Gründungsaufruf zur Kampagne „Weg mit § 63 StGB/ Gegen Zwangspsychiatrie“

– AK Psychiatriegewalt stoppen –

Wir möchten diesen Rahmen nutzen, um zur Gründung der Kampagne gegen die psychiatrische Sicherungsverwahrung aufzurufen. Das Aktionsbündnis ist parteien- und lagerübergreifend. Jede/r kann mitmachen.
Der Paragraph 63 ist eine Rechtsnorm, welche im Dritten Reich zur langfristigen oder dauerhaften Aussonderung „psychisch kranker“ und/oder nonkonformistischer Menschen geschaffen wurde. Seit 1945 hat sich an diesem, höchst fragwürdigen, Normzweck nichts geändert.
Der § 63 StGB stellt eine faktische Sicherungsverwahrung dar, er ist (daher) zudem auch ganz offiziell Teil des Maßregelsystems (der § 66 StGB), reguläre Sicherungsverwahrung ist bspw. ebenfalls eine Maßregel (MRV). Während zur regulären Sicherungsverwahrung nur derjenige verurteilt wird, dessen Tat das Merkmal der besonderen Schuld trägt, werden hingegen bei Verurteilungen gem. § 63 StGB all jene verurteilt, die offiziell „freigesprochen“ werden (wg. verminderter oder vollständig aufgehobener Schuldfähigkeit). Bereits dies ist paradox. Zynisch wird es jedoch dann, wenn in Fällen, in denen de jure Strafmilderung greift, gleichzeitig die Verurteilung zu einer unbegrenzten Inhaftierung erfolgt.
Alle MRV-Insassen werden länger inhaftiert, als ihre Parallelhaftstrafe hergibt, bzw. was das StGB im Falle einer vollständigen Schuldunfähigkeit eigentlich strafrechtlich für die zur Unterbringung führende Straftat hergibt. Wird also bspw. jemand aufgrund Eigentumsdelikten oder Schwarzfahrens zu einer Parallelhaftstrafe von 12 Monaten verurteilt und zudem verminderte Schuldfähigkeit festgestellt, so wird ein solcher Mensch tatsächlich weitaus länger festgehalten (Bundesdurchschnitt liegt mittlerweile bei fast 9 Jahren), als dies im Falle einer regulären Inhaftierung vollzogen würde.
Diverse aktuelle schlagzeilenträchtige Fälle (Mollath, Kulac, Haselbauer, Stein, Perez, Hoffmann etc. etc.) haben die Schwere einer solchen Unterbringung wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Manche der Menschen waren unschuldig, andere hingegen tatsächlich „schuldig“ und/oder „krank“. Sie alle waren aber zu Unrecht im MRV untergebracht bzw. weiterhin festgehalten; entweder weil sie nicht „krank“ waren oder aber weil sie viel zu lange in diesem System festgehalten worden sind.
Anders als der reguläre Strafvollzug, ist der psychiatrische MRV in Händen von privaten oder teilprivaten Trägern. Das Geschäft mit der Forensik ist lukrativ. Während der Staat händeringend darum bemüht ist, Straftäter/innen aus dem geschlossenen Vollzug fernzuhalten bzw. wieder loszuwerden (was zum Teil erschreckende Blüten treibt), so steigen die Einweisungen und Verweildauern im psychiatrischen Maßregelvollzug in exorbitanter Weise. Der Staat errichtet für die Forensikträger gratis Einrichtungen. Danach wird seitens des Staates eine monatliche pro-Kopf Pauschale an den jeweiligen Träger entrichtet, über die der Träger in der Praxis frei verfügen kann. Pro MRV-Insasse werden staatlicherseits ca. 10.500,00 € monatlich an die Träger ausgezahlt. Ein regulärer Haftplatz hingegen kostet den Steuerzahler lediglich ca. 30.000,00 € jährlich. Für den Staat ist die Unterbringung „gesunder“ Straftäter ein Minusgeschäft, für die privaten bzw. halbprivaten Träger jedoch eine wahre Goldgrube; sie bekommen gratis Einrichtungen gestellt und können danach kräftig abkassieren. Es werden immer mehr Forensiken errichtet, da die Träger den Staat, durch ihre repressive Linie so wenig Leute wie möglich wieder rauszulassen, dazu zwingen. In Bremen, bspw., wird seitens der Landespolitik (Rainer Bensch, Gesundheitspolitischer Sprecher der bremischen CDU-Bürgerschaftsfraktion) ganz offen auf den Missbrauch von eigentlich normzweckorientiertem staatlichem Budget hingewiesen. Die „Gesundheit Nord“ (GeNo) unterhält neben der Forensik nämlich u.a. noch einige marode, somatische Kliniken; an diese werden Teile des Forensikbudgets „abgezweigt“. Bereits aus diesen Gründen – erhebliche Steuergeldverschwendungen und Korruption – sollte ein Umdenken stattfinden.
Hinzu kommt die Tatsache, dass Gutachten ein ebenfalls lukratives Geschäft sind; ein forensisches Gutachten kann den Steuerzahler mal eben 10.000,00 € und mehr kosten. Diese Gesetzesnovelle vom 1. August 2016, welche auf die diversen Psychiatrieskandale zurückgeht und eigentlich übermäßig lange Unterbringen vermeiden helfen soll, führt nur dazu, das Gutachtergeschäft weiter zu beleben. Nunmehr sind alle zwei Jahre Gutachten durchzuführen – in tausenden von Fällen. Die Gutachter/innen können es sich leicht machen, indem sie sich für eine weitere Unterbringung aussprechen; so gehen sie kein Risiko ein – das Geld erhalten sie am Ende trotzdem. Viele Forensiken und Träger führen interne Listen mit derartigen „Gutachter/innen“ – eine Win-Win Situation. Da der § 63 StGB – bis heute – knallharte Kriminalpolitik darstellt, werden Gutachten und Anstaltsstellungnahmen von nahezu sämtlichen Gerichten in der BRD durchgewunken.
Es existiert ein flächendeckendes, allgemeinpsychiatrisches Wohnheimversorgungsnetz. Auch zivilrechtlich können potentiell gefährliche bzw. selbstgefährdende Menschen geschlossen untergebracht werden. Dies erfolgt aber in einem eben weitaus zivileren Rahmen und weist in der Praxis nicht die Verweildauern auf, wie dies im psychiatrischen MRV der Fall ist.
Diese finanziellen Gründe sind es aber auch, die den MRV für unseriöse Anbieter so lukrativ macht und somit zu immer längeren Verweildauern und steigenden Unterbringungen führt.
Die Gesetzesnovelle vom 1. August 2016 ist gescheitert; darin sind sich alle seriösen Fachleute einig. Die beiden aufgeführten Verhältnismäßigkeitsschwellen greifen nicht.
Eine Therapie kann nicht erzwungen werden. All jene, die sich auf eine Therapie nicht einlassen wollen oder können, fallen durch das Raster. Die Dunkelziffer der Fehleinweisungen ist hoch.
Wir leben in einem normativen Rechtssystem – der § 63 StGB hingegen ist ein anachronistischer Gummiparagraph.

