Der Hungerstreik hat uns ein weiteres Mal gezeigt, dass Widerstand notwendig und möglich ist!

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Berlin

Yusuf Taş hat seinen Hungerstreik nach 65 Tagen am 2. Juni 2017 beendet, nachdem seine Forderungen1, die sich gegen die repressiven Maßnahmen und Verbote der JVA Heimsheim richteten, akzeptiert wurden. Vertreter des baden-württembergischen Justizministeriums hatten Yusuf Taş am Abend des 1. Juni besucht und sich nach seinen Forderungen erkundigt. In den Morgenstunden des 2. Juni informierten sie darüber, dass Yusuf Taş künftig keine Kommunikationsbeschränkungen hinsichtlich der Sprache haben und nach seiner Entlassung aus dem Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg direkt in die JVA Freiburg verlegt werde. Die gesundheitliche Verfassung von Yusuf Taş sei den Umständen entsprechend und er befände sich nun wieder auf dem Weg der Besserung. Wir wünschen ihm alles Gute und hoffen, dass er sich schnell wieder erholt.

Widerstand der §129b-Gefangenen

Yusuf Taş, der 2013 in Österreich verhaftet und anschließend wegen eines §129b-Verfahrens an die BRD ausgeliefert worden war, erhielt 2015 eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Er und seine Mitangeklagten mussten sich immer wieder mit Hungerstreiks gegen die politisch motivierte Verfolgung von Revolutionärinnen und Revolutionären und die damit verbundene Repression durch die österreichischen und deutschen Behörden zur Wehr setzen. So kämpften er und Özgür Aslan mit einem 50-tägigen Hungerstreik gegen ihre Auslieferung nach Deutschland. Zuletzt führte Özgür Aslan im April 2017 einen dreiwöchigen Hungerstreik gegen Anstaltskleidungszwang, wobei auch er seine Forderungen nur mit einem Widerstand durchsetzen konnte. Zudem wurden die einzelnen Hungerstreiks der §129b-Gefangenen immer wieder mit Solidaritätshungerstreiks und -Protesten von anderen §129-Gefangenen unterstützt. Der 65-tägige Hungerstreik von Yusuf Taş beispielsweise wurde von Solidaritätshungerstreiks der §129b-Gefangenen Özgür Aslan, Muzaffer Doğan, Gülaferit Ünsal und Musa Aşoğlu begleitet.

Politische Gefangene und fehlendes Solidaritätsbewusstsein

Die Hungerstreiks der letzten Jahre und auch der Hungerstreik von Yusuf Taş haben uns gezeigt, dass der Knastwiderstand zur Zerreißprobe für die kämpfenden Gefangenen werden kann. Vor zwei Jahren kämpfte Gülaferit 54 Tage lang mit einem Hungerstreik gegen Knastschikanen. Diesmal waren es 65 Tage. Wie lange wird der/die nächste Gefangene für seine Rechte hungerstreiken müssen, bis seine/ihre Forderungen Gehör finden? Dies dürfte unterschiedlichen Gründen geschuldet sein. Im öffentlichen Diskurs heißt es, es gäbe keine politischen Gefangenen in der BRD. Diese Kultur des Verschweigens gilt es zu durchbrechen. Knastkämpfe, insbesondere die der politischen Gefangenen, brauchen eine Verstärkung nach außen. Die Aufgabe einer Bewegung außerhalb der Knäste sollte es sein, diese Schweigemauer zu durchbrechen, die öffentliche Meinung über politische Gefangene zu bilden und ihre Kämpfe auf verschiedene Art und Weise zu unterstützen. Wird dies nicht getan, gewinnt der Staat erneut. Mit der Androhung einer Haftstrafe wird bereits im Vorfeld versucht, politisch aktive Menschen in ein Korsett des staatlich gelenkten Protestes zu schnüren, welches dem Staat als Selbstlegitmierungswerkzeug sogar behilflich ist. Durch das Verschweigen der Kämpfe und Widerstände in den Knästen werden jene, welche sich nicht in ein solches Korsett schnüren lassen, erneut isoliert. Eine Bewegung dürfte so etwas nicht zulassen und eine Inhaftierung darf nicht das Ende der Solidarität bedeuten, sondern sollte ein Erstarken dieser mit sich bringen. Wenn die Kämpfe unserer Genossinnen an der höchsten Instanz der kapitalistischen Repressionsmaschinerie nicht unterstützt werden, dann fehlt es an uneingeschränkter Solidarität. Es liegt nicht an den Menschen draußen zu beurteilen, welche Wahl der Kampfmittel die Menschen hinter Gittern wählen. Von draußen zu entscheiden, welcher Form des Widerstandes Solidarität zugesprochen wird oder nicht ist paternalistisch. Selektive Solidarität, vor allem für Kämpfende im Knast, dient nur dem herrschenden Diskurs, legitmiert und bestärkt diesen.

