Zur Geschichte des SPK

Interview mit Wolfgang zur Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs SPK

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Hamburg

Hallo Wolfgang, in dieser Ausgabe geht es schwerpunktmäßig um das Thema Psychiatrie, gerade um einen kritischen Blick auf ein weitreichendes Themenspektrum zu werfen. Seit dem es Psychiatrie als Institution gibt, solange gibt es auch Diskussion und Widerstand darüber bzw. dagegen. Du selbst hast die Kämpfe seit 1968 erfahren und aktiv begleitet und konntest persönliche Erfahrungen sammeln. Vielleicht gibst du zur konkreten Einordnung einmal einen kurzen Überblick über deine eigene Geschichte, damit wir dann zu unserem zentralen Thema kommen – eine Auseinandersetzung mit dem Sozialistisches Patienten Kollektiv (SPK.)

Vorweg, bei dieser Frage muss ich ein bisschen ausholen. Es ist jetzt schon 50 Jahre her und vor allem die herrschende Geschichtsschreibung, die alles ausblendet und den berechtigten Aufbruch denunziert, mit dem Ziel einen neuen zu verhindern.
Meine/unsere Politisierung 67/68 war ein globaler Aufbruch. Er umfasste nicht nur die Politik und Ökonomie, sondern alle Lebensbereiche, sei es Kultur, die Sexualität und die Erziehung z.B.
Ein wichtiges Ereignis war für mich der Mord an dem Studenten Benno Ohnesorg, der auf einer Demonstration gegen den Schah von Persien am 2. Juni 1967 in Berlin von einem Bullen ermordet wurde.
Rudi Dutschke, ein bekannter Sprecher der anti-autoritären Bewegung wurde knapp ein Jahr später am 11.April durch einen vom Berliner Senat, der Bundesregierung und dem Springerverlag aufgehetzten faschistischen Arbeiter lebensgefährlich verletzt.
Am 12. April 1968 nahm ich deshalb in Hamburg an meiner ersten Demonstration teil, um die Auslieferung der Hetzblätter dieses Verlages, wie z.B. „Bild“, zu verhindern.
Ende 68/69 war deutlich geworden, dass diese Bewegung, die Außerparlamentarische Opposition (APO) stagnierte und sich deswegen in verschiedene Organisationen auf splitterte. Daraus folgte, dass viele Abstand von der revolutionären Praxis nahmen. Viele Aktivist_innen passten sich an, d.h. sie arbeiteten in herrschenden Parteien und Institutionen mit. Prominente Beispiele sind Schily und Fischer, die später Bundesminister wurden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass das System auf eine starke Bewegung nicht nur mit Repression reagiert, sondern auch mit Integration.
Als Beispiel möchte ich die Amnestie durch die Brandt-Regierung 1969 anfügen. Vielen Aktivist_innen drohte Knast wegen Teilnahme an Demonstrationen. Sie wurden überwiegend amnestiert und kehrten so befriedigt in den Schoß der Herrschenden zurück. Das galt aber nicht für Andreas Baader und Gudrun Ensslin und zwei weitere, die im April 1968 in Frankfurt 2 Kaufhäuser aus Protest gegen den Konsumterror und den Vietnamkrieg in Brand setzten und für 3 Jahre in den Knast sollten.
Das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“ eben. Heute wird das auch praktiziert.

Wie hast du vom SPK erfahren, bzw. wie bist du darauf aufmerksam geworden?

Wie viele andere auch war ich seit 1969 am Suchen, um die Inhalte der 68er-Bewegung zu verteidigen und weiter zu entwickeln. Also keine Mitarbeit mit den Herrschenden, kämpfen im Herzen der Bestie als radikale Minderheit mit den unterdrückten Menschen der Welt, sei es in Europa, Lateinamerika, Afrika und Asien. Ziel war eine freie und kommunistische Gesellschaft.
Viele aus der RAF waren bis zum Sommer 72 ermordet oder verhaftet worden. Für mich war es selbstverständlich, Solidarität mit diesen Gefangenen zu zeigen:
Erstes mit ihnen zusammen gegen die Isolationsfolter zu kämpfen. Zweitens zeigten die Angriffe der RAF gegen die US-Hauptquartiere in Frankfurt und Heidelberg wegen des Krieges gegen Vietnam und auch gegen den Springerverlag in Hamburg z.B., dass der Imperialismus hier angreifbar ist.
Weiterhin waren diese Aktionen wichtig, denn sie bezeugten, dass das Kämpfen mit wenigen entschlossenen Kräften auch hier möglich ist.
So verfolgte ich deshalb im Herbst 1972 in Hamburg einen Prozess gegen eine Gefangene aus der RAF, Margrit Schiller. Damals stellten wir zusammen mit vielen anderen Menschen Öffentlichkeit zu diesem Verfahren her.
In ihrer Prozesserklärung erwähnte sie das SPK. Da ich vom SPK noch nie was gehört hatte, empfahlen mir Genoss_innen das Buch „SPK- Aus der Krankheit eine Waffe machen!“ zu lesen.

