Interview zum Straßenfest

Zum sechsten Mal findet nun das legendäre Stadtfeld Sommerfest statt und ihr als Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen beteiligt euch ja nahezu von Beginn an an diesem Fest. Wir denken es ist nun einmal an der Zeit, euch näher vorzustellen. Vielleicht könnt ihr uns erst mal erzählen, Wer seid ihr eigentlich?

Unser Netzwerk versteht sich als eine klassenkämpferische Antirepressionsgruppe und wir unterstützen politische und soziale Gefangene in ihren jeweiligen Kämpfen. Dazu leisten wir eben Solidaritätsarbeit, tauschen uns mit den Gefangenen aus, fahren zu Besuchen und leisten natürlich auch eine Öffentlichkeitsarbeit in Form von Veranstaltungen oder Demonstrationen. Uns ist dabei wichtig zu vermitteln, warum die Menschen hinter Gitter landen und auch die gesellschaftlichen Zusammenhänge deutlich zu machen. Deshalb beteiligen wir uns auch hier am Strassenfest, um das Thema politische Gefangenenschaft mehr in der Bevölkerung zu verankern.

Ihr redet von einer klassenkämpferischen Antirepressionsarbeit und von sozialen und politischen Gefangenen. Wie können wir das verstehen?

Nun ja, um die Frage zu beantworten müssen wir ein bisschen weiter ausholen. Unser derzeitiges kapitalistisches Gesellschaftssystem beruht schlichtweg auf der Tatsache, dass eine Vielzahl an Menschen ausgebeutet und unterdrückt werden. Wir verkaufen unsere Arbeitskraft, ja sogar unser Leben, um ein kleinen Krümel vom Kuchen abzubekommen. Während dessen sich die Kapitalisten fette Gewinnen einfahren. Sie sind im Besitz der Produktionsmittel, das heißt sie bestimmen den Wert unserer Ware Arbeitskraft, sie bestimmen den Verkaufswert des Produktes, welches sie verkaufen, sie streichen sich den Mehrwert ein, den wir durch unsere Arbeit erwirtschaften und sie erzeugen unnatürliche Bedürfnisse, die sich nur wenige Menschen erfüllen können. All das erzeugt Widersprüche in uns. Um es einmal in Zahlen zu benennen: Knapp 800 Millionen Menschen leiden an Hunger, jährlich sterben mehr als drei Millionen Kinder an Hunger, 60 Millionen Menschen befinden sich auf Grund von imperialistischen Kriegen auf der Flucht. Das sind nur einige Zahlen, die die Unmenschlichkeit des kapitalistischen Systems deutlich machen.
Und es ist klar, dass eben jenes System Widerstand hervorruft. Weltweit erheben sich Millionen Menschen, um gegen die globale Ausbeutung unserer Erde und damit auch des Menschen zu kämpfen. Sie kämpfen für eine bessere Gesellschaft, einer Gesellschaft in der niemand an Hunger sterben muss, in der Frauen die gleiche Stellung wie Männer bekommen, in der Kinder ein Recht auf Leben haben, ja, in der das gemeinschaftliche Eigentum auf alle Mitglieder der Gesellschaft verteilt wird. Dieser Widerstand hat eben Repression zur Folge – Menschen werden in Knäste gesteckt, Menschen werden gefoltert oder ermordet, weil sie für ein menschenwürdiges Leben eintreten. Und genau aus diesem Verständnis heraus gibt es eben unzählige politische Gefangene auf der ganzen Welt, die wir zu unterstützen haben.
Und für uns bedeutet eben klassenkämpferische Antirepressionsarbeit ganz konkret, die Gefangenen nicht als Opfer dieses System zu betrachten – sondern als KämpferInnen einer neuen Gesellschaft. Die Gefangenenschaft ist nicht losgelöst von Verhältnissen zu betrachten, denn das was wir eben beschrieben haben, bezeichnen wir als Klassenkampf von Oben. Die Kapitalisten halten uns klein, beuten uns aus, stecken uns in Knäste usw.. Unsere Aufgabe ist es, unsere Seite, sprich den Klassenkampf von unten zu forcieren und genau das bedeutet für uns eine klassenkämpferische Antirepressionsarbeit.
Was ist nun mit den sozialen Gefangenen? Was bedeutet denn soziale Gefangenschaft?
Die meisten von uns, die keine bzw. nur wenige Kohle haben, wissen ganz gut was es heißt, sozial gefangen zu sein. Du kannst dir eben grundlegende Bedürfnisse nur schwer bis gar nicht leisten. Sei es Essen, sei es die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sei es den eigenen Kinder etwas gutes zu tun, oder vieles mehr. Du wirst gezwungen, den „legalen Rahmen“ zu verlassen. Du fängst an zu klauen, weil das Hartz IV nicht reicht, du fährst schwarz mit der Bahn, weil 2€ für eine Fahrt zu teuer sind, du fängst an Drogen zu verkaufen um deine Essenskasse aufzufüllen. All das passiert doch nur, weil wir für den Kapitalismus nutzlos sind. Daraus resultieren eben soziale Gefangene und die Mehrheit der Gefangenen sitzt ein wegen den sog. „Eigentumsdelikten“. Das statistische Bundesamt spricht von ca. 46%.

