20 Jahre DHKP-C Verbot in Deutschland

Rechtsanwalt Meister

1. Vor 20 Jahren – am 13. August 1998 – wurde die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi oder DHKP-C) durch den Bundesinnenminister (BMI) in Deutschland verboten. Dies setzte die Serie der Verbote progressiver und revolutionärer migrantischer Organisationen in Deutschland fort, die 1972 mit dem Verbot der palästinensischen GUPS und GUPA (Generalunion palästinensischer Studenten/Arbeiter) begann. Es folgte das Verbot von Devrimci Sol 1983, der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und ihr nahestehender Organisationen 1993 und dem DHKP-C-Verbot 1998. Deutschland ist das einzige EU-Land, das solche reaktionären Organisations- und Parteienverbote praktiziert, die wesentliche Grundlagen im bis heute gültigen Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1956 haben. Die Verbote waren jeweils auch Marksteine der rassistischen Diskriminierung von Migrant*innen und ihrer Organisationen und Einrichtungen. Sie gingen mit Ausweisungen und Abschiebungen in die Folterkeller reaktionärer Regime wie der Türkei einher. Dutzende der PKK oder DHKP-C angeblich nahestehender Veranstaltungen, Demonstrationen, Konzerte, Zeitungen und Embleme wurden seitdem verboten. Bis heute werden angebliche Funktionäre der DHKP-C, der PKK oder TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten) wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen“ oder „terroristischen“ Vereinigung (§ 129, 129a und 129b des deutschen Strafgesetzbuches) verfolgt und von besonderen Gerichten, den sogenannten „Staatsschutzsenaten“ der Oberlandesgerichte zu hohen Haftstrafen verurteilt. Ausdruck eines lebendigen und rebellischen Geistes des Widerstandes und antifaschistischer internationalistischer Solidarität ist aber auch, dass diese Verbote nicht akzeptiert werden.

2. Die Verbote zielen immer auch auf eine allseitige Einschüchterung der hier lebenden Migrant*innen. Sie wirken sich aus in den Verweigerungen von Aufenthaltsrechten, Regelanfragen beim Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz bei Einbürgerungen, in der Ablehnung von Asyl für Antimperialist*innen und Revolutionär*innen wegen angeblich „terroristischer Betätigung“, Ausweisungen, Abschiebungen und massiven Einschränkungen der Meinungs- und Organisationsfreiheit. Auf diese Seiten – die oft ungeheures Leid für die Betroffenen und ihre Familien bedeuten – kann an dieser Stelle nicht ausführlicher eingegangen werden, da vor allem die Kriminalisierung behandelt werden soll, die im wesentlichen zwei Ausgangspunkte hat:

a) Das politische Gesinnungs- und Organisationsstrafrecht. Die Staatsschutzfunktion des § 129 StGB (Strafgesetzbuch) hat direkte historische Zusammenhänge zum Kampf gegen revolutionäre Bestrebungen. Der 1871 ins Strafgesetzbuch aufgenommene § 129 (Teilnahme an einer staatsfeindlichen Verbindung, heute: kriminelle Vereinigung) überdauerte in einigen Abwandlungen Kaiserreich und Weimarer Republik. Im Faschismus trat er gegenüber anderen Maßnahmen zurück. Ab 1951 bildete er wieder eine der Grundlagen des Staatsschutzstrafrechts. In den 1950er Jahren führte er zu mehr als 100.000 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Angehörige der KPD. Seine besondere Bedeutung erhielt der § 129 durch den im Zuge der sogenannten „Terroristenverfolgung“ 1976 eingeführten § 129a Strafgesetzbuch (StGB), mit dem die Mitgliedschaft in einer sogenannten „terroristischen Vereinigung“ unter Strafe gestellt wurde. § 129a beinhaltet hohe Strafdrohungen und war Ausgangspunkt eines umfassenden strafprozessualen Sonderrechtes, welches von Überwachungsmaßnahmen, über Verteidigerpostkontrolle und Trennscheibe bei Haftbesuchen bis zu speziellen Haftbedingungen – Isolationshaft – reicht. Die sogenannten Anschläge vom 11. September 2001 wurden genutzt, um eine Vielzahl vorbereiteter Schubladengesetze zu verabschieden. Dazu gehörte als wesentlicher Bestandteil die Einführung des § 129b StGB. Dieser stellt die Mitgliedschaft und Unterstützung von sogenannten ausländischen „terroristischen“ Vereinigungen unter Strafe. Die ebenfalls im Zuge des 11. September 2001 geschaffenen so genannten „Terrorlisten” von EU und USA dienen als zusätzliche politische Instrumente. Personen und Organisationen, die auf diesen Listen geführt werden, gelten als „terroristisch” mit allen dazugehörigen repressiven Konsequenzen. Neben einigen islamistisch verbrämten faschistischen Vereinigungen finden sich auf ihnen insbesondere fortschrittliche und revolutionäre Organisationen wie die FARC in Kolumbien, die PFLP in Palästina, die DHKP-C in der Türkei, die PKK in Kurdistan oder die philippinische CPP.
