„Wir antworten mit unseren Liedern auf eure Listen!“ – Interview mit den Grup Yorum-Mitgliedern Umut Gültekin und Ege Yılmaz

Redaktion

Seit mehreren Monaten dauern die Angriffe gegen das revolutionäre Musikkollektiv Grup Yorum an. Mittlerweile befinden sich zehn Bandmitglieder in der Türkei in Haft und sechs weitere Mitglieder wurden durch türkische Behörden auf eine Fahndungsliste, die sogenannte „graue Liste“[1], gesetzt. Trotz der Repression, die auch Konzertverbote beinhaltet, setzt Grup Yorum ihre Arbeit fort. Wir haben mit Umut Gültekin und Ege Yılmaz über ihren Umgang mit dieser Situation und über ihre Projekte gesprochen.

Redaktion: Merhaba Umut, merhaba Ege. Momentan befinden sich unseren Informationen zufolge zehn Mitglieder eurer Band in Haft. Zudem wird nach sechs Bandmitgliedern anhand von sogenannten Terrorlisten gefahndet. Darunter auch İhsan Cibelik, mit dem wir vor einigen Monaten ein Interview geführt hatten. Könntest du uns hierzu nähere Informationen geben?

Umut Gültekin: Merhaba. Im Moment befinden sich aufgrund der seit über einem Jahr andauernden Angriffe zehn von uns in diversen Isolationsgefängnissen, den sogenannten F-Typen. Die Gefangenen sind Bahar Kurt, Dilan Ekin, Dilan Poyraz, Bergün Varan, Betül Varan, Helin Bölek, Sultan Gökçek, Fırat Kıl, Seher Adıgüzel und Eren Erdem. Nach sechs von uns wird mit Belohnungen gefahndet. Die Gesuchten sind İnan Altın, Selma Altın, İhsan Cibelik, Emel Yeşilırmak, Ali Aracı und İbrahim Gökçek.
Ege Yılmaz: Die gefangenen Mitglieder unserer Gruppe setzen ihr Schaffen gemäß der „Özgür Tutsak“[2] Tradition im Gefängnis fort. Sie schaffen, indem sie Widerstand leisten und leisten Widerstand, indem sie schaffen. Sie setzen ihre musikalische Bildung fort und lesen, um sich Wissen anzuhäufen und sie komponieren Stücke und schreiben Liedtexte.
Die männlichen Gefangenen befinden sich ein Einzel- und Drei-Personen-Zellen. Die weiblichen Gefangenen befinden sich in Sechs-Personen-Zellen. Ihnen wird Anstaltskleidung aufgezwungen. Zuletzt hatten Betül und Bergün Varan Besuch von ihrem Vater erhalten. Die beiden seien laut ihrem Vater mit Parolen zum Besuch erschienen, mit denen sie ihren Protest gegen die Anstaltskleidung ausgedrückt hätten. Sie hatten die Anstaltskleidung natürlich nicht angezogen.
Sie kämpfen für das Recht, Instrumente zu erhalten. Normalerweise haben sie das Recht auf ein Instrument. Einige von ihnen haben Instrumente erhalten. Eine Saz, eine Bağlama und eine Cura[3]. Aber zwei Instrumente werden pro Person nicht zugelassen. Sie arbeiten mit diesen Instrumenten und kämpfen gleichzeitig dafür, neue Instrumente zu bekommen. Unter jeglichen Bedingungen, sei es drinnen oder draußen, zeigen unsere gefangenen Mitglieder eine entschlossene Haltung.

Redaktion: Was liegt den Inhaftierungen und Fahndungen zugrunde?

Umut Gültekin: In der Türkei herrscht ein unbändiger Faschismus, der AKP[4]-Faschismus. Als Grup Yorum befinden wir uns an vorderster Front der revolutionären Opposition und sprechen die Tatsachen so aus, wie sie sind. Wir singen Lieder des Kampfes und des Widerstands gegen den Faschismus. Dies stellt ausreichend Grund für den Faschismus dar, um unser Kulturzentrum İdil[5] anzugreifen, unsere Instrumente zu zerschlagen und uns in Gefängnisse zu stecken.
Als Grup Yorum geben wir unseren Kampf nicht auf, weichen keinen Millimeter zurück und singen weiterhin unsere Lieder. Das ist es, was der Faschismus nicht erträgt und deshalb versucht er, uns zum Schweigen zu bringen. Deshalb wird unser Kulturzentrum verwüstet, deshalb werden wir inhaftiert und deshalb wird nach uns gefahndet. Es gibt keine Justiz. Nur Faschismus.

