Die Isolationshaft und die Geschichte der Repression in Spanien | Teil 6

Kritische Notizen über den Kampf gegen das FIES

Von beiden Seiten der Pyrenäen

Von der Soligruppe für Gefangene:

Zu unserer Textreihe zu Spanien, haben wir diesen Text ausgegraben, der in der Ausgabe Nr.2 von 2009, in der internationalen anarchistischen Publikation „A Corps Perdu“ veröffentlicht wurde. Dies ist ein weiterer Text der sich kritisch mit den Kämpfen der FIES Gefangenen auseinandersetzt und einen Einblick in die Geschehnisse die diese Kämpfe begleiteten, beeinflussten und mitbestimmten, wirft. Die Notwendigkeit mit Mythen und Ideologien zu brechen, entsteht in der Kritik mit unserem eigenen Handeln. Niemals dürfen unbequeme Tabus verschwiegen werden und niemals dürfen wir uns unangenehmer Fragen nicht stellen. Dieser Text stellt sich mit alldem und wirft viele Antworten und Analysen in den Raum, um aus der Kritik ein Waffe zu machen.

Wenn wir hier auf den «Kampf gegen das FIES» zurückkommen, dann nicht nur zum Zweck der Gegen-Information. Dafür wäre es offensichtlich etwas spät. Ebenso wenig ist es aus nostalgischen Gründen und noch viel weniger, um einen Kampf zu mystifizieren, worüber schon so viel gesagt wurde. Nach zehn Jahren scheint es jedoch, als ob man diese reiche Erfahrung, noch bevor alle Lehren daraus gezogen sind, wieder zu vergessen beginnt. Während einer kurzen Periode (1999-2002) sahen sich die Gefährten auf der iberichen Grossinsel und anderenorts mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert. Einige davon waren bereits bekannt und andere, neuere, haben sich seither bestens in der Landschaft eingerichtet. Wir wollen hiermit versuchen, einige der erfolgSchläge im Verlaufe dieses Kampfes, und vorallem, einige der gemachten Fehler zu verdeutlichen, um dadurch Mittel aufzuzeigen, die uns bei anderen, heutigen und zukünftigen ffensiven gegen ein Herrschaftssystem, das seine Ausbeutungs-, Entfremdungs-, Kontroll- und Repressionsmechanismen stetig verstärkt und perfektioniert, helfen könnten.

Die Anfänge

Ohne gross in der Vergangenheit zu wühlen – denn die Agitation in den spanischen Gefängnissen reicht mindestens bis in die Transicion1 zurück – sollte zumindest die Welle von Meutereien hervorgehoben werden, die Ende der 80er Jahre für Erschütterung sorgte. Nach einer Periode, in der die Proteste vor allem die Form kollektiver Selbstverletzung angenommen hatten, kamen recht viele Gefangene zu dem Schluss, dass solche Praktiken zur Verbesserungen ihrer Haftbedingungen, die noch immer im Zeichen des Francismus standen, so gut wie nichts bewirkten. Sie beschlossen daher zu agressiveren Methoden überzugehen. So riefen die Gefangenen von Herrera de la Mancha die APRE wieder ins Leben und schrieben Statuten nieder, die sie in den verschiedenen Gefängnissen zirkulieren liessen. Auch wenn die APRE2 bei weitem nicht das einzige war, was sich bewegte, so war sie doch der Funke für einige der zahlreichen Meutereien, Ausbrüche und Geiselnahmen von Wärtern. Von der APRE wurden sowohl spezifische, als auch allgemeinere Forderungen gestellt. Der «heisse Sommer» von 1991, obwohl er nicht heisser war als die vorhergehenden, diente schliesslich als Vorwand für die brutale Einführung eines neuen Isolationsregimes.

Das Klassifizierungssystem FIES3 wurde zwischen August und September 1991 durch einen internen Rundbrief auf nationaler Ebene eingeführt. Die Klassifizierung ‘FIES-1 Direkte Kontrolle’, wurde von da an auf Gefangene angewendet, die man als «konfliktbereit» oder als potentielle Ausbrecher eingestufte. Das FIES war Bestandteil einer allgemeineren und von der sozialistischen Partei ausgearbeiteten Reform des Strafsystems, in deren Ramen vor allem Riesen-Gefängnisse (Soto del Real, Quatre Camins,…) zur Ergänzung alter Strukturen, die sich innerhalb der Städte befanden (Modelo, Carabanchel), errichtet wurden. Und genauso wie die Belohnung oft mit dem Schlagstock einhergeht, so ging die Verhärtung des Regimes für rebellische Gefangene mit einer gewissen Anzahl Veränderungen (sexuelle Besuche, Halb-Freiheits-Regime, usw.) für die etwas angepassteren Gefangenen einher. Auf diese extremen Bedingungen in den Isolationsmodulen antworteten die Gefangenen jahrelang mit individuellen oder lokalen Protesten, die jedoch durch die Stille ausserhalb der Mauern isoliert und erstickt wurden. Im Oktober 1999 brachte das Kollektiv von Gefangenen in Isolation aus Soto del Real ein erstes Communiqué heraus, das von der Notwendigkeit sprach, einen kollektiven Kampf zu koordinieren und Raum für Debatten und Informationsaustausch aufzubauen. Es war ein Aufruf die Kräfte sowohl innerhalb (zwischen den Isolationsmodulen verschiedener Gefängnisse) als ausserhalb (wo sich der Vorschlag an alle Gefangenen unterstützenden Kollektive und Organisationen richtete, bis hin zu Anarchisten…) zusammen zu führen, mit der Absicht, konkrete Ziele zu erreichen. Dabei ging es nicht um eine Vereinigung, im Sinne einer Vereinheitlichung oder Uniformität, sondern darum, die Anstrengungen innerhalb eines gemeinsamen strategischen Rahmens zu organisieren, jeder mit seinen eigenen Methoden, Sensibilitäten und Ideen. Die folgenden Communiqués betonten auch die Wichtigkeit, den Kampf auf den gesamten Vollzug auszuweiten, das heisst, auf die Gefangenen des zweiten Grades, die mehr Kampfmöglichkeiten haben (Hofbesetzungen, «Streik der gekreuzten Arme» [Arbeitsstreik], usw.), da sie sich nicht in Isolation befinden. Dieser Ausweitungsversuch beabsichtigte die Isolationsmauer, die den ersten vom zweiten Grad trennte, zu durchbrechen. Die Kampflust und die Solidarität der Gefangenen im zweiten Grad war jedoch geringer, zunächst, weil die rebellischsten unter ihnen sofort in den ersten Grad gesperrt wurden, und dann wesentlich auch aufgrund ihrer Zerstörung durch Drogen oder aufgrund von Erpressungen durch Ausgangsgenehmigungen und verschiedenen kleinen Privilegien. Eine Liste mit gemeinsamen Forderungen, die die Gewichtung auf vier Punkte legte, wurde herausgegeben: Schluss mit dem FIES-Regime und der Isolation, Freilassung der unheilbar kranken Gefangenen, Schluss mit der Dispersion (Verlegungen in von den Familienangehöhrigen weit entfernte Gefängnisse), Freilassung der Gefangenen, die 3/4 ihrer Strafe abgesessen haben.