Daher unsere Forderung:

I. Abschaffung des § 63 StGB als Teil der Zwangspsychiatrie

II. Angebot „Therapie statt Strafe“. Das heißt, dass in Fällen, in denen eine verurteilte Person eine Therapie machen möchte, sie dies tun kann. Dies wird strafmildernd bewertet. Die Person kann die Therapie abbrechen: dann Rückverlegung in die JVA

III. Zeitliche Befristung des § 63 StGB. Bei Aussichtslosigkeit entweder keine Aussprache der Maßregel im Hauptverfahren oder, falls bereits ausgesprochen und vollstreckt, Umwandlung/Überführung in JVA.

IV. Maximal Verweildauer der Maßregel siehe Parallelhaftstrafe (dies wird z.B. auch seit 2016 von den Grünen gefordert)

Wir möchten daher alle zur Mitarbeit aufrufen. Insbesondere suchen wir Leute, die in der Erstellung von Internetseiten und Medien versiert sind, aber auch Jurist/innen. Selbstverständlich sind aber auch alle anderen Menschen höchst willkommen. Wir planen eine eigene Internetseite und weitere Projekte. Aktuell könnt ihr uns unter:

ak-psychiatriegewalt-stoppen@web.de

sowie via GI (Redaktion leitet Zuschriften weiter) erreichen.

Am Ende wollen wir eine bundesweite Kampagne betreiben. Wir hoffen auf Eure Solidarität.

– Weg mit § 63 StGB –
– Gegen Zwangspsychiatrie! –