Redaktion: Wie sieht die Reaktion der Öffentlichkeit gegenüber diesen Angriffen aus? Sind andere ebenfalls in diesem Maße von Repression betroffen?

Ege Yılmaz: Die Angriffe des Faschismus richten sich gegen all jene, die nicht zu ihm gehören. Deswegen sind auch alle weiteren demokratischen, progressiven und revolutionären Intellektuellen und Künstlerinnen und Künstler diesen Angriffen ausgesetzt. Dies hat mitunter zu einer passiven Haltung geführt, da die Repression Angst hervorruft. Einige sympathisieren mit uns und respektieren unseren Widerstand, doch diese Angst hindert sie daran, sich auf unsere Seite zu stellen. Das betrifft den Großteil der Künstlerinnen und Künstler.
Aber ein anderer Teil nimmt alle Konsequenzen in Kauf und solidarisiert sich mit uns. Sie beteiligen sich an den Veranstaltungen in unserem Kulturzentrum und an unseren Konzerten, um unsere Stimme zu stärken. Sie nehmen sich unserer Band ganz offen an. Aber leider ist die Zahl dieser Künstlerinnen und Künstler eher gering.

Redaktion: Wie sieht eure Arbeit unter den aktuellen Bedingungen aus? Habt ihr Ansätze, die die Vereinzelung und Entsolidarisierung aufbrechen können?

Umut Gültekin: Wir sind eigentlich in fast allen Bereichen des demokratischen Kampfes präsent. In unserem eigenen Bereich, der Kunst- und Kulturfront, wurde unter unserer Regie der Sanat Meclisi (Kunst-Rat) aufgebaut, indem wir progressive Intellektuelle zusammengebracht haben. Dieser versucht, die Opposition der Künstlerinnen und Künstler gegen den Faschismus zu organisieren. Wir haben sogar Überlegungen, einen solchen Sanat Meclisi in Europa ins Leben zu rufen.
Der Sanat Meclisi hat in der Vergangenheit Festivals organisiert und Presseerklärungen gemacht. Aus Protest gegen den Notstand OHAL[6] hat er eine Aktion auf dem Istanbuler Taksim-Platz durchgeführt. Mit dem Bewusstsein, dass die bestehende Ordnung und das Parlament nichts bringen, setzt der Sanat Meclisi seine Arbeit mit der Perspektive fort, dass sie ihre Rechte nur durch einen Kampf erlangen können. Dazu müssen progressive und demokratische Künstlerinnen und Künstler ihre eigene Solidarität organisieren und ihre eigenen Entscheidungen fällen können. Natürlich setzt der Faschismus massivste Repression ein und das erschwert die Arbeit des Sanat Meclisi. Die Arbeit wird aber dennoch fortgesetzt. Neuen Bedingungen werden neue Methoden entgegengestellt und somit der Kampf vorangetrieben.
Ege Yılmaz: Sogar unorganisierte Menschen werden verhaftet. Sogar Menschen, die nicht über ein entschlossenes Verständnis von revolutionärer Kunst verfügen. Wir sprechen von einem Angriff, der sich gegen alle richtet. Gegen den Faschismus bleibt uns nur die Wahl zwischen Widerstand oder Sklaverei. Es gibt keinen Zwischenweg. Grup Yorum hat die Fahne des Widerstands aufgeschlagen und ruft alle Künstlerinnen und Künstler auf, Widerstand zu leisten.
Schweigen ist keine Lösung. Es ist auch keine Lösung, sich zurückzuziehen. Einige Künstlerinnen und Künstler zensieren sich selber. Sie denken, dass ihnen nichts passiert, wenn sie sich aus allem heraushalten. Dass Widerstand der einzige Weg ist, hat uns beispielsweise der Yüksel-Widerstand[7] gezeigt. Das ist auch auf den Kunst- und Kulturbereich übertragbar.