Wir möchte nun mal die ketzerische Frage stellen, denn in Magdeburg gibt es weder Krieg noch politische Gefangene, wem nützt also eure Arbeit zu politischen Gefangenen?

Ja, ihr habt Recht. Es ist eine ketzerische Frage. Es gibt aber in Deutschland viele politische Gefangene die wir unterstützen. Wir sind auch in einem bundesweiten Rahmen organisiert, um die Solidaritätsarbeit zu koordinieren. Aber bleiben wir bei Magdeburg. Natürlich fahren hier keine Panzer durch die Straßen, aber dafür laufen jedes Jahr Nazis durch unsere Straßen, die Mieten steigen kontinuierlich, die MVB erhöht alle halbe Jahre ihre Fahrpreise, Luxus-Lofts werden für reiche Yuppies gebaut, während die „ärmeren Bevölkerungsschichten“ an den Stadtrand gedrängt werden sollen. Wir könnten die Liste beliebig fortsetzen. Wir ihr sehen könnt, ist auch ein antikapitalistischer Widerstand in Magdeburg notwendig und wichtig! Und denn gibt es auch und darauf reagieren die Repressionsapparate.

Könntet ihr uns hierzu einige Beispiele nennen?

Ja, klar. Es gab beispielsweise im letzten Jahr eine erste Demonstration mit verschiedenen politischen Gruppen unter dem Motto: „Kein Tag ohne soziale Freiräume! Mieten runter – Löhne rauf!“. Da ging es ganz konkret um die Verdrängung aus unserem Stadtteil. Das heißt hier im linksalternativen Viertel wird Platz geschaffen für die Yuppies und Mittelständler, es werden Luxus-Lofts aus dem Boden gestampft und Mietsteigerungen für oberflächlich sanierten Wohnraum gehören mittlerweile zur Tagesordnung. Die Demonstration verlief lautstark durch Stadtfeld´s Straßen. Die Polizei fing an die Demo zu provozieren und zu stören. Die Stadt hat nicht das Bedürfnis solchen Protest auf den Straßen zu sehen – wir sollen mundtot gemacht werden. Deshalb griff die Polizei auch die Demonstration an. Nur war sie ein bisschen vorschnell, denn legitimer Widerstand lässt sich nicht durch ein paar Polizisten brechen.
Dasselbe Schauspiel zeigt sich auch jährlich zum Naziaufmarsch im Januar. Die Polizei karrt jedes Jahr tausende Kollegen in die Landeshauptstadt, um den Nazis einen ungestörten Aufmarsch zu ermöglichen. Die Polizei reagiert immer wieder mit rechtswidrigen und zum Teil brutalen Methoden, um den Widerstand zu spalten und zu brechen. Es gibt Verletzte, Festnahmen, Prozesse und Geldstrafen dafür, dass man sich für eine emanzipatorische Gesellschaft einsetzt. Und auch um diesen Irrtum aus dem Weg zu räumen, bei Nazis handelt es sich nicht um Meinungsfreiheit! Wir haben es beim NSU gesehen, da werden Migranten zielgerichtet hingerichtet und das mit staatlicher Unterstützung. Genau auf die Zusammenhänge hat auch die antifaschistische Vorabenddemo dieses Jahr hingewiesen. Unter dem Motto: „Schulter an Schulter gegen Faschismus und imperialistische Kriege!“ zogen mehrere hundert Menschen durch die Straßen. Während den Nazis Platz gemacht wird, sehen wir uns mit einem massiven Polizeiaufgebot, Einschränkungen im Versammlungsrecht und ständigen Provokationen konfrontiert. Das der Widerstand dynamische Züge annimmt, ist dann nur eine Frage der Zeit. Selbst der Magdeburger Staatsschutz lobte die Demo mit insgesamt 15 eingeleiteten Ermittlungsverfahren.
Ebenso verhält es sich auch bei der jährlichen 1. Mai Demonstration. Bei all diesen Protesten kommt es immer zu Repression und wir können feststellen, dass es den Staatsoberhäupter immer weniger darum geht, den Protest politisch zu bekämpfen.