Der DHKP-C wird der – auch bewaffnet geführte – Widerstand gegen das faschistische Erdoganregime und das Ziel des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft als „Terrorismus“ vorgeworfen. Der antifaschistische Widerstand und Befreiungskampf wird so als Terrorismus abgestempelt. Die Praxis der Anwendung des § 129 b StGB durch die Bundesregierung, die Bundesanwaltschaft und die Gerichte auf tatsächliche bzw. vermeintliche Angehörige der DHKP-C, PKK oder TKP/ML ignoriert dabei internationales Völkerrecht, so Art. 1 Abs. 4 ZP I. Dieser sieht „bewaffnete Konflikte, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen“ als legitim an.
Zur Verfolgung von Taten, die sich auf eine Vereinigungen außerhalb der EU beziehen, bedarf es der Erteilung einer sogenannten Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium. Damit maßt sich die Bundesregierung an, unmittelbar oppositionelle und revolutionäre Kräfte in anderen Ländern zu kriminalisieren und zu verfolgen. Im internationalen Völkerrecht gibt es jedoch keine einheitliche Definition des Begriffs „Terrorismus“. Es obliegt daher der Regierung als sogenannter Exekutive, „Terrorismus“ im Einzelfall zu definieren und ggf. gegen eine im Ausland agierende Gruppe eine sogenannte „Verfolgungsermächtigung“ auszusprechen und damit überhaupt erst einen Prozess in Deutschland in Gang zu setzen. Dadurch wird die sogenannte Gewaltenteilung aufgehoben und die Staatsschutzsenate werden zum Erfüller außenpolitischer Vorgaben der Regierung. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren ohne jeglichen Skrupel Verfolgungsermächtigungen gegen die PKK, DHKP-C und TKP/ML erteilt. In den § 129b – Prozessen der letzten Jahre gegen PKK, DHKP-C oder TKP/ML wurde eine Überprüfung dieser jeweiligen Verfolgungsermächtigungen auf Übereinstimmung mit der deutschen Verfassung und internationalem Völkerrecht durch die Gerichte abgelehnt. Unisono gehen sie auch von einer „Schutzwürdigkeit“ des türkischen Erdogan-Regimes, wie sie im Paragraph 129b für die Strafverfolgung in Deutschland gefordert wird, aus. Latife C.-A., der ehemaligen Vorsitzenden der Anatolischen Föderation, die wegen Mitgliedschaft in der DHKP-C durch das OLG Düsseldorf 2017 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten verurteilt wurde, ist deshalb u.a. auch die Organisierung von mehreren Solidaritätsdemonstrationen mit den Gezi-Protesten in Istanbul vorgeworfen worden.
Die »Antiterrorgesetze« von 2002 sind die umfangreichsten Repressionsgesetze, die auf einen Streich verabschiedet wurden. Mit ihnen wurden auch Errungenschaften im Kampf um bürgerlich-demokratische Rechte und Freiheiten abgebaut und bürgerrechtliche Tabus gebrochen, so die Trennung von Polizei und Geheimdienst. Durchgehend ist, dass immer stärker Polizeiaufgaben und -befug­nisse vorverlagert wurden, unabhängig von einem konkreten Straftatverdacht oder einer konkreten Gefahr. Die Unschuldsvermutung, ein wichtiges bürgerlich-demokratisches Recht wird angegriffen und ersetzt durch die Vermutung, dass jede/r ein potentielles Sicherheits­risiko für die Herrschenden ist. Auf die Spitze getrieben wird dies nun durch den Begriff der „drohenden Gefahr“ und der Verfolgung sogenannter „Gefährder“, wie er auch in den neuen Polizeigesetzen Einzug nehmen soll.