Von Beginn an wurde von den Gefangenen selbst eine Debatte über die Möglichkeiten über diese Forderungen hinauszugehen geführt. Sie betrachteten diese eher als einen Ausgangspunkt und weniger als ein Ziel an sich, mehr als Ansprüche, die sich aufdrängen, denn als Verbesserungen, die man erbettelt. Sie wurden formuliert, weil sie auf eine untragbare Situation antworten, doch während des ganzen Kampfes wurde versucht, sie in Theorie und Praxis mit einer radikalen Kritik des Gefängnis und seiner Welt zu verbinden.

Weder FIES noch Dispersion…

Gegen Mitte März 2000 stellt ein Hungerstreik von vier Tagen, als erste von Gefangenen geplante und letztlich auch realisierte Initiative, den Anfang des kollektiven Kampfes dar. Der Streik ist ein Mittel, um sich selbst, innerhalb sowie ausserhalb der Mauern zu zählen, um daraufhin den Kampf zu intensivieren. Ca. 300 Gefangene, wovon rund die Hälfte in Isolationshaft sitzen, beteiligen sich daran. In den Strassen mehrer Städten Spaniens (Madrid, Barcelona, Bilbao…) und auch im Ausland, äussert sich Solidarität durch Versammlungen, Demonstrationen, Diskussionen, Graffitis, Verteilen von Flugblättern, Angriffe, Sabotage, Verkehrsblockaden… Während sich die Repression innerhalb der Mauern in Form von Provokationen, Durchsuchungen, Kontrolle des Briefverkehrs, Besuchsverbote, Verlegungen, usw. bemerkbar macht, ebnen die Medien den Weg für Repression, indem das Schreckensgespenst des Terrorismus heraufbeschworen wird: Man spricht von pro-ETA Gruppen, die die Gefangenen scheinbar aufwiegeln, um Meutereien zu provozieren. Trotz all den Unzulänglichkeiten, den organisatorischen und koordinativen Fehlern, wird eine positive Bilanz gezogen und man entschliesst sich, die Mobilisierung fortzusetzen. So wird vom 1. bis 7. Juli 2000 ein Hofgangstreik in mehreren Gefängnissen koordiniert.

Im Anschluss auf diese Woche wird der weitere Verlauf des Kampfes diskutiert und geplant. Verschiedene Vorschläge werden angebracht: einer davon ist, sich immer am ersten Wochenende des Monates für zwei Tage in einen kollektiven Hungerstreik zu begeben, um auf Dauer eine Art von Zusammenhalt zu erreichen, ohne zuviel Energie zu verbrauchen. Dieser Aufruf startet im August und wird von Gefangenen in Spanien und einigen Gefährten auf internationaler Ebene unterstützt. Es wurde auch ein unbefristeter Hungerstreik vorgeschlagen, doch gewisse Gefangene sind der Meinung, dass es noch zu früh sei, und dass es wichtig wäre, den richtigen Moment dafür auszusuchen, damit der Hungerstreik auch eine möglichst grosse Wirkung habe. Die Idee war ebenso die vorhandene Unterstützung und die Möglichkeiten Informationen in Umlauf zu bringen, abzuschätzen, sowie eine gute Koordination, eine Weiterführung und vorallem eine Antwort in der Strasse zu fördern. Im November findet in Madrid ein Treffen statt, um den unbefristeten Hungerstreik zu koordinieren. Es fanden praktisch keine Diskussionen statt und nur sehr wenige Solidaritätsinitiativen gingen daraus hervor. Man schaffte es gerademal einige praktische Probleme auf Unterstützungsebene zu besprechen. Die Grenzen der Bewegung ausserhalb der Gefängnisse zeigen sich hier mehr als deutlich. Den gesammten Kampf hindurch wird man sehen können, wie die Gefährten all zu oft in einer Unterstützungsposition stecken bleiben und den Mobilisierungen der Gefangenen blindlings folgen, wobei diese als Motor oder sogar gewissermassen als Subjekt des Kampfes gegen das Gefängnis betrachtet werden.

