Geschichte des Netzwerks | Teil 3

In den Ausgaben 405 und 406 haben wir zwei Texte abgedruckt, die die Geschichte des Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen anschaulich geschildert haben und zu guter Letzt wurde euch ein dritter Teil angekündigt. Im zweiten Teil der kleinen Textserie wurden bereits einige Gedanken zu einer Verteidigungsfront geschildert und wir als Redaktion des Gefangenen Infos haben nun gemeinsam mit den Strukturen des Netzwerks ein Interview geführt, um den Plattformgedanken noch ein mal genauer unter die Lupe zu nehmen, einzelne Ansprüche hervorzuheben und natürlich auch um einen kleinen Ausblick zu geben.

In eurem letzten Beitrag habt ihr davon berichtet, dass ihr 2013 mit verschiedenen Strukturen und Organisation einen Vernetzungskongress auf die Beine gestellt habt. Schildert uns doch bitte ein mal, was genau waren eure Beweggründe und wie sahen die konkrete Schritte aus?

Im Allgemeinen stand für uns die ständige staatliche Repression gegen verschiedene revolutionäre und antifaschistische Strukturen im Vordergrund. Dazu gehören die vielen §129b Verfahren gegen türkische und kurdische AktivistInnen, das §129-Verfahren in Dresden war noch in vollem Gange und auch die steigende Zahl von sog. „Straßendelikten“ waren Überlegungen für solch einen Kongress. Für uns als Netzwerk gab es noch spezielle Hintergründe. Als bundesweite Struktur waren wir ebenfalls im Januar 2012 an den Gegenaktivitäten zum alljährlichen Naziaufmarsch beteiligt. Was folgte war ein Angriff der Polizei auf das Soziale Zentrum in Magdeburg, welcher mit Vehemenz abgewehrt wurde. GenossInnen aus unterschiedlichen Städten waren im Haus mit anwesend und es war klar, dass auch hier Repression folgte. So kam es auch, ein halbes Jahr später gab es die erste Hausdurchsuchung in Magdeburg, angeblich wegen des Wurfes einer Betonplatte. Für uns war wichtig, der staatlichen Repression eine gemeinsame Antwort verschiedener Strukturen und Organisationen entgegenzusetzen.
Daraufhin haben wir erste Überlegungen auf unserem bundesweiten Treffen getroffen, Einladungen verfasst und konkrete Gruppen angeschrieben. Am 18. März 2013 war es dann soweit. Der erste Kongress mit ca. 10 verschiedenen Strukturen fand in Magdeburg statt, verbunden mit einer gemeinsamen Demonstration durch die Innenstadt. Es zeigte sich, dass es ein wichtiger Schritt war, denn kurze Zeit später wurde das RAZ/RL Verfahren eröffnet, wovon auch einzelne Strukturen von uns betroffen waren.

Wir erleben nun häufiger bundesweite Treffen zu den verschiedensten Themen. Was war genau eure Intention mit dem Vernetzungskongress?

Ja, auf der einen Seite habt ihr Recht. Es gibt wahrscheinlich unzählige Treffen und weshalb sollte unser Kongress etwas neues darstellen? Die Überlegungen sind grundsätzlich auch nichts neues. Wir stellten lediglich fest, dass jede angegriffene Struktur ihre eigene Soliarbeit leistet, in der Regel isoliert von anderen Repressionsfällen. Hinzu kommt, dass die Soliarbeit erfahrungsgemäß nur von wenigen Menschen getragen wird und in der Regel auch nur dann, wenn die eigene Struktur von Repression betroffen ist. Die Bedingungen der Repression treffen uns aber alle mehr oder weniger gleich hart und deshalb halten wir es nach wie vor für wichtig, eine organisationsübergreifende Antwort auf die staatliche Repression zu finden. Damit wollen wir zum Einen die einzelnen Verfahren aus der Isolation holen und natürlich auch die Soliarbeit stärken. Für uns ist nach wie vor wichtig, dass wir ohne ideologische Vorbehalte eine gemeinsame Position zur Aufhebung von Unterdrückungs-Verhältnissen auf einer solidarischen Basis herausstellen.

Wenn ihr sagt, ihr wollt ohne ideologische Vorbehalte gemeinsame Positionen herausstellen, könnte der Eindruck entstehen ihr wollte alles und jeden an einer Vernetzung beteiligen? Die Rote Hilfe würde doch dafür ebenfalls einen sehr guten Rahmen bieten, zu mal sie auch wachsende Mitglieder-Zahlen aufweist.