Das politische Ghetto überwinden

In diesem speziellen Falle war es notwendig, außerhalb einer „Szene“ zu agieren, das Gespräch mit Menschen zu suchen, welche nicht bereits sensibilisiert sind für das Thema politische Gefangene. Eine Verstärkung der Stimmen der Gefangenen bedeutet nicht, sich das immer gegenseitig wieder vorzukauen. Es benötigt eine breite Öffentlichkeit. Im Fall von Yusuf Taş gab es sehr viel Interesse von Menschen auf der Straße, über seine Situation mehr zu erfahren. Ungläubig waren viele, als sie erfuhren, wie essentiell seine Forderungen eigentlich waren und wie lange die Knastleitung und das Justizministerium seinen Hungerstreik nicht ignorierten. Unverständnis auch darüber, wie die Medien über solch einen langen Hungerstreik schweigen konnten (mit einigen Ausnahmen). Der offene Rassimus in der Auslegung des Gesetzes2 war nicht zu leugnen. In Gesprächen war es möglich, Hintergründe zu beleuchten und die Heuchelei der Bundesregierung aufzuzeigen, welche im Falle vieler §129b-Gefangenen die Handlangerin der AKP-Regierung spielt. Es geht nicht darum, diese Aktionsform über die anderer zu stellen, es geht darum die Notwendigkeit aufzuzeigen, mit den Menschen von nebenan zu reden. Eine revolutionäre Bewegung, wenn sie denn eine Bewegung werden will, sollte in der Lage sein, ihre eigene Umgebung für ihre Kämpfe zu sensibilisieren. Gelingt dies nicht, bewegen wir uns nicht aus unseren Wohlfühlzonen hinaus und dann betreiben wir politischen Inzest.

Der Kampf endet nicht, wenn du im Knast bist

Es liegt an uns, wie wir die Kämpfe unserer Genossinnen in den Knästen an die breite Öffentlichkeit bringen, wie wir ihren Kampf für eine gerechte Welt vermitteln. Als Linke, egal welcher Coleur, sollten wir uns immer wieder daran erinnern, dass dieselben Mechanismen, welche sie eingknastet haben, auch uns einknasten könnten. Denken wir an das neue Polizeischutzgesetz, so wird es unabdingbar unsere Haltung zu politischen Gefangenen zu überdenken und den Solidaritätsbegriff zu verinnerlichen und nicht einzuschränken. Einem System, welches den Kampf für eine vom Kapitalismus befreite Gesellschaft kriminalisiert, muss die Stirn geboten werden. Unsere Solidarität darf nicht an den Rahmen von rechtlich möglichen Widerstand gebunden sein. Unser Privileg nicht im Knast zu sein, müssen wir nutzen, um ihre Kämpfe zu bestärken.

Unsere Solidarität gegen ihre Repression
Freiheit für alle politischen und sozialen Gefangenen
Kampf den Knästen, Feuer den Palästen

[1] Stopp der unwürdigen Leibesvisitationen; Kommunikation (Post und Telefonate) auf türkisch inner- und außerhalb der BRD; Verlegung in ein normales Stockwerk; Teilnahme an sozialen Aktivitäten; Ermöglichung eines Fernstudiums oder einer Weiterbildung; Kein Anstaltskleidungszwang
[2] Das Gesetz, welches gegen Yusuf angewendet wurde, erlaubte es nicht die Kommunikation in einer anderen Sprache als deutsch zu führen, bzw. dem Gefangenen die Übersetzungskosten aufzuerlegen; die Muttersprache von Yusuf ist türkisch