b) Weiterer Ausgangspunkt der Kriminalisierung ist das Vereinsverbot nach § 18 Vereinsgesetz. Dieses wird nicht durch ein Gericht in einem Prozess, der den Betroffenen rechtliches Gehör gibt, verhängt, sondern durch den Bundesinnenminister (BMI). Wie auch beim Verbot der DHKP-C erfahren die Betroffenen davon erst mit der Schließung, Durchsuchung des Vereins und Beschlagnahme des Vermögens. Zuständiges Gericht, bei dem dagegen geklagt werden kann, ist in erster und letzter Instanz das Bundesverwaltungsgericht. Dieses hat das Verbot der DHKP-C wie der PKK bestätigt.

3. Der §129 b StGB kam 2008 erstmalig in einem Pilotverfahren gegen die DHKP-C beim OLG Stuttgart zur Anwendung. Danach entschied der Bundesgerichtshof 2010, daß auch Mitglieder der PKK auf dieser Grundlage angeklagt werden können. Seit Juni 2016 läuft vor dem OLG München ein Verfahren gegen zehn mutmaßliche Mitglieder der TKP/ML. Die Bundesregierung leistet damit Beihilfe für die Regierung eines Landes, in dem jede Opposition brutal verfolgt wird. Exakte statistische Angaben zu im Zusammenhang mit der DHKP-C eingeleiteten Strafverfahren auf der Grundlage der §§ 129 a/b StGB liegen nicht vor. In einer vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages am 10.7.2017 erstellten Dokumentation „Statistiken zu den Ermittlungsverfahren bzw. Aburteilungen zu den §§ 89a, 89b, 89c, 91, 129a, 129b StGB“ heißt es u.a.: „Auf Anfrage hat das BKA mitgeteilt, dass es nach eigener Prüfung und Abstimmung mit den betroffenen Ressorts die gewünschten Angaben nach Zahlen bzw. verlässlichen Schätzungen zu Ermittlungsverfahren bzw. Verurteilungszahlen zu den §§ 89a, 89b, 89c, 91, 129a, 129b StGB nicht übermitteln könne und zwar auch keine Schätzungen.“ (www.bundestag.de/blob/514904/7f18954c35c4093a2a8e7c7d2eb9df4f/wd-7-039-17-pdf-data.pdf) Es muss bei vorsichtigen Schätzungen von Hunderten Verfahren ausgegangen werden, die auf der Grundlage der §§ 129 a/b StGB gegen linke Kräfte aus der Türkei und Kurdistan eingeleitet wurden. Gegenwärtig befinden sich fast 30 Personen aufgrund von § 129b-Verurteilungen im Zusammenhang mit DHKP-C, PKK und TKP/ML in Straf- bzw. Untersuchungshaft. Mittlerweile wurden fast 30 Personen mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der DHKP-C und mit Hilfe des §129b angeklagt und zu hohen Haftstrafen verurteilt, zuletzt Latife C.-A. durch das OLG Düsseldorf 2017. Seit Januar 2018 findet vor dem OLG Hamburg der Prozess gegen Musa Asoglu statt, der am 2. Dezember 2016 festgenommen worden war und niederländischer Staatsbürger ist.

