„Die Kette der Gewohnheiten ist anfänglich unspürbar leicht und später unzerstörbar schwer.“ (Benjamin Disraeli)

Erdal Gökoğlu

Merhaba Gefangenen Info-Redaktion, ich habe die GI Nr. 420 erhalten. Danke. Ich grüße die MitarbeiterInnen des GI, die seit 30 Jahren geduldig und aufopferungsvoll arbeiten.
Zunächst muss ich betrübt mitteilen, dass ich mit dem Inhalt der Zeitschrift nicht vertraut bin, da ich kein deutsch spreche. Und zudem produziere ich Arbeit durch meine türkisch verfassten Briefe. Verzeiht mir. Und aus diesem Grund bin ich keine Hilfe hinsichtlich von Beiträgen und Artikeln. Aber ich würde Euch gerne hin und wieder Artikel zusenden, wenn es keine Probleme mit den Übersetzungen geben sollte. Außerdem möchte ich Euch bezüglich des Inhalts und der Themen der Zeitschrift meine bescheidenen Vorschläge unterbreiten.
Wie auch am Namen „GI“ erkennbar ist, bilden Gefängnisse und Gefangene die Grundlage. Es ist – meines Wissens nach – das einzige Organ, das zu diesen Themen informiert, lenkt und eine Perspektive bietet. Ich denke, dass das allein schon wichtig ist und Möglichkeiten schafft. Aber leider ist es auch eine Tatsache, das es unzureichend ist.
Zum Beispiel: Wieviele Gefängnisse und Gefangene gibt es in Deutschland? Wieviele davon sind politische Gefangene? Welche Probleme gibt es in den Gefängnissen? Laut einer Untersuchung haben genau 2.000 verhaftete und verurteilte Gefangene in den Jahren zwischen 1998 und 2016 ihr Leben verloren. Diese Zahl ist nicht zu unterschätzen. Es bedeutet, dass jedes Jahr rund 160 Gefangene sterben. Das ist ein offensichtliches Massaker. Was sind die Gründe und wer sind die Verantwortlichen für diese Todesfälle?
Seit 2019 gibt es in der Türkei 265.000 Gefangene und in der Regierungszeit der AKP (seit 2002; Anm. d. Red.) sind 3.500 Gefangene ermordet worden. Wenn wir das zueinander ins Verhältnis setzen, dann wird deutlich, dass in Deutschland ein größeres Massaker stattfindet. Zudem geschieht dies in aller Stille, und ohne dass jemand davon etwas hört, um keine Reaktionen hervorzurufen. Zweifelsohne ist ein Grund für dieses Schweigen jener, dass die Menschen in Deutschland unorganisiert und unpolitisch sind. Aber trotz allem ist der wichtigste Grund für die Todesfälle die ISOLATION in den deutschen Gefängnissen. Natürlich müssen die Ereignisse in anderen Ländern ebenso betrachtet und untersucht werden. Diesbezüglich müssen Themen wie die Ereignisse in den Gefängnissen, die Haftbedingungen oder die Probleme der Gefangenen vermehrt thematisiert und in den Diskurs eingebracht werden.
In diesem Rahmen könnten die Traditionen von Widerstand und Sieg, die global gesehen von politischen Gefangenen unter Einsatz von Blut und Leben gemacht wurden, thematisiert werden, da es insbesondere in Deutschland zahlenmäßig gesehen wenig politische Gefangene gibt und es an einer wichtigen Widerstandstradition mangelt. Hinsichtlich dessen verfügen die Revolutionärinnen und Revolutionäre aus der Türkei über eine gewaltige Erfahrung und eine siegreiche Tradition. Der Name der Tradition lautet „Freie Gefangenschaft“ (Es bedeutet, dass sich die Gefangenen nicht beugen und sich nicht brechen lassen und somit frei bleiben; Anm. d. Red.). Diese Tradition kann anhand von Beispielen vermittelt werden.
