Deutsches Gedenken

Walter Hopfenbaum, Oktober 2017

Am 18. Oktober 2017 jährt sich auch zum 40. Mal der Todestag von Hanns Martin Schleyer und natürlich ist sich die nach ihm benannte Stiftung nicht zu schade, für diesen und den folgenden Tag gleich zwei Veranstaltungen unter dem Titel „Die Freiheit verteidigen, die Demokratie stärken – eine bleibende Herausforderung“ abzuhalten. Bereits am 5. September, dem Tag an dem Schleyer entführt wurde, hat in Köln eine Kranzniederlegung zum Gedenken der Opfer der RAF stattgefunden, an der sich unter anderem Bundespräsident Frank Walter Steinmeier beteiligt hatte.
Dies führt uns zu der Frage, in wessen Namen soll hier denn die Freiheit verteidigt und die Demokratie gestärkt werden und wem legt der Bundespräsident einen Kranz auf die Gedenkstelle in Köln. Also werden wir versuchen, anhand der bekannten Daten und Fakten das Leben des 1915 geborenen Schleyers knapp nachzuzeichnen, das ja exemplarisch für viele Deutsche dieser Generation steht, die nach dem zweiten Weltkrieg zunächst unbeschadet weiter Karriere in der BRD machen konnten.
Ausgerechnet am 1. Mai 1915 kam Hanns Martin Schleyer in Offenburg als einziges Kind des Richters Ernst Schleyer zur Welt. Dieser Ernst Schleyer war 1934 Mitglied im „Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“, wurde in verschiedenen Gutachten aus seiner Personalakte beim Landgerichtspräsidenten als „aufrechter, treuer und zuverlässiger Nationalsozialist“ beschrieben und war auch Vorsitzender des örtlichen Erbgesundheitsgerichts, welches das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 1. Juli 1993 ausführen sollte und über Sterilisierungsanträge entschied.
Der Richtersohn trat bereits als Fünfzehnjähriger im März 1931 der Rastatter HJ (Hitlerjugend) bei, die zu diesem Zeitpunkt in Baden 1700 Mitglieder zählte, obwohl Schülern die Mitgliedschaft in der HJ in Baden untersagt worden war. Im Frühjahr 1933 nach der Machtergreifung Hitlers legte er seine Reifeprüfung ab und trat am 30. Juni desselben Jahres in die SS ein. Nach Ableistung des freiwilligen Arbeitsdienstes nahm er in Heidelberg sein Studium im Fach Jura auf. Allerdings absolvierte er dort nicht wirklich ein reguläres Jurastudium, da er hauptsächlich stark ideologisierte Veranstaltungen zur Staats- und Führerlehre des NS-Staates besuchte. Von 1933 bis 1935 und dann wieder von 1958 bis zu seinem Tod war er Mitglied der Studentenverbindung „Suevia“. 1935 verließ Schleyer die „Suevia“, um dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund beizutreten, der sich mit dieser und anderen alten Verbindungen gerade einen Machtkampf lieferte. Die Leitung des Heidelberger Studentenwerkes übernimmt Schleyer 1937/38 und legt im Februar 1938 die erste juristische Staatsprüfung in Karlsruhe mit der Note „befriedigend“ ab. Am 1. Mai desselben Jahres übernimmt Schleyer die Leitung des Studentwerkes an der Universität Innsbruck, wo einer der nach 1945 bekanntesten österreichischen Rechtsradikalen, Otto Scrinzi, zu seinen Mitarbeitern zählte. An der Universität Innsbruck promoviert er 1939 dann auch nach österreichischem Recht zum Dr. jur. mit der Note „rite“ (genügend). Nach der Promotion heiratet er Waltrude Ketterer, Tochter des SA-Gruppenführers Emil Ketterer.
Schleyer wird, da er noch in Innsbruck lebt, 1940 einer Gebirgsjägerdivision zugeteilt und marschierte nach Frankreich, wurde aber 1941 aufgrund einer Schulterverletzung ausgemustert und durfte die Truppe verlassen. Er siedelt nach Prag um, wo er zunächst die Führung des Studentenwerkes an der Deutschen Karls-Universität übernimmt und am 9. November zum SS-Untersturmführer ernannt wurde. Ab April 1943 wird er dann Sachbearbeiter beim Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren, der sich unter anderem auch für die Arisierung und Germanisierung der Betriebe im Protektorat verantwortlich zeichnete, aber vor allem war die Region ein wichtiger Standort der Rüstungsindustrie, die mit dem Beginn des Feldzugs gegen die Sowjetunion eine noch bedeutendere Rolle in der NS-Wirtschaft einnahm. Nachdem am 5. Mai 1945 der tschechische Aufstand in Prag losbrach, gelingt Schleyer die Flucht nach Süddeutschland, wird aber im Juli 1945 von den Franzosen verhaftet. Dort gibt er auf einem Fragebogen an, er sei im Mai 1941 aus den Listen der NSDAP gestrichen worden und im Herbst 1937 vom Dienst in der SS beurlaubt worden und sein Rang in der SS sei „Oberscharführer“ gewesen, was drei Ränge unterhalb seiner tatsächlichen Position rangierte. 1948 wurde er freigelassen und zunächst als „Minderbelasteter“, später nach dem er Berufung einlegte sogar nur als „Mitläufer“ eingestuft und erhielt am 1. Februar 1950 seinen Persilschein.
Bereits 1949 wird er Geschäftsführer der Außenhandelsstelle der badischen Industrie- und Handelskammer, kündigt 1951, um als Sachbearbeiter im Hauptsekretariat der Daimler-Benz AG zu arbeiten. Dort legt er eine steile Karriere hin: 1956 wird er Leiter der Personalabteilung und 59 wird er als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand berufen. Unter seine Zuständigkeit fielen auch die Belegschaften der Daimler-Auslandswerke, wie zum Beispiel in Argentinien. Dort hat 1955 ein Militärputsch stattgefunden, wodurch die Produktion bei der Mercedes-Benz Argentina GmbH (MBA) erst wieder 1958 aufgenommen werden konnte. Interessant ist hierbei, dass Adolf Eichmann, der unter dem Namen Ricardo Klement in Argentinien lebte, 1959 eine Anstellung bei MBA fand und zum Leiter einer Unterabteilung befördert wurde. Allerdings ist bis heute unklar, wie es konkret dazu kam. Auch nach dem Putsch vom 24. März 1976 hat der Konzern, der bereitwillig die Diktatur unterstützte, vermutlich (Ermittlungen wegen Mord gegen Daimler-Benz wurden 2003 eingestellt) organisierte Arbeiter und Regimegegner liquidieren lassen.
Schließlich wurde Schleyer 1973 zum Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gewählt und war ab dem 1.1.1977 auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, wo er für seine harte Haltung gegen jegliche Form der Arbeiterorganisation bekannt war. Diesem Mann wird also von höchster Stelle des Staates gedacht und geehrt.

Und die CDU, der Schleyer 1970 beigetreten ist, hat im Thüringer Landtag Ende September zusammen mit der AFD gegen den Bau einer Gedenkstätte und der Einrichtung eines Entschädigungsfonds für die Opfer des NSU gestimmt. So sieht anscheinend deutsches Gedenken aus.