhalten. Die Arbeit der Polizei wurde durch eine Hetzkampagne der Medien begleitet. JournalistInnen, welche objektiv berichten wollten, wurden mundtot gemacht indem man ihnen mit Kündigungen drohte, sollten sie die Artikel nicht dem gewünschten Bild anpassen.
Am 27. November 2002 wurden Daniel und Marco verhaftet, der damalige Pressesprecher der Soligruppe Carsten, wurde am 16. April 2003 verhaftet. Dieser wurde später wegen Mangel an Beweisen freigelassen aber wegen seiner öffentlichen Position in der Soligruppe weiter kriminalisiert. Eine der Grundlagen für die Verhaftungen waren die erpressten Aussagen durch die Polizei. Durch den Aufbau von sehr starkem Druck gegenüber einem Mitglied des AZ zwangen sie diese Person, eine durch die Repressionsbehörden konstruierte Aussage zu unterschreiben. Diese von der Polizei konstruierte Aussage, zog der Zeuge später vor Gericht zurück. Wir sehen an diesem Beispiel, wie der Staat bei der Verfolgung oppositioneller Gruppen die eigenen Gesetzte verbiegt und unterläuft um seine Kritiker mundtot machen zu können. Dieses Vorgehen zog sich im Übrigen durch das ganze Verfahren. Es ging den Repressionsorganen nicht um die Aufklärung oder ´Bestrafung´ der einzelnen Angriffe, sondern um die Bekämpfung der Magdeburger Linken insgesamt. Auf die selbe Weise wurde auch mit dem Projekt der Militanzdebatte verfahren. Dieses wurde in den Prozess hinein konstruiert und so hin modeliert, wie es der Anklage gerade passte. Zuerst wurde ein bundesweites Netzwerk konstruiert, welches die Debatte geführt haben soll. Später ging es um eine Gruppe, die sich laut einer Erklärung, im Mai 2002 aufgelöst hatte. Es ging den Behörden und Anklägern nicht darum die Wahrheit herauszufinden, sondern Menschen zu längst möglichen Haftstrafen zu verurteilen, um die Widerstandsbewegung in Magdeburg und Bundesweit zu zerschlagen. In selber Absicht wurde die Beugehaft benutzt, um Marco und Carsten länger inhaftieren zu können. Der Prozess wurde durch die Richter künstlich in die Länge gezogen, während beide in Beugehaft waren.
Direkt nach den Verhaftungen gründete sich eine Soligruppe mit dem Ziel die Angeklagten zu unterstützen und der staatlichen Repression politisch und kollektiv zu begegnen. Die Solidarität war groß. So wurde die Antirepressionsdemo in Magdeburg am 25. Oktober 2003 von circa 70 Gruppen aus der BRD und der Schweiz getragen. Die Solidarität wurde aber zum Ende hin und bei den Revisionsprozessen leider immer weniger. So kamen bei einer späteren Demo nur noch 500 Menschen zusammen. Doch trotzdem lief gerade für die lokalen Strukturen die Solidaritätsarbeit weiter auf Hochtouren. Es wurde das Büro von Hans Cristian Ströbele besetzt und sehr viel Öffentlichkeitsarbeit und Solidarität in Form von Knast-Kundgebungen geleistet. Und auch die kollektive Aussageverweigerung war ein starkes Zeichen von Kollektivität und Solidarität, welches leider zu wenig von der bundesweiten Bewegung aufgegriffen wurde. In Magdeburg wurden auf der Ebene im Umgang mit den Repressionsbehörden damals Standards gesetzt. So verweigern heute vor Gericht manche Jugendliche sogar die Angaben über ihre Einkünfte.
Doch was lehren uns diese Erfahrungen? Zum einen, dass legale Gruppen nur begrenzt revolutionäre Positionen verbreiten können, denn der direkte Bezug auf militante/bewaffnete Politik und Gruppen oder die propagandistische Unterstützung derer führt zwangsläufig zur Kriminalisierung. Deswegen ist es entweder sinnvoll sich in seinen Positionen zu mäßigen oder eine andere Form der Organisierung wie bspw. eine klandestine zu wählen, um diese Positionen vermitteln zu können. Zum anderen hat Repression auch immer einen radikalisierenden und entradikalisierenden Effekt auf Mitglieder der angegriffenen Strukturen und auf ihr Umfeld. Die Art der Entwicklung oder der Umgang hängt maßgeblich vom Entwicklungsstand und dem Grad der Festigung der Struktur ab. So sehen wir wie staatliche Repression manchmal den Effekt hat Strukturen und Basisprozesse komplett zu zerstören oder zurückwerfen oder im Gegensatz dazu einen Ausbau und eine Festigung an Organisiertheit zu schaffen. Abschließend muss noch betont werden, dass Kollektivität und Solidarität der Grundstein, nicht nur für das Weiterentwickeln des revolutionären Prozesses sind, sondern auch für den Abwehrkampf gegen Angriffe der herrschenden Klasse mittels der staatlichen Repressionsbehörden essentiell sind. An dem Beispiel aus Magdeburg können wir sehen, wie kollektive politische Entscheidungen und ein gemeinsames Vorgehen einen Druck erzeugen kann, der in der Lage ist den Verlauf von Verfahren und Prozessen zu beeinflussen. Kollektivität ist die Grundlage, um gestärkt aus solchen Angriffen herauszugehen.
Wir haben es an dieser Stelle bestimmt nicht geschafft jedes Detail des Verfahrens zu berücksichtigen, aber hoffen trotzdem einen grundlegenden Einblick (aus unserer Sicht und Geschichte) für eine Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Thema gegeben zu haben. Gerade in Zeiten in denen vermehrt Angriffe des Staates auf sich organisierende ProletarierInnen zu beobachten sind.
Abschließend bleibt zu sagen, dass die erwähnte Kollektivität und Solidarität Spektrenübergreifend gesehen und praktiziert werden sollte. Denn die Handschellen sitzen für uns alle fest, ob AnarchistInnen oder KommunistInnen. Nur eine vereinte, klassenkämpferische Linke wird sich dauerhaft gegen die steigende staatliche Repression behaupten können.

Wir sind nicht alle – es fehlen die Gefangenen!!!
Für den Sieg im Klassenkrieg!!!