Am 1. Dezember 2000 gehen fünfzig Gefangene in zwanzig verschiedenen Gefängnissen in unbefristeten oder mehrtägigen Hungerstreik oder in Hofgangstreik. Diese Proteste dauern bis Ende Monat an (mehr als die Hälfte der Gefangenen stoppt den Hungerstreik Mitte Dezember). Es kommt zu permanten Provokationen durch Wärter, zu Verlegungen und zu Kontrollen des Briefverkehrs. Mehrere Gefangene werden zusammengeschlagen (in Jaen II, Duenas und Picassent). Die monatlichen Hungerstreiks und die Verweigerung des Hofgangs halten das ganze Jahr 2001 hindurch an, doch angesichts der Wiederholung und dem Fehlen konkreter Resultate, wird die Beteiligung immer geringer. Um einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden, schlagen einige Gefangene ein paar andere Aktionen vor, wie z.B. einen Tellerstreik (die Weigerung das Gefängnisessen zu sich zu nehmen), einen Arbeitsstreik (etwas später in den Modulen zweiten Grades einiger katalonischer Gefängnisse durchgeführt) oder sich auf einen Tag zu einigen, um die Zellen zur gleichen Zeit kaputt zu schlagen… Viele dieser Aktionen wurden verwirklicht, aber mit einer immer schwächeren Koordination, hauptsächlich weil diese enorm von Gefährten draussen abhing, die ihrerseits von der Repression und ihren Auswirkungen in Sachen Desorganisation betroffen waren. Ganz abgesehen von der zunehmenden Isolation durch die Distanzierungen vieler Vereinigungen.

Innerhalb der Mauern mangelt es nicht an lokalen und individuellen Antworten auf die Repression, ob nun spontan oder organisiert (Weigerungen in die Zellen zurück zu kehren, Hungerstreiks, Ansätze von Meutereien…). Wir sollten verdeutlichen, dass die koordinierten Vorschläge während des gesammten kollektiven Kampfes, zu keinem Zeitpunkt andere Protestformen gegen spezifischere Themen ausgeschlossen haben.

Der Höhepunkt des Verfalls stellt der Hungerstreik dar, der vom 12.-18. März 2002 einberufen wurde, ohne dass man weiss, woher der Vorschlag kommt. Anscheinend entstand er ausserhalb und nicht durch die Selbstorganisation der Gefangenen. Die Coordinadora de Barrios de Madrid verkündet die Teilnahme von fast 500 Gefangenen, doch direkte Kontakte in verschiede Gefängnisse dementieren solche Zahlen, und es ist sogar wahrscheinlich, dass dieser berühmte Hungerstreik nie stattgefunden hat. Dennoch wird die Falschinformation über das Internet und verschiedene Mittel der Gegeninformations verbreitet, wodurch ein unwirkliches Bild vom Zustand des Kampfraumes geschaffen wird, der sich mitten im Verfall befand.

Im April 2002 wird in Katalonien anlässlich eines langen Communiqués aus dem FIES-Modul in Valdemoro, das einige Monate zuvor veröffentlicht wurde und vorschlug, «Kreise von Freunden und Angehöhrigen von kämpfenden Gefangenen» zu bilden, ein Treffen organisiert, woraus sich praktisch nichts ergibt. Wie so oft, haben die Gefangenen das letzte Wort und besiegeln mit einer letzten Revolte das Ende dieses kollektiven Kampfes. Vom 28. Mai an besetzen die Gefangenen vom ersten Modul des ‘Quatre Camins’ (Gefängnis in Barcelona) den Innenplatz und stellen zwölf Forderungen auf. Am 29. Mai treffen sich das Streikkomitee, der Direktor und der Vizedirektor. Nachdem die Verhandlungen abgebrochen wurden, verlangen die Gefangenen die Anwesenheit eines Rechtsberaters, der jedoch nie auftaucht. Die Gefängnisdirektion und die General-Direktion des Gefängniswesen [DGSP] schicken daraufhin die Mossos d’Escuadra[Polizei in Katalonien] um zu intervenieren… Darauf antworten die Gefangenen mit einem Aufstand, wobei sich ihnen viele andere Module anschliessen. An dessen Niederschlagung beteiligen sich auch Wärter aus anderen Gefängnissen der Region. Es werden viele Gefangene verletzt, einige von ihnen schwer (andere werden im nachhinein gefoltert). Am 30. Mai weigern sich die Gefangenen vom Modul 2 und 3 an ihre Arbeitsplätze zu gehen. Während die eintreffende Anti-Aufruhrpolizei interveniert, gelingt es sechs Gefangenen, auf das Dach zu klettern. Diese werden später ins Gefängnis von Modelo verlegt. Die Verantwortlichen der Justiz und des Innenministeriums der Generalität[regionale « autonome » Institution von Katalonien] machen einige Anwälte und « Anti-System Gruppen » oder « anarchistische Gruppen gegen das FIES » für die Aufstände verantwortlich. Die Antwort in den Strassen bleibt unwesentlich um nicht zu sagen gleich null: weniger als zwanzig Personen versammelten sich vor der General-Direktion in Madrid und eine Demonstration von rund dreissig Personen findet in Barcelona statt.

Diese kurze chronologische Zusammenfassung der Selbstorganisation in den FIES-Modulen, hätte ohne kritische Anmerkungen nur wenig Sinn. Von Innen gibt es, aus ersichtlichen Gründen, nur sehr wenige Zeugenberichte, die diese Angelegenheit wieder aufgreifen (Es ist schwierig eine etwas weitreichendere Sicht auf die Dinge zu haben, wenn man unter dem Gewicht der Repression lebendig begraben ist, denn viele von ihnen hatten äusserst lange Strafen abzusitzen, einige sind tot, andere wurden entlassen und wollen seither nicht mehr über die Gründe dieses schmerzhaften Scheiterns sprechen…). Was wir hingegen tun können, ist hier zumindest einige Grenzen und Illusionen bezüglich der Aktivitäten von Gefährten in der Strasse aufzuzeigen, ohne dabei die Repressionsfrage zu vergessen, die unweigerlich an unserer Tür klopft, sobald reale Solidaritätsbanden aufgebaut werden und versucht wird, eine praktische Koordination auf beiden Seiten der Mauern zu ermöglichen.