4. Der Auslandsbezug des § 129b StGB hat Auswirkungen auf die Verteidigungsmöglichkeiten. In der Regel sind von der Verfolgung nach § 129b türkische und kurdische Linke betroffen, die meist schon viele Jahre in Deutschland oder einem anderen EU-Land gelebt und keine Straftat begangen haben. Ihnen werden legale Tätigkeiten wie das Sammeln von Spenden, die Durchführung von Essensständen bei Festivals, das Organisieren von Solidaritätskonzerten, der Protest gegen Folter und die Repression in der Türkei zur Last gelegt, indem diese gerichtlich als Aktivitäten für eine „terroristische“ Organisation im Ausland eingestuft und strafverfolgt werden. Dieser Auslandsbezug des § 129b StGB bringt praktische Probleme mit sich und hat unmittelbare Folgen auch auf Inhalt und Form der Beweisaufnahme. Die 129 b – Verfahren gegen mutmaßliche DHKP-C-Mitglieder beruhen wesentlich auf Unterlagen, die im Wege der sogenannten Rechtshilfe aus der Türkei übersandt worden sind. Mit diesen Dokumenten sollen die Urheberschaft der Organisation für eine Reihe von Anschlägen in der Türkei sowie Erkenntnisse zur Struktur und Arbeitsweise der Organisation in Deutschland belegt werden. Es ist jedoch bekannt, dass in der Türkei in politischen Verfahren von der türkischen Polizei regelmäßig mit Foltermethoden oder der Androhung von Folter gearbeitet wird. Dies wird durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt, aber auch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Asylsachen. Für die Verteidigung ist es problematisch, verbotene Vernehmungsmethoden, die zu einem Beweisverwertungsverbot führen, konkret nachzuweisen. Noch mehr gilt dies fürs Ausland. Die Verurteilungen mutmaßlicher DHKP-C – Mitglieder stützen sich u.a. erheblich auf Material, welches angeblich bei der Durchsuchung des Amsterdamer Pressebüro Özgürlük am 1.4.2004 gefunden wurde. Dieses Material macht bis heute den Kern der zentralen „Strukturakte“ zur DHKP-C und der Verurteilungen aus. Die im Rahmen dieser Operationen angeblich am 1.4. 2004 sichergestellten Datenträger wurden jeweils als sogenannte „digitale Erledigungsstücke aus dem Rechtshilfeverkehr mit dem Königreich der Niederlande“ in die Verfahren eingeführt. Im Prozess gegen Latife C.-A. lehnte der 5. Strafsenat des OLG Düsseldorf ein Verwertungsverbot mit folgender Begründung ab:
„Eine Fernwirkung von durch Folter erlangten Erkenntnissen auf in den Niederlanden gesicherte Dokumente kommt nur dann in Betracht, wenn der Hinweis auf den Auffindeort der Dokumente durch Folter in der Türkei erlangt und an die niederländischen oder italienischen Ermittlungsbehörden durch türkische Stellen weitergegeben wurde, sowie, wenn den niederländischen oder italienischen Ermittlungsbehörden das Auffinden und Sichern der betreffenden Dokumente nicht auch ohne den Hinweis der türkischen Stellen gelungen wäre.“ Angeblich seien die italienischen Behörden durch eigene Telekommunikationsüberwachungen bezogen auf Avni Er und sein Umfeld auf das Büro Özgürlük aufmerksam geworden. Im Urteil des Schwurgerichtes Perugia gegen Avni Er und andere vom 12.4. 2007 heißt es jedoch eindeutig: „Der Beginn und die Entwicklung der Untersuchungen. Im großen Haufen der miteinander verflochtenen Fäden, die sich um die Welt spannen – wie man sich eben die (imanigären) telefonischen und telematischen Kommunikationslinien vorstellen muss – geschah es, dass da zufällig die Spitze eines Fadens gefunden wurde. Es war nun möglich, unerwarteten Tatsachen in die Augen zu schauen. Folgendes hat sich im vorliegenden Falle abgespielt. Col. Pagliccia meldete, dass er im Juli 2002 von der türkischen polizeilichen Verbindungsstelle der durch ihn geleiteten Verfassungsschutzabteilung der Sondereinsatzgruppe der Carabinieri Rom gebeten worden sei, eine italienische Telefonnummer zu prüfen, von der aus es offenbar Kontakte mit türkischen Nummern gegeben habe, die sich im Besitz von Mitgliedern der oben beschriebenen Organisation befunden hatten.“ Die „Spitze des Fadens“ wurde also nicht zufällig, sondern aufgrund von Folter ermittelt. Nach dem internationalen Völker(Straf)recht wird von einer sogenannten Beweislastumkehr bei Verdacht der Folter durch staatliche Organe ausgegangen. Eine Unverwertbarkeit ist bereits dann anzunehmen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Missachtung des Folterverbots stattgefunden hat. In den Urteilen gegen mutmaßliche Mitglieder der DHKP-C wurde sich seitens der Gerichte dieser Ansicht jedoch nicht angeschlossen und sie hatten keine Probleme damit, diese „Früchte vom vergifteten Baum“ zu verwenden. Objektiv bedeutet dies auch eine bestimmte Legitimierung der Folter in der Türkei.