Redaktion: In den vergangenen Jahren habt ihr in Istanbul „Konzerte für eine unabhängige Türkei“[8] gegeben. Ihr habt Millionen Menschen erreicht. Die staatlichen Verbote gegen euch haben die gewohnte Durchführung dieser Konzerte unmöglich gemacht. Wir haben aber auch gesehen, dass ihr euch der Situation stets angepasst und Möglichkeiten geschaffen habt, um die Massen trotzdem zu erreichen.

Ege Yılmaz: Unser Kollektiv erkennt Verbote nicht an. In unserer 33-jährigen Geschichte gibt es nicht ein einziges Verbot, das unsere Gruppe anerkannt hätte. In den letzten Jahren haben wir mit hochgradig kreativen Methoden faschistische Verbote ins Leere laufen lassen. Nehmen wir z.B. die „Konzerte für eine unabhängige Türkei“. Eines davon haben wir auf einem LKW-Anhänger in einem Gecekondu-Viertel[9] gegeben. D.h. dass wir ein Gecekondu-Viertel bzw. Istanbul in ein riesiges Konzertgelände verwandelt haben. Im Jahr darauf haben wir angefangen, in allen Vierteln Konzerte auf den Häuserdächern zu geben. Das zeigt, dass Grup Yorum nicht aufgibt.
Schließlich haben wir unser diesjähriges „Konzert für eine unabhängige Türkei“ mit anderen Mitteln umgesetzt. Mit Hilfe des Internets haben wir unser Konzert, das wir in einem angemieteten Saal gespielt haben, über die sozialen Netzwerke übertragen und somit zehntausende Menschen erreicht.
Umut Gültekin: Auch unter Bedingungen der Fahndung und der Gefangenschaft hören wir nicht auf, unsere Lieder zu machen. Unsere gefangenen Mitglieder schreiben weiterhin Texte, Gedichte und Lieder. Unsere Mitglieder, nach denen gefahndet wird, setzen ihre Arbeit trotz der Fahndungsbedingungen fort. D.h. dass die Kunst- und Kulturfront von nichts ablässt, was sie sich vorgenommen hat.
Außerdem besteht Grup Yorum nicht aus einem Dutzend Menschen. Grup Yorum ist weit größer. Im Sinne des Spruchs „Grup Yorum ist das Volk“ bilden sich überall neue Grup Yorum-Chöre. Neue Menschen und Stimmen schließen sich uns an. Grup Yorum ist im eigentlichen Sinne eine Stimme. Denn Gesichter und Menschen wechseln. Die Stimme aber bleibt dieselbe. Es ist die Stimme des Kampfes, des Widerstands und der Revolution. Das ist es, was sich an unserer Gruppe nicht ändert. Und das ist es auch, was den Faschismus am meisten beängstigt. Wir werden weiterhin Lieder produzieren und singen, egal ob in Gefangenschaft oder auf der Flucht.

Redaktion: Wie sieht es in Europa aus? Ihr seid hier immer wieder mit Repressalien konfrontiert. Doch auch in Europa setzt ihr eure Aktivitäten fort.

Umut Gültekin: Weil Grup Yorum eine Band ist, die sich weltweit gegen Ausbeutung und Unterdrückung stellt, haben wir nie erwartet, dass uns der Imperialismus mit Toleranz begegnen würde. Natürlich versuchen auch sie, uns zu behindern, Verbote aufzustellen, Visa zu verweigern, Konzertsäle zu bedrohen, um unsere Konzerte zu unterbinden, uns nicht ins Land zu lassen und uns auf ihre Schwarze Liste zu setzen. Genau genommen haben sie letzteres bereits getan.
Trotzdem machen wir weiter. Letztes Jahr haben wir elf Konzerte in Europa gegeben, u.a. in Deutschland, Österreich, England und in der Schweiz. Diese Konzerte haben wir entgegen der Repression und der Verbotsbestrebungen durchgeführt. Anfang Juni geben wir ein Konzert in Griechenland, danach eins in Italien und anschließend noch eins in Bulgarien. Und auch dieses Jahr werden wir in Deutschland am 29. September unser großes „Eine Stimme gegen Rassismus“-Konzert machen. Dieses jährlich stattfindende Konzert hat mittlerweile Tradition und wir sind fest entschlossen, es auch dieses Jahr wieder zu veranstalten.