Die falschen Freunde

Seit Anbeginn des Kampfes bestehen einige jener gefangenen Anarchisten und Rebellen, die die ersten Aufrufe lancierten, darauf, mit reformistischen und legalistischen4 Gruppen zusammenzuarbeiten, da diese über Infrastrukturen, Anwälte und Mittel verfügen, die den Anarchisten fehlen und ausserdem einen Referenzpunkt für die Familien der Gefangenen darstellen. Sie scheinen vergessen zu haben, dass solche Gruppen schon immer die Herrschaft durch kleine, oft illusorische Verbesserungen stärkten, da diese sie bloss erträglicher machen oder schlicht und einfach die demokratischen Illusionen verfestigen. Ein Blick auf die letzten Strafreformen hätte jedoch genügt, um zu erkennen, dass die verschiedenen Verbesserungen darauf abzielen, die Solidarität zwischen den Gefangenen zu brechen und mit äusserst brutaler Repression verbunden sind. Ausserdem stellt sich die Perspektive die Gefängnisse zu humanisieren der Perspektive von deren Vernichtung entgegen. Und dennoch versuchen jene Gefährten, angetrieben von den dramatischen Umständen die sie erleiden, den Spagat zwischen dem Willen ihrer Folter ein Ende zu setzen und dem was sie im Grunde sind.

Einige anarchistische Individuen haben trotz ihres Misstrauens gegenüber solchen Gruppen versucht, gemeinsame Mobilisierungen zu lancieren. Versuche, die schliesslich scheitern, da sie von einigen dieser Gruppen boykotiert werden. Den ganzen Kampf hindurch verdeutlichten diese ihre Rolle als Rekuperateure (sich die Mobilisierung vom März aneignend), Pazifizierer (mit dem von Julián Ríos5 an Gefangene verschickten Vorschlag einer gewaltfreien Strategie), Beruhiger (Mitglieder von Madres Contra la Droga aus Madrid gingen so weit, den unbefristeten Hungerstreik zu verschweigen) und sogar Denunzianten (mit dem Finger auf die kämpferischsten Gefangenen und die Anarchisten zeigend und somit eine Trennung zwischen den ‘guten’ und den ‘schlechten’ machend). Sie raten sogar diversen Gefangenen davon ab, sich an dem Kampf zu beteiligen.

Während einer Versammlung vor dem DGIP, präsentiert sich Gruppen der Coordinadora de Solidaridad con las Personas Presasvor den Medien als die Organisatoren des Hungerstreiks vom März. Nebst der Tatsache, dass diese Initiative einzig und allein von gefangenen sozialen Rebellen und Anarchisten ausging, war es umso schlimmer, da eine der starken Ideen des kreierten Raumes die Selbstorganisation, ohne Vermittler, ohne Logos, ohne Repräsentanten war.

Nach dem Sommer zeigen Julián Ríos und seine Gruppe (wovon einige zu Unterstützungsgruppen gehöhrten, oder Anwälte, Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Priester, etc. waren) ihr wahres Gesicht selbst für jene, die es bis dahin noch nicht realisierten: Sie lassen dem Grossteil der Gefangenen im ersten Grad und denjenigen, die sich in den FIES-Modulen befinden, einen auf Selbstkontrolle basierenden Vorschlag für eine gewaltfreie Kampfstrategie zukommen, der ermöglichen würde, die Bedingungen für einen Wechsel zu einem anderen Grad zu erreichen und sich andere individuelle Verbesserungen mit Unterstützung und Betreuung von ausserhalb «durch konkrete Programme» zu verschaffen. Die gefangenen Gefährten verstehen sofort, dass dies mit einer Abschaffung des FIES nichts zu tun hat, und es sich hier in Wirklichkeit vielmehr um eine Strategie zur Befriedung handelt. Es ist bestimmt kein Zufall, dass diese «Strategie» genau in dem Moment aufkommt, wo sich der kollektive Kampf in vollem Aufschwung befindet – ein Versuch abzubremsen und zu spalten. Alle wissen sehr wohl, dass die Wendung die der Kampf nahm, als er aus ihrem legalistischen und integrativen Rahmen ausbrach, diesen Gruppen überhaupt nicht passte. Sie hatten ihre wahre Funktion preisgegeben und von diesem Moment an sind jegliche Kontakte für eine mögliche Zusammenarbeit abgebrochen worden.

Die anarchistische und anti-autoritäre Bewegung

Das Ende der 90er Jahre war eine Periode in der die anarchistische und anti-autoritäre Bewegung viele Entwicklungen und Brüche durchmachte. Die formelle libertäre Bewegung, die sich rund um die CNT formierte, die Libertären Athenea und selbst die Jungen Libertären (die sich gerade selbst auflösten) hatten Blei in den Flügeln. Sogar in den eigenen Reihen erhoben sich kritische Stimmen im Bezug auf die «offiziellen» Stellungnahmen der CNT (wie z.B. jener, die gegenüber den nach einem Banküberfall in Cordoba verhafteten italienischen Gefährten vertreten wurde) und auf organisatorische Fragen. Es wurde aber auch eine allgemeinere Kritik am Syndikalismus und an Bündnis-Organisationen angebracht. Die autonome oder libertäre Bewegung, die sich um Besetzungen, soziale Zentren und die zahlreichen Quartierkollektive (grössenteils ‘antifaschistisch’) gruppiert, begann ihrerseits ausser Atem zu kommen. Die breite Kampagne die sie rund um die Dienstverweigerung führte, fand mit der Abschaffung des obligatorischen Armeedienstes ein Ende. Die Bestrafung von Besetzungen und im Allgemeinen und vor allem die zunehmende Gebäudespekulation machten die Sozialen Zentren immer kurzlebiger. Um eine ‘Kriminalisierung’ und ‘Marginalisierung’ zu verhindern, begannen einige mit politischen Parteien zu verhandeln und logischerweise in den Reformismus abzudriften, während sich ein anderer Teil der Bewegung zu radikalisieren begann.