Nein, unsere Intention meint etwas anderes. Wir verstehen uns und die Strukturen, die sich am Kongress beteiligt haben, als klassenkämpferische und revolutionäre Linke. Für uns geht es um die Frage, wie wir als geeinte revolutionäre Linke Repressionsschläge zurückdrängen können. Denn antifaschistischer, antikapitalistischer, antirassistischer, antipatriarchaler und antiimperialistischer Widerstand wird über ideologische Unterschiede hinweg verfolgt und angegriffen. Daher wurden gemeinsame Eckpunkte als Ausdruck einer gemeinsamen Plattform formuliert.
Und natürlich bietet die Rote Hilfe einen guten und wichtigen Rahmen in der Antirepressionsarbeit für die Linke. Sie ist ein wichtiger Bestandteil und leistet eine Unterstützungsarbeit, die wir so nicht leisten können. Allerdings ist die Rote Hilfe ein eingetragener Verein und versteht sich selbst als strömungsübergreifend. Das hat wiederum ganz andere Widersprüche zur Folge. Für uns geht es um die Stärkung einer antiimperialistischen, internationalistischen und revolutionären Solidaritätsarbeit. Wir arbeiten eng und gut mit der Roten Hilfe zusammen und auch die Rote Hilfe ist eingeladen, sich an einem gemeinsamen Prozess zu beteiligen.

Auf eurer Netzwerk-Homepage sind eure Eckpunkte einzusehen. Könntet ihr uns und den LeserInnen die genannten Eckpunkte kurz vorstellen? Was ist das besondere an diesen Eckpunkten?

Zwei Aspekte wollen wir gleich vorneweg nehmen: Die damals formulierten Eckpunkte sind nichts statisches, sondern leben von Diskussion und Weiterentwicklung. Bereits damals gab es zahlreiche Diskussionsanregungen und inhaltliche Punkte, die es zu ergänzen gilt. Der andere Punkt ist, dass die Eckpunkte den inhaltlichen Ausdruck widerspiegeln, wir uns zusätzlich einen praktischen Ausdruck erarbeitet haben.
Den ersten Eckpunkt haben wir in der Frage zuvor schon beantwortet. Es geht darum, Linke Politik zu verteidigen! Die Frage der Solidarität darf nicht an ideologischen Grenzen scheitern, weil die Repression die gleiche ist. Als geeinte Linke müssen wir gemeinsam auf Repression reagieren, denn wie wir damals bereits formuliert haben, Fünf Finger sind ´ne Faust!
Der zweite Punkt macht deutlich, dass Repression ein Teil des Klassenkampfes von oben ist. Es soll deutlich machen, dass Repression nicht losgelöst von den kapitalistischen Verhältnissen betrachtet werden darf. Die Repression ist ein Werkzeug der Herrschenden, zum Einen um den aktiv kämpfenden Teil der Klasse weg zu sperren und zum Anderen, um die gesamte Klasse der Ausgebeuteten und Unterdrückten klein zu halten, auszubeuten und die kapitalistische Verwertungslogik aufrecht zu erhalten. Deshalb betrachten wir soziale Repression ebenfalls als Klassenkampf von oben. Darüber hinaus sind wir keine karitative Vereinigung. Wir leisten keine wohltätige Arbeit, sondern für uns geht es in der Solidaritätsarbeit ebenfalls um die Überwindung kapitalistischer Verhältnisse und nicht ausschließlich um das Anprangern inhumaner gesellschaftlicher Bedingungen. Denn für uns ist klar, dass der Kapitalismus/Imperialismus eben solche Widersprüche produziert und wir nur durch die Überwindung des Kapitalismus hin zu einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung kommen können. Wir sehen die politischen Gefangenen nicht als Opfer, die Fehler gemacht haben. Sondern sie sind Kämpfer_innen einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Sie werden nicht für persönliche Fehler verhaftet, sondern weil sie die antagonistischen Widersprüche praktisch angehen und dafür werden sie von der Klassenjustiz bestraft.
Im vierten und fünften Punkt machen wir deutlich, dass wir jegliche Zusammenarbeit mit dem Staat und den Repressionsbehörden ablehnen, somit auch kreative Prozessführungen. Die Justiz ist Ausdruck kapitalistischer Herrschaftssicherung von der wir keine Gerechtigkeit zu erwarten haben.
Und im letzten Punkt ist es für uns noch mal wichtig klar zu machen, dass Drinnen und Draußen ein Kampf ist. Wir „draußen“ haben ebenso unsere Ketten zu verlieren. Gemeinsam zu kämpfen ist ein Ansatz aus unserer Isolation, der Defensive heraus zu kommen und stärker zu werden. Nur so können wir gemeinsam unsere eigenen Ketten verlieren! Das bedeutet die Gefangenen nicht allein zu lassen, sondern mit ihnen solidarisch zu kämpfen, d.h. sie drinnen und wir draußen.