Redaktion: Du sprachst von der Schwarzen Liste in Europa. Befindet sich eure Gruppe auf dieser Liste oder einzelne Mitglieder?

Umut Gültekin: Es sind einzelne Mitglieder. Sechs Personen sind auf der Liste. Ihre Anwältinnen und Anwälte versuchen, sie von den Listen streichen zu lassen und diesbezüglich laufen Verfahren. Aber da unsere Gruppe sehr groß und flexibel ist, wurden ganz bestimmte Mitglieder auf diese Liste genommen. Sie wollen nicht, dass sie in Europa einreisen. Soweit ich weiß, handelt es sich dabei um Personen, die in Europa unerwünscht sind. Rechtlich gesehen ist es so, dass sich die EU-Mitgliedstaaten nach der Schwarzen Liste richten müssen. Und das führt dann dazu, dass sie keine Visa ausstellen. Diese Personen werden mit der Begründung, dass sie den Schengen-Raum nicht betreten dürfen, an den Flughäfen abgewiesen. Es handelt sich um ein Schengen-Verbot.

Redaktion: Wir haben gesehen, dass ihr letztes Jahr trotz der Repression und der Verbote ein weiteres Album unter dem Namen „İlle Kavga” („Unbedingt Kampf“) veröffentlicht habt, welches wir in unserer Zeitung vorgestellt hatten[10]. Zudem waren Videos zu sehen, wo die Massen bei euren Konzerten in den Vierteln trotz massivster, polizeilicher Angriffe unter Gasbomben den Halay[11] tanzten. Außerdem veröffentlicht ihre durchgehend neue Stücke, die sich über das Internet verbreiten. Wie haltet ihr euer Schaffen aufrecht?

Ege Yılmaz: Weil Grup Yorum die Stimme des Widerstands und des Kampfes ist, fließen von überall und aus allen Bereichen des Lebens, wo gekämpft wird, unserer Gruppe Gedichte zu. Und wir arbeiten mit diesen Gedichten und verwerten sie.
Als unser Album „İlle Kavga” erschien, hatten wir ausreichend Liederbestand, um ein weiteres Album zu machen. Die Lieder aus „İlle Kavga” wurden aus einem Bestand von 30 Liedern ausgesucht. Aus diesem Grund haben wir genug Material und wir arbeiten an einem neuen Album. Zudem haben wir im Rahmen unserer Reihe „Unsere Lehrer von gestern bis morgen“[12] Lieder von Aşık Mahzuni Şerif[13] interpretiert und stehen kurz vor der Fertigstellung dieses Albums. Wir arbeiten momentan an zwei Alben.
Wir befinden uns tatsächlich in einer intensiven Schaffensphase. Entgegen möglicher Annahmen unterbinden Repression und Verbote nicht unsere Arbeit. Im Gegenteil führen sie dazu, dass wir noch produktiver werden. Sie führen zu größerem Zorn gegen die Verbote und im Bewusstsein über unsere Mission gegen den Faschismus führen wir an vorderster Front unsere Lieder in den Kampf.
Außerdem erkennen wir Konzertverbote nicht an. Letztes Jahr haben wir ein Konzert im Istanbuler Stadtteil Kartal gemacht. Das verbotene „Konzert für eine unabhängige Türkei“ haben wir im Istanbuler Stadtteil Armutlu gegeben. Genau genommen setzen wir unsere Konzert-Aktivitäten fort und setzen sie um, indem wir alle sich uns anbietenden Möglichkeiten nutzen. Aber natürlich fallen diese dann etwas eingeschränkter aus.
Zuletzt gab es die Internetkampagne „Grup Yorum bei uns zuhause“. Denn nachdem die Kopfgeld-Fahndung nach unseren Mitgliedern begonnen hatte, nahmen sich die Menschen ernsthaft Grup Yorum an und sie starteten eine Kampagne. Sie spielten unsere Lieder und die Mitschnitte davon veröffentlichten sie anschließend über das Internet.
Im Grunde hat sich nichts verändert und die Repression hat uns weder abgeschreckt noch zurückweichen lassen. Im Gegenteil, wir schreiten mit noch mehr Enthusiasmus voran.
Und wie du auch schon erwähnt hast, veröffentlichen wir neue Lieder und stellen sie ins Internet. Zuletzt haben wir ein Lied veröffentlicht, das wir beide gemeinsam mit İnan und Selma Altın, İhsan Cibelik gemacht hatten. Es heißt „Burası İstanbul Maltepe“ (Das ist Istanbul Maltepe; Maltepe ist ein Istanbuler Bezirk).
Wir können sagen, dass wir mit Vollgas unsere Lieder wie Fahnen in den Kampf gegen den Faschismus führen.

