Aus Briefen von Musa Aşoğlu

Musa Aşoğlu

Verlegung in eine neue Zelle, 8. April 2018

Merhaba lieber …, seit einem Monat bin ich einer neuen Zelle einer abgeschotteten Abteilung. Es sind zwar alle Einrichtungsgegenstände neu, die Zelle ist etwas größer und sauberer, aber die Isolation ist noch verschärft worden. Ich kann die Fenster selbst nicht mehr öffnen. Durch die geschlossenen Fenster höre ich die wöchentliche Kundgebung nicht mehr so gut. Toiletten sind aus Metall und hygienischer, aber ohne Brille. Es gibt auch keine echten Spiegel mehr, nur aus Plastik. Auch beim Einkaufen gibt es neue Regeln: Lebensmittel dürfen nicht mehr in Gläsern bezogen werden. Sie müssen in Plastikdosen umgepackt werden. Diese Maßnahmen werden mit „Sicherheitsgründen“ begründet.

Freier Gefangener Musa

Diese Zeichnung (links) wurde für Kinder gemacht, die am Langen Marsch für Nuriye Gülmen und Semih Özakça von Lüttich nach Brüssel teilgenommen haben. Auf der Zeichnung steht: „Sie haben kleine Schritte, aber große Herzen. Sie kennen den Geruch von Brot und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit.“

Zum Begriff „türkische Linke“, 15. April 2018

Merhaba sevgili …, Ich habe deinen Brief vom 3.April, Nr. 56 und das GI erhalten. Zum GI 414: „Die Verfolgung linker Aktivisten aus der Türkei in der BRD“. Seite 7 zum Fazit: „Hier in der BRD werden türkische Genossinnen wegen ihrer politischen…“
Wir bezeichnen uns nicht als „türkisch“ und es gibt deshalb keine türkische revolutionäre Bewegung. Wir nennen uns Türkiyeli: „Aus der Türkei“. Vielleicht gibt es keinen deutschen Begriff dafür… Besser wäre die Begrifflichkeit „Revolutionäre aus der Türkei“ .
Als „türkische Linke“ bezeichnen uns die kurdischen, nationalen Organisationen. Kurdische Bewegungen sind nationalistisch organisiert, aber sozialistische- und Volksbefreiungsbewegungen bestehen nicht nur aus „Türken“…
Um Beispiele zu nennen: Ich bin Abasine und meine Mutter hat griechische Wurzeln. Yusuf Taş ist ein christlicher Araber. Gülaferit ist sunnitische Tscherkessin-Bosnierin. Şadi Özpolat und Özgür Aslan sind alevitische Zazas. Erdoğan (der in Frankreich eingesperrt ist) ist ein sunnitischer Kurde. Sefih (ebenfalls in Frankreich gefangen) ist ein Armenier. Muzaffer Doğan ist sunnitischer Türke. Sonnur Demiray und Özkan Güzel sind alevitische Türken.
Natürlich ist „Türke“ kein erniedrigender Begriff. Aber wenn jemand kein Türke ist, wie z.B Yusuf, Şadi, Sefih, Erdoğan und ich … können wir nicht akzeptieren, als Türken bezeichnet zu werden. Wenn uns jemand Türke nennt, dann ist das Chauvinismus. Wenn uns türkische Nationalisten und Faschisten als Türken bezeichnen, ist das auch ein Zeichen von Chauvinismus und eine Beleidigung… Und wenn uns die kurdische Bewegung als „türkische Linke“ klassifiziert, sind wir ebenfalls beleidigt…
Ich weiß, das viele europäischen GenossInnen nicht wissen; was der Unterschied zwischen „türkisch“ und „aus der Türkei“ ist.
Revolutionäre linke Bewegungen wollen die Welt verändern. Warum ändern wir nicht die chauvinistischen Begriffe, die dazu dienen, andere Völker zu unterdrücken.
Die Türkei besteht nicht allein aus türkischen und kurdischen Völkern. Darum finden wir es besser, „aus der Türkei“ oder „Anatolier“genannt zu werden. Natürlich sollten wir nicht nach unserer nationalen Identität und Nationalität bezeichnet werden, wir möchten lieber nach unserer politischen Identität bezeichnet werden, also als Revolutionäre aus der Türkei…
Ich habe auch alle beigefügten Artikel bekommen. Die Info über Dallas war sehr interessant. Dass auf der Demo in HH am 17.März 2.000 Menschen waren, fand ich sehr gut. Ich habe sie gehört und auch in „jungen Welt“ darüber gelesen.

Revolutionäre und herzliche Grüße
Freie Gefangene Musa

Zur Postkarte mit Şenay-Motiv, Ende März 2018

Lieber… , da ich mich in letzter Zeit sehr intensiv mit meinem Prozess beschäftigt habe, kam ich nicht groß dazu, auf deine Post zu antworten. Entschuldige das bitte!
Auf der Karte, die ich dir schickte, ist Şenay Hanoğlu abgebildet. Şenay ist eine von den 122 HeldInnen, die im großen Widerstand gegen die Einführung der Isolationsfolter, im Todesfasten von 2000 – 2007, gestorben sind. Şenay hatte eine Tochter und einen Sohn. Ihr Sohn Erdem Hanoğlu ist nun auch ein „Freier Gefangener“.

Der Widerstand geht weiter!!!!!!!!!!!!!!