Entgegen des klassischen Mündlichkeitsgrundsatzes in Strafprozessen erfolgt eine Beweisaufnahme zur sogenannten Organisationsstruktur durch Urkunden in Verbindung mit der Einvernahme von BKA-Beamten, die ihre Erkenntnisse wiederum nur durch Auswertung von Urkunden haben. Intensiv werden diese Urkunden in einem Selbstleseverfahren eingeführt. In allen 129b – Verfahren kam es zu einer intensiven Bespitzelung, Telefon-, PKW-Innenraum oder Wohnungsüberwachungen. Auch diese abgehörten Ergebnisse müssen in der Regel übersetzt und verschriftlicht werden. Diese Dokumente werden selbst wiederum zum Gegenstand des Selbstlesens, wodurch die Verfahren immer stärker zu rein schriftlichen Verfahren werden und die Öffentlichkeit dadurch faktisch ausgeschlossen wird.

5. Zum Urteil gegen die frühere Vorsitzende der Anatolischen Föderation
Am 16.2.2017, wurde im §129 a/b-Verfahren gegen Latife Cenan-Adigüzel das Urteil des Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Aktenzeichen: III – 5 StS 1/15 – OLG Düsseldorf) wegen angeblicher „Mitgliedschaft“ in einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ gefällt. Nach Verwerfen der Revision wurde es im Juni 2018 rechtskräftig. Es bedeutet eine Erweiterung des Verbots der DHKP-C und deren Kriminalisierung als sogenannte „terroristische Organisation im Ausland“ auf die migrantische Organisation „Anatolische Föderation“. Damit wird eine selbstorganisierte migrantische Vereinigung getroffen, die insbesondere gegen Rassismus und für gleiche Rechte für Migranten in Deutschland tätig ist, die Solidarität mit dem Widerstand in der Türkei gegen die dortigen repressiven Regime, wie aktuell das Erdogan-Regime, entwickelt und ausgeprägt antifaschistisch tätig ist. Latife C.-A. und die „Anatolische Föderation“ haben so bereits seit 2006 auf den faschistischen Hintergrund und eine Verstrickung von Teilen der deutschen Polizei und der Verfassungsschutzämter bei den Morden des „NSU“ hingewiesen – fünf Jahre vor dessen Selbstenttarnung. Der Anklagevorwurf, Latife habe sich als Vorsitzende dieses bis heute nicht verbotenen migrantischen Verbands „pauschal der Mitgliedschaft in der DHKP-C schuldig gemacht“, konnte auch durch monatelange Ermittlungen und in einem über anderthalb jährigen Verfahren nicht belegt werden. Grundlage des Urteils war die, durch das Gericht bestrafte, politische Gesinnung von Latife und eine durch das Gericht unterstellte angebliche innere Übereinstimmung mit den Zielen der DHKP-C. So heißt es im Urteil: „Obwohl der Senat keine unmittelbaren Beweise für konkrete Vorgaben zur Programmgestaltung bzw. für Aktionen der Anatolischen Föderation durch – andere – Führungskader der DHKP-C gefunden hat, ist der Senat davon überzeugt, dass sich die Angeklagte in die DHKP-C eingebunden hat.“ Erst durch diese Konstruktion einer Mitgliedschaft aus innerer Übereinstimmung war es dem 5. Senat möglich, Latife für legale politische Handlungen zu verurteilen. Eine strafbare Handlung oder ein „Eintritt“ in die DHKP-C konnte Latife nicht nachgewiesen werden, obwohl gegen sie eine alle Bereiche ihres Lebens betreffende Überwachung und Bespitzelung durchgeführt wurde. Die Teilnahme an Informations- und Gedenkveranstaltungen, die Durchführung mehrerer Konzerte der antifaschistischen Band „Grup Yorum“, der Verkauf von Essen bei Festivals, die Arbeit mit migrantischen Familien und Jugendlichen oder die Teilnahme an angemeldeten Demonstrationen, (beispielsweise während der „Gezi“-Solidarität im Sommer 