Redaktion: Könntest du uns etwas über euer neustes Stück erzählen? Es handelt ja von den Aufbrüchen der revolutionären Bewegung in der Türkei und einigen ihrer wichtigsten Protagonisten.

Umut Gültekin: „Burası İstanbul Maltepe” erzählt von dem 51-stündigen Maltepe-Widerstand von Mahir Çayan[14] und Hüseyin Cevahir[15]. Hierbei fiel Hüseyin Cevahir und Mahir Çayan wurde schwerverletzt gefangen genommen. Sie hatten gekämpft, bis ihnen die Munition ausging.
Maltepe ist der Ort, wo mit einer 50-jährigen revisionistischen Tradition gebrochen, gegenüber dem Faschismus nicht kapituliert und ein Widerstandsmanifest geschrieben wurde. Anschließend kam der Widerstand von Kızıldere[16] am 30. März 1972. Aber davor gab es den Maltepe-Widerstand am 31. Mai /1. Juni 1971.
Wir können sagen, dass es ein historischer Moment war. Denn innerhalb des 50-jährigen Kampfes war es das erste Mal, dass nicht kapituliert, dem Faschismus mit Waffen geantwortet und bis zum Tod gekämpft worden ist.
Wir wollten, dass dieser Widerstand sich ein Platz in der Geschichte sichert. Mit diesem Bewusstsein haben wir es gemacht. Um es in die Geschichte einzutragen.

Redaktion: Und was waren die Beweggründe dafür, für eure Albumreihe „Unsere Lehrer von gestern bis morgen“ den Dichter und Liedermacher Aşık Mahzuni Şerif auszusuchen?