Zu dieser Zeit fing eine Auseinandersetzung mit informeller Organisation, Affinitätsgruppen und aufständischem Kampf an. Es wehte ein frischer Wind, der die verrotteten Kadaver der alten Organisationen wegfegte. Der Kampf gegen das FIES wurde zum Terrain, auf welchem diese Betrachtungen des Anarchismus, die für Spanien neu waren, mit der Realität eines Kampfes konfrontiert wurden. Sie zeigten die Grenzen auf, die Modelle, die auf Organisationen gestützt sind darstellen, solange sie auf ideologische Weise umgesetzt und angewendet werden. Angesichts einer neuen Situation, geht es im Grunde immer darum, zu experimentieren, aus vergangenen Erfahrungen das herauszuholen, was uns heute helfen kann, ohne sich dabei erneut in vorprogrammierte Organisationsmodelle einzusperren – auch nicht, wenn sie informell sind.

Dies ist der Kontext, in dem die Communiqués von Gefangenen Raum für einen Kampf zu öffnen versuchten. Der Vorschlag wurde von dem Teil der Bewegung, der bereits am Rand der libertären Organisationen am anwachsen war und von einigen Individuen, die noch immer mit diesen verbunden waren, mit viel Interesse aufgenommen. Es fanden Versammlungen und ein Austausch zwischen Städten statt, ausserdem wurden Publikationen geschaffen, um Informationen zu vermitteln. Einige dieser Publikationen (A Golpes, AAPPEL, etc.) machten die fragwürdige Entscheidung, systematisch alle Briefe von Gefangenen zu veröffentlichen. Im Verlaufe der Zeit degenerierte dieses Mittel für Debatten und Analysen, dieser Raum, um Vorschläge zu lancieren, und die Information wurde immer mehr zum Ziel an sich.

Ein Teil der Bewegung befand sich also, was den ‘Kampf der Gefangenen’ betrifft in einer Unterstützungsposition, selbst wenn, im besten Falle, eine aktive Solidarität mit ihnen zum Ausdruck kam. Während des gesamten Kampfes gab es jedoch immer einige, die versuchten eine eigene Projektualität gegen das Gefängnis und nicht mehr bloss eine Unterstützung zum Kampf der Gefangenen aufzubauen. Nebst der enormen Koordinations- und Verbreitungsarbeit, die mit dem Kampf der Gefangenen zusammenhing (die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gefängnissen stützte sich praktisch ausschliesslich auf Leute draussen), vermehrten sich die solidarischen Interventionen und Aktionen.

Schon seit den Anfängen des Kampfes wurde draussen eine grosse Auswahl an Aktionsmitteln angewendet: vom Verteilen von Flugblättern und Postern, gesprayten Slogans, Einschlagen von Fensterscheiben, Brandanschlägen (sowohl in der Nacht als auch am Tag) bis zu verschiedensten Sabotageakten und dem Gebrauch von künstlichen Explosiven… Neben den zahlreichen ausgebrannten Banken, varierten die Angriffsziele durch den Gebrauch verschiedener Listen mit Betrieben, die an der Verwaltung von Gefängnissen beteiligt waren. So kam es zu Plünderungen in Supermärkten, die durch Gefangene Produkte herstellen liessen, zu Bomben vor dem Ausbildungszentrum für Wärter, zu Angriffen gegen die Justiz, Wärtergewerkschaften, Medien usw. Alle versuchten den Feind aufs Neue zu definieren, seine Verästelungen freizulegen, seine schwachen Punkte aufzuzeigen. Wenn auch der Grossteil der Angriffe nicht weiter bekannt gemacht wurde, als durch hinterlassene Slogans, an den jeweiligen Orten oder durch ein paar Sätze, die an die eine oder andere anarchistische Publikation versendet wurden, von denen es zu der Zeit nur so wimmelte (und die vorallem dazu dienten, herauszufinden an welchem Punkt die Bewegung stand). Trotzdem entschieden sich einige für die äussertst umstrittene Wahl, von den Medien gebrauch zu machen, um ihre Aktionen publik zu machen.

Die Briefbomben

Anfang April 2000, wird eine an Zuloaga (Journalist für La Razón) adressierte Briefbombe abgefangen. Am 6. März hatte dieser einen Artikel geschrieben, der versuchte den Kampf der Gefangenen in Verruf zu bringen, indem er ihn mit der Strategie der Militanten der ETA in Verbindung brachte. Diese Briefbombe wird zuerst der ETA zugeschrieben, bis einige Tage später ein Communiqué erscheint, das mit «los anarquistas» unterzeichnet ist. Dies sollte der Anfange einer langen Reihe von Briefbomben sein (insgesamt 12 in einem Jahr).

Lasst uns zunächst die ethischen Probleme betonen, die damit verbunden sind. Durch den Gebrauch solcher Mittel wird die Überbringung der Sendung, mit der ein Wachhund der Macht getroffen werden sollte, dem Zufall überlassen, oder anders gesagt, das Tragen einer Briefbombe zu einem bestimmten Haus wird an einen Ausgebeuteten delegiert – mit all den Risiken, die das für diese Person bedeutet, aber vorallem ohne ihren eigenen Willen zu beachten. Die Widersprüche zwischen Zielen und Mitteln zeigen sich hier deutlich. Ebenso stellt sich das Problem, oft Sekretäre und Angestellte zu verletzen, Sklaven der Grossen dieser Welt, die ihre Post nur selten selber öffnen. Man kann sich fragen, ob dies das ist, was man unter «die Menschen und Strukturen der Macht angreifen» versteht…

Im Juli erscheint ein Bekennerschreiben zu einer neuen Briefbombe und verschiedenen anderen Angriffen in Spanien und Italien, alles zusammengefasst unter dem Namen «Internationale Solidarität». Jenes Communiqué präzisiert, dass es sich nicht um eine bewaffnete Avantgarde handelt und dass ein jeder, einige Grundsätze respektierend, den selben Namen verwenden kann… Doch dieses erklärt im Grunde nur die Absichten, denn das Bekennerschreiben und die Unterzeichnung an sich dienen einzig dazu, einen Akt der Revolte von anderen zu unterscheiden, indem man ihn aus dem Sumpf der diffusen sozialen Konfliktualität herauszieht, um ihn innerhalb einer an sich politischen Logik zu platzieren.

