Kopfgeld und Öffentlichkeitsfahndung in der BRD

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Hamburg

Einführung

Kopfgeld – wer glaubt so etwas gäbe es nur im Film in klassisch US-Western – wird im Folgenden eines Besseren belehrt. Ganz nach dieser Manier und in Zusammenarbeit mit der faschistoiden Türkei wurde durch die USA nach einem türkischen Revolutionär gefahndet, auf den ein Kopfgeld in Höhe von 3 Millionen $ ausgesetzt war. Musa Asoglu wurde im Dezember 2016 in Hamburg verhaftet.
Das Kopfgeld bedient sich einer langen Historie und diese speziellen Maßnahmen finden mittlerweile überall auf der Welt Anwendung. Es soll die Suche nach „Verbrechern“ vereinfachen, um die Menschen zu fassen, die sich den Ermittlungsbehörden bisher immer entziehen konnten. Doch ist es vorrangig als eine Waffe der Herrschenden zu betrachten, die gegen vielfältige Mitglieder aus der antagonistischen Bewegung eingesetzt wird. Das Ziel der Menschenjäger ist klar: jagen, festnehmen und auch töten.
Dass dieses Vorgehen Angst und Schrecken nicht nur in der gesamten Linken erzeugen soll, ist klar. Sowohl in den linken Bewegungen als auch in der Bevölkerung insgesamt wird zu Verrat aufgerufen und ein Klima der Angst erzeugt. Überall sei Vorsicht geboten und jede Bürger*innen soll als Hilfspolizist dienen. Gerade gegen Linke hat Kopfgeld eine Tradition – noch heute wird mit Hilfe einer „Belohnung“, sprich Kopfgeld, nach ehemaligen mutmaßlichen Militanten der RAF gefahndet. Weitere Beispiele folgen in diesem Text. Das Ziel ist klar, den Revolutionär*innen soll das Wasser, in dem sie schwimmen, entzogen werden. Denn nur durch Solidarität und Unterstützung einer breiten Basis können subversive Organisationen agieren. Diese Kill-Fahndung zielt auch gegen Unbeteiligte, deren Festnahme oder sogar Tod, von den Herrschenden als bedauerliches Versehen, als „Kollateralschaden “ bezeichnet wird. Bevor wir zu den aktuellen Ereignissen kommen, möchten wir einen kurzen Überblick der letzten Jahrzehnte geben.

Siebziger Jahre

Als die RAF den bewaffneten Kampf 1970 in der BRD aufnahm, gab es gleich nach der Befreiung von Andreas Baader Steckbriefe. Nicht nur gegen Ulrike Meinhof und gegen weitere mutmaßliche Mitglieder aus der RAF, sondern auch gegen alle Genoss*innen, die mit diesem Kampf in Verbindung gebracht worden sind. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass im Rahmen solch einer Fahndung nach Stadtguerillagruppen polizeiliche Sondereinheiten eine Reihe von Zivilisten erschossen haben. So geschehen am 1.7.72 mit Ian Mc Leod in Stuttgart und am 21.5.74 mit dem Taxifahrer Günter Jendrian. Beide Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamten wurden nach kurzer Zeit mit der Begründung „Notwehr“ eingestellt. Von 1971 bis 1978 sind über 146 Tote durch polizeiliche Todesschüsse dokumentiert, darunter Kinder und Jugendliche. Die Tötung erfolgte u.a. in Zusammenhang mit der sogenannten Terroristenjagd in 16 Fällen oder im Zuge der allgemeinen Hysterie.
Wie wir dieses Vorgehen einzuschätzen haben, lässt gar nicht viel Spielraum für Spekulationen. Der damalige Bundeskanzler Schmidt sagte ganz offen, das „Terroristen“ (Mitglieder der RAF) getilgt werden müssen. Die „Welt am Sonntag“ flankierte diese Äußerungen, wie damals fast alle Medien, am 29.9.77: „… auch scheidet ein exekutierter Verbrecher künftig als Attentäter aus.“ Der damaliger Kanzler stellte das auch in den Zusammenhang mit NATO-Verpflichtungen: „Im Hinblick auf das atlantische Bündnis muss jedes Land im Auge behalten, dass es innenpolitisch fähig bleibt, seine außenpolitischen Verpflichtungen zu erfüllen.“ (FAZ 21.1.75) Damit war die RAF gemeint, die in der BRD die USA-Stützpunkte in Frankfurt sowie Heidelberg attackierte und sich später gegen das deutsche Großmachstreben wandte. Diese Fakten machen deutlich, was wir unter Aufstandsbekämpfung / Counterinsurrgency zu verstehen haben. In seinem 1971 erschienen Buch „Im Vorfeld des Krieges“ macht der Counterexperte Frank Kitson (damaliger Kommandant der 2. Rheinarmee in der BRD) präzise deutlich: „Subversion und Aufruhr sind Formen der Kriegsführung, auf die sich die Streitkräfte einstellen müssen.“ Kitson hatte Erfahrungen mit der Unterdrückung von Befreiungsbewegungen in der 3. Welt sowie in Nordirland. Unter Subversion verstand er nicht nur Aktionen von bewaffneten Gruppen, sondern auch (legale) Aktionen aus der unbewaffneter Bevölkerung, die das Ziel verfolgten, die Regierung zu stürzen, „… oder diese gegen ihren Willen zu bestimmten Handlungen zu zwingen.“ (zitiert aus Bakker Schut: Stammheim, Seite 181/182)

