Aus Briefen von Musa Aşoğlu | 2

Aus einem Brief vom 14. Juli 2017 über Kollektive und seine Plattformgedanken

Natürlich ist auch heute hier ein Gefangenenkollektiv notwendiger denn je. Nicht nur für uns Gefangene, die wegen §129b eingesperrt sind, sondern auch für alle anderen politischen sowie alle sozialen, kämpfenden Inhaftierten.
Heute gibt es keine Gefangenen aus der RAF und auch kein Kollektiv mehr. Da wir jetzt nicht bei Null anfangen können, muss auch reflektiert werden, was die Stärken waren und was zur Auflösung führte. In diesem Zusammenhang würde ich auch gerne wissen, weshalb sich Libertad auflöste.
Ich frage das alles, weil ich davon zu wenig weiß. 1989 habe ich den langen Hungerstreik (HS) der Gefangenen aus der RAF und dem antiimperialistischen Widerstand mit GenossInnen aus den Niederlanden unterstützt.
Als ab 2000 der große Widerstand der politischen Gefangenen aus der Türkei gegen die Einführung der F-Zellen geführt wurde, gab es in der BRD fast nur Ablehnung gegen den HS bis zum Tod, das Todesfasten. Bis 2007 starben dabei 122 Menschen.
Oft habe ich auch erfahren, wie deutsche und andere europäische GenossInnen „kolonialistische Solidarität“ gegenüber uns praktizierten. Wenn ich fragte: „Was können wir zusammen tun?“; bekam ich oft die Antwort: „Du musst das tun, du musst das nicht tun…“
Vielleicht ist ein großes Kollektiv heute nicht möglich, aber eine Plattform
von Gefangenen schon. Keine ideologische Einheit, aber mit gemeinsamen Prinzipien und Standards, mit dem Ziel auf Ereignisse im Knast schnell und solidarisch gemeinsam reagieren zu können. Um so was zu realisieren, müssen wir fundierte Diskussionen führen. Ebenso muss sich draußen parallel eine Plattform von Angehörigen und FreundInnen bilden.
Warum ich mich für eine Plattform ausspreche, will ich an einem Beispiel verdeutlichen: Der Hungerstreik von Yusuf Taş wurde durch solidarische Aktivitäten von fünf Gefangenen unterstützt. Erst spät – nach 30-40 Tagen – haben wir drinnen alle von seinem Widerstand erfahren und begannen deshalb erst spät mit unseren Aktivitäten. Bedingt durch die Isolation und die schleppende Kommunikation habe ich vom HS erst nach 40 Tagen erfahren. Deshalb musste Yusuf auch 64 Tage streiken, um endlich seine legitimen Forderungen durchzusetzen.
Ein weiteres Problem ist die Trennscheibe bei Besuchen durch unsere AnwältInnen. Dadurch sind sie für die Klassenjustiz auch verdächtig und werden kriminalisiert.
Da die Verurteilung schon fest steht, ihre Funktion auf das „Mitmachen bei diesem Justiztheater“ reduziert ist, hat die Verteidigung im Prozess für uns keine positive Bedeutung. Alles ist in den §129b-Verfahren schon standardisiert und wirkt wie abgesprochen:

  • Bei „PKK“-Prozessen:
    Keine Trennscheibe bei Anwaltsbesuchen. Isolation drei bis sechs Monate. Zweieinhalb bis drei Jahre Haft.
  • Bei „IS“-Prozessen:
    Wie die Bedingungen bei Anwaltsbesuchen sind, weiß ich nicht. Nach kurzer Isolation drei bis vier Jahre Knast.
  • Bei „DHKP-C“-Prozessen:
    Anwaltsbesuche mit Trennscheibe. Isolation bis zum Ende. Revision so bis um die drei Jahre. Urteile bis zu sechs Jahren und neun Monaten.

Darauf zu reagieren, ist nicht eine juristische, sondern eher eine politische Option. Rechtlich bringt es nichts, wenn wir uns mit unseren AnwältInnen auf diesem Terrain bewegen. Unsere Verteidigung sollte sich stattdessen an die Öffentlichkeit richten. Da aber die Gefahr besteht, dass sie dann vom Gericht abgesetzt werden, ist unsere Verteidigung vorsichtig und ängstlich. Das sollte man ihnen aber nicht zum Vorwurf machen.
Solidarität ist für uns sehr existenziell und deshalb ist eine Plattform draußen für uns sehr wichtig, denn sie muss Kontakt zu Presse, zu politischen Gruppen und zur Bevölkerung herstellen. Ich weiß auch, dass das Umsetzen schwierig werden wird.
Wenn die Realität und somit unsere Politik die Öffentlichkeit erreicht, bin ich glücklich. Es ist dann kein Problem, dass unsere Verteidigung nur Statisten sind in den Verfahren.
Auch zehn Jahre Haft sind für mich als politischer Gefangener dann „akzeptabel“, da ich auf Seiten der Bevölkerung stehe und kämpfe. Jede Minute, die ich eingesperrt bin, ist deshalb ein Unrecht, was nur durch die herrschende Ordnung ermöglicht wird.
Ich bin inhaftiert auf Grund meiner Ideologie und Praxis. Ich betone nochmal, was für mich notwendig ist: Diese Fakten bekannt zu machen. Wenn dies gelingt, „akzeptiere“ ich auch eine längere Haftzeit.

Revolutionäre Grüße und Liebe an alle Freundinnen und Freunde und ich umarme Euch alle!

Freier Gefangener Musa