Nebenbei sei hier noch angemerkt, dass die an Zuloaga adressierte Briefbombe, die beabsichtigte zu verletzen, auch die Ineffektivität der verwendeten Methode beweist. Die Chance, dass eine dieser Briefbomben ihren Empfänger jemals erreicht hätte, war äusserst klein. Die darauf folgenden Briefbomben – einige davon enthielten nicht einmal explosives Material – verfallen einer absurden Wiederholung und der Suche nach einem rein spektakulären Effekt.

Diese «Angriffe» existierten einzig aufgrund des medialen Tamtams, das sie verursachten, was jedoch nicht verhinderte, dass sie in der Einbildung einiger auf die höchste Sprosse der Radikalitäts-Leiter gehoben wurden. Diese sehr eigentümliche Methode brachte mindestens zwei schädliche Effekte mit sich: Auf der einen Seite stellte es das gesamte Spektrum der Angriffe und direkten Aktionen, die stattfanden in den Schatten, auf der anderen Seite erlaubte es den Henkern sich als Opfer darzustellen. Nebst dem, dass sie sich auf die Logik einer Gegenmacht einliessen, verbreiteten die Briefbomben eine irreale Bedrohung und dies wussten die Mächtigen nur all zu gut. Der Staat erkannte dennoch das revolutionäre Potenzial, das – obwohl noch im embryonalen Zustand – im Raum des Kampfes bereits enthalten war. Die Repression die folgte und die Massnahmen, die beabsichtigten dessen Ausbreitung zu hemmen, waren hauptsächlich präventiver Natur.

‘Konstrukte’ und Repression

Im Rahmen der Vorbereitungen für den Hungerstreik der am 1. Dezember 2000 beginnen soll, verhaftet die Brigada de Información am 8. November zwei junge Anarchisten aus Madrid und durchsucht ihre Häuser. Sie werden beschuldigt Briefbomben in Solidarität mit dem Kampf der Gefangenen verschickt zu haben und man unterstellt sie dem Anti-Terror Gesetz. E.M. lässt man mit Anklagen wieder laufen und E.G., bei dem man anscheinend 40 Gramm Schwarzpulver gefunden hat, wird nach einem Tag Gefängnis «unter Kaution freigelassen». Nur eine Woche später wird er aufgrund der medialen Lynchjustiz erneut festgenommen. Ein anderer angeklagter Gefährte kann von der Polizei nicht aufgefunden werden, worauf das Haus seiner Eltern durchsucht wird. Drei FIES Gefangene werden ebenfalls angeklagt. Sie alle beteiligten sich aktiv am Kampf. Am selben Tag werden die Mitglieder eines sogannten ETA-Kommandos und die «politische Führung der PCE(r)» verhaftet, was offensichtlich half die Festnahmen vor den braven Bürgern zu legimitieren. Die Medien bringen ebenso explizit die Tatsachen durcheinander, indem Verbindungen zwischen den Angeklagten und autoritären Gruppen wie der ETA und deren Umgebung heraufbeschworen werden. In Zusammenarbeit mit der Polizei erfinden sie einen internationalen anarchistischen Komplott, wovon der anarchistische Gefangene Claudio Lavazza, zusammen mit zwei andern FIES-Gefangenen das Hirn und der Organisator einer hierarchischen «anarchistischen Zelle» sei, während man behauptet, dass diese «sämtliche Jugendbewegungen leite». In ihrer bizarren Einbildung «war es die Aufgabe von E.M., die Kontakte mit den verantwortlichen FIES-Gefangenen jener Organisation zu unterhalten. E.G. hatte die Aufgabe Briefbomben zu fabrizieren. Die Person, die noch immer auf der Flucht war, erhielt in einem Postfach die Instruktionen der Gefangenen, in denen es darum ging, an welche Person er die Packete zu senden hatte. Er war ebenfalls damit beauftragt, die Texte zu schreiben, die den Packeten beigelegt wurden.» (El Mundo, 10. November 2000). Im Januar 2004 wird E.G. schliesslich zu vier Jahren Haft für den Besitz von explosivem Material verurteilt, während die Anklagen gegen die anderen Beschuldigten fallen gelassen werden, womit sich das Gespenst der ‘bewaffneten Organisation’ in Luft auflöst.

Das Schlimmste ist jedoch die panische Reaktion der «anti-autoritären Bewegung» (vorallem in Madrid). Einen Tag nach den Festnahmen, nehmen rund hundert Personen an einem Treffen teil (woraus das Assamblea von Freunden und Gefährten von Eduardo entsteht), worin über das Organisieren einer Pressekonferenz gesprochen wird, um die Unschuld des verhafteten Gefährten zu verkünden. Die Kampagnen für die Freilassung von E.G. und die damit verbundenen Verteidigungen gehen in dieselbe Richtung. Das Cruz Negra Anarquista [CNA, Anarchist Black Cross] von Madrid, worin sich auch Eduardo beteiligte, sendet der Presse schnell ein Communiqué worin sie sich von jeglichen gewalttätigen Aktionen distanziert: «Das CNA dissoziiert sich vollständig von den Taten welcher der Gefährte beschuldigt wird (…) Die Organisation CNA identifiziert sich nicht mit dieser Art von individuellen Aktionen (…) Es sollte klar sein, dass organisierte Kraft oder Gewalt nicht Teil der Methoden ist, die wir anwenden.»6

Die CNT versendete ihrerseits einen Rundbrief der dazu aufruft, die verschiedenen CNA Gruppen aus ihren Lokalen zu werfen. Dies wird in vielen Städten abgelehnt, unter anderem in Madrid, wo beide Gruppen mehr oder weniger aus den selben Personen bestehen. So baut ein Teil der «formellen Bewegung» eine Mauer um sich herum, womit sie indirekt mit dem Finger auf diejenigen zeigt, die sich folglich auf der andern Seite befinden (wobei sie sich nicht gross bemühten den Finger zu verbergen).