Wie sah der praktische Ausdruck aus?

Hierzu wurden verschiedene Überlegungen angestellt, wie wir uns in einem aktuellen Repressionsfall gegenseitig stärken können. Dafür gab es bspw. den Bündnisfall. Das heißt, es oblag einer Struktur wann sie diesen ausrufen kann und alle anderen Gruppen waren dann dazu angehalten, sich dazu zu verhalten. Somit wollten wir gewährleisten, dass es im Falle eines Repressionsschlages eine bundesweite Reaktion aus verschiedenen Städten gibt. Darüber hinaus wollten wir Schwerpunkte schaffen, zu denen die jeweiligen Gruppen arbeiten und einen gemeinsamen bundesweiten Ausdruck finden. Der erste Versuch war beispielsweise, sich kollektiv zum 19. Dezember zu verhalten.

Für euch haben die Eckpunkte nach wie vor eine Relevanz, aber der Vernetzungskongress als solches ist vorerst gescheitert. Was waren die Gründe für das Scheitern?

Wir würden den Kongress nicht als gescheitert betrachten. Die Vernetzungstreffen sind nach dem vierten Treffen wieder eingeschlafen, das ist richtig. Die Zusammenarbeit einzelner Gruppen aus dem Vernetzugskongress haben sich aber über die Jahre intensiviert. Wir sind schon mit einem konkreten Ergebnis aus dem Kongress hervorgegangen. Es ist sehr schwierig an dieser Stelle Gründe zu benennen, zumal die Tendenz in vielen anderen Bereichen eine ähnliche ist. Es treffen sich verschiedene Gruppen zu einem bestimmten Thema und kurze Zeit später arbeitet jede Gruppe für sich. Das ist eher normal als die Ausnahme. Um es mal an einem praktischen Beispiel deutlich zu machen. Der 18. März ist bei vielen zur Routine geworden, zum Einrichten und quasi zur Anerkennung des Status Quo. Es hat eher was mit Pflichterfüllung zu tun und es ist schwer daraus eine offensive Dynamik zu entwickeln. Es hat doch mehr den Eindruck eines Events, wenn man sich nur zu diesem Tag verhält. Das aber ist keineswegs ausreichend, um einen notwendigen Druck zu erzeugen, der die ganze Repressionsmaschinerie zum Stürzen bringt. Wir machen das daran fest, dass sich nur ein kleiner Teil der (radikalen) Linken mit Repression beschäftigt. Weiterhin ist es oft so, dass nur dann Betroffenheit da ist, wenn jemand aus dem eigenen politischen Zusammenhang oder Freundeskreis von Unterdrückung und Verfolgung betroffen ist. Fakt ist auch, dass diverse Antirepressions-Gruppen nur vereinzelt agieren. Der Bezug auf andere von Repression Betroffene wird oft nicht gesucht, nicht gewollt oder wegen politischen Differenzen gemieden.
Auf der anderen Seite sind die Herrschenden hingegen mit der Verzahnung ihrer Repressionsapparate bundesweit und international viel weiter als wir. Wir wären natürlich stärker, wenn wir alle an einem Strang gegen die staatliche Unterdrückung ziehen würden. Somit müssen wir Wege finden, um die Grenzen der bisherigen Solidaritätsarbeit zu durchbrechen. Wir möchten nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern stellen uns selbst immer wieder der Diskussion und den Fragen die dabei wichtig sind. Was verbindet uns mit den Gefangenen? Was sind unsere Fragen und was ist unsere Kritik an Ihnen? Was sind unsere Ziele? Wie weit sind wir selbst von den herrschenden Normen wie z. B. Entfremdung, Ausbeutung, Resignation betroffen?
Und die wichtigste Frage bleibt immer noch, wollen wir selbst überhaupt das kapitalistische System abschaffen?

Wenn wir jetzt richtig liegen ist der Kongress 2014 eingeschlafen und ihr habt im letzten Jahr die Eckpunkte als eure neue inhaltliche Grundlage genommen. Was waren die Gründe, wieso habt ihr eure langjährige Kurzvorstellung durch die Eckpunkte ersetzt und welche konkreten Veränderungen ergeben sich für euch?