Hattest du die Möglichkeit die konkrete Praxis des SPK zu erleben?

Nein, dass SPK wurde 1970 gegründet und nur 18 Monate später vom Staat zerschlagen.

Kannst du uns kurz die Repression gegen das SPK und seine Mitglieder beleuchten?

Mit einem großen Poizeiaufgebot wurden die besetzten Räumlichkeiten an der Uni geräumt. 11 Genoss_innen wurden verhaftet. Zwei von ihnen waren bald 5 Jahre im Knast und beteiligten sich auch an Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF.

Skizziere uns doch bitte die politischen Grundüberlegungen des SPK.

Das SPK hat die These vertreten, dass Krankheit Voraussetzung und Resultat der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist.
Ich selber litt natürlich auch unter diesen kapitalistischen Verhältnissen. Sie machten mich auf der einen Seite traurig, wütend, hilflos, anderseits lähmten und deprimierten sie mich. Diese Erkenntnis machte mir bewusst, dass meine Lage nicht nur persönlich bedingt war, sondern gesellschaftlich verursacht: „Aus der Krankheit eine Waffe machen!“ Mir wurde dadurch bewusst, dass eigentlich alle Menschen davon betroffen waren.
Als ich das Buch zum ersten Mal gelesen hatte, begriff ich in Gesprächen, dass ich es nicht richtig verstanden hatte. Klar war die Lektüre auf Grund der intensiven Praxis des SPK nicht einfach zu verstehen.
Der wesentliche Grund war aber, ich hatte es gelesen, also konsumiert, ohne praktische Konsequenzen.
Das erste was daraus resultierte war, dass ich versuchte das Buch mit anderen zu diskutieren. Schon dieses Gemeinsame ist ein Bruch mit der Vereinzelung und dem bürgerlichen Individualismus.
Es geht nicht um abstrakte Aneignung von Wissen, sondern um kollektives Lernen und praktische Konsequenzen. Im SPK waren nicht nur Intellektuelle, sondern auch Proletarier organisiert. Wir haben während der Hausbesetzung in der Ekhofstraße 1973 und auch danach Texte nach diesem Prinzip diskutiert, auch mit Menschen aus den Heimen.
Ebenso haben wir Anti-Drogenarbeit nach diesem Prinzip gemacht.
Eine weitere Aussage des SPK war es, dass die Psychiatrie versuche, die Patient_innen tauglich für die krank machende Gesellschaft zu machen, deshalb müsse auch dort aus der Krankheit eine Waffe gemacht werden. Als Ausgangspunkt der Arbeit des Sozialistischen Patientenkollektiv galten die Bedürfnisse der Patient_ innen.
Mit dieser Konzeption sprach das SPK viel mehr Betroffene an als die herkömmliche Medizin. So waren in den etablierten Heidelberger Einrichtungen weniger als 100 Patient_innen, während im SPK zirka 500 organisiert waren.
Ähnliche Erfahrungen, die das SPK mit solchen Einrichtungen machte, machten wir in Hamburg ebenso.
Wir intervenierten deshalb 1973 gegen öffentliche Patient_innenvorstellung an der Hamburger Uni, denn eine öffentliche Schau von Menschen widerspricht den Bedürfnissen der Betroffenen. Sie wurden gegen ihren Willen zu Schau gestellt. Das hilft diesen Menschen nicht und dient nur dem Profit und der Karriere der bürgerlichen Mediziner.
Uns ging es, wie dem SPK darum, das gesamte sogenannte Gesundheitswesen und auch alle sozialen und pädagogischen Einrichtungen anzugreifen, die dem Bedürfnis der Betroffenen nach Aufhebung ihres Leides entgegen standen.
Das war auch eine Kritik an Linken, die meinten, sie müssten z.B. als gut Bezahlte und in entsprechend hohen Funktionen der Bevölkerung „helfen“, das richtige Bewusstsein zu vermitteln. Sie lassen dabei weg, dass sie selbst von der Destruktion des Kapitals betroffen sind, auch wenn sie davon materiell profitierten.
Das SPK meinte, alle sind von der Gewalt des Kapitals betroffen, eben auch die, die den anderen „helfen“, wie z.B. Lehrer_innen oder Ärzt_innen. Sie müssen sich aber entscheiden, auf welcher Seite sie stehen.
Eine weitere Kernaussagen des SPK war, dass Gesundheit ein absolut bürgerlicher Begriff sei, welcher als durchschnittliche Norm gilt und die Ausbeutbarkeit der Ware Arbeitskraft festsetzt.
Diese Aussage zu Ende gedacht heißt, es geht nicht nur gegen die Psychiatrie/Gesundheitswesen, sondern gegen das gesamte kapitalistische System.
Um überhaupt frei leben zu können, muss der Kapitalismus abgeschafft werden.