Die mangelnde Kapazität, um der Repression die Stirn zu bieten, ist nicht zu übersehen und all die Unzulänglichkeiten und Schwächen der Bewegung auf der Strasse, manifestierten sich so auf eine dramatische Weise. Die Repression hatte sich schon seit geraumer Zeit abgezeichnet, doch die Gefährten, die sie kommen sahen, waren nicht im Stande sich mit den nötigen Mitteln und den unentbehrlichen Werkzeugen auszurüsten, um ihre Auswirkungen so gut wie möglich einzuschränken und den Kampf fortzuführen. Die Schläge treffen daher mit voller Wucht und werden nicht immer gut eingesteckt. Angesichts der Schwäche der Gefährten, die nicht im Stande sind, sich selbst zu verteidigen, ist es umso schwieriger, in der Offensive zu bleiben.

Im Februar 2001, während der Europol-Konferenz in Madrid, macht Spanien, Italien, Griechenland und Portugal den Vorschlag eine spezielle Fiche, über das, was sie «internationalen anarchistischen Terrorismus» nannten, zu erstellen.

Am 3. Oktober 2001 verhaften Agenten der Brigada de Informacion zwei andere Gefährten in Madrid und einen dritten in Oviedo (Asturien). Sie werden der Mitgliedschaft in einer «anarchistischen Zelle» beschuldigt, die für vier während des Sommers in Madrid verübte Sprengstoffanschläge verantwortlich sei. Man kommt erneut auf die Italien-Spanien-Griechenland Verbindungen zu sprechen, während man den Namen «mediteranes anarchistisches Dreieck» und Verbindungen mit «FIES Gefangenen» erfindet, mit denen einige Kontakt haben sollen. In den Ermittlungsakten werden auch die spanischen Beiträge beim Treffen der IAI (Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale) im Dezember 2000 in Italien erwähnt, wo der «Kampf gegen das FIES» ein Thema war. Jegliche Beweise basieren auf Beziehungen zu oder Beteiligung an verschiedenen antikapitalistischen Publikationen. Am 7. Oktober werden sie ins Gefängnis verlegt und eine Woche später wieder freigelassen. Aufgrund mangelnder Beweise wird die Anklage fallen gelassen.

Einige Wochen zuvor sind in verschiedenen italienischen Städten Lokale, Besetzungen und Häuser von Gefährten durchsucht worden. Die DIGOS7, die vor allem Papier und Computermaterial beschlagnahmte, schenkte allem was aus Spanien oder Griechenland kam und mit dem Kampf gegen das Gefängnis in Verbindung stand, besonders viel Aufmerksamkeit. Die Ermittlungen um die Aktionen die mit ‘Internationale Solidarität’ unterzeichnet wurden, dienen als Ausrede.

Einige Monate später wird von der Polizeipräfektur eine Mitteilung in Umlauf gebracht, die vermeldet, dass die «Anarcho-Terroristen eine Serie von Anschlägen vorbereiten», die sich gegen Gewerkschaften richte, die mit repressiven Funktionen zu tun haben. Nebenbei wird präzisiert, dass hinter diesen Aktionen «alte Bekannte» der Polizei stecken, die mit «los anarquistas» in Verbindung stehen, deren wichtigste «Anführer» im Gefängnis sitzen.

Als Schlusswort
(einige Wege für eine Debatte die nie stattgefunden hat)

In dem repressiven Gefielde Spaniens, haben sich die ‘Konstrukte’ seither gut eingebürgert. Im Verlauf von mehreren repressiven Operationen, kamen die Briefbomben und die berüchtigten internationalen Verbindungen, insbesondere mit Italien, noch einmal zur Sprache. Jedoch hatte seither keine mehr den selben demobilisierenden Effekt wie die erste, vielleicht schlicht daher, da diese Operation bereits einen Grossteil der schmutzigen Arbeit erledigt hat. Einmal abgesehen von der kanalisierung all der Energie, durch den empörten antirepressiven Reflex – Energie die sonst nicht notwendigerweise in Anstregungen im Kampf gegen das FIES gesteckt wurde. Die auf Unschuld und Opferrolle basierende Kampagne für die Freilassung von Eduardo, brachte einen Diskurs über direkte Aktion und revolutionäre Gewalt mit sich, der eine deutliche Trennlinie zwischen den Guten und den Bösen zog, mit all den Konsequenzen die daraus folgten.

Umgeben von zwei Brandherden, verringerte sich der verfügbare Handlungsspielraum der Gefährten draussen enorm Schnell. Das Kommunikationsnetzwerk, das man in der Periode von 1999-2002 auf die Beine stellte, und welcher das Rückgrat des informellen Kampfraumes bildete, wurde zur Zielscheibe einer damals unerwarteten Repression (Festnahmen, Beschattungen, verschiedenste Druckmittel, bekannte und unbekannte gerichtliche Unersuchungen). Aber neben dem angespannten Klima, das durch all dies geschaffen wurde, war es vor allem der Verfall und das Fehlen von Perspektiven, die den Kampf, der gegen das FIES eröffnet wurde erschlaffen liess.