Umut Gültekin: Grup Yorum ist Teil einer bestimmten Geschichte. Diese Geschichte erstreckt sich zurück bis zu Scheich Bedreddin[17], Karacaoğlan[18], Dadaloğlu[19] und Pir Sultan Abdal[20]. Sie erstreckt sich sogar zurück bis zu Spartakus. Grup Yorum ist Erbe jener, die rebellieren, ihr Haupt erheben und Widerstand leisten sowie der Ozans (Volksdichter, Liedermacher, red.), die diese Widerstände und Rebellionen niederschreiben. Grup Yorum ist im Grunde ihr Kind. Das heutige Glied in dieser Kette. Und die Kultur sowie die Lieder, die all diese Widerstände, Aufstände und Kämpfe beinhaltet, sind ein Erbe, dessen wir uns angenommen haben. Wir akzeptieren sie als unsere Lehrerinnen und Lehrer. Das erstreckt sich bis zum heutigen Tag. Unser erstes Album dieser Reihe war Ruhi Su gewidmet. Auch das hatten wir mit demselben Verständnis gemacht. Ruhi Su ist unser Lehrer, der als wegbereitender Ozan anerkannt ist. Wir möchten mit unserer Interpretation unserer Lehrer und ihrer Werke der Geschichte ein bleibendes Verständnis hinterlassen.
Ege Yılmaz: Aşık Mahzuni Şerif hat sich sein ganzes Leben gegen den Faschismus, gegen die bestehende Ordnung, gegen Ausbeutung und Unterdrückung gestellt und in diesem Sinne rund 400 Lieder gemacht. Viele dieser Lieder, die die bestehenden Verhältnisse kritisieren und sich gegen sie richten, sind sehr wirkungsvoll und in aller Munde. Vergangenes Jahr hatten Pop- und Rockmusikerinnen und -musiker aus der Musikindustrie ein Album veröffentlicht, wo sie Lieder von Aşık Mahzuni Şerif singen. Wir haben das kritisiert. Es ist nicht angemessen, dass die Musikindustrie diese Lieder in eine kommerzielle Ware verwandelt. Wir denken, dass sie kein Recht darauf haben, diese Werke zu entstellen. Wir sind am besten in der Lage, diese Lieder zu interpretieren. Aşık Mahzuni Şerif ist ein Teil unseres Erbes und er ist unser Lehrer. Wir sind seine Lehrlinge.
Das Album ist fast fertig. Es gibt nur einige technische Dinge, die noch zu klären sind. Wie ich bereits sagte, hat Aşık Mahzuni Şerif rund 400 Lieder gemacht. Darunter sind eine Menge Lieder, die wir hätten auswählen können. Es war eine schwierige Wahl. Aber wir haben die Wahl getroffen und wir werden das Album bald herausbringen.

Redaktion: In der Türkei nähern sich die Wahlen, die am 24. Juni stattfinden sollen. Viele Menschen in der Türkei kritisieren das Erdoğan-Regime, betrachten ihn als einen Diktator und erhoffen sich eine Besserung, wenn die AKP-Regierung die Wahlen verlieren sollte. Wie steht ihr zu den Wahlen und ist es denkbar, dass sich die Lage für Grup Yorum bessert, wenn die AKP abgewählt werden sollte?

Ege Yılmaz: Es ist richtig, dass es eine Ein-Mann-Diktatur, einen AKP-Faschismus gibt. Aber wir sehen die Wahlen nicht als eine Lösung an. Die Alternative ist Revolution. Es gibt keine Alternative im Rahmen des Systems. Sowohl die CHP (Republikanische Volkspartei; kemalistische Partei und stärkste parlamentarische Opposition) als auch die İyi Parti (Gute Partei; neu gegründete, nationalistische Partei) und die anderen Parteien werden das System der Ausbeutung und Unterdrückung nicht verändern. Es wird keine Demokratie kommen.
Umut Gültekin: Das ist es, was wir während der Wahlkampfphase erzählen werden. Das wird unsere Botschaft sein. Denn – angenommen die CHP oder jemand anderes kommt an die Macht – es wird sich für Grup Yorum nichts ändern, zumal die Alternativen zur AKP nicht einmal im bürgerlichen Sinne demokratisch sind. Denn all die massiven Repressalien gegen uns hat es bereits vor dem AKP-Faschismus gegeben. Auch die Regierungen zuvor, sei es zur Zeit von Turgut Özal[21] oder von Süleyman Demirel[22], haben Repression gegen uns ausgeübt. Seit 33 Jahren sind wir mit Verboten konfrontiert und werden eingesperrt. Das war vor Erdoğan so und so wird es auch nach ihm sein.
Wir denken, dass es ein Faschismus ausbeuterischer Art ist. Es ist ein faschistischer Staat, ein faschistisches System, das manchmal mit parlamentarischen Mitteln und manchmal ohne, manchmal offen und manchmal verdeckt regiert. Ohne diesen zu stürzen und den Imperialismus zu vertreiben, oder wie es in Parolen heißt, ohne den Erfolg des Kampfes für Demokratie, Unabhängigkeit und Sozialismus, kann es weder Gleichheit und Freiheit noch eine Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung geben. Und die Herrscher über Ausbeutung und Unterdrückung werden nicht damit aufhören, Repression gegen Grup Yorum auszuüben. Dieses System ist verrottet. Es herrscht großes Unrecht und eine unbändige Ausbeutung. Das kann nur durch eine Revolution verändert werden.