Einsatz von Öffentlichkeitsfahndung auch gegen „legale“ Bewegungen

Der Einsatz solcher Methoden fand nicht nur bei Militanten Anwendung. Schon früher wurden vor zirka 30 Jahren z.B. bei Demonstrationen für den Erhalt der Hafenstraßenhäuser1 die Anmelder*innen mit Foto und Namen in der „Bild“ veröffentlicht, die oft aus der reformistischen Linken stammen. Heute wird die Öffentlichkeitsfahndung in der BRD noch intensiver gegen „legale“ Zusammenhänge angewendet. Die öffentliche Jagd auf über 100 angebliche Anti-G20 Aktivist*innen erfolgte durch Listen von den Bullen, die in zahlreichen Medien veröffentlicht wurden. Inzwischen wurde diese Fahndung auch nach Spanien und Italien ausgeweitet.
Die Rigaer Straße 94 aus Berlin veröffentlichte daraufhin, aus Protest gegen diese Denunziation, selbst einen Fahndungsaufruf: „Darin waren 54 Polizeibeamt*innen auf Portraitfotos zu sehen, die sich an der Räumung der Rigaer94 im Sommer 2016 beteiligt haben.“
Daraufhin gab es eine „Antwort auf den Fahndungsaufruf der Rigaer94: Drohbriefe vom Polizeistaat“2.
„Am 22. Dezember 2017 gingen in verschiedenen Lokalitäten, die in Veröffentlichungen von Behörden als „linksextremistische Treffpunkte“ bezeichnet werden, anonyme Schreiben ein.
Der neun-seitige Brief, doppelseitig kopiert mit jeweils 3 Lichtbildern pro Seite, enthält Drohungen gegen 42 voll namentlich erwähnte Menschen. Zu 18 Personen sind Lichtbilder aus erkennungsdienstlichen Behandlungen des Berliner LKA bzw. Personalausweisfotos mit teilweise zutreffenden, meist verleumderischen Kommentaren aus Datenspeicherungen beigefügt, die dem Staatsschutz zugerechnet werden können. Weitere 24 Personen werden namentlich ohne Foto genannt“. Einige Betroffene des Drohbriefes gehen davon aus, das dieses Schreiben wegen der Interna nur aus Polizeikreisen stammen können. Auch die Mitarbeit von Faschisten ist wahrscheinlich.[3]

Einsatz auch nach erfolgreichem Protest gegen Abschiebung

Ein medial wenig brisanter Fall erschien am 11. Januar auf nordbayern.de. Dort wurde ein Fahndungsaufruf veröffentlicht, mit dem eine junge Frau gesucht wird, die öffentlich dafür angeprangert wird, am 31. Mai 2017 im Rahmen einer erfolgreichen Blockade gegen die Abschiebung eines jungen Afghanen an einer Nürnberger Berufsschule vermeintlich eine Weichplastikflasche auf einen Polizisten geworfen zu haben.

Heutige Situation

Der G20-Gipfel, der ein Weltsystem repräsentiert, in dem acht Menschen ebenso viel besitzen wie 3,7 Milliarden, fand im Juli 2017 statt. Es gelang dieses Kriegstreibertreffen durch zahlreiche unterschiedliche Aktionen aus dem In- und Ausland mit bis zu 100.000 Demonstrant*innen zu stören und damit als Ganzes in Frage zu stellen. Nur so ist die teilweise drakonische Repression vor und und nach dem Gipfel erklärbar. Der damalige Chef des Bundeskanzlersamt Altmaier antwortete auf die Frage, warum dieser Gipfel überhaupt in Hamburg stattfand, sinngemäß, die Bundesregierung lässt sich nicht vorschreiben, wo er statt zu finden hat. Weiterhin bezeichnete er die Riots, den Aufruhr im Schanzenviertel als „Terrorismus“. Kitson bezeichnet „Aufruhr“, als Widerstand gegen Vorhaben der herrschenden Klasse.

Öffentlichkeitsfahndung heute

Die staatsanwaltschaftlich verwertbaren Resultate von denunziationswütigen Vorgesetzten, Nachbar*innen und anderen sind bislang sehr überschaubar. Nichtsdestotrotz ist jede einzelne Denunziation eine zu viel, die scharf zu verurteilen ist. Wenn Kitson also fordert, die unterschiedlichen Formen des Widerstandes zu bekämpfen, wird das auch die heutige, oft gestellte Frage beantworten, warum der Staat uns mit seinem ganzen Arsenal an Repressionsmaßnahmen bekämpft. So gab es doch schon mal stärkere Zeiten der antagonistischen Linken, denn fast alle bewaffneten und militanten Zusammenhänge aus den siebziger und achtziger Jahre gibt es nicht mehr.
Die heftigen Reaktionen der herrschenden Klasse beweisen, dass unsere Kämpfe während des Gipfels teilweise und zeitweise erfolgreich waren. Wichtig ist jetzt, sich von der Repression nicht abschrecken zu lassen und weiterhin und kontinuierlich immer gegen solche Inszenierungen Widerstand zu leisten. Damals im Sommer, aber auch heute und zukünftig.


[1] Besetzte Häuser
[2] http://rigaer94.squat.net/2017/12/30/antwort-auf-den-fahndungsaufruf-der-rigaer94-drohbriefe-vom-polizeistaat/
[3] Alle Zitate (http://rigaer94.squat.net/2017/12/30/antwort-auf-den-fahndungsaufruf-der-rigaer94-drohbriefe-vom-polizeistaat/