Schon vom Anfang des Kampfes an fiel es den Gefährten schwer, eine eigene Projektualität zu entwickeln, die in der Praxis die Solidarität mit dem Kampf der Gefangenen übersteigt. Die Schuld daran lag, zumindest teilweise, in einer Mystifizierung des ‘Gefangenen’, der auf abstrakte Weise als Archetyp des bewussten Rebells betrachtet wurde. Ergriffen von dem närrischen Verlangen, unsere Ideen in allen Köpfen zu sehen, glaubten einige, dass die Gefängnisse voll von Rebellen waren, wobei sie schlicht und einfach voll von Gefangenen waren. Sie hatten vergessen, dass die Umstände der Gefangenen schlicht und einfach vom Staat auferlegt wurden, der auf Handlungen oder eine soziale Kondition antwortete und nicht an sich mit Revolte gleichbedeutend sind. Durch die Idealisierung von Gefangenen schlich sich die marxistische Schrulle des revolutionären Subjektes zurück ins Blickfeld, wobei unbewusst alle Hoffnung von einer sozialen Kategorie (zuvor das Proletariat) zur anderen verschoben wurde. Die faktische Exteriorität in der diese Idealisierung die Gefährten einschliesst, macht es umso schwieriger über den Rahmen der spezifischen Forderungen, die von den Gefangenen vorangetragen werden, hinauszugehen und so zu einem Kampf zu gelangen, der sich gegen das Gefängnis und die Gesellschaft richtet, die das Produkt davon ist, und die es wiederum selbst produziert. Dies hätte jedoch erlaubt, dass jeder seinen Platz in diesem Kampf findet und vielleicht sogar damit beginnt, die im Schosse des Kampfes entstandenen Hierarchien zu sprengen, der wie alle anderen einer übertriebenen Personalisierung, Gerüchten und persönlichen Problemen zum Opfer fiel, was den gemeinsamen Kampf erschwerte.

Nach den auswegslosen Beziehungen mit reformistischen Gruppen wurde versucht «Kreise von Freunden und Angehörigen von kämpfenden Gefangenen» aufzubauen, was jedoch ohne weitere Folgen blieb. Zum Teil wahrscheinlich, weil es nicht wirklich klar war, wie ein solches Werkzeug im Schosse einer Projektualität gegen das Gefängnis eingesetzt werden konnte. Die Gefährten stiessen auf allerlei Schwierigkeiten bei ihren Versuchen, kämpferische Verbindungen mit Leuten zu knüpfen, die angeblich «sensibler» auf das Thema Gefängnis reagieren würden. Und aus dieser Sicht stellt sich hier die grundlegende Frage nach der sozialen Ausbreitung des Kampfes.

Der Korrespondenz mit Gefangenen wurde eine enorme Gewichtung gegeben. Auch wenn diese für die Koordination und das Bestehen des kollektiven Kampfes an sich unentbehrlich war, so schien der Aufwand gelegentlich etwas unproportioniert, wenn man das wenige an reeller Kommunikation und Debatten betrachtet. Zudem erweist sich auch die Bilanz der Beziehungen zu den Gefangenen als schmerzhaft, wenn man realisiert, wie wenig Komplizenschaften daraus hervorgingen – und dies trotz der zahlreichen Briefe, die mit «lang lebe die Anarchie» unterzeichnet den Knast verliessen. Obschon eine der Früchte dieses Kampfes eine reale Bewusstwerdung gewisser Gefangenen war, so gab es tatsächlich auf der anderen Seite auch jene Knastbrüder, die ein paar Slogans und etwas anarchistische Rethorik erlernten, um sich Unterstützung, Geld, Freundinnen, etc. zu gewährleisten.

Trotz des bitteren Nachgeschmacks, den jene Jahre, die mit Fehlern und schlecht eingesteckten Gegenschlägen gespickt waren, bei etlichen Gefährten hinterliessen, muss man dem Kampf gegen das FIES den Verdienst zuerkennen, die erste konkrete Erfahrung einer Bewegung gewesen zu sein, die sich endlich der Fesseln des Anarcho-Syndikalismus entledigt hat. Auch wenn es ihm an Reife mangelte, hatte er sich zumindest von den klassischen Illusionen und den widerlichsten Schemen formeller Organisation befreit. Und obschon er manchmal eher von Übermut als von Klarheit zeugte und seine Grenzen und Schwächen deutlich erkennen liess, so geht es gewiss weder darum, die Ideen der Selbstorganisation und der Informalität die dem Kampf Form verliehen, noch die Werte der gegenseitigen Hilfe und Solidarität, die er vorantrug, auszuklammern. Heute die alten Weisen spielend behaupten, dass wir junge Idioten waren und diese gescheiterten Versuche als Jugendsünde abzutun, wird uns nicht helfen, diese zu überwinden. Man macht den Weg indem man geht, fällt und wieder aufsteht.


[1] Eine von heftigen sozialen Unruhen geprägte Periode, die auf den Tod von Franco 1976 folgte.

[2] Vereinigung von Gefangenen unter Spezial Regime (Asociación de Presos en Régimen Especial)

[3] Fiche von Inhaftierten unter Spezieller Aufsicht (Fichero de Internos en Especial Seguimiento), die Gefangenen werden je nach Delikt und Verhalten im Gefängnis klassifiziert und Speziellen Regimen zugewiesen werden.

[4] Verschiedene assistenzialistische Gruppen die für die Reformierung der Gefängnisse plädieren. Sie klagen das FIES-Regime schon seit Jahren an. Viele dieser Gruppen gingen aus den Bewegungen und den Quartieren der 80-90er Jahre hervor.

[5] Professor und Advokat, Spezialist im Gefängnisrecht, steht der Koordination der Gefangenenunterstützung nahe.

[6] Auszug aus «Comunicado de la organización Cruz Negra Anarquista – Grupo Madrid a los medios de comunicación» vom 16. November 2000.

[7] DIGOS : Dienst für politische Untersuchungen der italienischen Polizei.