Das haben wir bereits in unserem 2. Teil der Geschichtsserie versucht deutlich zu machen. Auf Grund inhaltlicher Unterschiede in unserer Selbstverständnisdiskussion wollten wir verhindern, dass das Netzwerk auseinander bricht. Das Netzwerk stellt für uns einen wichtigen Bezugspunkt dar und weist eine lange Geschichte auf. Und gerade in der langen Zusammenarbeit können sich unterschiedliche Positionen und Ansätze entwickeln, so auch bei uns. Wir sind dann letztlich unseren eigenen Ansprüchen gerecht geworden, die Solidaritätsarbeit nicht anhand ideologischer Fragen scheitern zu lassen. Wir sehen darin eine weitere Chance, unseren Plattformgedanken hin zu einer gemeinsamen Verteidigungsfront auszubauen. Es soll deutlich werden, dass wir als Netzwerk keine geschlossene Gruppe mit festen ideologischen Prinzipien sind, sondern es uns in erster Linie um den Ausbau der Antirepressionsarbeit geht und wir offen für weitere Gruppen und Einzelpersonen sind, die sich mit den Eckpunkten identifizieren können.
Für uns konkret haben sich dadurch schon einige Punkte verändert. Wir setzen uns Schwerpunkte an denen wir gemeinsam arbeiten. Ein Beispiel hierfür ist das Gefangenen Info, nicht das es vorher anders war, aber das GI nimmt natürlich einen gesonderten und wichtigen Part bei uns ein. Wir arbeiten an den gemeinsam gesetzten Schwerpunkten und lassen dabei weltpolitische Fragen erst mal außen vor. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: In Deutschland sind Kommunisten und Anarchisten eingesperrt. Die Meisten von ihnen wird Mitgliedschaft in der DHKP-C, der PKK und der TKP/ML vorgeworfen. Für uns geht es nicht mehr in erster Linie um eine ideologische Positionierung innerhalb der verschiedenen Strukturen, sondern eher um eine gemeinsame Antirepressionsarbeit. Die Bedingungen der politischen Gefangenenschaft in Deutschland sind für alle mehr oder weniger gleich und das ist unser gemeinsamer Ausgangspunkt. Ebenso die Rolle der imperialistischen BRD in all diesen Prozessen zu beleuchten. Wir wollen uns als Netzwerk nicht auf einer Seite positionieren, sondern für uns steht die Solidarität mit allen Gefangenen und der Kampf gegen die kapitalistische Repressionsmaschinerie im Vordergrund.
Es ist aber auch für uns ein neuer Schritt, das heißt wir haben hier noch viel aufzuholen, viel zu diskutieren und sind wieder dabei, eine bundesweite Praxis zu entwickeln und auszubauen.

Wie können sich nun andere Strukturen mit einbringen?

Ja, das ist eine wichtige Frage. Auf Grund unserer konzeptionellen Änderungen sind wir nun offener für andere Gruppe geworden. Wir möchten all jene aufrufen, sich an einer gemeinsamen Diskussion und Praxis auf Grundlage der erwähnten Eckpunkte zu organisieren, um eine stärkere Kraft gegen die anhaltende Repression aufzubauen und gemeinsam mit den Gefangenen zu kämpfen. All jene, die im Antirepressionsbereich tätig sind, wissen, dass es eine Arbeit ist, die in der Regel nur von wenigen Menschen getragen wird. Daher halten wir es für sehr wichtig, die wenigen Kräfte zu bündeln und somit zu stärken. Wir sehen und begrüßen andere Initiativen mit ähnlichen Ansprüchen, wie die Veranstaltungstour „Solidariwas?“ im Rahmen des 18. März, an denen Teile von uns ebenfalls beteiligt waren. Es gilt, in die Diskussion zu kommen, wie wir ernsthaft Solidarität stärken können und uns nicht weiter in Kleinst-Gruppen aufspalten und isolieren.
Wir sind noch nicht an dem Punkt, dass wir nun in die Offensive gehen. Wie wir bereits gesagt haben, gibt es noch einige Baustellen die wir anpacken müssen, es gibt noch einige Eckpunkte die weiter diskutiert werden müssen und es gibt weiterhin Repression und Kämpfe von Gefangenen, die unsere Solidarität brauchen. Deshalb laden wir alle ein, sich an dem Prozess zu einer gemeinsamen Plattform zu beteiligen. Schreibt oder sprecht uns auf Veranstaltungen an – denn Fünf Finger sind ´ne Faust!