Aber wenn Repression folgt, dann wird der Protest doch politisch bekämpft, oder haben wir es jetzt falsch verstanden?

Ja, natürlich wird der Widerstand politisch bekämpft. Das ist keine Frage, aber die Methoden der Bekämpfung verändern sich seit einiger Zeit. Der politische Hintergrund unserer Aktivitäten wird nicht benannt, schon gar nicht in den bürgerlichen Medien. Die Einschränkungen beziehen sich eher auf juristische und formale Angelegenheiten und die Repression folgt individuell. Es wird versucht den Widerstand in Gut und Böse zu spalten. Bürgerliches Engagement wird positiv hervorgehoben, weil es eben nicht an den Wurzeln des Systems rüttelt und mit der „Meile der Demokratie“ sogar noch Geld in die Kassen spült. Antikapitalistischer und antifaschistischer Widerstand wird versucht zu ersticken, weil er einen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus herstellt. Wer ernsthaft etwas gegen Nazis unternehmen möchte, muss auch gegen den Kapitalismus kämpfen.
Die Repressionsorgane greifen sich im Nachgang einzelne raus und überziehen diese mit Geld-, Haft-, und Bewährungsstrafen. Dadurch wird eine Solidarisierung schwieriger, weil es im ersten Augenblick nur Einzelne trifft. Durch hohe Geldstrafen wird natürlich auch versucht, die Bewegung finanziell zum Erliegen zu bringen. Obwohl Einzelne angeklagt und verurteilt werden, ist es immer ein Angriff auf die jeweilige Politik: die Perspektive einer klassenlosen Gesellschaft soll aus den Köpfen der Menschen gejagt werden, um den Interessen der Reichen und Herrschenden zu weichen.

Gut, kommen wir langsam zum Schluss. Wie können euch interessierte Menschen erreichen und gibt es noch etwas, was ihr den LeserInnen mit auf den Weg geben wollt?

Uns zu erreichen ist eigentlich ganz einfach. Wir sind unter der E-Mail Adresse md@political-prisoners.net zu erreichen und haben auch eine Internetpräsenz www.political-prisoners.net. Wie wir oben schon gesagt haben sind wir auch in einem bundesweiten Rahmen organisiert, gemeinsam mit dem Netzwerk aus Berlin und Hamburg und dem Arbeitskreis Solidarität aus Stuttgart. Gemeinsam publizieren wir auch das Gefangenen Info. Darüber hinaus organisieren wir regelmäßig Veranstaltungen, Gefangenenschreibtage und auch Vokü´s (günstiges gutes Essen) im Infoladen in der Alexander-Puschkin-Straße 20. Und wir haben auch vergessen zu erwähnen, dass wir natürlich mit der örtlichen Roten Hilfe zusammen arbeiten, deren Anspruch es ebenfalls ist, die Solidarität mit den politischen Gefangenen zu stärken. In diesem Rahmen gibt es jeden Mittwoch um 17.00 Uhr eine Rechtsberatung im Infoladen. Wenn ihr Vorladungen der Polizei erhalten habt oder auch Strafbefehle etc. seit ihr gern eingeladen, die Rechtsberatung zu besuchen. Wir werden eine Lösung finden. In diesem Sinne rufen wir die LeserInnen auf, sich mehr mit dem Thema Gefangenenschaft zu befassen, denn es ist nicht so, dass im Knast die „Richtigen sitzen“, sondern die Menschen werden eingeknastet, weil sie sich diesem barbarischen System nicht beugen wollen! Freiheit für alle politischen und sozialen Gefangenen!

Vielen Dank für eure Zeit und das Interview!