2013 oder anlässlich des 20. Jahrestags des Solinger Brandanschlags im Mai 2013), wurden durch diese fragwürdig konstruierte „Mitgliedschaft“ zu illegalisierten Handlungen im Auftrag einer „terroristischen Vereinigung“. Bis zu diesem Urteil bedurfte es für die Feststellung einer „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ nach Einschätzung des BGH rechtlich hoher Anforderungen an die Beweisführung. Wenn eine „Eingliederung“ in eine als „terroristisch“ eingestufte Gruppe keine konkret nachweisbaren Schritte mehr voraussetzt, sondern alleine die legale und immer öffentliche Beteiligung an Aktivitäten eines nicht verbotenen Verbands ausreicht, werden bislang geltende rechtliche Prinzipien außer Kraft gesetzt. Wenn legale Handlungen durch eine unterstellte innere Übereinstimmung mit den Zielen einer Organisation willkürlich und nachträglich zu illegalen Taten gemacht werden können, ist oppositionelle politische Betätigung ständig davon bedroht, mit dem vollen Spektrum der – im Zuge des „Kampfs gegen den Terror“ weiter ausgebauten – staatlichen Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen konfrontiert zu werden, weil eine „innere Übereinstimmung“ ausreicht, eine umfassende „Terror-Ermittlung“ gegen politisch aktive Menschen und ihr Umfeld anzuordnen. In Kombination mit der Einführung der „drohenden Gefahr“ und des Gefährdungsbegriffs durch neue Polizeigesetze, die weitreichende polizeiliche Maßnahmen bereits im Vorfeld erlauben, ohne dass eine Ermittlung wegen strafbarer Handlungen vorliegt, ist die durch das Urteil gegen Latife Cenan-Adigüzel erfolgte Ausweitung der Anwendbarkeit der Paragraphen 129 a+b ein weiterer Schritt in eine vollständige Überwachung und Kontrolle der Gesellschaft. Die durch eine nachträgliche Strafandrohung geschaffene ständige Verunsicherung, sich der Legalität eigenen Handelns nie sicher sein zu können, ist ein Merkmal diktatorischer Regime. Im Kern zielt dies auf die Einschüchterung aller oppositioneller Kräfte ab. Die Verurteilung als „Terroristin“ führt zu umfassenderen Einschränkungen als die Haftstrafe. Aufgrund der jetzt eingetretenen Rechtskraft des Urteils wird sie zukünftig international als „Terrroristin“ in den entsprechenden Listen geführt – mit allen denkbaren Schikanen durch die Behörden und möglichen Beschränkungen der Freiheit zur Ein- und Ausreise. Durch die Ausländerbehörde wurde ihr aufgrund der Verurteilung bereits die Ausweisung und Abschiebung aus der Haft heraus in die Türkei angedroht, während zeitgleich seitens der türkischen Regierung über Interpol ihre Auslieferung wegen Mitgliedschaft in der DHKP-C beantragt worden ist.
Vor dem Hintergrund weiterer legislativer Verschärfungen wie den neuen Polizeigesetzen in verschiedenen Bundesländern, ist es nötig die gleichzeitig stattfindende juristische Ausweitung der Repressionsinstrumente nicht unwidersprochen hinzunehmen.
Es ist deshalb ermutigend, dass sich inzwischen – so gegen die Polizeigesetze – eine wachsende Bewegung für demokratische Rechte und Freiheiten entwickelt. Es ist gut, dass in diesem auch die Verbote von DHKP-C und PKK stärker in die Kritik geraten, ebenso wie die 129 a/b – Verfahren gegen Oppositionelle aus der Türkei und Kurdistan. Die Verbote und die damit verbundene, die internationale Solidarität kriminalisierende Rechtsprechung müssen aufgehoben und die progressiven und revolutionären politischen Gefangenen aus der Türkei und Kurdistan sofort freigelassen und für die Haft entschädigt werden.