Isolation – welche ich oben bereits erwähnte – stellt ein großes Problem dar und könnte in ihrer rechtlichen, politischen und humanen Dimension aufgegriffen und mit seinen Resultaten permanent thematisiert werden. Außerdem ist Isolationspolitik aus heutiger Sicht nicht mehr auf Gefängnisse reduzierbar. Noch bedeutender ist die Tatsache, dass die Bevölkerung in Deutschland und Europa und darüber hinaus die fortschrittlichen, revolutionär-demokratischen Kräfte diese Politik akzeptieren und sich daran gewöhnt haben. Denn der Imperialismus weitet seine Politik der Isolation permanent aus, indem er Personen, Organisationen, Völker und Länder ins Visier nimmt. Eine andere Seite der Isolationspolitik sind Gesetze, die im Namen des „Kampfes gegen den Terrorismus“ – wie der §129b in Deutschland – erlassen werden. Diese sollen die Politik der Isolation legitimieren. Isolation zielt darauf ab, den Verstand gefangen zu nehmen… Deswegen ist es wichtig, sich mehr damit zu befassen und darüber zu berichten.
Ein anderes Thema, das in der Zeitschrift behandelt werden könnte, ist die Notwendigkeit, revolutionär-sozialistisch zu sein. Dabei wird heutzutage versucht, den revolutionären Sozialismus, welcher die widerständige Ader der Menschheit ist, als Verbrechen hinzustellen und zu verurteilen. Denn die Gründe für die Gefangenschaft der politischen Gefangenen in Deutschland sind diese Gedanken und Aktionen. Das imperialistisch-kapitalistische System produziert permanent Probleme. Denn es hat seine Grenzen längst erreicht und seine bloße Existenz stellt ein Problem dar. Die einzigen, die realistische Lösungen für die Bevölkerung und das Leben produzieren, sind RevolutärInnen und SozialistInnen. Deswegen wird versucht, sie durch Verhaftungen, Verurteilungen und Bestrafungen zum Schweigen zu bringen. Es ist kein Verbrechen, RevolutionärIn zu sein, sondern – ganz im Gegenteil – unter den heutigen Umständen eine Notwendigkeit. Ich denke deswegen, dass das behandelt werden könnte.
In den letzten Jahren haben zudem in fast ganz Europa und der Welt und allen voran in Deutschland rassistisch-faschistische Organisationen ein sichtbares Erstarken. Dies ist ein durch Staaten und Regierungen bewusst und direkt organisierter Prozess. Aber auf der anderen Seite herrscht eine massive Repressions- und Vernichtungspolitik gegen antifaschistische und antiimperialistische Kräfte. Rassistisch-faschistische Organisationen können die Probleme der Bevölkerung nicht lösen. Denn Rassismus und Faschismus sind die Kinder der Bourgeoisie. Und er behält sie ständig in Reserve. Die Lösung liegt im Sozialismus.
Eine Zeitschrift muss eine Schule für seine LeserInnen darstellen. D.h. dass Themen zu Bildungszwecken behandelt werden müssen. Einen wichtigen Teil der Verdrehungen und Entfremdungen der letzten Jahre stellt die Aushöhlung von Begriffen dar. JedeR definiert Begriffe individuell und weicht diese auf. Imperialismus, Faschismus, Revolution, Sozialismus… Es ist unklar, wer welche Begriffe wie definiert. Plötzlich wird die Kollaboration mit dem Imperialismus normalisiert. Und plötzlich werden Kapitulation und Aussöhnung zu „Frieden“. Die universelle Definition von Faschismus ist klar und es geht dabei nicht um die Persönlichkeiten von einzelnen Menschen. Wie müssen wir gucken, wie müssen wir denken? Viele weitere Themen können anhand ihrer Hauptpunkte aufgegriffen und behandelt werden.
Abschließend will ich sagen, dass es eine Kunst-Kultur Seite in der Zeitschrift geben könnte. In dieser könnte es monatlich Ankündigungen und Vorschläge von Büchern, Musikalben und Filmen geben.
Wie ich zu Beginn schon erwähnte, kann ich inhaltlich nicht alles verstehen. Deswegen weiß ich nicht genau, wie sehr die von mir erwähnten Vorschläge in der Zeitschrift enthalten sind. Meine Absicht war es, Ideen zu geben.

Ich wünsche euch viel Erfolg bei eurer Arbeit. Liebe und Gruß.