Welche Rolle spielte das SPK im Gesamtverhältnis der damaligen bundesdeutschen Linken?

Die damals den Marsch durch die Institutionen propagierten, also die Anpassung an die herrschenden Verhältnissen, bekämpften das SPK. Aber die, die kämpften, zeigten sich solidarisch.

Das Thema 2018 in den Medien sind u.a. die 1968er und in diesem Kontext spielt das SPK ebenfalls eine immer gewichtigere Rolle. Die Medien zeichnen dabei ein klares Bild, um zu zitieren: „ … aus Patienten werden Terroristen.“ Wie nimmst du diese Stimmungsmache wahr und wie ist sie einzuordnen?

Es gibt seit kurzem den Film „SPK-Komplex“. Ein Film, der aus öffentlichen, staatlichen Mitteln finanziert wurde und somit kein linkes Projekt sein kann. Daraus erklärt sich auch der Wirbel um das SPK, denn im Kapitalismus muss eine Ware verkauft werden und folglich dafür geworben werden.
Es kommen im Film ehemalige Mitglieder des SPK (Taufer) und der RAF (Taufer und Dellwo) zu Wort, die sich heute distanzieren und somit auch den weltweiten Aufbruch von damals denunzieren und besonders die RAF. In diesem Machwerk kommen noch der Richter Gohl, der Kronzeuge Bachus und weitere Menschenjäger zu Wort, die dafür sorgten, dass das SPK zerschlagen wurde.
Die Welt vom 19.4.18 schreibt: „Aus der Klinik direkt in die RAF“ Das soll mal wieder heißen, wie es seit den siebziger Jahren von Aust, Krausshaar usw. propagagiert wird, nur „Verrückte und Durchgeknallte“ waren in der RAF.

Um diese Sache ein mal aus unserer Sicht zu bewerten. Mitglieder des SPK haben sich dem bewaffneten Kampf angeschlossen. Wo lagen die Überschneidungspunkte zweier auf den ersten Blick völlig unterschiedlicher Organisierungsansätze?

Aus dem, was ich zum SPK ausführte, wird deutlich, dass es in vielen Punkten eine politische Nähe zwischen der RAF und dem SPK gab. Ich denke für einige ehemalige Mitglieder war es deshalb ein logischer Schritt, sich der RAF anzuschließen. Übrigens alle, die sich in der RAF organisiert hatten, kamen aus Basisbewegungen.

Kannst du etwas dazu sagen, welche Auswirkungen das SPK auf die Entwicklung der Psychiatrie im Allgemeinen hatte?

Loswerden will ich noch, was heute unter SPK firmiert, hat nichts mehr mit dem Ursprünglichen zu tun.
Ich habe schon erläutert, das es revolutionäre Bewegungen gab, die sich mit dem SPK befassten. Es ist aber auch deutlich in unserem Schwerpunkt des GI, dass die Lage in der heutigen Psychiatrie nicht besser geworden ist. Das SPK zeigte auf, sie kann nicht besser werden, sondern sie muss abgeschafft werden:
„Der Stein, den jemand in die Kommandozentralen des Kapitals wirft, und der Nierenstein, an dem ein anderer leidet, sind austauschbar – schützt euch vorm Nierenstein!“